Montag, März 3, 2025
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Mit Software statt Klemmbrett

Wie „Lars, der Gutachter“ die Sachverständigen-Branche umkrempelte

Wie entstand die Idee zu „Der Gutachter“ und wie hat sich Ihr Unternehmen seit der Gründung im Jahr 2016 entwickelt?

Die Idee war, ein Sachverständigenbüro zu gründen, dass keine Aufträge ablehnen muss und das bundesweit – egal ob an der Küste oder in den Bergen. Solche Firmen gab es in anderen Branchen, jedoch nicht bei Sachverständigen, da war es aufgesplittet – Bausachverständige, Wertsachverständige usw. – so müssen schnell mal für ein einziges Anliegen, vier bis fünf Büros beauftragt werden. So entstand 2016 „Der Gutachter“, immer gedacht für eine Expansion.

Der Durchbruch gelang, als wir 2018 die Gerichtszertifizierung gemacht haben. Dann kamen natürlich Gerichtsaufträge, aber auch Bauträger haben uns beauftragt. Auch durch einen Tiefpunkt sind wir gegangen. 2021 sind die Maklerverträge weggebrochen. In Kurfassung: Die Domain wurde verkauft und läuft jetzt unter dem Namen „Evalion und ich musste von Grundauf als „Der Gutachter“ neu anfangen.

Mir blieben 150 Euro, mir den ich die Marke mit meinen alten Kontakten wiederbelebt habe. Im neuen Anlauf hatte ich 2022 fünf Angestellte und wieder ein Büro in Dresden. Zu der Zeit bin ich in die Immocation reingerutscht, habe mir eine Kundengemeinde aufgebaut, von Empfehlungen gelebt. Damals wurde mir klar: Der Gutachter muss etwas anderes als der Standard sein. Was es auf dem Markt brauchte, war hohe Qualität und das in so wenig Zeit wie möglich.

Februar 2023 gab eine gesetzliche Änderung. Nur noch zertifizierte Experten – DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Person oder öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständige – durften Restnutzungsdauer-Gutachten erstellen. Da wollten wir dabei sein. Innerhalb von zwei Wochen entwickelten wir ein Gutachten, das allen rechtlichen Anforderungen entsprach. Hierfür mussten wir ein Gutachten von Beginn neu entwickeln. Alles, was es gab, waren gesetzliche Vorschriften. Zwei Wochen lang saßen mein Team und ich zusammen, wir haben Doktorarbeiten gewälzt, uns von Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Steueranwälten beraten lassen, um einen Standard für dieses Gutachten komplett neu zu entwickeln, das vor allen Instanzen Bestand hat. Heute sind wir Marktführer mit über 8.000 dieser Gutachten allein in 2024.

Aus 150 Euro Startkapital wurden inzwischen 1,8 Millionen Euro Jahresumsatz. Wir haben 21 Büros in Deutschland, 37 Festangestellte, zahlreiche Freelancer und starke Partner wie Volksbank Freising, DFK und Immocation.

Welche Vision steckt hinter „Der Gutachter“ und wie wollen Sie die Sachverständigen-Branche langfristig verändern?

Unser Ziel war von Anfang an Expansion. Heute bieten wir ganzheitliche Lösungen für alle Immobilienthemen – von Verkehrswertgutachten bis zur Energieberatung. Wir haben eine traditionelle Branche digitalisiert und Standards neu definiert.

Wie unterscheidet sich Ihre Software SachNet von traditionellen Methoden in der Immobilienbewertung?

SachNet automatisiert viele Schritte des klassischen Gutachtenprozesses. Kunden beantworten gezielte Fragen und laden alle relevanten Dokumente hoch, bevor der Sachverständige aktiv wird.

Bisher mussten Kunden oft wochenlang auf Termine warten, nur um dann zu erfahren, dass wichtige Dokumente fehlen. Mit SachNet haben wir diese Wartezeiten eliminiert – 90 % der Unterlagen liegen bereits vor, bevor wir die Immobilie besichtigen. So verkürzen wir den Prozess von durchschnittlich sechs bis neun Monaten auf wenige Wochen.

Digitale Lösungen ersetzen zunehmend analoge Prozesse – welche Herausforderungen haben Sie bei der Digitalisierung von Immobiliengutachten erlebt?

Hier gibt es zwei zentrale Herausforderungen:

Eine ist das Fehlen praxistauglicher Leitfäden trotz zahlreicher gesetzlicher Vorschriften. Ein Beispiel: Für die AfA (Absetzung für Abnutzung) mussten wir Berechnungsformeln aus verschiedenen Quellen, darunter der Fraunhofer-Gesellschaft, herleiten und vergleichen. So haben wir beispielsweise eine Formel fürs Dach entwickelt und sie anschließend auf alle Gewerke des Hauses übertragen. Heute arbeiten wir mit vier mathematischen Formeln zur AfA.

Zudem war es schwierig, eine traditionsbewusste Branche von der Digitalisierung zu überzeugen. Viele Behörden kommunizieren noch per Fax, was den Zugriff auf wichtige Daten erschwert. Es hat Jahre gedauert, digitale Partner zu finden und herauszufiltern, welche Daten wirklich relevant sind. Gerade für Investoren sind Due Diligence und Wirtschaftlichkeit entscheidend – ohne digitale Prozesse wäre das in der heutigen Geschwindigkeit nicht umsetzbar.

Für welche Zielgruppe ist SachNet besonders relevant und wie stellen Sie sicher, dass deren Bedürfnisse optimal erfüllt werden?

Jeden, der mit Immobilien zu tun hat oder vorhat, in Immobilien zu investieren. Aber auch den klassischen Selbstnutzer, die sich mit Erbe und Scheidung auseinandersetzen müssen.

SachNet ist eher für den klassischen Investor gedacht, der nicht über Wochen Zeit für eine Kaufentscheidung hat, sondern wenige Tage.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für Immobilienbewertung sind komplex. Wie stellen Sie sicher, dass alle Gutachten rechtssicher und anerkannt sind?

Das erreichen wir durch einen permanenten Austausch mit Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern. Im Normalfall wissen wir, es gibt rechtliche Änderungen und passen unsere Gutachten daraufhin proaktiv an.

Was war der entscheidende Moment, in dem Sie wussten: „Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg“?

Das ist eine sehr gute Frage! Für mich kam der Moment, Als ich „Der Gutachter“ und mein Logo plötzlich auf fremden Webseiten und Flyern entdeckt habe. Das zeigte mir: Die Idee verbreitet sich, sie wird anerkannt und weiterempfohlen.

Der Gutachter Gründer Lars Kurjo Forografin: Jeanette Koch © dergutachter.net

Sie haben die Branche als „Lars, der Gutachter“ geprägt. Wie hat Ihre persönliche Entwicklung Einfluss auf den Erfolg der Marke genommen?

Meine ganze Entwicklung hat mich genau hierhergeführt. Ich habe gelernt: Alles steht und fällt mit dir.

Ursprünglich habe ich eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer gemacht, bin aber direkt danach in die Versicherungsbranche gewechselt und habe Karriere gemacht – erst in einer Agentur, dann als Büroleiter bei einer Bank. Dort kam ich erstmals mit Gutachten in Berührung und hatte mich schlichtweg in sie verliebt.

Ein kurzer Abstecher an die Uni als Architekt und Bauingenieur war mir zu theoretisch. Stattdessen habe ich von einem erfahrenen Sachverständigen gelernt, der mir all sein Wissen weitergegeben hat. Aus gelegentlichen Treffen wurde eine enge Zusammenarbeit, bis wir schließlich ein eigenes Team mit vier Angestellten aufgebaut haben.

Welche Kritik haben Sie an aktuellen gesetzlichen Vorgaben zur energetischen Sanierung und wie sollte sich die Politik aus Ihrer Sicht anpassen?

Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) 2023 in seiner aktuellen Form ist eine Katastrophe für den Immobilienbestand. Viele Sanierungsvorgaben sind realitätsfern und können sogar Schaden anrichten. Zum Beispiel können Dämmmaßnahmen in einem 90er-Jahre-Altbau Schimmel verursachen. 

Noch gravierender ist die finanzielle Belastung für Eigentümer: Sanierungen sind oft teurer als der Grundstückswert, ältere Menschen bekommen keine Kredite mehr, und viele werden in den nächsten 20 Jahren gezwungen sein, ihre Häuser zu verkaufen, weil sie die Modernisierungskosten nicht stemmen können.

Dazu kommt eine völlig aus dem Ruder gelaufene Bürokratie. Wir brauchen dringend Wohnraum. Stellt sich jedoch Kommission quer, beginnt der gesamte Planungsprozess von vorne – während der Kredit längst läuft! Gleichzeitig werden sinnvolle Förderungen, wie für Privatfahrstühle, gestrichen.

Die Energiewende wird an der Realität vorbei entschieden und schadet der Wirtschaft massiv. Heizungsbauer verlieren Aufträge, Zulieferverträge werden gekündigt, ganze Lieferketten brechen zusammen – und was einmal verloren geht, kommt nicht mehr zurück. Am Ende führt das dazu, dass immer weniger Menschen sich Wohneigentum leisten können. Eigentümergemeinschaften versinken durch Sonderumlagen in Schulden, und für viele bleibt nur noch der Weg in die Miete. Eigentum wird so zum Auslaufmodell.

Wie sehen Sie die Zukunft der Sachverständigen-Branche? Welche Rolle wird künstliche Intelligenz oder Automatisierung dabei spielen?

Die Branche ist hemmungslos überaltet und hemmungslos un-revolutionär. Sie basiert auf Grundlagen, die 50 Jahre alt sind – und leider gilt das auch für das Wissen.

Je moderner ich werde, desto mehr Menschen muss ich mitnehmen. Gerade in den Ausschüssen sitzen oft diejenigen, die am Alten festhalten. Da ist es schwierig, neue Wege zu gehen – zum Beispiel den Gliedermaßstab durch eine 360-Grad-Kamera zu ersetzen. Es ist nicht so, dass man es nicht machen könnte – vielmehr wollen sie es nicht.

Ich denke, dass KI eine Rolle bei Standardfällen spielen wird. Einige sogenannte „gutachterliche Entscheidungen“ werden aber weiterhin von Menschen getroffen, weil sie nicht immer dem rein logischen Weg folgen und besondere Erfahrung erfordern.

Welche Eigenschaften sollte ein erfolgreicher Gründer mitbringen, um eine Branche wirklich umkrempeln zu können?

Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, Rückschläge auszuhalten, sind entscheidend. Der Weg wird nie gerade sein – du kannst gewinnen, aber auch verlieren.

Neues zu schaffen bedeutet immer, auch Schmerzen einzustecken. Als Mensch möchtest du deine Freunde nicht vernachlässigen, doch als Unternehmer musst du bereit sein, die Extrameile zu gehen – sonst ist jemand anderes bereit, genau das zu tun.

Eine Revolution beginnt im Kopf und endet nicht am Wochenende. Sie erfordert vollen Einsatz, sieben Tage die Woche. Doch irgendwann läuft sie von allein.

Welchen drei Ratschlägen würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben, die ebenfalls mit einer digitalen Lösung einen traditionellen Markt verändern wollen?

Hör nicht auf den Rat von denen, die es selbst noch nie gemacht haben. Versuche nicht, andere zu kopieren. Und wenn es eine Zeit lang schlecht läuft, fang nicht an zu grübeln – weniger nachdenken, mehr machen.

Bild: Der Gutachter Gründer Lars Kurjo Forografin: Jeanette Koch © dergutachter.net

Wir bedanken uns bei Lars Kurjo für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Sabine Elsässer
Sabine Elsässer
Sabine Elsaesser is an experienced entrepreneur and media/startup expert. Since 2016, she has served as the Chief Editor and CEO of StartupValley Media & Publishing. In this role, she is responsible for managing the company and providing strategic direction for its media and publishing activities. Sabine Elsaesser takes great pleasure in assisting individuals and businesses in reaching their full potential. Her expertise in establishing sales organizations and her passion for innovation make her a valuable advocate for startups and entrepreneurs.
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