Wenn aus einem Spaziergang zur Papiertonne eine Geschäftsidee mit Impact wird: So begann die Geschichte von hey circle – einem Münchner Startup, das den Versandhandel nachhaltiger machen will. Gründerin Doris Diebold hatte lange Zeit gar nicht vor, Unternehmerin zu werden. Erst nach vierzehn Jahren im Management der Lufthansa und vielen beruflichen Erfahrungen zwischen Strategie und operativem Betrieb reifte in ihr der Wunsch, Verantwortung auf eine neue Weise zu übernehmen – nicht nur für Prozesse, sondern für die Zukunft unseres Planeten.
Mit hey circle entwickelt sie ein intelligentes Mehrwegsystem für den Onlinehandel, das bis zu 94 Prozent Verpackungsmüll und 76 Prozent CO₂ einspart. Ein Ansatz, der nicht nur technologische, sondern auch kulturelle Veränderung verlangt: Weg vom Einwegdenken, hin zu Kreisläufen. Im Gespräch erzählt sie, warum der Schritt aus dem Konzern in die Selbstständigkeit für sie ein Befreiungsschlag war, welche Rolle Mut und Pragmatismus beim Gründen spielen – und weshalb Standardisierung und Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind.
Wenn du an deine Kindheit und Jugend zurückdenkst – welche Erfahrungen oder Werte haben dich besonders geprägt, vor allem in Bezug auf Verantwortung, Nachhaltigkeit und Unternehmertum?
Doris Diebold: Ich habe tatsächlich in meinem unmittelbaren Umfeld keine Unternehmer gehabt, sodass mir lange nicht klar war, dass ich gerne gründen möchte. Meine Eltern haben beide gearbeitet, sodass ich schon eine berufstätige Mutter (in einer eher männerdominierten Domäne – meine Mutter ist Elektroingenieurin) als Vorbild hatte. Wir waren immer gerne in der Natur unterwegs – ich bin am Stadtrand großgeworden und habe in Wald und Feld gespielt. Deshalb liegt mir die Natur von klein auf am Herzen.
Du hast Internationale Betriebswirtschaft studiert – inwiefern hat dich dieses Studium geprägt, und gab es schon damals Momente, in denen du gemerkt hast, dass du später unternehmerisch tätig sein willst?
Doris Diebold: Ich habe BWL gewählt, weil ich möglichst flexibel sein wollte. Und den Internationalen Teil, weil ich sehr gerne reise und mich die weite Welt reizt. Ich habe aber auch bewusst ein Fachhochschulstudium mit stark praktischem Fokus gewählt, weil ich schon als junger Mensch gerne hands-on arbeiten wollte.
Du warst vierzehn Jahre bei Lufthansa, zuletzt in einer Führungsrolle im Management des operativen Bodenbetriebs. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen – gerade im Umgang mit großen, komplexen Logistikprozessen und der Unternehmenskultur eines Konzerns?
Doris Diebold: Bei Lufthansa hat mich das hoch professionelle Arbeitsumfeld geprägt. Ich habe aber auch viel aus meiner ersten Tätigkeit in der Strategie mitgenommen. Ich habe immer noch sehr großen Spaß daran, in die Zukunft zu sehen und vorauszuplanen. Aus dem operativen Betrieb habe ich vor allem die Kundenorientierung mitgenommen. Der „Gast“ stand da immer im Zentrum und so handhaben wir das auch bei hey circle.
Wann kam dir die Idee zu hey circle – erinnerst du dich an den Moment, in dem aus einem Gedanken ein konkretes Geschäftsmodell wurde? War der Frust über Verpackungsmüll beim Online-Shopping der Auslöser, wie du es einmal beschrieben hast?
Die Idee hatte ich schon einige Jahre, bevor ich Lufthansa verlassen habe, und habe immer mit der Idee gespielt. Wie ein Planspiel im Kopf – es hat noch einige Zeit gedauert, bis mir klar wurde, dass ich es tatsächlich auch wagen könnte, aus der Anstellung rauszugehen und unternehmerisch tätig zu sein. Die Idee kam tatsächlich aus dem täglichen Leben und dem „Walk of Shame“ zur Papiertonne zu gehen. Vor allem, da mich Abfall im Klimawandel besonders umtreibt.
Was hat dich letztlich motiviert, den sicheren Konzernjob zu verlassen, um mit hey circle ein eigenes Unternehmen mit Impact-Fokus zu gründen?
Doris Diebold: Ich wollte unbedingt etwas gegen den Klimawandel tun, den ich als dringliches Problem wahrnehme. Und auch wenn es bei Lufthansa da Möglichkeiten gibt, reduziert man dort eher die eigenen Auswirkungen, als tatsächlich etwas gegen den Klimawandel zu tun. Ich bin immer noch großer Lufthansa-Fan, aber ich wollte persönlich in eine andere Richtung. Dazu kam der Wunsch, noch mehr ganzheitlich Verantwortung zu tragen.
Die Anfangszeit war sicher nicht einfach – wie bist du an Materialforschung, Design und Prototypenentwicklung herangegangen, und gab es dabei Rückschläge, aus denen du besonders viel gelernt hast?
Ich wollte am Anfang gerne Gewissheit haben, dass ich das richtige Material habe und die Konstruktion funktioniert. Ich habe versucht, Experten zu finden, die das beantworten können. Da das Geschäftsmodell ganz neu war, gab es aber niemanden. Also musste ich es einfach ausprobieren. Die ersten Muster sind in meinem Wohnzimmer entstanden und ich habe sie einfach versendet und geprüft, ob sie den Versand überstehen. Das taten sie zum Glück.
Wie hast du die Finanzierung in der frühen Phase organisiert? Was war entscheidend dafür, dass ihr eure Seed-Runde erfolgreich abschließen und später sogar auf zwei Millionen Euro erweitern konntet – und welche Rolle spielte die Entscheidung, den Deal bei Die Höhle der Löwen auszuschlagen?
Doris Diebold: Wir sind zunächst mit der Unterstützung von BayStartup an erste Investorenkontakte gekommen. Diese haben uns weitervernetzt. Zudem habe ich klassisch „Klinken geputzt“ auf verschiedenen Veranstaltungen wie dem BAND Day, Startup Demo Nights etc.
Als wir für Die Höhle der Löwen gecastet wurden, hatten wir bereits einige Investoren an Bord – deshalb waren wir auch nicht gezwungen, den für uns nicht vorteilhaften Deal, der uns angeboten wurde, anzunehmen. Wir haben dann kurze Zeit später unsere Seedrunde mit den gewünschten Konditionen schließen können.
Beim Aufbau deines Teams – was war dir wichtiger: Erfahrung oder Begeisterung für Nachhaltigkeit?
Doris Diebold: Wir suchen normalerweise Teammitglieder, die schon mindestens 3–5 Jahre Berufserfahrung haben. Da wir ein kleines Team sind, ist jede Position nur mit einer Person besetzt, die möglichst eigenverantwortlich handeln sollte. Nachhaltigkeit ist aber auch ein wichtiger Antreiber. Mir reicht es aber, wenn die Bewerber glaubwürdig darstellen, dass sie für unser Thema brennen – sie müssen keine langjährige Nachhaltigkeitserfahrung mitbringen, die hatte ich auch nicht, als ich gestartet bin.
Wie hast du die ersten Kundinnen und Partner überzeugt, ein völlig neues Mehrwegsystem zu testen – etwa die Österreichische Post, DRYKORN oder Trigema?
Durch eigene Begeisterung, ein smartes, kundenorientiertes Produkt. Aber natürlich braucht es vor allem am Anfang auch ein Gegenüber, der Lust auf Innovation hat und bereit ist, mit einem jungen Startup ein gewisses Risiko einzugehen. Was wir gelernt haben: Die Lösung darf nicht mehr kosten als der Karton und auch nicht komplexer im Handling sein – sonst entscheiden sich nur absolute Fans dafür. Beides können wir bieten.
Wo liegen für dich heute die größten Herausforderungen – eher in der Technologie oder in der operativen Umsetzung?
Doris Diebold: Wir sind mittlerweile fast gar nicht mehr im B2C tätig, sondern im B2B, wo wir nicht die digitale Pfandlösung, sondern eine spezielle B2B-App nutzen, die CO₂-Tracking und Bestandsführung vereint. Dafür nutzen wir die GTINs und GRAI Codes von GS1 Germany.
Die Verpackung steht aber immer zuerst – denn das ist, was die Kunden suchen. Die Software kann als SaaS dazu gebucht werden.
Da wir kein spezielles Rücknahmesystem brauchen oder IT-Integration und voll in den bestehenden Prozessen laufen, haben wir keine internationalen Skalierungshürden.
Wie gehst du mit dem Vorwurf um, nachhaltige Systeme seien zu teuer oder zu komplex?
Doris Diebold: Ob ein Mehrweg-Versandsystem teurer und komplexer ist, hängt sehr stark davon ab, wie es eingebettet wird. Wir beispielsweise operieren komplett in geschlossenen Kreisläufen, sodass wir weder Komplexität schaffen noch Zusatzkosten verursachen, sondern im Gegenteil im Schnitt 50 % Verpackungskosten einsparen.
Wir messen den ökologischen Effekt unserer Verpackungen durch unsere IT-Lösung, mit der Box genau der CO₂-Ausstoß und auch die Abfallvermeidung gemessen werden kann. Die Ökobilanz, auf der unsere Berechnung basiert, wurde extern von Ökopol erstellt.
Welche Chancen und Risiken siehst du durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen?
Rechtliche Hürden, die uns bremsen, gibt es keine. Es gibt sowohl in Deutschland als auch international erste Gesetze, die dem Mehrwegversand die Bahn ebnen – wie die PPWR oder LUCID. Darauf wollen wir aber nicht warten oder uns verlassen. Wir freuen uns aber auf den zukünftigen Rückenwind und sind ready, wenn es richtig losgeht.
Wenn du fünf Jahre in die Zukunft blickst – wo steht hey circle dann?
Doris Diebold: Ich sehe eine Rückkehr zur Nachhaltigkeit, wenn der Klimawandel sich weiter verstärkt und die Regierungen sich wieder ändern. Deshalb gehe ich von einem positiven Wachstum aus und dass wir uns innerhalb Europas – vor allem in DACH, Frankreich und Benelux – etablieren. Aktuell gibt es noch keine konkreten Exitpläne – aber ich bin für alle Varianten offen, die der Entwicklung von hey circle zuträglich sind.
Was war bisher dein schwierigster Moment auf diesem Weg – und wie hast du ihn überwunden?
Es gab nicht die eine Situation. Aber Unternehmertum kann psychisch und physisch belastend sein. Ich habe zwei Kinder, um die ich mich auch kümmern möchte, und chronisch zu wenig Zeit und viel Stress. Mir hilft klassisch Sport, ausreichend Schlaf und Austausch mit anderen Gründern.
Welche Menschen oder Unternehmerinnen haben dich inspiriert?
Doris Diebold: Ich bin gleich zu Anfang meiner Gründung mit den Recup-Gründern in Kontakt gekommen und wurde von Fabian Eckert gementort. Das hat bei dem Wechsel aus dem Konzern sehr geholfen. Mich haben auch sehr stark Mütter in der Unternehmerrolle inspiriert – einige habe ich z. B. durch Future Women kennengelernt.
Wie wird das Investment von butterfly & elephant gemeinsam mit GS1 Germany eure strategische Ausrichtung beeinflussen?
Wir nutzen heute schon bei all unseren Produkten gleich zwei GS1-Standards: GTIN und GRAI. Zudem basiert unsere B2B-App auf den Daten, die diese Codes zugänglich machen. Wir möchten mit GS1 Germany die Standardisierung des Mehrwegs vorantreiben und sind natürlich sehr dankbar über das riesige Netzwerk, das uns durch butterfly & elephant eröffnet wird.

Wie möchtest du diese Partnerschaft über das Finanzielle hinaus nutzen?
Doris Diebold: Die Standardisierung ist eine große Chance, und wir möchten diese Herausforderung gemeinsam mit GS1 annehmen. Ich selbst verbinde durch meinen Hintergrund beide Welten und kann dazwischen gut wechseln. Ich sehe die Vorteile in beiden Modellen und halte es für sehr wichtig, sich auch in die großen Kunden hineinzuversetzen und ihre Strukturen zu kennen und zu schätzen.
Wie gelingt es dir, Familie und Führungsrolle zu vereinbaren?
Es wäre gelogen zu sagen, dass es zeitlich keine Herausforderung ist. Aber die Kinder sind die beste Ablenkung. Und sie zwingen einen zu Freizeit am Abend, Wochenende und regelmäßige Urlaube.
Wenn hey circle in zehn Jahren nicht mehr existieren würde – aus welchen Gründen könnte das geschehen sein?
Wenn hey circle nicht mehr existiert, dann weil es in einer Verbindung mit weiteren Playern aufgegangen ist – an die Relevanz und den Fortbestand des Themas glaube ich fest. Unser Ziel ist es, den Mehrwegversand als Standard und als gelebte Praxis zu etablieren – bekannt, aktiv genutzt und selbstverständlich.
Bilder @hey circle
Wir bedanken uns bei Doris Diebold CEO & Founder hey circle für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder