Freitag, November 28, 2025
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Wie viel Potenzial steckt in Prozessen, die sich selbst optimieren?

pi-optimal entwickelt selbstlernende Workflows, die Unternehmen helfen, tägliche Entscheidungsprozesse effizienter und intelligenter zu steuern

Wie ist die Idee zu pi-optimal entstanden und welches Problem wollten Sie damit ursprünglich lösen?

Vor etwa neun Jahren bin ich über ein YouTube-Video gestolpert, das mein Leben verändert hat. Es zeigte einen Algorithmus, der versuchte, Super Mario zu spielen. Am Anfang war er katastrophal – er lief in jeden Gegner, fiel in jedes Loch. Aber mit jeder Runde wurde er besser. Nach tausenden Versuchen meisterte er das Level perfekt.

Damals wusste ich nicht, dass diese Methode Reinforcement Learning heißt. Aber die Idee, dass ein System durch Interaktion mit seiner Umwelt selbstständig lernen und sogar menschliche Fähigkeiten übertreffen kann – das hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe daraufhin meine gesamte Studienrichtung geändert.

Fast forward sieben Jahre: Ich forschte am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme an genau diesen Technologien. Gleichzeitig arbeitete ich als Data Scientist in einer Marketing-Agentur – gemeinsam mit Mehmet, meinem späteren Co-Founder. Dort entwickelten wir die erste Anwendung eines selbstlernenden Algorithmus für einen Marketing-Agenten.

Diese Algorithmen aus der Forschung und aus Videospielen in die echte Welt zu bringen – das war der Grundstein für pi_optimal. Heute fragen wir uns: Wie würde unsere Welt aussehen, wenn alle Prozesse wie der Mario in diesem Video selbst lernen und sich kontinuierlich verbessern könnten? Das ist unsere Motivation.

Wer steht hinter pi-optimal und welche beruflichen oder akademischen Erfahrungen haben Sie in das Projekt eingebracht?

Wir sind zu Viert mit einer ungewöhnlichen Kombination aus Forschung und Praxis.

Ich selbst habe Kognitionswissenschaft in Tübingen studiert und am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme an Reinforcement Learning geforscht. Parallel dazu habe ich vier Jahre als Data Scientist in einer mittelständischen Marketing-Agentur gearbeitet und davor bei Bertelsmann im AdTech-Bereich – ich kenne die Schmerzpunkte unserer Kunden aus erster Hand.

Mehmet kommt aus der Computational Neuroscience, hat am Graduate Training Centre in Tübingen studiert und ebenfalls mehrere Jahre in derselben Agentur gearbeitet. Er ist unser Experte für skalierbare Produktarchitektur und filtert meine manchmal zu ambitionierten Ideen und baut die Systeme, die tatsächlich funktionieren.

Urs bringt Startup-Erfahrung aus Berlin mit und hat den Agentur-Markt als unsere erste Zielgruppe identifiziert. Er verantwortet alles rund um Go-to-Market und Operations.

Mehdi studiert Bio-Informatik und verantwortet trotz Vollzeitstudium unsere Forschung. Er arbeitet daran, die Brücke zwischen akademischer Innovation und produktionsreifer Software zu schlagen.

Was uns verbindet: Wir kommen aus der Forschung, aber wir wollen Produkte bauen, die in der echten Welt funktionieren. Nach mehreren Jahren Forschungsarbeit haben wir unseren MVP innerhalb sechs Wochen entwickelt und auf der DMEXCO präsentiert.

Wie würden Sie in wenigen Sätzen erklären, was pi-optimal genau macht und welchen konkreten Nutzen Ihre Kunden daraus ziehen?

Ein typischer Agentur-Alltag: Zehn Google-Ads-Kampagnen gleichzeitig managen. Jeden Tag hunderte kleine Entscheidungen treffen – Gebote anpassen, Keywords optimieren, Budgets verschieben. Das ist keine kreative Arbeit, das ist Fleißarbeit, die trotzdem Expertise erfordert.

Unser erstes Prodkt pi-automate übernimmt genau diese Arbeit. Nutzer beschreiben in einfacher Sprache, was sie erreichen wollen – keine Programmierung, kein Code. Das System trifft dann Entscheidungen wie der beste Kampagnenmanager, aber rund um die Uhr und über alle Kampagnen gleichzeitig.

Der konkrete Nutzen: Unsere Pilot-Agenturen sparen 8 Stunden pro Woche an manueller Optimierungsarbeit. Das ist ein Tag pro Woche, den Teams für Strategie, Kundenbeziehungen oder bessere Work-Life-Balance nutzen können.

Und das Wichtigste: Der Nutzer behält die volle Kontrolle – setzt die Leitplanken, sieht jede Entscheidung, kann jederzeit überschreiben. Wir automatisieren die Arbeit, nicht das Urteilsvermögen.

Welche Vision verfolgt pi-optimal langfristig – wohin soll sich das Unternehmen in den nächsten Jahren entwickeln?

Unsere Vision: Jeder Workflow in jedem Unternehmen sollte sich kontinuierlich verbessern – automatisch, ohne zusätzlichen Aufwand.

Heute verbringen Menschen unzählige Stunden damit, Prozesse zu optimieren, die sich eigentlich selbst optimieren könnten. Das ist verschwendetes Potenzial – für Unternehmen und für die Menschen, die Besseres tun könnten.

Wir starten bewusst fokussiert mit Marketing-Agenturen. Der Markt für Marketing-Automation in Europa liegt bei über 10 Milliarden Euro, und die Schmerzpunkte sind klar messbar. Aber die gleichen Muster – wiederkehrende Entscheidungen, die von Daten profitieren würden – finden wir überall: in Sales Operations, E-Commerce, Customer Success.

Wenn wir beweisen, dass selbstverbessernde Workflows funktionieren, öffnet das Türen in dutzende Branchen. Das ist die Plattform, die wir bauen.

Was war für Sie die größte technische oder unternehmerische Herausforderung bei der Entwicklung der Plattform?

Die größte Herausforderung ist, Zuverlässigkeit und Lernfähigkeit zu vereinen. Selbstlernende Systeme können exzellente Entscheidungen treffen – aber Unternehmen brauchen Konsistenz. Ein System, das meistens brillant ist, aber gelegentlich Unsinn macht, ist für den Geschäftsalltag unbrauchbar.

Unsere Lösung: Wir setzen lernende Komponenten nur dort ein, wo sie ihre Stärken ausspielen – bei komplexen Entscheidungen und der Anpassung an neue Situationen. Drumherum bauen wir ein deterministisches Framework, das Zuverlässigkeit garantiert. Diese Architektur ist unser technischer Kern und das Ergebnis vieler Iterationen.

Wie schaffen Sie es, mit Ihrer Technologie rund um Reinforcement Learning reale Probleme von Unternehmen effizient zu lösen?

Der Schlüssel liegt in der Kombination von Reinforcement Learning mit großen Sprachmodellen. Klassisches Reinforcement Learning braucht riesige Datenmengen – das funktioniert für Google, aber nicht für eine Agentur mit 50 Kampagnen.

Durch die Integration von Sprachmodellen erreichen wir sample-effizientes Lernen: Unsere Systeme können aus den Datenmengen lernen, die normale Unternehmen haben. Das macht selbstverbessernde Workflows für den Mittelstand praktikabel.

Gleichzeitig setzen wir auf deterministische Frameworks um die lernenden Komponenten herum. So garantieren wir Zuverlässigkeit und Nachvollziehbarkeit – entscheidend für den Einsatz in echten Geschäftsprozessen.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit Ihrer Lösung an und wie gelingt es Ihnen, deren Bedürfnisse genau zu treffen?

Wir fokussieren uns auf kleine bis mittelgroße digitale Agenturen in Deutschland mit 5-30 Mitarbeitern. Diese Agenturen verbringen 40+ Stunden pro Woche mit manueller Kampagnenoptimierung – ein klarer, messbarer Schmerzpunkt.

Unseren Kunden-Fit erreichen wir durch drei Dinge: Erstens, wir kennen den Markt aus eigener Erfahrung – ich habe selbst vier Jahre als Data Scientist in einer Marketing-Agentur gearbeitet. Zweitens, wir validieren kontinuierlich mit echten Pilotprojekten statt theoretischen Annahmen. Drittens, wir lösen ein konkretes Problem mit messbarem Outcome: 8 Stunden Zeitersparnis pro Woche. Das ist keine abstrakte Verbesserung, das ist ein kompletter Arbeitstag.

Nach 10+ Gesprächen auf der DMEXCO und zwei aktiven Pilotprojekten wissen wir: Das Problem ist real, und unsere Lösung adressiert es direkt.

pi-optimal wirbt damit, Entscheidungsprozesse ohne große Datensätze zu optimieren. Was macht diesen Ansatz Ihrer Meinung nach so besonders?

Das ist tatsächlich unser technischer Durchbruch. Klassisches Machine Learning braucht riesige Datenmengen – das funktioniert für Google, aber nicht für eine Agentur mit 50 Kampagnen.

Wir kombinieren Reinforcement Learning mit großen Sprachmodellen. Dadurch erreichen wir, was wir „sample-effizientes Lernen“ nennen: Unsere Systeme können aus den Datenmengen lernen, die normale Unternehmen haben – nicht aus Millionen von Datenpunkten.

Das macht den Unterschied. Plötzlich werden selbstverbessernde Workflows für den Mittelstand praktikabel, nicht nur für Tech-Giganten. Eine Agentur mit 30 Mitarbeitern kann dieselbe Technologie nutzen, die sonst nur Konzernen vorbehalten war.

Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz von klassischen KI-Trainingsmethoden oder anderen Anbietern im Markt?

Die meiste „Automation“ am Markt ist in Wahrheit regelbasiert – statische Wenn-Dann-Logik mit einem Chatbot als Interface. Das bricht, sobald sich Bedingungen ändern.

Assistenten wie ChatGPT können analysieren und Vorschläge machen, aber sie führen nichts aus und sie lernen nicht aus den spezifischen Ergebnissen eines Unternehmens.

Wir machen beides: Wir führen aus UND wir lernen. Unsere Automation passt sich bereits an veränderte Bedingungen an. Die volle Selbstverbesserung – bei der das System aus jedem Ergebnis lernt und sich Monat für Monat steigert – rollen wir gerade schrittweise aus.

Das ist der fundamentale Unterschied: Nicht Automation, die man einmal einrichtet und die dann stagniert. Sondern Workflows, die kontinuierlich besser werden.

Welche weiteren Branchen außer der digitalen Werbung könnten künftig von Ihrer Technologie profitieren?

Nach Agenturen sehen wir drei klare nächste Schritte:

Sales Operations – Lead Scoring, optimales Timing für Outreach, Pipeline-Optimierung. Überall, wo Vertriebsteams heute auf Bauchgefühl setzen.

E-Commerce – dynamische Preisgestaltung, Bestandsoptimierung, Personalisierung. Entscheidungen, die heute entweder manuell oder mit starren Regeln getroffen werden.

Customer Success – proaktive Churn-Prävention, Account Health Monitoring, Upselling-Timing. Die Muster sind dieselben: wiederkehrende Entscheidungen, die von Daten profitieren.

Langfristig: Überall dort, wo Menschen regelmäßig Optimierungsentscheidungen treffen, können selbstverbessernde Workflows Wert schaffen. Das ist ein riesiger Markt – aber wir bleiben diszipliniert. Erst beweisen wir es mit Agenturen, dann expandieren wir.

Was sind die nächsten Schritte oder Entwicklungen, an denen Sie derzeit arbeiten?

Wir haben gerade unseren ersten Piloten erfolgreich abgeschlossen und starten den zweiten. Der Fokus liegt jetzt darauf, aus Piloten zahlende Kunden zu machen und auf 10-20 Agenturen zu skalieren.

Technisch arbeiten wir daran, die Selbstverbesserungs-Fähigkeit vollständig in pi-automate zu integrieren.

Mittelfristig: 50+ Kunden und der Start in die zweite Branche.

Welche drei Ratschläge würden Sie Gründerinnen und Gründern geben, die mit einer komplexen technologischen Idee wie Ihrer starten möchten?

Erstens: Baut ein echtes Produkt, das ein echtes Problem löst – nicht ein Forschungsprojekt. Wir hätten noch Jahre forschen können. Stattdessen haben wir in sechs Wochen einen MVP gebaut und auf der DMEXCO präsentiert. Die Marktreaktion war unsere beste Validierung.

Zweitens: Erfolg ist nicht linear. Doppelt so viel Arbeit bedeutet nicht doppelter Fortschritt. Oft sind es die unerwarteten Dinge – der Bar Crawl nach einer Konferenz, das zufällige Gespräch – die den entscheidenden Unterschied machen. It’s not about the grind, es geht um Kreativität und offene Augen für Chancen.

Drittens: Seid transparent über das, was funktioniert und was noch nicht.

Bild Teambild Fotocredit pi_optimal

Wir bedanken uns bei Jochen Luithardt für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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