So deutlich wie auf dem Höhepunkt der Corona-Krise war es lange nicht mehr: Wenn der Familienladen laufen muss, nehmen Frauen sich zurück. In einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung war sogar von „Retraditionalisierung“ die Rede. Aber war die traditionelle Rollenverteilung im Lockdown und bei geschlossenen Kitas wirklich so „Re“? Und was hat das mit Unternehmerinnen zu tun, die ihren Erfolg und ihre Sichtbarkeit steigern wollen? Eine Menge.
Über Erfolg und Misserfolg im Business entscheiden vor allem die Bereiche Umsetzung und Sichtbarkeit. Umso bitterer, wenn Unternehmerinnen die Zeit fehlt, sich darum zu kümmern. Woran liegt das im Jahr 2022? Leider immer noch an der im neunzehnten Jahrhundert entwickelten klassischen Rolle der Hausfrau, von der wir glaubten, sie weitgehend überwunden zu haben.
Schließlich machen mehr und mehr Frauen Karriere, ob in Konzernen oder im eigenen Business. Auch die Zahl der Männer, die diese Entwicklung explizit begrüßen und fördern, wächst stetig. In Partnerschaft und Familie wird geschätzt, wenn die Frau ebenfalls Verantwortung für den Finanzhaushalt übernimmt. Durch das Internet sind zudem neue Möglichkeiten entstanden, online gutes Geld zu verdienen. Das Rollenbild hat also in den vergangenen fünf Jahrzehnten Risse bekommen.
Sichtbarkeit braucht Energie und Authentizität
Aber – und dies ist ein mächtiges Aber – die klassische Care-Arbeit, also die Versorgung von Haushalt und Kindern, leisten nach wie vor meist die Frauen. Bei ihrem Versuch, dem Beruf, der Familie und der Partnerschaft gerecht zu werden, reiben sie sich auf. Auf der Strecke bleiben Erholung und Zeit für sich selbst, die Folge ist eine tiefe Erschöpfung.
Das ist pures Gift für Umsetzung, Sichtbarkeit und Erfolg im Business. Warum? Weil wir immer von innen nach außen kreieren: Wer Online und im Business selbstbewusst und authentisch auftreten will, kann nicht das ausgelaugte Heimchen am Herd sein, das zu Hause immer nachgibt und die eigenen Bedürfnisse ignoriert.
Eine Unternehmerin, die sich Erfolg und Sichtbarkeit wünscht, muss ihre Bedürfnisse nicht nur kennen, sie muss sie benennen und einfordern. Auch zu Hause. Tut sie das, strahlt sie eine völlig andere Energie aus. Sie ist – und wirkt entsprechend – authentisch. Menschen haben ein feines Gespür dafür, ob ihr Gegenüber eine Rolle spielt, oder nicht. Schon kleinste Veränderungen in der Mimik zeigen Wirkung.
Für ein erfolgreiches Business, dass sich leicht und frei anfühlt, müssen wir Frauen also am eigenen Selbstbild und unseren eigenen Werten ansetzen. Wir müssen uns mit den Rollen beschäftigen, die wir in unserem Alltag spielen.
Wer bin ich und wenn ja wie viele?
Am Anfang steht die Frage: Wer bin ich in Wahrheit? Wer bin ich ohne meine ganzen Rollen als Mutter, Hausfrau, Partnerin, Schwester, Freundin, Geliebte? Dann der nächste Deep Dive in die eigene Persönlichkeit: Welche Bedürfnisse habe ich? Wie kann ich diese in meinen Alltag integrieren?
Erfolgreich zu sein kostet Energie. Diese Energie fehlt uns, wenn wir versuchen, auf allen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Ist auch gar nicht nötig. Niemand erwartet von uns, dass wir erfolgreiche Unternehmerin, liebevolle Mama, Sterneköchin, allzeit bereite Geliebte und auch sonst stets für die Bedürfnisse der anderen verfügbar sind. Und niemand fordert von uns, stets bestmöglich auszusehen, die Wohnung topp zu pflegen und natürlich regelmäßig Sport zu treiben. Niemand verlangt all das von uns – niemand, außer uns selbst.
Also gilt es, die eigenen Ansprüche kritisch zu hinterfragen. Was ist realistisch? Was ist wirklich gut für meine Gesundheit? Nichts ist so toxisch für die eigene Gesundheit wie Stress. Mütter sollten sich fragen, woran sich ihre Kinder später wohl mit einem Lächeln erinnern werden: An das picobello aufgeräumte Zuhause oder an gemeinsame Erlebnisse und Momente?
Niemand ist eine Insel
Nach dem Erkennen kommen die Lösungen – und die liegen oft auf der Hand: Öfter mal um Hilfe bitten, ein eigenes Support System aufbauen, von der Putzfrau über die Kinderbetreuung bis hin zum Einkaufen. Die eigenen Erwartungen an Perfektion herunterschrauben.
Keine Frau gewinnt einen Pokal, weil sie immer alles allein wuppt. Ganz im Gegenteil: Wenn der Partner oder die Partnerin eingebunden wird, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, dann gewinnt die Partnerschaft eine ganz neue Qualität und die Liebe wird wieder gestärkt. Schieflagen bei der Haus- und Care-Arbeit entstehen nach meiner Erfahrung in Co-Arbeit von beiden Beteiligten einer Partnerschaft und lassen sich durch viele offene Gespräche, klare Worte und Grenzsetzungen überwinden. Schuldzuweisungen sind fehl am Platz, eben weil beide gleichermaßen beteiligt sind.
Unternehmerinnen dürfen nicht vergessen, warum sie ihr Business ins Leben gerufen haben. Die meisten haben es getan, weil sie flexibel und frei arbeiten, weil sie selbstbestimmt sein wollen. Diese Werte treiben sie an und das sollte für alle Lebensbereiche gelten. Frauen sind höchst leistungsfähig. Aber niemand ist eine Insel, wie der Autor Johannes Mario Simmel einst titelte. Auch wir Frauen nicht.
Autor:
Die Vertriebs- und Marketing-Expertin Nicole Wehn begleitete seit 2018 bereits hunderte von Unternehmerinnen auf dem Weg von der gestressten Selbständigen zur erfolgreichen Unternehmerin. Sie ist außerdem als Transformational Embodiment Coach zertifiziert. Ihr Wissen teilt sie in ihrem Podcast „Her Brand“.
Fotografin: Sabrina Schindzielorz
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