Ukrainekrieg, Energiekrise, Lieferkettenprobleme…An großen Herausforderungen mangelt es Arbeitgebern in Deutschland derzeit nicht. In dieser Gemengelage verlangt das Gesetz zur Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie einen Blick aufs Detail: erweiterte Nachweispflichten, verkürzte Fristen und fehlende Digitalisierungsmöglichkeiten bedeuten einen erheblichen Verwaltungsaufwand für Arbeitgeber. Diesem Aufwand steht kein erkennbarer Gewinn an Transparenz für Arbeitnehmer gegenüber.
Warum jetzt?
Grund für das neue Gesetz ist die sogenannte Arbeitsbedingungenrichtlinie. Sie hat eine einheitliche Information der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union zum Ziel. Es geht um die wesentlichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses, zum Beispiel Arbeitsort, Funktion oder Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses. Die Unterrichtung soll Transparenz und Vorhersehbarkeit schaffen – besonders für Arbeitnehmer in atypischen Arbeitsverhältnissen. Darunter fallen etwa befristet Beschäftigte, Leiharbeitnehmer oder Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung nach Arbeitsanfall erbringen (Arbeit auf Abruf).
Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Arbeitsbedingungenrichtlinie spätestens am 1. August 2022 umzusetzen. Dies ist jetzt seit drei Jahren bekannt. Am 6. April 2022 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Umsetzung vorgelegt. Die Zeit bis zur Umsetzungsfrist war knapp. Auch der zeitliche Druck kann ein Grund dafür gewesen sein, dass der Gesetzesentwurf zwischenzeitlich Bundestag und Bundesrat fast unverändert passiert hat. Die teils massive Kritik von Arbeitgebern an dem Entwurf wurde nicht berücksichtigt. Ab 1. August gelten die neuen Regelungen.
Nachweisgesetz ist kein zahnloser Tiger mehr
Die Kritik der Arbeitgeber entzündet sich vor allem an der Beibehaltung der Schriftform im Nachweisgesetz. Das Nachweisgesetz ist nicht neu. Es regelt in Deutschland bereits jetzt, über was und in welcher Form Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer unterrichten müssen. Neu ist, dass bei Verstößen gegen das Nachweisgesetz ab 1. August Bußgelder von bis zu EUR 2.000 je Fall drohen. Die bisherigen Rechtsfolgen bei Verstößen spielten in der Praxis keine große Rolle – das Nachweisgesetz war ein zahnloser Tiger. Das ändert sich jetzt.
Arbeitgeber müssen Tintenfass und Papier bereithalten
Das Problem an der Schriftform: die Arbeitswelt ist meist digitaler. Schriftform meint die eigenhändige Unterschrift des Arbeitgebers unter eine Mitteilung an den Arbeitnehmer oder die eigenhändige Unterschrift der Vertragsparteien eines Arbeitsvertrags und damit: viel Papier.
Dabei haben viele Arbeitgeber in den letzten Jahren erheblichen Aufwand betrieben, um in ihren Personalabteilungen papierlos zu werden. Digitale Arbeitsverträge sind nicht selten Standard. Bei dem durch Corona verstärkten Trend zu mobiler Arbeit und dem Fachkräftemangel in vielen Branchen können so auch Arbeitsverträge zwischen einem Arbeitnehmer in Kiel und einem Arbeitgeber in München ohne großen Aufwand geschlossen werden. Um allerdings die Anforderungen aus dem Nachweisgesetz zu erfüllen, muss der Arbeitsvertrag entweder schriftlich abgeschlossen werden oder der Arbeitgeber muss zusätzlich zum digitalen Arbeitsvertrag ein schriftliches Informationsblatt mit den wesentlichen Vertragsbedingungen an den Arbeitnehmer aushändigen.
Dabei hätte es zur Schriftform eine Alternative gegeben: die Arbeitsbedingungenrichtlinie lässt die elektronische Form zu. Bedenken, die elektronische Form könne im Zweifel Arbeitnehmern Beweismöglichkeiten erschweren, begegnet die Arbeitsbedingungenrichtlinie selbst: die Informationen müssen bei Nutzung der elektronischen Form für den Arbeitnehmer zugänglich sein. Sie müssen gespeichert und ausgedruckt werden können. Außerdem muss der Arbeitgeber einen Übermittlungs- oder Empfangsnachweis erhalten. Gleichwohl konnte sich der Gesetzgeber nicht zu einer Formerleichterung durchringen: die elektronische Form ist im Nachweisgesetz ausdrücklich ausgeschlossen.
Handlungsdruck für Arbeitgeber
Die Möglichkeit der elektronischen Form hätte Arbeitgebern zumindest die Umsetzung der erheblich erweiterten Nachweispflichten in ihren Betrieben erleichtert. Jetzt müssen sie nicht nur ihre Arbeitsverträge anpassen oder ein zusätzliches Informationsblatt entwerfen, sondern teilweise auch ihre Prozesse unter Druck anpassen.
Das in Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie geänderte Nachweisgesetz sieht neue Nachweispflichten vor, die Arbeitgeber kleinteilig abarbeiten müssen.
Das betrifft etwa die Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts oder ein etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung. Besonders genau muss bei dem einzuhaltenden Verfahren bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer hingeschaut werden. Mindestens über das Schriftformerfordernis, die Kündigungsfristen und die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage muss informiert werden.
Die Angabe der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage haben wir in unserer anwaltlichen Praxis bisher noch nicht in einem Bestandsarbeitsvertrag gesehen. Wir gehen deshalb davon aus, dass nahezu alle Arbeitgeber in Deutschland allein schon deswegen ihre Unterlagen anpassen müssen. Ob Bewerber sich dann besser informiert fühlen, wenn schon in ihrem Arbeitsvertrag ein Hinweis auf die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage erfolgt, sei dahingestellt. Was wir aus der Praxis hören: die Bewerber sind verwundert und fragen sich, ob sie mit einem Fuß schon wieder aus dem Unternehmen sind.
Bei ihren internen Prozessen werden Arbeitgeber den Grad der Digitalisierung der Arbeitsvertragsunterlagen überdenken. Das gilt nicht nur bei Neueintritten, sondern auch in laufenden Arbeitsverhältnissen: Änderungen der wesentlichen Vertragsbedingungen sind dem Arbeitnehmer spätestens an dem Tag schriftlich mitzuteilen, an dem sie wirksam werden. Da kann bei Entgelterhöhungen zum Jahreswechsel einiges an Druckkosten zusammenkommen. Etwas leichter haben es Arbeitgeber, bei denen Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge zur Anwendung kommen: Bestimmte Angaben können durch Hinweis auf die Anwendung einer konkreten Betriebsvereinbarung oder eines konkreten Tarifvertrags ersetzt werden. Ändert sich die Betriebsvereinbarung oder der Tarifvertrag, muss keine gesonderte Information erfolgen.
Dabei müssen sich die Arbeitgeber mit den Änderungen ihrer Unterlagen und der Umstellung ihrer Prozesse beeilen. Die Frist, bis wann der Arbeitgeber über die wesentlichen Vertragsbedingungen informieren muss, verkürzt sich. Über bestimmte wesentliche Vertragsbedingungen muss der Arbeitgeber spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung informieren – und der 1. August 2022 ist nahe.
Arbeitnehmerschutz wiegt Mehraufwand nicht auf
Stünde dem Mehraufwand für die Arbeitgeber eine nennenswerte Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes gegenüber, würden die Änderungen vermutlich auf breiteres Verständnis stoßen. Es stellt sich allerdings die Frage, worin konkret eine Verbesserung für die Arbeitnehmer liegen soll – jedenfalls aus der Perspektive des deutschen Arbeitsrechts. Die Annahme, Schriftform ist für die Arbeitnehmer besser als die elektronische Form, teilen wir nicht. Im Gegenteil schätzen Arbeitnehmer nach unserer Erfahrung unkomplizierte digitale Kommunikation, die sie aus ihrem privaten Umfeld kennen.
Beispielhaft ist auch die Arbeit auf Abruf. Die Arbeit auf Abruf ist ein Flexibilisierungsinstrument, mit dem der Arbeitgeber Arbeitnehmer entsprechend dem Arbeitsanfall einsetzen kann. Das ist eine dieser atypischen Arbeitsformen, die Anlass für die Arbeitsbedingungenrichtlinie gewesen sind. Dieses Flexibilisierungsinstrument ist in Deutschland bereits jetzt sozialverträglich ausgestaltet: Die Vereinbarung einer Arbeit auf Abruf muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen.
Ist die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt, gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Ist die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitnehmer ist darüber hinaus nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt. Diese Regelungen führen in der Praxis zu transparenten Vereinbarungen über die Arbeitszeit und vorhersehbaren Einsätzen. Die künftig zusätzliche Verpflichtung, einen Zeitrahmen durch Referenzstunden und Referenztage festzulegen, fällt demgegenüber nicht wesentlich ins Gewicht.
Falsches Gesetz zur falschen Zeit
Mehr Verwaltungsaufwand für Arbeitgeber, die derzeit ohnehin vielmals an der Belastungsgrenze fahren. Mehr Papier in Zeiten, in denen Digitalisierung Prozesse vereinfachen kann, Rohstoffe knapp sind und wir uns alle der Nachhaltigkeit verschreiben. Die Umsetzung der Arbeitsbedingungenrichtlinie bleibt durch das Festhalten an der Schriftform hinter dem zurück, was im Jahr 2022 erforderlich ist. Nach drei Jahren Vorbereitungszeit trifft das Umsetzungsgesetz die Arbeitgeber zudem in einer Lage, in der sie die Zusatzbelastungen durch die Anpassung von Unterlagen und Prozessen nur schwer stemmen können. Es ist das falsche Gesetz zur falschen Zeit.
Autoren:
Kira Falter ist Rechtsanwältin und Partnerin bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Sie berät nationale und internationale Unternehmen im Individual- und Kollektivarbeitsrecht.
Dr. Markus Meißner ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts sowie des Dienstvertragsrechts.
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder