Avelios Medical zählt zu den Vorreitern der Klinikdigitalisierung und zeigt im Interview, wie moderne Technologien und KI das Gesundheitswesen effizienter, sicherer und zukunftsfähig machen.
Herr Albrecht, Avelios Medical gilt als eines der spannendsten HealthTech-Unternehmen Europas. Was war die ursprüngliche Vision, als Sie 2020 in einem der komplexesten Märkte überhaupt gestartet sind?
Die Idee entstand aus echter Frustration: Die IT in Krankenhäusern ist oft fragmentiert und veraltet. Sie belastet das Personal mehr, als dass sie es unterstützt. Unser Ziel war es, das grundlegend zu ändern. Wir wollten nicht nur bestehende Systeme reparieren, sondern das Betriebssystem des Gesundheitswesens neu denken. Unser Fokus liegt auf strukturierten Daten, durchgängigen Prozessen und einer Plattform, die den medizinischen Alltag wirklich verbessert und KI ermöglicht.
Der Klinikmarkt gilt als besonders verschlossen und reguliert. Wie ist es Avelios gelungen, hier nicht nur Zugang zu finden, sondern sich auch langfristig zu etablieren?
Wir haben gezielt mit innovativen Unikliniken wie der LMU oder der MHH begonnen. Dort haben wir mit ersten Implementierungen echten Mehrwert im Alltag geschaffen. Denn im Gegensatz zu den meisten herkömmlichen Systemen setzen wir nicht bei der Abrechnung, sondern bei den Behandlungsprozessen an. Hinzu kommt unser modularer Ansatz. Mit unseren Lösungen können Krankenhäuser ihre Systeme schrittweise modernisieren. Unsere Kunden müssen also nicht alles auf einmal verändern und behalten die Kontrolle über die Digitalisierung.
Welche Rolle spielte dabei die Verbindung von technologischem Innovationsgeist und medizinischem Verständnis innerhalb Ihres Gründerteams?
Eine zentrale und entscheidende Rolle. Viele im Team kommen aus dem medizinischen Bereich. Wir wissen, wie der Klinikalltag wirklich aussieht. Gleichzeitig haben wir ein starkes Tech-Team, das diesen Alltag in technische Lösungen übersetzt. Das hat es uns ermöglicht, hochmoderne Software zu entwickeln, die auf die echten Bedürfnisse in Kliniken ausgerichtet ist.
Mit Sequoia Capital hat eines der renommiertesten Venture-Capital-Unternehmen der Welt in Avelios investiert. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und was bedeutet sie für Ihre Wachstumsstrategie?
Der Kontakt kam über den gemeinsamen Partner Revent zustande, dann folgten intensive Gespräche mit Sequoia. Sie waren beeindruckt von der Tiefe unseres Produkts und dem Feedback aus den Kliniken. Für uns ist diese Partnerschaft ein starkes Zeichen und sie ermöglicht es uns, schneller zu skalieren, neue Module zu entwickeln und unsere Expansion voranzutreiben.
Die jüngst angekündigte Partnerschaft mit SAP sorgt in der Branche für Aufsehen. Wie kam es zu dieser Kooperation und welche Ziele verfolgen Sie gemeinsam?
Viele Kliniken suchen aktuell nach einer sicheren Perspektive, wenn IS-H ausläuft. Genau das bieten wir zusammen mit SAP: eine moderne, zukunftsfähige Plattform für die gesamte Patient Journey – von der Aufnahme bis zur Abrechnung ohne Medienbrüche. Wir bringen die klinische Expertise mit, SAP die administrative Stärke. Zudem zeigt die Zusammenarbeit mit dem IT-Riesen SAP, dass wir uns als vertrauensvoller und innovativer Partner im Markt etablieren konnten.
Welche konkreten Vorteile entstehen durch die Zusammenarbeit mit SAP für Kliniken und medizinisches Personal im Alltag?
Die Partnerschaft schafft Klarheit und Perspektive, gerade für Kliniken, die in neue Technologiegenerationen wechseln möchten, ohne den laufenden Betrieb zu gefährden. Gemeinsam mit SAP bieten wir eine moderne, offene Architektur, die auf Flexibilität und Modularität setzt. Parallel schafft die Ende-zu-Ende-Integration von klinischen Prozessen in Avelios und administrativen Prozessen in SAP spürbar effiziente, nahtlose Abläufe im medizinischen Alltag. Unterm Strich entsteht so ein belastbarer, planbarer Weg in die digitale Zukunft mit deutlich weniger Reibungsverlusten im Alltag.
Digitalisierung in der stationären Versorgung gilt als Mammutaufgabe. Wo sehen Sie aktuell die größten Hürden in der Implementierung moderner IT-Systeme im Krankenhaus?
Die größte Herausforderung ist die stark fragmentierte IT-Landschaft. Viele Systeme sind mittlerweile in die Jahre gekommen, nicht interoperabel und nur schwer integrierbar. Aber auch Prozesse sind in Kliniken häufig historisch gewachsen. Wir verstehen Projekte daher nicht als System-Nachfolge, sondern als umfassende Transformation. Unser Ansatz: modulare Einführung, praxiserprobte Prozesse basierend auf Best-Practices und Umsetzung mit erfahrenen Partnern. Denn Digitalisierung muss im Alltag funktionieren.
Viele Unternehmen scheitern daran, Gesundheitssoftware wirklich produktfähig zu machen. Was macht Avelios hier anders?
Wir haben nicht auf Altlasten aufgebaut, sondern alles von Grund auf neu entwickelt. Dadurch sind wir in der Lage, die Prozesse im Krankenhaus von Grund auf neu zu denken und die Systeme so zu gestalten, dass sie echten Mehrwert bieten, ohne zu belasten.
Wie gelingt es Ihnen, bei allen regulatorischen Anforderungen gleichzeitig Agilität und Innovationskraft zu bewahren?
Wir kommen selbst aus der Medizin, daher sind strenge Vorgaben für uns nichts Neues. Deshalb betrachten wir Regulierung nicht als Bremse, sondern als sinnvollen Rahmen für Qualität und Sicherheit. Unsere Entwicklungs- und Betriebsprozesse sind BSI C5 testiert und nach ISO 13485, ISO 27001 und ISO 9001 zertifiziert, was Vertrauen schafft. Durch unseren modularen Aufbau können wir trotzdem schnell auf neue Anforderungen im klinischen Alltag reagieren.
Die Gesundheitsbranche steht vor einer Phase massiver technologischer Umbrüche – Stichwort künstliche Intelligenz. Welche Rolle spielt KI bei Avelios Medical schon heute?
Eine elementare. KI benötigt strukturierte Daten, die wir direkt am Point of Care erfassen – nicht im Nachhinein. Viele glauben, man könne Freitext später einfach strukturieren und hätte denselben Effekt. Das ist jedoch ein Trugschluss. Wer wirklich intelligente und sichere KI im Klinikalltag will, muss die Datenbasis von Anfang an richtig aufbauen. Genau das tun wir. Jede Behandlung in Avelios erzeugt bis zu 2.000 strukturierte und semantisch nutzbare Datenpunkte, die die Grundlage für Funktionen wie sprachbasierte Dokumentation oder automatisierte Workflows bilden. Diese sind bereits heute im Einsatz.
Wie schätzen Sie das Potenzial von KI im Klinikalltag ein – insbesondere im Hinblick auf Entlastung des Personals und Qualitätssteigerung in der Patientenversorgung?
Das Potenzial ist enorm, das steht außer Frage. KI kann dabei helfen, Routineaufgaben zu automatisieren, Entscheidungen zu unterstützen und Abläufe deutlich zu beschleunigen. Wir sind jedoch fest überzeugt: KI wird das Fachpersonal entlasten, aber nicht ersetzen. Und das sollte sie auch nicht. KI ist ein Assistenzsystem, ein Werkzeug für bessere Prozesse, mehr Übersicht und letztlich eine bessere Behandlung. Die Kompetenz, das Urteilsvermögen und die Empathie von Ärzt:innen oder Pflegekräften kann keine Maschine ersetzen.
Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) gibt es politische Unterstützung für Digitalisierung. Welche Chancen und Fallstricke sehen Sie in der Umsetzung?
Das KHZG war ein wichtiger Impulsgeber. Aber Fördergelder allein reichen nicht – entscheidend ist die Umsetzung. Es braucht standardisierte, interoperable Lösungen und echte Nutzerzentrierung. Sonst bleiben teure Insellösungen zurück.
Avelios expandiert zunehmend über die deutschen Grenzen hinaus. Welche europäischen Märkte sind für Sie aktuell am spannendsten und warum?
Aktuell liegt unser Fokus klar auf der DACH-Region, wo aufgrund der IS-H-Abkündigung ca. ein Drittel der Kliniken in den nächsten Jahren ein neues System benötigt. Natürlich beobachten wir aber auch andere Märkte sehr aktiv.
Welche langfristige Vision verfolgen Sie für Avelios Medical – wohin soll die Reise in den nächsten fünf bis zehn Jahren gehen?
Unser Ziel ist es, das führende Betriebssystem für die intelligente Patientenversorgung in Europa zu entwickeln. Eine Plattform, die die Versorgung verbessert, Forschung ermöglicht und das Personal entlastet. Unser Ziel ist nicht nur Effizienz, sondern auch messbare Qualität in der Medizin.
Und zuletzt: Wenn Sie auf die bisherigen Jahre zurückblicken – was war der entscheidende Moment, an dem Sie wussten, dass Avelios Medical mehr als nur ein weiteres HealthTech-Start-up ist?
Es war der Moment, als wir uns gegen den einfachen Weg entschieden haben: keine Kompromisse, kein Flickwerk, sondern ein kompletter technologischer Neustart. Das war anspruchsvoll und riskant. Aber genau diese Entscheidung hat den Unterschied gemacht.
Bildcredits: Avelios Medical
Wir bedanken uns bei Christian Albrecht für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder
























