Freitag, Juni 20, 2025
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Was muss sich ändern, damit Herkunft kein Nachteil beim Gründen ist?

Die Bloomwell Group ist Europas größte Plattform für medizinisches Cannabis und setzt sich dafür ein, Patient:innen einfachen und legalen Zugang zu moderner Cannabinoid-Therapie zu ermöglichen

Was hat Sie und Ihre Mitgründer:innen dazu motiviert, 2020 die Bloomwell Group ins Leben zu rufen?

Mein Großvater kam Anfang der 60er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland, zunächst alleine. Meine Großmutter ist wenige Jahre später mit meinem Vater und seinen beiden Brüdern nachgezogen, alle drei noch Kinder. Die Ankunft in Deutschland war für alle nicht einfach. Aber Griechenland stand damals wirtschaftlich schlecht dar, außerdem waren die Brüder auf eine gute medizinische Versorgung angewiesen. Schlussendlich bin ich daher nicht nur meinen Großeltern und Eltern dankbar dafür, dass sie sich durchgekämpft haben, sondern auch Deutschland dankbar, dass wir hier aufgenommen wurden – trotz anfänglicher Schwierigkeiten. Für mich stand schon während meiner Schulzeit fest: Ich möchte erfolgreich ein Unternehmen gründen, auch um danke an die beiden vorherigen Generationen zu sagen und zu zeigen: Das, was ihr auf euch genommen habt, hat sich gelohnt und zeigt, dass auch wir Bürger mit Migrationshintergrund erfolgreich Unternehmen aufbauen und skalieren können.

Wie sehr hat Ihre persönliche Familiengeschichte – als Enkel eines griechischen Gastarbeiters – Ihre unternehmerische Haltung geprägt?

Gastarbeiter sind alleine durch ihren persönlichen Werdegang risikoaffiner als Menschen ohne Migrationshintergrund. Sie verlassen ihre Heimat und stürzen sich ins Ungewisse, um für sich und insbesondere für ihre Kinder und Enkelkinder ein besseres Leben zu ermöglichen. Mein Großvater hat alles auf eine Karte gesetzt und 200% gegeben, um die Welt für nachfolgende Generationen zu verbessern. Viel mehr Risiko geht nicht. Ich selbst hatte immer die Vision, den Zugang zu medizinischem Cannabis so einfach wie möglich zu gestalten. 2020, als wir die Bloomwell Group gründeten, herrschte in Deutschland die Auffassung, dass sich Telemedizin für ein Betäubungsmittel nicht umsetzen lasse – bis wir gekommen sind und es gemacht haben. Ohne diese Mentalität, etwas komplett neues zu wagen, kann echte Innovation nicht entstehen.

Welche Rolle spielt Migration für unternehmerisches Denken in Deutschland aus Ihrer Sicht?

Ich bin überzeugt: Menschen mit Migrationshintergrund könnten in Deutschland eine wesentlich größere Rolle im Unternehmertum spielen. Auch heutzutage ist es für Menschen mit Migrationshintergrund schwieriger, VC-Gelder zu erhalten. Alleine der Nachname sorgt schon für eine gewisse Verzerrung. Dabei bringen Menschen mit Migrationshintergrund neben einer gewissenen Affinität zum Risiko auch Resilienz mit: Wenn man überlegt, was ihre Großeltern, Eltern alles auf sich genommen haben, wie viele Herausforderungen sie verkraftet und überwunden habe, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, dann prägt das bis heutzutage die gegenwärtigen Generationen. Die Zeit ist daher überfällig, in Deutschland das unternehmerische Potenzial, das hier schlummert, stärker zu nutzen. Dass endlich mehr VC-Gelder an Gründer mit Migrationshintergrund fließen, ist ein ganz wichtiger Punkt, um Deutschland als Innovationsstandort zu stärken.

Mit der Bloomwell Group haben Sie Europas größte Plattform für medizinisches Cannabis aufgebaut. Was war entscheidend für diesen Erfolg?

Wir haben immer ein sehr konkretes Ziel vor Augen gehabt und sind trotzdem permanent agil geblieben. Das mag sich zunächst etwas widersprüchlich anhören, aber wir dürfen nicht vergessen, dass die gesamte Cannabis-Marktdynamik mit der regulatorischen Entwicklung steht und fällt – und die letzten Jahre waren aus regulatorischer Sicht extrem ereignisreich. Wir haben in dieser Zeit immer unser übergeordnetes Ziel vor Augen behalten: „Impact“. Wie können wir als Plattform den Zugang für so viele Patient:innen so einfach, sicher, effektiv und qualitativ hochwertig wie möglich gestalten? Was ist die beste “Patient Experience”? Diese Fragen vor Augen haben wir in Szenarien geplant, so dass wir, als das Cannabis-Gesetz am 1. April 2024 schließlich in Kraft trat, bestens vorbereitet waren.

Moderne Gesundheitspolitik heißt für mich im Falle von Cannabis, Patient:innen möglichst effektiv den Übergang vom illegalen Markt und aus der Kriminalisierung in die legale Therapie möglich zu machen und Menschen, die noch über kein Bewusstsein für die medizinische Therapie verfügen, eine Option ohne große Nebenwirkungen zu bieten.

Wie hat sich die Reklassifizierung von medizinischem Cannabis im April 2024 konkret auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Durch das Gesetz gilt medizinisches Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel, was den gesamten Zugang nochmal extrem vereinfacht und die Kosten für alle Beteiligten weiter gesenkt hat. Der Durchschnittspreis für ein Gramm medizinisches Cannabis aus der Apotheke ist inzwischen günstiger als auf dem illegalen Markt. Die Zahl der über Bloomwell bei den Partner-Apotheken eingegangenen Rezepte ist verglichen mit März 2024 um rund 1.000 Prozent in die Höhe geschossen. Inzwischen betreuen die mit uns kooperierenden Ärztinnen und Ärzte über Bloomwell einige zehntausend Patient:innen monatlich, unsere Umsätze haben sich vervielfacht. Wir sind heutzutage die größte Plattform für medizinisches Cannabis in ganz Europa.

Überhaupt ist unsere Branche eine der wenigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten im letzten Jahr in Deutschland. Neue Arbeitsplätze sind entstanden, Unternehmen haben Innovation hervorgebracht, die hunderttausenden Menschen tatsächlich hilft und sie aus der Kriminalität herausholt, und der Staat profitiert von höheren Steuern. Wir dürften bereits heutzutage fast eine Millionen Cannabis-Patient:innen in Deutschland zählen und das Ende der Fahnenstange ist bei weitem noch nicht erreicht. Nur habe ich leider das Gefühl, dass viele deutsche VCs die sich bietenden Opportunitäten in der deutschen Cannabis-Industrie gerade verschlafen. Seit Gründung wurden über Bloomwell über eine Millionen Rezepte für medizinisches Cannabis von den kooperierenden Ärztinnen und Ärzte ausgestellt.

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell im deutschen Gesundheitssystem in Bezug auf innovative Behandlungen wie medizinisches Cannabis?

Im Falle von medizinischem Cannabis mangelt es weiter an medizinischer Expertise und der Bereitschaft, einen Therapieversuch zu wagen. Immerhin hat die Reklassifizierung auch vor dem Hintergrund wichtige Signalwirkung gehabt, da nun der abschreckend wirkende BtM-Status wegfällt. In Sachen Innovation kämpfen wir teilweise gegen analoge Windmühlen. Die Wartezimmer sind voll, die Versorgung in der ländlichen Region teils katastrophal, Ärztinnen und Ärzte überlastet und Patient:innen warten wochenlang auf einen Termin. Ich bin manchmal erschrocken, mit welcher Vehemenz einige zentrale Akteure im Gesundheitswesen trotzdem gegen jegliche digitale Innovation im Gesundheitswesen kämpfen. Dabei ist medizinisches Cannabis ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie Innovation funktionieren kann: Die Therapie ist für Patient:innen inzwischen sehr günstig, für Ärztinnen und Ärzte sowie Apotheken sind die digitalen Prozesse effizient und einfach. Telemedizin für medizinisches Cannabis zeigt, auf welche Resonanz eine Digitalisierung des Gesundheitswesen stoßen kann, ohne das finanziell angeschlagene Gesundheitswesen mit weiteren Kosten zu belasten.

Sie leiten ein außergewöhnlich diverses Team. Welche Stärken ergeben sich daraus im unternehmerischen Alltag?

Das stimmt. Die 55 Mitarbeitenden haben insgesamt 13 unterschiedliche Staatsangehörigkeiten. Bei uns herrscht in der Tat eine echte Willkommenskultur. Persönlich kenne ich kein anderes Unternehmen in Deutschland, das so vielfältig aufgestellt ist wie wir bei Bloomwell. Das sorgt einerseits für eine tolle, offene Arbeitskultur, in der wir gegenseitig Interesse für die Erfahrungen und Werdegänge im Team zeigen. Andererseits bin ich überzeugt, dass wir dadurch wie gesagt unsere Zielgruppen und Kunden auch besser verstehen können. Bei uns denkt jeder mit und auch mal in ganz verschiedene Richtungen. Vielfalt ist Stärke! Das sollten wir uns gerade in der aktuellen politischen Situation wieder ins Bewusstsein rufen.

Wie erleben Sie als Gründer mit Migrationshintergrund den Zugang zu Kapital, Netzwerken und politischer Unterstützung in Deutschland?

Wie gesagt: Ich bin sicher, dass Gründer mit Migrationshintergrund immer noch benachteiligt werden. Historisch gewachsene Netzwerke reproduzieren sich oft, ohne dass sich Entscheider:innen dessen immer bewusst sind. Gleiches gilt auch dann, wenn VCs entscheiden, wen sie mit VC-Geldern unterstützen.

Was müsste sich politisch und gesellschaftlich verändern, damit mehr Migrant:innen den Weg in die Gründung wagen?

Deutschland hat angesichts der zunehmenden Unsicherheiten in den USA als größte Volkswirtschaft in der EU gegenwärtig die Chance, sich als Magnet für internationale Top-Talente aufzustellen. Es wäre schade, wenn wir diese Chance verpassen. Deutschland ist schließlich der ideale Startpunkt für Unternehmen, um europaweit zu expandieren. Und die Lebensqualität ist hierzulande im globalen Vergleich immer noch sehr gut, wir leben recht sicher und die sozialen Systeme funktionieren – trotz aller teilweise auch berechtigter Kritik. Das alles sind wertvolle Assets, wenn man sich als attraktiver Standort für die weltweit besten Unternehmer:innen positionieren will. Aber reicht dies? Die absoluten Top-Talente können weltweit wählen, wo sie schlussendlich gründen.

In Deutschland schreckt viele schon die Sprachbarriere zurück: Nur auf Englisch, ohne Deutschkenntnisse, die bürokratischen Prozesse zu durchlaufen, Netzwerke zu knüpfen, Unternehmen zu gründen und Finanzierungsrunde erfolgreich abzuschließen, Zuschüsse für Gründungen zu erhalten, gleicht hierzulande einem Hindernislauf. Das Ganze könnte deutlich einfacher gehen und vor allem auch auf Englisch, ohne dass Deutschkenntnisse erforderlich sind. Ich weiß nicht, wie lange das Zeitfenster offen bleibt, wir sollten schleunigst “English Only” in unseren Behörden einführen, die Bürokratie abbauen und die Top-Talente auch finanziell incentivieren hier zu gründen. Ein ganz wichtiges Instrument ist in diesem Zusammenhang übrigens, Mitarbeiterbeteiligungen besser auszugestalten.

Welche Rolle spielt Ihre Schwester Anna-Sophia Kouparanis in der Bloomwell Group – und wie erleben Sie das gemeinsame Arbeiten als Geschwister?

Anna ist Mitgründerin der Bloomwell Group. Operativ hat sie vor allem den Importeur und Großhändler Ilios Santé aufgebaut. Bei ihr kommt hinzu, dass sie die allererste Frau in Deutschland war, die diesen Schritt in die Cannabis-Industrie gewagt hat. Anna ist eine absolute Expertin für den Handel mit Arzneimitteln und vor allem achtet sie penibel auf jedes Detail. Das ist sehr wichtig in unserem streng regulierten Umfeld. Als Geschwisterpaar ergänzen wir uns perfekt.

Was geben Sie jungen Menschen mit Einwanderungsgeschichte mit, die heute von der Selbstständigkeit träumen?

Wenn euch jemand sagt, dass es nicht gehen wird, dann wagt es trotzdem. Aber agiert nicht unüberlegt: Sprecht im Vorfeld mit Menschen, die selbst bereits erfolgreich gegründet und erfolgreich digitale Geschäftsmodelle aufgebaut haben. Und bereitet euch auf Rückschläge vor. Stellt euch im Vorfeld die Frage: Wie geht ihr damit um, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ihr es erhofft habt? Um es kurz zu machen: Traut euch und sucht den Austausch mit anderen, auch mit denjenigen, die bis dato noch nicht so viele Menschen mit Migrationshintergrund gefördert haben. Konstanter Druck bewirkt Veränderung.

Wo steht Bloomwell Group in fünf Jahren – und was ist Ihre persönliche Vision für die Zukunft des Gesundheitsmarktes?

Wir haben in Deutschland offiziell 4,5 Millionen Menschen, die Cannabis in den letzten zwölf Monaten genutzt haben. Ich spreche bewusst nicht von ‘Konsum’: Denn laut einer repräsentativen Umfrage von uns mithilfe von Cint verfolgen 94,4 Prozent der Befragten gesundheitliche oder medizinische Motive. Es handelt sich eigentlich um Patient:innen, die aber immer noch in den illegalen Markt gedrängt werden. Trotzdem werden wir dieses Jahr in Deutschland die Zahl von einer Millionen Cannabis-Patient:innen durchbrechen und zum größten medizinischen Cannabis-Markt der Welt aufsteigen. Dieses Wachstum wird in den nächsten Jahren anhalten.

Ich gehe davon aus, dass Deutschland als größte nationale Volkswirtschaft im Herzen der EU zudem einen Domino-Effekt auslösen wird und weitere Mitgliedsstaaten den niedrigschwelligen medizinischen Cannabis Zugang ermöglichen werden. Bloomwell wird diese grüne Revolution in der Cannabis-Medizin europaweit anführen und ich hoffe nur, dass nicht nur die auf Cannabis spezialisierten nordamerikanischen VCs, sondern endlich auch mehr europäische Investoren endlich ihre Berührungsängste ablegen.

Bild: Niklas Kouparanis, Co-Founder und CEO Bloomwell Group @ Memo Filiz

Wir bedanken uns bei Niklas Kouparanis für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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