Dienstag, Dezember 24, 2024
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Wenn nicht jetzt, wann dann?

carbonauten: Neue Materialien für die Industrie aus der minus CO2-Fabrik

Stellen Sie sich und das Startup carbonauten doch kurz unseren Lesern vor!

carbonauten ist die „minus CO2 Fabrik“. Wir haben uns 2017 im baden-württembergischen Giengen an der Brenz gegründet und ein System entwickelt, das Unternehmen und Kommunen dabei unterstützt, schneller ihre Klimaziele zu erreichen und gleichzeitig Gewinne zu erwirtschaften.

Was ist die Idee der carbonauten?

Unser System umfasst ab 2022 ein Netz dezentraler Anlagen, die holzige Biomasseresten der Land- und Forstwirtschaft, Holz- und Lebensmittelindustrie in Biokohlenstoffe umwandeln. Biokohlenstoffe sind perfekte CO2-Senken: Jede Tonne davon speichert dauerhaft bis zu 3,3 Tonnen CO2, also das Dreifache des eigenen Gewichts. Die Biokohlenstoffe arbeiten wir anschließend auf und kombinieren sie mit verschiedenen Bindern wie Biokunststoffen, Kunststoffen, Silikaten, Mineralien, Komposten und anderen zu sogenannten NET Materials®. „NET“ steht dabei für „Negative Emission Technology“. Anwendungen dafür sind zum Beispiel Aktivkohle, Bodenhilfsstoffe, Futtermittel, Biogrillkohle, Biokoks für Hochöfen, aber auch Kunststoffe, Verpackungen, Baumaterialien. Bei Kunststoffen können wir bis zu 70% zumischen, verbesserte Eigenschaften erzielen und sie billiger machen.

Bei dem Karbonisierungsverfahren entsteht zudem 24/7 überschüssige Energie, die als Wärme oder Strom eingespeist werden kann und so den Energieverbrauch aus fossilen Quellen reduziert. 

Wir errichten die Anlagen überall auf der Welt an dezentralen Standorten, um eine lokale Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. An einem Standort können sich auch Unternehmen und Kommunen beteiligen. So bringen wir Wachstum in der Produktion mit dem Erreichen immer strenger werdender Klimaziele in Einklang.

Welche Vision steckt hinter den carbonauten?

Der wachstumsgetriebene Klimawandel und die Zerstörung der Natur sind die dringendsten Menschheitsprobleme. Wenn wir unsere CO2-Emissionen und unseren Verbrauch natürlicher Ressourcen nicht umgehend einschränken, wird das für nachfolgende Generationen schwerwiegende Folgen haben. Zugleich sind wir überzeugt, dass sich diesen Krisen nicht durch Verbots- und Verzichtsforderungen bewältigen lasst, sondern vor allem durch technologische Innovation. Kurz gesagt: Wir wollen, dass zukünftige Generationen ein langes gesundes Leben führen, aber auch Wohlstand erwirtschaften können.

NET Materials® sind dafür ein zentraler Schlüssel: Je mehr wir produzieren und unsere wachsende Zahl von Industriepartnern davon in ihren Produkten einsetzen, desto mehr CO2 binden wir dadurch und desto mehr erdölbasierte Produkte werden ersetzt. Wir streben an, ab 2022 steigend bis dann ab 2030 die Klimagase jährlich um mindestens eine Gigatonne zu reduzieren.

Von der Idee bis zum Start, was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?

Unsere größte Herausforderung war, dass die beiden Krisen (Klimawandel und Zerstörung der Natur) trotz alarmierender Fakten der Wissenschaft von der Industrie nicht ernst genommen wurden. Zudem klang unsere Idee für manche zu schön, um wahr zu sein. CO2 über die Verarbeitung von Reststoffen zu speichern und als Rohstoff für Produkte verwenden, und das in einem Verfahren, das mehr Energie produziert, als es benötigt – das hört sich für manche Mitmenschen erstmal nach dem Perpetuum Mobile an. „Das kann doch nicht so einfach sein. Wo ist der Haken?“ Zugegeben: Einfach ist es nicht, es steckt schon ein ganzes Stück Entwicklungsarbeit in unserem System. Aber es funktioniert. Das beweisen wir derzeit mit unserem Pilotstandort in Eberswalde.

Für die Finanzierung konnten wir als strategischen Gesellschafter die ForestFinance Capital GmbH gewinnen – ein Anbieter für nachhaltige Investments in Wald-, Umwelt-, Energie- sowie Klima- und Landwirtschaftsprojekte. Auch das Land Brandenburg fördert den Standort mit Mitteln aus der GRW-Förderung.

Was hat sich seit unserem letzten Interview 2018 konkret bei den carbonauten getan?

Parteiübergreifend interessiert sich die Bundespolitik für unsere „minus CO2 Fabrik“. Seit 2019 arbeiten wir außerdem mit dem Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim bei Forschung, Entwicklung und Anwendung von Biokohlenstoffen zusammen. Wir haben mittlerweile Kooperationsverträge mit großen Unternehmen. Und das carbonauten System hat diverse Preise erhalten, den German Innovation Award 2020, den Innovationspreis „Next Shed Innovators’ Challenge“ des Automobilzulieferers Eberspächer und den EnBW-Award 2020 „CO2 – from waste to value“.

Zugleich haben wir unser System technologisch weiterentwickelt. Im Herbst geht der bereits erwähnte Pilotstandort in Eberswalde in Betrieb, der die Möglichkeiten unserer Anlagen beweisen wird.

Wer ist die Zielgruppe der carbonauten?

Unser System ist für alle relevant, die viel Energie verbrauchen und CO2 produzieren – egal, ob Kommunen mit Entsorgungs- und Wärmebedarf oder privatwirtschaftliche, energieintensive Fertigungsunternehmen, die auf grundlastfähige Erneuerbare Energie umstellen wollen. Denn Wärme ist mit weltweit 60 % immer noch der größte Verursacher für CO2 und wird auch zukünftig vor allem über fossile Brennstoffe erzeugt.

Was ist Biokohlenstoff?

Biokohlenstoff ist Kohlenstoff (auch Karbon genannt), der durch die sauerstofffreie Erhitzung über 400° C biogener Rest- und Problemstoffen wie Schadholz, Sägewerksresten oder Lebensmittelpressresten gewonnen wird. Diese Form der Kohlenstoffe sind nicht nur exzellente CO2-Speicher, sondern können zudem Rohstoffe aus fossilen Quellen ersetzen, wodurch zusätzlich enorme Mengen an CO2 von vornherein gespart werden können.

Wofür kann man ihn nutzen?

Biokohlenstoffe sind wahre Supermaterialien, die viele Agrarprodukte, Kunststoffe und Baumaterialien ersetzen oder ergänzen können. Sie sind leichter, temperatur- und UV-beständig, ersetzen Industrieruß, speichern Wasser und Nährstoffe und stehen nicht im Wettbewerb zu Lebensmitteln. Je nach Auslegung sind sie dauerhaft beständig oder biologisch abbaubar, nach Gebrauch werden sie rezykliert oder rekarbonisiert – es entsteht also ein durchgängiger Carbon-to-Carbon-Kreislauf.

carbonauten, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Zu diesem Zeitpunkt sind zu unserem Pilotstandort in Eberswalde weltweit Dutzende weitere Standorte hinzugekommen, darunter die jetzt bereits geplanten Standorte in Panama und Kolumbien. Produkte aus NET Materials® sind bei Industrie und Endverbrauchern zunehmend gefragt, wegen ihrer CO2-speichernden Wirkung und ihrer positiven Produkteigenschaften,  ihre biologische Abbaubarkeit hat sich schnell herumgesprochen. Mehr und mehr Unternehmen profitieren von den CO2-neutralen Energien aus unseren Anlagen, weil sie den wirtschaftlichen Schmerz durch die steigende CO2-Bepreisung deutlich lindern.

Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?

Erstens: Begeistere mit einer visionären Idee, einem leidenschaftlichen Team und einem großen Bild! Zeige im Kleinen, dass es prinzipiell funktioniert und bleibe hartnäckig dran. Gib dabei nicht zu schnell zu viele Anteile ab, denn jeder Tag macht das Startup wertvoller!

Zweitens: Zusammenarbeit ist alles. Suche Dir so schnell wie möglich Mitstreiter für Deine Sache, intern wie extern, bau Dein Netzwerk aus, begeistere Menschen für Deine Sache. Eine strategische Partnerschaft ist wichtiger als eine kurzfristige Finanzspritze. 

Drittens: Startups sind nicht nur was für „Newcomer“. Unsere Gründer Torsten und Christoph waren davor bereits erfahrene Geschäftsleute und profitieren heute noch davon. Aber wer mehr als nur Geld machen und eine neue Idee mit Leidenschaft verfolgen will, der soll das machen, egal wann im Leben. Denn: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wir bedanken uns bei Tosten Becker und Christoph Hiemer für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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