EIR ist ein innovatives Technologieunternehmen mit einer Versicherungslizenz, das digitale Embedded-Insurance-Lösungen für private Non-Life-Produkte bietet.
Können Sie uns zu Beginn ein wenig über Ihr Unternehmen erzählen und wer die Schlüsselpersonen in Ihrem Team sind?
Im Prinzip ist EIR ein Technologieunternehmen mit einer Versicherungslizenz. Etwas spezieller ausgedrückt sind wir ein B2B2X-White-Label-Versicherer, der alle privaten Non-Life-Produkte, also beispielsweise Sach- und Reiseversicherungen, anbietet. Wir wollen die Versicherungsbranche digitalisieren, um neue Produkte und neue Wege für Versicherungen zu ermöglichen. Das tun wir gemeinsam mit unseren Partnern, die aus verschiedenen Branchen kommen, in Form von Embedded-Insurance-Lösungen.
Dazu zwei Beispiele: Mit der Reiseplattform Weatherpromise haben wir ein automatisiertes Produkt auf den Markt gebracht, das Mieter:innen von Ferienunterkünften gegen Regenwetter während ihres Urlaubs versichert. Zusammen mit Fair Insurance und dem Analyseunternehmen GreaterThan haben wir eine Versicherungslösung entwickelt, bei der GPS- und Telematikdaten in verwertbare Erkenntnisse über Unfallwahrscheinlichkeiten und Klimaauswirkungen umgewandelt werden – und bieten so einen wettbewerbsfähigen Versicherungsschutz für überdurchschnittlich sicheres Fahren.
EIR wurde 2019 von Torgrim Lien, unserem Chief Insurance Officer, und Oddvar Strømmen, unserem CTO, in Stockholm gegründet. Zum Führungsteam gehören auch Martin Nyhuus, Chief Commercial Officer, Fredrik Schöld, Chief Financial Officer, Lykke Lundius, Head of Risk & Compliance, und ich als CEO. Wir alle verfügen über mehrere Jahrzehnte Erfahrung in der Versicherungsbranche. Ich, zum Beispiel, habe fast zwei Jahrzehnte bei Zurich verbracht, zuletzt in der Rolle des CFO für Europa.
Was ist die übergeordnete Vision Ihres Unternehmens und welche Schritte unternehmen Sie, um diese zu realisieren?
Wir wollen jedes Unternehmen in die Lage versetzen, seinen Kund:innen Versicherungen anzubieten. Dafür sind drei Dinge erforderlich: Technologie, Unternehmergeist und fundiertes Versicherungsfachwissen. Bei EIR kombinieren wir alle drei miteinander. Hinzu kommt etwas, das man selten auf einem Vision Board sieht: Mut. Es gibt viele Akteure in der Versicherungsbranche, die Dinge anders machen möchten, aber den Sprung nicht wagen. Wir wollen die Art und Weise, wie Menschen Versicherungen kaufen und erleben, grundlegend verändern. Dafür machen wir Dinge tatsächlich anders und managen die daraus resultierenden Risiken.
Wir sind fest davon überzeugt, dass das traditionelle B2C-Versicherungsmodell weitgehend veraltet ist: zu teuer im Verkauf, ineffiziente Systeme und Prozesse, zudem stagniert die Produktentwicklung. In der Konsequenz bezahlen Kund:innen zu viel, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden und dass sie letztlich bestraft werden, wenn sie ihrem Versicherer treu bleiben. Unser Motto lautet daher „Insurance made better“. Um unsere Vision zu verwirklichen, arbeiten wir bereits mit über 40 Partnern in Europa zusammen und bauen unser Geschäft sukzessive in verschiedenen europäischen Ländern aus.
Welche spezifische Zielgruppe möchten Sie ansprechen und wie gehen Sie darauf ein, deren Bedürfnisse zu erfüllen?
Wir sind ein B2B2C- und B2B2B-Unternehmen. Unsere Partner kommen aus den unterschiedlichen Bereichen, darunter traditionelle Makler und Generalagenten, Affinitätsgruppen, Einzelhändler und E-Commerce- sowie andere digitale Plattformen – im Grunde alle, die Dienstleistungen oder Produkte verkaufen, die in irgendeiner Weise versicherungswürdig sind.
Dank unserer langjährigen Erfahrung im Versicherungswesen sind wir in der Lage, Versicherungsprodukte gemeinsam mit unseren Partnern zu entwickeln und eine echte Partnerschaft aufzubauen. Wir schauen uns an, wie sich Versicherungslösungen nahtlos in die Customer Journey einbetten lassen und welche Bedürfnisse die Kunden haben. Das Kunden- und Produkterlebnis ist zentral. Verkäufer schaffen dadurch mehr “Touchpoints” mit ihren Kund:innen – etwa wenn der Kunde im Schadensfall wieder auf die Plattform kommt. Das schafft zusätzliche Up-Selling-Möglichkeiten. Die Marke der Partner bleibt dabei stets im Vordergrund.
Welche größeren Herausforderungen hat Ihr Startup bisher erlebt und wie sind Sie diese angegangen?
Wir haben in den vergangenen Jahren ein sehr erfolgreiches Geschäft in Skandinavien aufgebaut und expandieren jetzt mit großer Geschwindigkeit. Wir sind 2023 um 90 Prozent gewachsen. Zudem erreichen wir voraussichtlich in diesem Jahr die Schwelle zur Profitabilität. Wir haben also ein sehr solides Fundament, basierend auf unserer eigenen Technologie und einem sehr erfahrenen Team. Damit haben wir anderen Insurtechs schon einiges voraus. Aber die wichtigste Aufgabe besteht nun darin, diese Erfolgsgeschichte auf den europäischen Markt zu übertragen und unsere Markenbekanntheit bei potenziellen Partnern zu steigern.
Inwiefern unterscheidet sich Ihr Unternehmen von anderen Playern im Insurtech-Bereich? Was ist Ihr Unique Selling Point?
Unsere drei Grundpfeiler sind technologisches Know-how, Unternehmergeist und fundiertes Versicherungsfachwissen. Ich glaube nicht, dass man ohne diese drei Säulen erfolgreich sein kann. Den meisten anderen Unternehmen, die EIR ähnlich sind, scheint es zumindest an einem dieser Pfeiler zu mangeln.
Unsere intern entwickelte Backend-Lösung, die zunehmend durch KI-Lösungen unterstützt wird, ermöglicht zum einen dynamische und schnell anpassbare Preismodelle für unsere Partner, zum anderen eine automatisierte Schadensbearbeitung. Im Gegensatz zu anderen Beispielen am Markt ist diese Technologie vom Back-End zum Front-End aufgebaut. Ein gutes Front-End ist natürlich wichtig, aber ohne ein solides Back-End lässt sich dies nicht skalieren. Daran kranken viele Angebote am Markt.
Außerdem hilft unsere Branchenexpertise – zu wissen, wie man ein Versicherungsunternehmen operativ führt. Versicherungen sind komplex, nicht nur was Regularien angeht, sondern auch die richtige Preisgestaltung und damit die Rentabilität. Wer dieses unternehmerische Wissen nicht hat, verbraucht schnell sein Kapital. Ich habe bisher nur noch ein anderes lizenziertes Insurtech gesehen, das dies wirklich gut hinbekommen hat.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung Ihres Unternehmens und gibt es bereits konkrete Pläne für Expansionen oder neue Produkte?
In Skandinavien haben wir bereits ein breites Angebot und expandieren immer stärker in den Bereich sehr kleiner KMU. Unser Schlüssel zum Erfolg ist, kontinuierlich neue Produkte einzuführen – allein im vergangenen Quartal waren es sieben neue Produkte.
In Europa konzentrieren wir uns mit unseren Partnern auf Produkte wie Reise- oder Haustierversicherungen. In Spanien ist die Versicherung von Haustieren beispielsweise inzwischen verpflichtend. Wir sehen auch, dass neue Produkte im Bereich der spezialisierten Gesundheitsversicherungen nachgefragt werden. Hier streben wir auch in Deutschland bereits Partnerschaften an. Gemeinsam mit diesen Plattformpartnern wollen wir geografisch expandieren.
Könnten Sie die Bedeutung von flachen Hierarchien und dem Motto „see something, do something“ in Ihrem Führungsstil näher erläutern?
Flache Hierarchien sind in Skandinavien Standard. Wo Innovation entscheidend ist, sind sie quasi eine Notwendigkeit. Verantwortung geben wir dort, wo sie den besten Effekt hat. Und das ist definitiv nicht nur auf der Ebene leitender Mitarbeiter.
Wir handeln nach dem Prinzip „Sieh etwas, tu etwas“. Das ist ein Aufruf an jeden Einzelnen, nicht wegzuschauen, wenn ein Problem aufkommt, sondern zu handeln. Aber nicht nur das. Wir wollen auch, dass jeder selbst Veränderungen vorantreibt, ohne auf eine formale Genehmigung zu warten. Gerade in kleineren Organisationen ist das unerlässlich. Das mag riskant erscheinen, aber anders lässt sich nichts verändern. Wir müssen neugierig sein, neue Dinge ausprobieren, schnell handeln und mutig sein. Es ist selten das Handeln, das mich stört, sondern die Untätigkeit.
Inwieweit hat Ihre Erfahrung als CFO bei Zurich Ihre Herangehensweise bei der Führung eines Startups beeinflusst?
Wenn ich die Erfahrungen vergleiche, würde ich sagen, dass sie sehr ähnlich und gleichzeitig sehr unterschiedlich sind. Ähnlich ist, dass EIR und Zurich beide regulierte Versicherungsunternehmen sind. Das heißt, Regularien müssen eingehalten werden, man muss die Standards für Finanzreporting erfüllen und vieles mehr. Außerdem geht es um ein fundiertes Risikomanagement-System, ganz gleich ob großes Unternehmen oder kleines Start-up. Auch ist die Erfahrung aus einer großen Organisation von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Beziehungen zu Partnern, Investoren, Regulatoren und den Menschen im Unternehmen aufzubauen.
Welche Rolle spielt Technologie in Ihrem Geschäftsmodell und wie setzen Sie diese ein, um sich einen Vorteil im Markt zu verschaffen?
Wir sehen viele Beispiele von B2B-Versicherern, die die gleichen Systeme wie B2C-Versicherungen verwenden, was unserer Meinung nach nicht funktioniert. Daher war uns von Anfang an klar, dass wir das System selbst entwickeln. Unsere Technologie ist der Schlüssel zu unserem Geschäftsmodell. Sie wird zu 100 Prozent von uns selbst entwickelt und ist präzise auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten.
Unser Fokus liegt auf der Back-End-Technologie – und das in einem Markt, in dem sich alles um das Front-End dreht. Wir haben das System und das Geschäftsmodell von innen heraus aufgebaut. Zusammen mit der Entwicklung eines einfachen und leicht zu integrierenden API-Sets – eines für alle Produkte, nicht eines pro Produkt – haben wir eine Plattform geschaffen, mit der wir unsere Partner umfassend bedienen können. Aber es geht um noch mehr, nämlich vor allem die Fähigkeit, Daten zu nutzen. Wir haben eine sehr große Datenbasis, die wir gewinnbringend für die Produktentwicklung einsetzen können.
Welche Trends im Insurtech-Bereich sehen Sie als besonders einflussreich für die Zukunft an?
Zunächst einmal glaube ich eher an einen evolutionären Weg anstatt an Disruption – auch wenn sich Dinge recht schnell entwickeln können. Dazu gehören Daten und der Einsatz von KI sowie Nachhaltigkeit – nicht nur im Hinblick auf die Produkte selbst, sondern auch darauf, wie sie unser Verhalten verändern können.
Mit Blick auf das Thema KI ist mir wichtig, wie EIR die KI-Toolbox nutzen kann, damit unsere Arbeit erfolgreicher wird. Analysen könnten präziser werden, wir können vielleicht Muster erkennen, die wir früher nicht sehen konnten, um auf der Basis bessere Risikoentscheidungen zu treffen. Die Prämisse ist dabei stets, achtsam mit der Technologie umzugehen und keine Personengruppen zu diskriminieren.
Zweitens ist Nachhaltigkeit eine große Chance für die Branche und die Gesellschaft. In einem noch wenig beachteten Bereich sehen wir großes Potenzial – nämlich der Bedeutung von Versicherungsprodukten, verhaltensändernd zu wirken. Wir konnten das bereits im Rahmen einer Partnerschaft demonstrieren. Denn man kann beispielsweise Daten zum Fahrverhalten nicht nur zur Berechnung der Unfallwahrscheinlichkeit nutzen, sondern auch zur Berechnung von Umweltauswirkungen wie Kraftstoffeffizienz und Langlebigkeit des Fahrzeugs. Sicheres Fahren bedeutet letztlich auch umweltfreundlicheres Fahren. Indem wir bessere Versicherungspreise für sicheres und umweltfreundliches Fahren anbieten und gleichzeitig online Tipps für besseres Fahrverhalten geben, können wir echte Verhaltensänderungen bewirken. Das zeigt den großen Einfluss, den Versicherungen haben können, und warum wir glauben, dass es einen anderen, einen besseren Weg gibt.
Als jemand mit umfangreicher Erfahrung in Großkonzernen und jetzt in einem Startup, welche drei Ratschläge würden Sie anderen Gründern geben?
Seien Sie praktisch und konzentrieren Sie sich auf die Kultur. Ja, Sie müssen eine Strategie haben, aber wenn diese nicht in praktische Maßnahmen umgesetzt werden kann, ist sie wenig wert. Schaffen Sie die Kultur, die Sie brauchen, um erfolgreich zu sein. Sie muss Dinge wie Risikobereitschaft, Zusammenarbeit, Innovation und Verantwortlichkeit enthalten, aber jede Organisation ist anders. Finden Sie heraus, was für Ihr Unternehmen das Richtige ist.
Verlassen Sie sich nicht nur auf Ihre eigenen Fähigkeiten. Irgendwann wird das Unternehmen über Ihre Fähigkeit, überall gleichzeitig zu sein, hinauswachsen. Bauen Sie die Organisation um sich herum auf und delegieren Sie Aufgaben an andere Personen. Wenn Sie das tun, können Sie auch eine unglaubliche Menge an Potenzial in Ihrem Team freisetzen. Sie werden auch Risiken eingehen müssen, denn Sie wissen, dass nicht alles funktionieren wird. Ein Eishockey-Sprichwort sagt „100 % der Schüsse, die man nicht macht, gehen daneben.” Es ist deine Aufgabe, Torschüsse zu machen.
Wie planen Sie, den deutschen Markt speziell anzugehen und welche Herausforderungen erwarten Sie hierbei?
Wir befinden uns noch in der Anfangsphase, wir haben schon erste Partnerschaften geschlossen und bauen weiter Beziehungen auf. Wichtig ist für uns immer zu schauen, wo unsere Technologie und unser Geschäftsmodell einen Vorteil bieten und aus Sicht der Partner und Endkunden einen Unterschied machen können.
Wir haben bereits mehrere Partnerschaften im Bereich Reiseversicherungen geschlossen und möchten dies auf weitere Reiseplattformen ausweiten, sowohl in Deutschland als auch in anderen Märkten. Deutschland ist natürlich ein sehr großer Markt, auch mit vielen Insurtech-Akteuren. Allerdings sind viele für uns keine Konkurrenten, sondern eher potenzielle Partner, etwa digitale Makler. Wichtig ist für uns, für mehr Bekanntheit bei potenziellen Partnern zu sorgen.
Wir bedanken uns bei Fredrik Solberg CEO EIR für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.
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