Mittwoch, August 20, 2025
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Kann nachhaltiger Klimaschutz wirklich so einfach sein?

ForTomorrow ist ein gemeinnütziges Unternehmen, das CO₂ durch EU-Emissionsrechte und Aufforstung in Deutschland reduziert

Was genau ist die Gründungsgeschichte von ForTomorrow und welche Personen stehen heute hinter dem Unternehmen?

2012 bekam mein Mann das Angebot, für Apple in San Francisco zu arbeiten. Um mit ihm zu gehen, habe ich meine Stelle im Trading im europäischen Emissionshandel gekündigt. Damals kam mir zum ersten Mal die Idee für ForTomorrow. Ich stellte mir die Frage: Warum gleichen Menschen und Unternehmen ihren CO₂-Ausstoß über Projekte im globalen Süden aus, obwohl der CO₂-Ausstoß des globalen Nordens das Problem verursacht? Sollte der Ausgleich nicht eher in den Ländern stattfinden, die die Emissionen auch tatsächlich verursachen? Dieser Gedanke hat mich nicht losgelassen, doch erst Ende 2019 war für mich der richtige Zeitpunkt, um ForTomorrow zu gründen. Mit Spenden kauft ForTomorrow Emissionsrechte aus dem verpflichtenden EU-Emissionshandel und legt sie ungenutzt und dauerhaft still. Mit jedem weggekauften Emissionsrecht wird eine Tonne weniger CO₂ in der EU ausgestoßen und die europäische Wirtschaft und natürlich auch jede:r einzelne von uns schneller klimaneutral.

In Umfragen kam dieser Ansatz gut an, doch die Menschen wollten mehr. Sie wollten zusätzlich zur CO₂-Reduktion auch CO₂ aus der Luft holen. So kam die zweite Komponente hinzu: ForTomorrow schafft neue Waldflächen in Deutschland, die langfristig CO₂ binden. Über diese zwei Komponenten verändern wir gemeinsam das System, in dem wir leben, hin zu einem klimaneutralen System und werden dadurch auch selbst klimaneutral.

Wie kam es zur Entscheidung, den EU-Emissionshandel aktiv für den Klimaschutz zu nutzen?

Uns war von Anfang an klar: Wir müssen einen systemischen Weg einschlagen, indem wir am EU-Emissionshandel, der bereits seit 2005 existiert, ansetzen. In mehreren Studien wurde seine Wirksamkeit wissenschaftlich belegt. Das verpflichtende System des Emissionshandels erfasst vor allem große Industrieunternehmen und Energiekonzerne – und auch Sektoren, in denen Klimaschutz oft nicht die höchste Priorität hat.

ForTomorrow nutzt diesen riesigen Hebel gezielt. Wir wollen die Schwächen des Systems korrigieren – etwa die zu große Menge an Emissionsrechten. EU-Emissionsrechte stillzulegen ist daher ein wichtiger Ansatz, um CO2-Ausstoß in Europa dauerhaft zu senken. On top kommt der Bonus, dass die Einnahmen aus dem Verkauf der Emissionsrechte in Deutschland in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) fließen. Dieser finanziert unter anderem den Ausbau von erneuerbaren Energien und die Förderung von Elektromobilität. So wirkt jede einzelne Spende an ForTomorrow gleich mehrfach für den Klimaschutz.

Welche Vision verfolgt ForTomorrow für den europäischen Klimaschutz und wie wird diese Schritt für Schritt realisiert?

ForTomorrow verfolgt die Vision, dass Europa noch vor 2040 klimaneutral und damit ein wichtiger Beitrag zur Einhaltung der 1,5 °-Grenze geleistet wird. Wir bieten Menschen und Unternehmen einfache Wege, um wirksam CO₂ zu reduzieren und zu entfernen. Konkret erreichen wir das durch das zuvor erwähnte dauerhafte Stilllegen von EU-Emissionsrechten und die Aufforstung vielfältiger, klimaresistenter Mischwälder, die dauerhaft CO2 speichern. Außerdem inspirieren wir durch Transparenz, Vorbildfunktion und konkrete Handlungsoptionen zu dauerhaft klimafreundlichem Verhalten. Wenn ich fünf Werte nennen sollte, die uns beschreiben, sind es Optimismus, Vertrauen, Inspiration, Gemeinschaft und Tatkraft.

Was unterscheidet euer Konzept der CO₂-Kompensation von klassischen Modellen mit internationalen Projekten?

Der größte Unterschied ist wie bereits erwähnt unser systemischer Ansatz: Wir nutzen den verpflichtenden EU-Emissionshandel, um die Wirtschaft schneller zu dekarbonisieren. Der Emissionshandel ist durch die EU reguliert, vom TÜV geprüft und treibt die Industriewende voran. Wir forsten außerdem gezielt in Deutschland auf, weil hier die langfristige Wirkung durch das Deutsche Bundeswaldgesetz von 1975 gesichert ist. Das Kernelement dieses Gesetzes ist der dauerhafte Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern. Über all dem ist uns Transparenz sehr wichtig: Die Kontoauszüge über die weggekauften Emissionsrechte teilen wir monatlich in einem Impact-Report und geben die Koordinaten der Pflanzflächen, die wir aufforsten, bekannt. So können Interessierte diese besuchen und nachvollziehen, wo sie konkret mit ihrer Spende gerade unterstützt haben.

Wen sprecht ihr mit euren Klima-Abos gezielt an und welche Rückmeldungen bekommt ihr von euren Nutzerinnen und Nutzern?

Unser Klima-Abo ist ein monatliches Modell, bei dem unsere Nutzer:innen selbst entscheiden können, ob ihr Beitrag vollständig in die Stilllegung von Emissionsrechten, in die Pflanzung von Mischwäldern in Deutschland oder in eine Kombination aus beidem fließt. Wenn man sich die zahlreichen Erfahrungsberichte zu unserer Leistung anschaut, sind unsere Unterstützer:innen vor allem davon begeistert, dass ForTomorrow effektiven Klimaschutz so einfach wie möglich und für jede:n zugänglich macht. Wir bieten eine niedrigschwellige Möglichkeit, konkret selbst aktiv zu werden und dadurch direkt auf die großen CO2-Emittenten in Europa einzuwirken, um diese schneller zur Transformation zu bewegen. Auch bei unseren Aufforstungsprojekten, bei denen jede:r, der:die mag, selbst mit anpacken kann, bekommen wir regelmäßig gefeedbackt, wie erfüllend und wichtig unsere Projektarbeit ist.

Wie begegnet ihr der Herausforderung, komplexe Themen wie Emissionsrechte für ein breites Publikum verständlich zu machen?

Wir haben gerade mit einer Klimaspende des GLS Investments ein Erklärvideo für unsere Webseite erstellt. Dafür konnten wir den Schauspieler und Umweltschützer Hannes Jaenicke gewinnen, der mit seiner Bekanntheit ein breites Publikum anspricht. Auf unserer Website liefern wir in Blogartikeln mit Quellen und Grafiken Hintergrundwissen und auch Social Media nutzen wir natürlich, um über unsere Lösung zu informieren. Nicht zuletzt sind wir auf Messen und medial unterwegs, weshalb wir uns auch über diese Möglichkeit hier sehr freuen.

Mit welchen Hürden habt ihr als gemeinnütziges Unternehmen in der Wachstumsphase zu kämpfen?

Die größte Hürde ist sicherlich die Finanzierung für Teamwachstum, Skalierung und Expansion. Wir meistern mit einem sehr kleinen Team alle täglichen Herausforderungen und unbedingte Priorität hat dabei, nicht durch die Fülle an Aufgaben und Möglichkeiten auszubrennen. Wichtig ist auch, das große Ziel im Auge zu behalten, zu fokussieren und zu priorisieren.

ForTomorrow kombiniert lokale Aufforstung mit marktbasierten Mechanismen. Wie passt das strategisch zusammen?

Das passt tatsächlich sehr gut zusammen, denn einerseits reduziert ForTomorrow den Ausstoß neuer Emissionen und treibt die Wirtschaftswende voran, andererseits werden bereits ausgestoßene Emissionen aus der Atmosphäre geholt und das heimische Ökosystem stabilisiert und geschützt.

Welche Bedeutung hat Transparenz in eurer täglichen Arbeit und wie setzt ihr sie konkret um?

Als gemeinnützige deutsche Organisation handeln wir nach den Werten der Initiative Transparente Zivilgesellschaft und teilen alle Daten zu ForTomorrow auf unserer Transparenz-Website. Bezogen auf den Wald bedeutet Transparenz jedoch auch, dass man ihn sich ansehen und das Wachstum live verfolgen kann – ein großer bereits angesprochener Benefit dabei, dass er direkt hier vor der Haustür wächst. Monatlich teilt ForTomorrow im Impact Report mit, wie viele Emissionsrechte im vorangegangen Monat und insgesamt ungenutzt stillgelegt und wie viele Bäume finanziert und bereits gepflanzt wurden. Auf unserer Website kann man sich zudem alle Pflanzprojekte ansehen und bekommt regelmäßig Updates. Tätigkeits- sowie Jahresabschlüsse werden selbstverständlich ebenfalls dort veröffentlicht.

Was sind die nächsten großen Meilensteine, die ihr mit ForTomorrow erreichen wollt?

In den nächsten fünf Jahren wollen wir natürlich weiterhin neue Waldflächen in Deutschland schaffen und Emissionsrechte stilllegen. Auch die zweite Säule, über den systemischen Ansatz des EU-Emissionshandels (ETS) Klimaschutz voranzutreiben und auszuweiten, wollen wir natürlich verstärken. Darüber hinaus ist die Idee, das Konzept in weiteren EU-Ländern anzubieten: Wir bekommen bereits Spenden aus dem Ausland, perspektivisch möchten wir deshalb Angebot und Service auch wieder dorthin zurückgeben. Neben dem ETS 1, über den wir bereits die Emissionen von Kohlekraftwerken, Industrie, Flug- und Schifffahrt senken, planen wir ab 2027 über den ETS 2 die Emissionen von Gebäuden und Verkehr zu verringern. Ein weiteres Thema unserer Zeit ist die dauerhafte Speicherung von CO2 in Pflanzenkohle. Hier sind wir bereits heute aktiv, wollen das Angebot in Zukunft jedoch weiter ausbauen. Wir haben also noch viel vor.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern bei der Aufforstung in Deutschland aus?

Die Zusammenarbeit basiert auf gegenseitigem Vertrauen, Verlässlichkeit und einem konstruktiven Austausch auf Augenhöhe. Es besteht ein ständiger Austausch mit aktiven Partnern, wie zum Beispiel mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, über sowohl aktuelle, wissenschaftliche Themen aus der Praxis aber eben auch hinsichtlich neuer Aufforstungsflächen. Wir arbeiten eng mit den lokalen Forstbehörden zusammen und sind im ständigen Austausch zu unseren laufenden und vergangenen Aufforstungsprojekten. Bei jeder Fläche achten wir darauf, die für die lokalen Gegebenheiten effektivste und für den Klimaschutz wirkungsvollste Lösung zu finden. Wir profitieren enorm von der langjährigen Expertise hinsichtlich regionaler Bedingungen der jeweiligen Partner, da diese einige Bedingungen und Qualitätsansprüche erfüllen müssen.

Welche drei Ratschläge würdet ihr jungen Gründerinnen und Gründern mit auf den Weg geben, die im Bereich Nachhaltigkeit durchstarten wollen?

Vertraut euch selbst und eurem Bauchgefühl und sucht euch Menschen, die euch bestärken und nicht klein halten. Und: Setzt auf Kooperationen. Vor allem im Nachhaltigkeitsbereich ermöglichen Kooperationen immer ein gegenseitiges Weiterbringen.

Titelbild Ruth von Heusinger @ Emily Leshner

Wir bedanken uns bei Ruth von Heusinger für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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