Sonntag, Dezember 22, 2024
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Sprache, Formulare und Protokolle

Iris Bohnet: Jeder organisatorische Vorgang hat geschlechtsspezifische Implikationen

Don’t change women, change the system! Das haben wir alle schon einmal gehört. Die Frau, die wissenschaftliche Daten und Lösungen für diese Forderung geliefert hat, ist die Professorin Iris Bohnet, Autorin des hochgelobten Sachbuchs „What Works“. In ihrem demnächst erscheinenden Buch belegen Bohnet und ihre Co-Autorin Siri Chilazi anhand aktueller Forschungsergebnisse erneut, dass “Behavioral Design” ein wirkungsvolles Instrument zur Verbesserung der intersektionalen Gerechtigkeit in Organisationen ist. Im Interview mit herCAREER gibt die Harvard-Professorin erste Einblicke in das neue Buch „Make Work Fair“ und die darin enthaltenen Lösungen, um systemische Vorurteile zu bereinigen.

„Je progressiver Sie sind, desto mehr liegt Ihnen daran, was Sie und Ihr Unternehmen für die Welt leisten.“

herCAREER: Frau Professorin Bohnet, wie würden Sie Ihr Forschungsgebiet beschreiben?

Prof. Iris Bohnet: Ich verwende Behavioral Design , um das gängige Human Resource Management zu reformieren. Ich untersuche, wie wir Menschen einstellen, entwickeln, unterstützen, befördern, wie wir sie bewerten und belohnen. Eigentlich alles, was mit Personalmanagement zu tun hat, wobei mein Schwerpunkt auf der Repräsentation und Teilhabe von Frauen liegt.

herCAREER: In „What Works“ schrieben Sie: „Bias steckt nicht nur in unseren Köpfen, sondern auch in unseren Praktiken und Verfahren.“ Bedeutet das, dass Verhaltensdesign ein wirksames Mittel gegen strukturelle Phänomene wie zerbrochene Sprossen, gläserne Decken und Klippen sein könnte?

Lassen Sie mich ein Beispiel aus einer Studie nennen, die wir kürzlich in Australien durchgeführt haben. Ein großes Unternehmen wandte sich an uns, weil es Personen, die in früheren Bewerbungsrunden ausgeschieden waren, dazu bewegen wollte, sich für andere, ähnliche Positionen zu bewerben. Es stellte sich heraus, dass die Wahrscheinlichkeit dafür bei Frauen nur etwa halb so hoch war wie bei Männern. Die Frage war also: Wie kann man diese Lücke schließen? Normalerweise hätten wir versucht, Prozesse und Systeme zu diagnostizieren, aber in diesem Fall brauchten wir nicht einmal so weit zu gehen.

Die Personalverantwortlichen mussten uns nur ihre Ablehnungs-E-Mail zeigen, in der stand: „Tut uns leid, Sie haben die Stelle nicht bekommen. Ihre Bewerbung hat uns gefallen, bitte bewerben Sie sich erneut.“ Wir haben gefragt: „An wen schicken Sie das?“ Antwort: ”An die besten 20 Prozent der Bewerber.” Also sagten wir: Fügen Sie einfach einen Satz in Ihre E-Mail ein: „Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Sie waren unter den besten 20 Prozent der Bewerbungen. Bitte bewerben Sie sich erneut.“ Dieser eine Satz konnte die geschlechtsspezifische Diskrepanz in ihrem Bewerbungsverfahren vollständig beseitigen. Das ist die Art von Arbeit, die wir leisten.

herCAREER: Bei „Equal Opportunity Design” geht es also nicht immer um die Entwicklung neuer Strukturen und Prozesse?

Nein, in diesem Fall gab es keine nennenswerten strukturellen Veränderungen. Aber es zeigt, dass die Sprache, die man verwendet, jeder Vorgang, jedes Formular, jedes Protokoll in einer Sitzung geschlechtsspezifische Auswirkungen hat. Das müssen wir verstehen und dafür sorgen, dass wir die Rahmenbedingungen so designen, dass sie gleiche Teilhabe zulassen.

herCAREER: Wie bringen Sie Organisationen bei, nach Abschluss Ihrer Beratungstätigkeit die Denkweise des Behavioral Design weiter zu nutzen und anzuwenden?

Wir geben unseren Kunden eine Orientierung, worauf sie achten und was sie tun sollen. Das werde ich in meinem neuen Buch näher erläutern. Es gibt drei Schritte zur Implementierung von Behavioral Design. Erstens: Make it count! Zählen Sie! Sie müssen Daten sammeln, sie verstehen und nach Geschlechtern aufgeschlüsselt betrachten. Ein altes Sprichwort lautet: „Measure what you treasure“, also: „Messe, was dir wichtig ist“. Man sollte nicht nur Umsatz und Gewinn erfassen, sondern auch die geschlechtsspezifischen Auswirkungen ermitteln.

herCAREER: Was noch?

Die zweite Regel lautet: Make it stick! Sorge dafür, dass es dabei bleibt. Das bedeutet, dass Sie den Wandel in Ihren Praktiken und Verfahren verankern müssen. In unserem neuen Buch führen wir den Leser Schritt für Schritt durch diesen Prozess. Verankerung bedeutet, dass Sie Ihre Veränderungen in allen Phasen der Employee Journey implementieren. Angefangen bei der Rekrutierung über die Art und Weise, wie Sie als Führungskraft Rollen gestalten, bis hin zur Frage, wie Leadership aussieht, und so weiter. Die dritte Regel lautet: Machen Sie es normal.

herCAREER: Und wie macht man das?

In meinem ersten Buch gab es ein Kapitel zu diesem Thema, aber in den letzten Jahren habe ich hierzu viel mehr Daten gesammelt. Nehmen Sie zum Beispiel die MeToo-Bewegung und die Tatsache, dass es für einige Männer normal war, ihre Macht zu missbrauchen und sich am Arbeitsplatz danebenzubenehmen. Jetzt haben wir eine neue Normalität. Es werden unternehmensinterne Maßnahmen ergriffen, die Gesetze auf der ganzen Welt haben sich angepasst, und wir haben den Standard für akzeptables Verhalten verändert. Im Alltag heißt das, wir müssen ein neues Normal dafür schaffen, wie wir uns in Meetings verhalten, wie wir einander unterbrechen und so weiter. Wir müssen nichtdiskriminierende, produktive Interaktionen normalisieren, sowohl in formellen als auch in informellen Abläufen.

herCAREER: Das Wesen der Arbeit hat sich seit der Pandemie in vielerlei Hinsicht verändert. Wie spiegelt sich die Zunahme der flexiblen Arbeit in Ihren Analysen? Werden wir in der Lage sein, ein integratives, inklusives Arbeitsumfeld zu gestalten?

Ich stimme zu, dass die Arbeitsgestaltung ein großes Thema geworden ist. Vor allem im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter: nicht nur für Frauen, sondern auch für die intersektionale Gleichstellung.

herCAREER: Wie schaffen wir es, dass remote und hybride Arbeitsformen beständig und normal werden?

Wir haben mit der britischen Jobbörse Indeed ein Experiment durchgeführt, an dem 12.000 Arbeitssuchende und 2.000 Unternehmen teilnahmen. Da Flexibilität immer wichtiger geworden ist, haben die Unternehmen diesen Faktor in ihren Stellenausschreibungen berücksichtigt. Bei Indeed mussten die Unternehmen ein Kästchen ankreuzen, das auf die Möglichkeit flexibler Arbeit hinwies, woraufhin die Bewerber:innen danach filtern konnten. Das Ergebnis? Mehr Menschen, insbesondere mehr Frauen, haben sich auf solche Stellen beworben. Ein Resultat, das für alle Unternehmen wünschenswert ist, da sie von einem größeren Talentpool profitieren.

herCAREER: Auch die Migration ist ein wichtiger Faktor in der modernen Arbeitswelt. Sind Sie auf Verhaltensweisen gestoßen, die dazu beitragen, dass Arbeitnehmende erfolgreicher eingestellt und integriert werden?

Ein großer Teil meiner Forschungsarbeit findet in den USA statt. Interessanterweise zeigen sich die Auswirkungen der Migration hier nicht in der gleichen Weise wie in Europa. Wir sprechen hier im Kontext von Integration vor allem über Intersektionalität. Das war zwar noch nicht so ausgeprägt, als ich “What Works” geschrieben habe, aber jetzt ist es ein großes Thema. Jetzt schlüsseln wir die Identität einer Person nach ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihrem sozialen Hintergrund auf. Wir werden im neuen Buch eine Reihe von Studien besprechen. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Erfahrungen anzuerkennen und sicherzustellen, dass zum Beispiel Women of Colour überall in der Arbeitswelt vertreten sind.

herCAREER: In Deutschland sind New Work und Transformation in aller Munde, der Generationswechsel in den Führungsetagen stellt sich als Herausforderung dar. Sind das Themen, die durch Behavioral Design positiv beeinflusst werden können?

Wir haben in unserem neuen Buch ein Kapitel über Anreize. Wir gehen zwar nicht explizit auf das Thema Alter und Generation ein, aber wir zeigen auf, dass die Menschen heute in einem Job mehr als nur Status und Geld suchen. Die jüngere Generation ist auf der Suche nach Sinn und Werten, und das in zweierlei Hinsicht.

Erstens: Hat meine Arbeit einen Sinn? Habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, etwas, das einen Unterschied in der Welt macht? Zweitens: Identifiziere ich mich mit den Werten, für die mein Arbeitgeber eintritt? Kümmert er sich um die Umwelt? Gibt es Lohngerechtigkeit? Interessanterweise wird in den USA die Frage nach Purpose sehr oft mit der politischen Einstellung verknüpft.

herCAREER: Inwiefern?

Untersuchungen zeigen: Je konservativer man ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man sich für etwas anderes als die finanzielle Performance seines Arbeitgebers interessiert. Je progressiver Sie sind, desto mehr liegt Ihnen daran, was Sie und Ihr Unternehmen für die Welt leisten. Es wäre interessant zu sehen, ob dies auch für Deutschland zutrifft.

herCAREER: Vielen Dank, Frau Professor Iris Bohnet, ich freue mich darauf, die neuen Forschungsergebnisse in unserem Live-Gespräch am 20. November näher zu beleuchten!

Bild Iris Bohnet setzt sich weltweit für Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter ein. Sie ist eine Verhaltensökonomin, die in ihrer Arbeit Erkenntnisse aus Wirtschaft und Psychologie kombiniert und die Autorin des preisgekrönten Buches „What Works: Gender Equality by Design

Quelle herCAREER

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