REHAU New Ventures bringt Start-ups und Industrie zusammen, um innovative Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette praxistauglich zu machen.
Sie haben bei DB Schenker die Venture-Clienting-Unit mit aufgebaut und über 160 Pilotprojekte mit Start-ups umgesetzt. Welche zentralen Erfahrungen aus dieser Zeit prägen heute Ihre Arbeit bei REHAU New Ventures?
Eine der prägendsten Erfahrungen war: Wenn ein Pilot nur ein „nice to have“ bleibt, wird er früher oder später versanden. Sobald Budgets oder Ressourcen neu allokiert werden müssen, priorisieren Fachbereiche verständlicherweise ihr Kerngeschäft – und der Pilot verliert an Relevanz.
Deshalb war für mich der entscheidende Hebel, den Wechsel von Push zu Pull zu schaffen – also von „Wir bringen spannende Lösungen ins Unternehmen“ hin zu „Die Fachbereiche fordern Innovation aktiv ein“. Nur wenn ein Pilot auf einen klaren Pain Point, ein strategisches Ziel und einen nachweisbaren Business Impact einzahlt, wird er automatisch zu einem „must have“.
Bei REHAU New Ventures setzen wir genau dort an: Jeder Pilot startet erst, wenn der Fachbereich den Need bestätigt, KPIs definiert sind und das Projekt nachweislich auf die Ziele der Business Unit einzahlt. Dadurch entsteht von Anfang an Ownership – und Skalierung ist die natürliche Konsequenz, nicht der Zufall.
Venture Clienting gilt als faire und zugleich pragmatische Alternative zu Corporate Venture Capital. Was unterscheidet die beiden Modelle im Kern – und warum ist der Venture-Client-Ansatz gerade in Zeiten knapper Finanzierungsrunden so relevant?
Aus meiner Sicht sollten Unternehmen Corporate Venture Capital, Venture Clienting und Venture Building als komplementäre Instrumente verstehen. Venture Clienting ist dabei der logisch erste Schritt, weil es aufzeigt, wo reale Wertschöpfung entsteht, wo Pain Points liegen und welche Technologien industriell tragfähig sind. Es liefert damit die belastbarste Form der technischen und ökonomischen Due Diligence.
Erst wenn dieser Fit bestätigt ist, kann ein CVC-Investment strategisch sinnvoll sein – vorausgesetzt, das Unternehmen kann dem Startup einen klaren industriellen Vorteil bieten. Für REHAU bedeutet das: Wir investieren nicht breit, sondern dort, wo Lösungen direkt in unsere Wertschöpfungsketten einzahlen.
Fehlt eine passende Marktoption, bildet Venture Building die dritte Option, um identifizierte Lücken gezielt zu adressieren.
Was nicht funktioniert, ist der umgekehrte Weg: zu investieren und anschließend vom Kerngeschäft Adoption zu erwarten. Wir sehen, dass eine sequenzielle Logik – Venture Clienting, CVC, Venture Building – die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit für beide Seiten schafft.
Viele Start-ups kämpfen derzeit mit einer schwierigen Kapitalbeschaffung. Wie kann Venture Clienting hier zum entscheidenden Erfolgsfaktor werden – und welchen konkreten Mehrwert bietet dieses Modell für Corporates?
Venture Clienting verschiebt den Fokus zurück auf das, was für Start-ups langfristig entscheidend ist: einen belastbaren Product-Market-Fit. In den vergangenen Jahren war Fundraising häufig der dominante Treiber – mit teils verzerrten Preismodellen und wenig belastbaren Geschäftsannahmen. Durch Venture Clienting generieren Start-ups dagegen echte Umsätze, validieren ihre Technologie in industriellen Umgebungen und können Investoren operation basierte Evidenz liefern.
Für Corporates entsteht parallel ein klarer Mehrwert: Wir pilotieren Lösungen unter realen Bedingungen, messen ihren Beitrag zur operativen Wertschöpfung und reduzieren Innovationsrisiken signifikant. Venture Clienting wird damit zu einer Form der strukturierten Markt- und Technologie-Validierung, die beiden Seiten hilft: Start-ups durch Umsatz und Glaubwürdigkeit, und Corporates durch evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen, die beste Lösung vom Markt einzukaufen.
REHAU ist ein traditionsreiches Familienunternehmen mit langer Innovationsgeschichte. Wie gelingt es, in einem solchen Umfeld die Dynamik und Geschwindigkeit der Start-up-Welt zu integrieren, ohne die Unternehmensidentität zu verlieren?
Die Stärke und Stabilität eines Familienunternehmens bilden den Rahmen – und innerhalb dieses Rahmens integrieren wir agile Arbeitsweisen und schnelle Validierungszyklen aus der Start-up-Welt.
New Ventures agiert dabei bewusst als strategische Schnittstelle: Wir übersetzen zwischen Konzernlogik und Start-up-Logik, schaffen klare Entscheidungsprozesse und sichern gleichzeitig die kulturelle Anschlussfähigkeit. So entsteht Geschwindigkeit, ohne die Identität zu gefährden. Vielmehr wird Innovation in bestehende Strukturen eingebettet und bleibt dadurch nicht ein isoliertes Experiment, sondern ein integrativer Bestandteil der Unternehmensentwicklung.
Sie betonen, dass Venture Clienting eine echte Win-Win-Situation schafft. Wie stellen Sie sicher, dass Pilotprojekte bei REHAU New Ventures sowohl für das Start-up als auch für das Unternehmen wirtschaftlich und strategisch relevant sind?
Wir arbeiten mit einem klar strukturierten Validierungsprozess. Jeder Pilot startet erst, wenn der Fachbereich einen eindeutigen Pain Point benannt hat und wir gemeinsam mit dem Start-up Ziel-KPIs, Annahmen und ein Post-Pilot-Szenario festgelegt haben. Dadurch prüfen wir nicht nur die technische Lösung, sondern vor allem deren wirtschaftlichen und strategischen Beitrag zur Wertschöpfung.
Für das Start-up entsteht Transparenz über Anforderungen, Integrationspfade und mögliche Skalierung. Für uns bedeutet es, dass jeder Pilot auf ein konkretes Ziel einzahlt und kein isoliertes Experiment bleibt. Diese gemeinsame Klarheit ist die Grundlage für eine echte Win-Win-Situation.
Was sind typische Pain Points, die Sie bei REHAU mit Hilfe von Start-ups adressieren – und wie identifizieren Sie die passenden Partner für eine Zusammenarbeit?
Wir konzentrieren uns auf Pain Points, die einen unmittelbaren operativen Nutzen stiften. Dazu gehören beispielsweise die Automatisierung von Rechnungs- und Dokumentenprozessen, präzisere Absatz- und Produktionsprognosen, digitale Wissens- und Trainingslösungen oder KI-gestützte Optimierungen in Qualitätssicherung und Produktion. Diese Themen haben direkten Einfluss auf Effizienz, Durchlaufzeiten und Entscheidungsqualität.
Die passenden Start-ups identifizieren wir über ein strukturiertes Push-und-Pull-Verfahren. Beim Pull-Ansatz formulieren die Fachbereiche ihren Bedarf sehr klar, etwa wenn ein Werk Reporting-Zyklen verkürzen oder das Finance-Team manuelle Tätigkeiten automatisieren möchte. Dann scouten wir gezielt nach Lösungen, die exakt zu diesem Use Case passen. Beim Push-Ansatz entdecken wir vielversprechende Technologien im Markt, evaluieren ihr Potenzial und prüfen anschließend gemeinsam mit den Teilkonzernen, ob ein relevanter Business Case besteht. Dadurch stellen wir sicher, dass wir nur mit Start-ups arbeiten, deren Lösungen konkret in unsere Wertschöpfung einzahlen und intern auch tragfähig skaliert werden können.
Nach über 160 Industriepiloten haben Sie sicher ein feines Gespür dafür entwickelt, was erfolgreiche Kooperationen ausmacht. Welche Faktoren entscheiden Ihrer Erfahrung nach, ob aus einem Pilotprojekt eine langfristige Partnerschaft entsteht?
Aus meiner Erfahrung steht an erster Stelle ein echtes internes Commitment: Der Fachbereich muss den Bedarf klar spüren und die Lösung wirklich wollen. Ohne diese Ownership bleibt jedes Projekt ein isoliertes Technologieexperiment. Zweitens braucht es einen nachweisbaren Business Case, der über den Pilot hinaus Wirkung entfaltet und messbar zur Effizienz, Qualität oder Entscheidungsfähigkeit beiträgt. Und drittens müssen Start-ups verstehen, wie industrielle Umgebungen funktionieren – also Zuverlässigkeit, Skalierbarkeit und Integrationsfähigkeit genauso ernst nehmen wie Innovationsgeschwindigkeit. Wenn diese drei Elemente zusammenkommen, entsteht aus einem Pilot sehr schnell eine nachhaltige Partnerschaft.
Wie läuft der Auswahlprozess ab, wenn ein Start-up bei REHAU anklopft? Was überzeugt Sie in einem kurzen Fünf-Minuten-Pitch wirklich – und was führt dazu, dass Sie ein Projekt eher nicht weiterverfolgen?
„Mich überzeugt, wenn ich in den ersten Minuten verstehe, welches Problem das Startup löst, in welcher Industrie es bereits aktiv ist, welche KPIs es nutzt und wer seine Referenzkunden sind. Wenn jemand dagegen mit Buzzwords arbeitet oder die Wettbewerber nicht kennt, fehlt oft der Realitätsbezug. Dann ist es schwierig, Potenzial und Relevanz einzuschätzen.“
Viele Gründerinnen und Gründer investieren viel Zeit in ihre Pitch-Decks. Warum ist das für Corporates oft wenig aussagekräftig, und worauf sollten Start-ups stattdessen den Fokus legen, um zu überzeugen?
Ich war lange in der Beratung – daher schätze ich gute, klar strukturierte Pitch-Decks durchaus. Sie helfen, ein Thema präzise zu erfassen und zeigen, wie ein Team denkt. Aber für Corporates sind sie nur der Einstieg. Entscheidend ist, wie die Lösung im realen industriellen Umfeld wirkt: Welche konkreten Prozesse verbessert sie, welchen messbaren Beitrag leistet sie, wie belastbar sind die Annahmen und wie schnell lässt sich die Lösung integrieren? Start-ups überzeugen, wenn sie diesen operativen Fit klar belegen können – mit Zahlen, Evidenz und einem Verständnis dafür, wie Industrie wirklich funktioniert. Ein gutes Deck öffnet die Tür, aber die Substanz entscheidet.
Venture Clienting wird häufig mit dem Satz „Revenue statt Equity“ beschrieben. Wie verändert diese Perspektive das Verhältnis zwischen Start-up und Unternehmen – und auch die Erwartungen auf beiden Seiten?
Für uns steht im Zentrum, Kunde zu werden und eine Lösung so einzusetzen, dass sie entlang unserer Wertschöpfungskette skalieren kann. Damit verschiebt sich das Verhältnis zum Start-up: Wir agieren nicht als Investor, sondern als Anwender mit klaren operativen Anforderungen und Qualitätsstandards.
Gleichzeitig gibt es auch im Venture Clienting Risiken, die man aktiv managen muss. Ein Startup kann beispielsweise stark von einzelnen Kunden abhängen, seine Preisstrukturen fast random verändern bei der nächsten Investitionsrunde oder bei begrenzten Ressourcen zu langsam skalieren.
In klassischen Pilotprojekten besteht oft die Gefahr, dass sie nach der Testphase versanden. Wie gelingt es Ihnen, daraus echte Skalierungs- oder Implementierungsprojekte zu entwickeln?
Das Risiko des „Versandens“ entsteht vor allem dann, wenn Pilotprojekte als isolierte Tests angelegt werden. Deshalb definieren wir bereits vor dem Start eines Pilots sehr klar, was im Erfolgsfall passieren soll: relevante KPIs, Verantwortlichkeiten, technische Voraussetzungen und der konkrete Pfad in die Skalierung.
Genauso wichtig ist das interne Commitment. Neben dem Pain-Point-Owner bauen wir bewusst Communities, Ambassador-Formate und Stakeholder-Gruppen auf, die die Lösung im Unternehmen verankern. Jeder Pilot ist immer auch ein Change-Management-Prozess – er verändert Routinen, Rollen und Entscheidungslogiken.
Wenn Nutzen, Ownership und Transformationsbegleitung von Anfang an zusammenkommen, wird ein Pilot nicht zu einem einmaligen Experiment, sondern zu einem strukturierten Implementierungsprozess, der in der Organisation getragen und weitergeführt wird.
Welche Rolle spielt REHAU New Ventures als Schnittstelle zwischen Konzernstrukturen und der agilen Start-up-Welt – und wie sieht diese Brückenfunktion im Alltag konkret aus?
„Wir sind genau diese Schnittstelle: Wir sitzen eingebettet in die REHAU-Gruppe, verstehen die operativen Geschäftsbereiche und gleichzeitig die Start-up-Welt. Im Alltag heißt das: Wir scouten Start-ups, wir schaffen den Zugang zu Teilkonzernen, wir definieren gemeinsam mit Start-ups die Anwendung, wir begleiten Pilotierung und Skalierung. Und wir sorgen dafür, dass operative Geschäftsbereiche im Konzern nicht nur zuschauen, sondern aktiv mitnehmen. So wird Innovation wirklich Teil des Geschäfts, nicht nur ein Projekt am Rande.“
Welche Technologien oder Themenfelder stehen aktuell besonders im Fokus Ihrer Arbeit – und wo sehen Sie die größten Chancen für gemeinsame Innovationen in den nächsten Jahren?
„Aktuell liegt unser Schwerpunkt auf Automatisierung, KI und digitalen Services entlang der Wertschöpfungskette – etwa in der Produktionsplanung, im Marketing oder in der Weiterbildung. Gleichzeitig beschäftigen uns Themen wie Nachhaltigkeit und Circular Economy. Überall dort, wo Technologie operative Prozesse messbar verbessert, sehen wir Chancen für echte Kooperationen.“
Wenn Sie auf Ihre bisherigen Erfahrungen zurückblicken: Was wünschen Sie sich von Start-ups im Umgang mit Corporates – und umgekehrt, was sollten Corporates dringend von Start-ups lernen?
„Von Start-ups wünsche ich mir Klarheit über ihren Use Case, realistische Zeitpläne, Industrieverständnis und die Bereitschaft, den Change-Prozess mitzutragen. Zusammenarbeit in Konzernen braucht Geduld.
Von Corporates erwarte ich Offenheit, Struktur, Entscheidungsfreude und echtes Commitment. Start-ups brauchen klare Ansprechpartner mit Verantwortung, Budget und Vision. Wenn beide Seiten diese Haltung mitbringen, entsteht wirkliche gemeinsame Wirkung.“
Bild: Ronja Stoffregen ©Claudia Tot
Wir bedanken uns bei Ronja Stoffregen für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder























