Donnerstag, Februar 27, 2025
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Wie kann Bürokratie zum Wettbewerbsvorteil werden?

REMATIQ automatisiert regulatorische Prozesse in der Medizintechnik mithilfe Künstlicher Intelligenz und hilft Unternehmen, schneller und effizienter Marktzulassungen zu erreichen

Herr Boutellier, Sie haben REMATIQ Ende 2023 gegründet, um regulatorische Prozesse in der Medizintechnik mit Künstlicher Intelligenz zu automatisieren. Was war der entscheidende Moment, der Sie dazu bewogen hat, dieses Unternehmen ins Leben zu rufen?

Innovation in der Medizintechnik scheitert nicht an mangelnden Ideen oder Kapital, sondern oft an bürokratischen Hürden. Als Head of Product bei Kaia Health habe ich erlebt, wie komplexe und ineffiziente Prozesse den Marktzugang neuer Technologien um Jahre verzögern können. Diese Verzögerungen bedeuten nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern auch verpasste Chancen, Patient:innen schneller mit lebensverändernden Innovationen zu versorgen.

Der entscheidende Moment kam, als mir klar wurde, dass das Problem nicht die Regulierung selbst ist – sondern die Art, wie Unternehmen damit umgehen. REMATIQ habe ich gegründet, weil ich überzeugt bin, dass KI die Branche grundlegend verändern kann: Richtig eingesetzt, wird Regulierung nicht zum Hindernis, sondern zum Innovationsbeschleuniger.

Regulierungen sind oft als Hindernis für Innovationen verschrien. Sie sehen sie hingegen als Hebel für Qualität und Fortschritt. Wie genau kann REMATIQ dazu beitragen, diesen Paradigmenwechsel voranzutreiben?

Regulierungen sind essenziell, um Patientensicherheit und Qualität zu gewährleisten. Das Problem ist, dass sie für Unternehmen oft unnötig komplex und schwer verständlich sind. Ein gutes Beispiel sind Normen und Standards: Sie zeigen Unternehmen den Stand der Technik – und erlauben bestimmte Produkte performanter oder sicherer zu entwickeln. Doch unterschiedliche Versionen, Mehrdeutigkeiten und internationale Abweichungen erschweren die Umsetzung.

REMATIQ setzt genau hier an: Unsere KI extrahiert Anforderungen und übersetzt sie in klare, umsetzbare Schritte und integriert sie direkt in bestehende Unternehmensabläufe. Das bedeutet, dass Ingenieur:innen sich weniger mit Dokumentation müssen und mehr Zeit für die Entwicklung von Innovationen haben. Unternehmen, die Regulierung als strategischen Vorteil begreifen und ihre Compliance-Prozesse optimieren, gewinnen nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil. 

40 % der Zeit von F&E-Teams fließen in Dokumentation und Compliance – Zeit, die für echte Innovationen fehlt. Wie hilft Ihre Lösung dabei, dieses Verhältnis zu verbessern, und wie groß ist das Potenzial für Effizienzgewinne in der Branche?

Heute verbringen hochqualifizierte Ingenieur:innen fast die Hälfte ihrer Zeit mit regulatorischer Dokumentation – statt mit Forschung und Entwicklung. Das ist nicht nur ineffizient, sondern auch ein massives Innovationshemmnis. Mit REMATIQ reduzieren wir diesen Aufwand um bis zu 90 %, indem wir die regulatorischen Anforderungen extrahieren, Updates in Echtzeit erfassen und in Entwicklungs- und Qualitätsmanagementprozesse integrieren. So können Unternehmen schneller arbeiten und ihre Ressourcen gezielt auf echte Innovationen konzentrieren. In vielen Bereichen machen wir aufwendige Prozesse wie Impact Assessments überflüssig. Langfristig wird das den Innovationszyklus in der Medizintechnik beschleunigen – zum Vorteil von Patient:innen, Unternehmen und dem Gesundheitssystem insgesamt.

Regulatorische Prozesse sind komplex und von Land zu Land unterschiedlich. Wie stellt REMATIQ sicher, dass seine KI-Lösung sich an verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen anpassen kann?

Unsere Plattform ist darauf ausgelegt, mit den weltweit wichtigsten Regularien zu arbeiten, darunter die MDR und dazugehörige Guidances und Standards in Europa, die FDA-Richtlinien in den USA und weitere länderspezifische Anforderungen. Unser KI-gestütztes System analysiert neue regulatorische Anforderungen laufend und integriert sie automatisch in die Prozesse unserer Kund:innen. Das Besondere: Unternehmen müssen nicht mehr mühsam selbst herausfinden, welche Änderungen für sie relevant sind. REMATIQ übernimmt das für sie.

Mit welchen Herausforderungen haben Sie bei der Entwicklung Ihrer Technologie und bei der Markteinführung von REMATIQ bislang zu kämpfen gehabt? Gibt es regulatorische Hürden, die Ihnen selbst im Weg stehen?

Eine der größten Herausforderungen war, das Vertrauen der Branche in KI-gestützte regulatorische Prozesse aufzubauen. Medizintechnik ist hochreguliert, Fehler können schwerwiegende Folgen haben. Deshalb haben wir von Anfang an mit führenden Unternehmen zusammengearbeitet, um höchste Qualitäts- und Sicherheitsstandards sicherzustellen. Regulatorisch haben wir den Vorteil, dass REMATIQ nicht selbst als Medizinprodukt klassifiziert wird. Die größte Hürde ist also nicht die Regulierung selbst, sondern die Veränderung der Denkweise in den Unternehmen – von mühsamer Dokumentenarbeit und Bürokratie hin zu intelligenten, KI-gestützten Compliance-Prozessen.

Medizintechnik ist ein hochsensibler Bereich, in dem Vertrauen eine zentrale Rolle spielt. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre KI-Lösung nicht nur effizient, sondern auch zuverlässig und rechtskonform arbeitet?

Vertrauen entsteht durch fehlerfreie Prozesse. Deshalb setzen wir auf ein hybrides System: Unsere KI unterstützt die Regulierungsprozesse mit Automatisierung und intelligenter Analyse, aber die finale Entscheidung und Verifizierung liegt immer beim Menschen, dank einem sogenannten “Human-in-the-loop”-System. Unsere Lösung basiert auf validierten regulatorischen Anforderungen und wurde gemeinsam mit führenden Unternehmen entwickelt, um höchste Genauigkeit und Verlässlichkeit zu gewährleisten. 

Welche Zielgruppe sprechen Sie mit REMATIQ an? Wenden sich eher große Medizintechnik-Unternehmen an Sie oder auch kleinere Startups, die schnell zur Marktzulassung gelangen wollen?

Unsere Hauptkund:innen sind große Medizintechnikunternehmen, die komplexe, globale Produktportfolios managen müssen. Sie profitieren besonders von der Automatisierung und Effizienzsteigerung durch REMATIQ. Mit ihnen streben wir langjährige Partnerschaften an.

Welche Meilensteine haben Sie sich für die nächsten Jahre gesetzt? Wo soll REMATIQ in drei bis fünf Jahren stehen?

Unser kurzfristiges Ziel ist es, unsere Lösung weiterzuentwickeln und mit führenden Medizintechnikunternehmen weltweit zu skalieren. In fünf Jahren wollen wir die führende KI-Plattform für automatisierte Product Compliance in der Medizintechnik sein – das State-of-the-Art Werkzeug, das Unternehmen dabei hilft, schneller, sicherer und effizienter zu innovieren. Langfristig könnten wir unsere Lösung auch auf andere regulierte Industrien wie Automobil, Maschinenbau oder Pharma ausweiten.

Künstliche Intelligenz verändert viele Industrien. Welche Rolle wird sie Ihrer Meinung nach langfristig in der Medizintechnik spielen, und welche Entwicklungen erwarten Sie in den kommenden Jahren?

KI wird eine zentrale Rolle in der Medizintechnik spielen – nicht nur in der Produktentwicklung, sondern auch in der Art, wie Unternehmen ihre regulatorischen Prozesse managen, aber auch im Kundendienst, Verkauf und natürlich in den Produkten als Bestandteil selber. Wir werden eine stärkere Integration von KI in klinische Studien, Zulassungsverfahren und Qualitätsmanagementsysteme sehen. Unternehmen, die früh auf intelligente Automatisierung setzen, werden langfristig die Innovationsführerschaft übernehmen.

Was macht REMATIQ einzigartig im Vergleich zu anderen Lösungen oder bestehenden regulatorischen Prozessen? Wodurch heben Sie sich konkret vom Wettbewerb ab?

REMATIQ ist die erste vollständig KI-native Plattform, die regulatorische Prozesse von Grund auf anders denkt – kein „KI-Add-on“, sondern eine echte Automatisierungslösung. Unser Kern ist die Möglichkeit, dokumentenbasierte Regularien in Daten-Objekte zu übersetzen, zu vereinfachen und auf die intern bereits bestehende Datenlogik von Systemen in der Entwicklung und Regulatorik zu matchen. So erhalten Mitarbeiter:innen in Entwicklung und Regulatorik genau die zusammengefassten, aktuellen und relevanten Anforderungen für ihre Arbeit – ein radikaler Effizienzgewinn und eine drastische Reduktion der Komplexität.

Welche drei Ratschläge würden Sie anderen Gründern geben, die sich in einer regulierungsintensiven Branche wie der Medizintechnik etablieren wollen?

  1. Versteht die Regulierungen als strategischen Vorteil. Wer die Regularien wirklich durchdringt, kann Innovation schneller und sicherer auf den Markt bringen.
  2. Baut starke Partnerschaften auf. In regulierten Märkten ist Vertrauen entscheidend – arbeitet daher mit Experten und Stakeholdern zusammen.
  3. Setzt auf Technologie, aber verliert die Menschen nicht aus dem Blick. KI kann Prozesse optimieren, aber letztlich kommt es auf die Akzeptanz der Nutzer:innen an.

Bild: David Boutellier, Co-Founder & CEO @ REMATIQ

Wir bedanken uns bei David Boutellier für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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