Rivercyte entwickelt eine neuartige Technologie zur zerstörungsfreien Analyse physikalischer Zellfunktionen für Forschung und klinische Diagnostik
Was macht Rivercyte besonders im Vergleich zu anderen Ansätzen zur Zell-Analyse – und wie haben sich die Gründer und das Team gefunden?
Rivercyte verwendet einen komplett neuen, weltweit einzigartigen Ansatz zur Erfassung der Zellfunktion – wir nennen das „Zellfunktion erfühlen“. Dabei erfassen wir beschädigungsfrei und ohne Färbetechniken (label-free) die physikalischen Eigenschaften einer jeden einzelnen Zelle einer Probe, bspw. Blut. Ähnlich wie jeder Mensch den Reifegrad von Gemüsen im Supermarkt erfühlt, durch drücken einer Tomate oder Avocado, so drücken wir die Zellen um bspw. die Verformbarkeit, eine von 15 physikalischen Eigenschaften die wir erfassen, festzustellen.
Die Verformbarkeit gibt darüber Aufschluss wie eine Zelle im inneren beschaffen ist was einen direkten Einfluss auf ihre Funktion hat. Ein simples Beispiel ist die Zirkulation der roten Blutzellen durch den Körper. Die Zellen müssen sich durch feinste Kapillaren quetschen um zum Beispiel Sauerstoff in der Lunge aufzunehmen und in andere Organe zu transportieren. Sind die Zellen aber in ihrer Verformbarkeit beeinflusst wie bei bestimmten Infektionskrankheiten wie Malaria oder genetischen Defekten wie Sphärozytose (eine Form der Anämie), dann können die Zellen sich nicht ausreichend verformen, die Zirkulation wird verlangsamt und der Sauerstofftransport wird geringer. Natürlich kann unsere Technologie nicht nur für die verschiedenen Zellen des Blutes eingesetzt werden, sondern kann breite Anwendung in der Diagnostik, der Zelltherapie oder Pharmakologie finden.
Das Gründerteam besteht aus 6 Wissenschaftlern des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin in Erlangen und einem Unternehmer aus Frankfurt am Main. Aktuell beschäftigt Rivercyte noch einen Mitarbeiter aus dem Bereich Hardwareentwicklung. Kennengelernt hat sich das Team während der gemeinsamen Forschungsarbeit auf den Gebieten klinische Hämatologie, Biophysik, Softwareentwicklung, Mikrofluidik, IP-Strategie- und IVD-Entwicklung, was auch die Expertise des Gründerteams darstellt.
Welche Vision verfolgt Rivercyte mit deformability cytometry und wie möchten Sie diese Vision konkret umsetzen?
Die Erfassung physikalischer Parameter von einzelnen Zellen als Biomarker um ihren Gesundheitszustand und damit den des Patienten zu erfassen, ist eine 40 Jahre alte, viel diskutierte Forschungsidee. Bis heute gibt es aber kein klinisches Produkt. Der Grund ist der geringe Durchsatz von wenigen Zellen pro Stunde. Rivercytes Verformungszytometer tastet bis zu 3000 Zellen pro Sekunde ab und ist damit 100,000-mal schneller als vergleichbare Forschungsprodukte. Dabei benötigen wir nur 3 µl Blut um damit ein Blutbild zu erstellen und Infektionsdiagnostik zu betreiben. Gleichzeitig wird ein mikroskopisches Bild einer jeden Zelle erfasst und eine nachträgliche optische Bewertung ermöglicht. Hierzu benötigt man heutzutage Spezialdiagnostik und hochqualifiziertes Personal. Unser Ziel ist es daher die klinische Infektionsdiagnostik zu revolutionieren, indem wir sie schneller und kostengünstiger machen und gleichzeitig dringend benötigte neue Biomarker etablieren.
Aktuell verkaufen wir Forschungsgeräte und Verbrauchsmittel für den Markt der biomedizinischen Forschung. Hierbei bedienen wir die Nische der Hochdurchsatzmethoden zur Erfassung von physikalischen Zelleigenschaften. Dabei haben wir strategische Partnerschaften mit Key Opinion Leader in der klinischen Diagnostik, der Zelltherapieentwicklung und pharmakologischen Forschung etabliert. Diese werden uns erlauben einen klaren Anwendungsfall zu etablieren und ein Gerät für diesen Markt zuzulassen. Sobald das geschehen ist, werden wir uns Technologie in anderen Märkten etablieren.
Welche Zielgruppen sprechen Sie an – etwa Forschung, Klinik oder Industrie – und wie adressieren Sie deren unterschiedlichen Bedürfnisse?
Aktuell vertreiben wir ein Verformungszytometer „Naiad1“ für die Forschung, welches kostengünstig aber auch flexibel für unterschiedlichste Einsatzgebiete ist. Mit einigen Kunden haben wir feste Partnerschaften etabliert, mit denen wir die technische Entwicklung vorantreiben und an die unterschiedlichsten Bedürfnisse anpassen. So sind wir in der Lage von der Hardware über die Funktionsweise bis zur Software alle Erwartungen unserer Kunden zu adressieren. Bspw. lernen wir aus dem Einsatz in klinischen Einrichtungen, dass ein manuelles Handling bis auf ein Minimum reduziert werden muss und aus Industriepartnerschaften ein maximaler Zugang und Anpassungsfähigkeit erwartet wird. In der Entwicklung unserer Technologie können wir so frühzeitig spätere Bedürfnisse vorhersehen und reduzieren Fehlentwicklungen und doppelte Arbeit.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Technologie erschwinglich und leicht zugänglich bleibt?
Obwohl es sich um hochspezialisierte Technologie handelt, die die modernsten Verfahren der Mikrostrukturierung, Mikrofluidik, Hochdurchsatzmikroskopie und künstlicher Algorithmen zur Auswertung verwendet, haben wir starke Partnerschaften mit weltweit agierenden Firmen aufgebaut, die die benötigten Komponenten aus ihren Entwicklungen und ihren Produkten produzieren können. Somit müssen für unsere Verformungszytometer keine neuen Produktionslinien aufgebaut werden, was die Herstellung und Weiterentwicklung auch langfristig günstig und leicht zugänglich macht.
An welchem Use-Case oder Erfolg lässt sich der Mehrwert Ihrer Technologie besonders anschaulich demonstrieren?
Aktuell sind wir sehr stolz darauf, dass wir unsere Produkte schon weltweit etablieren konnten und es geschafft haben die Idee der Zellbiophysik zu verbreiten und die Technologie zu demokratisieren. Es zeigt sich, dass Institute und Forschungseinrichtungen basierend auf unserer Technologie neue Verfahren und Ideen für ihre eigene Forschung ableiten. Besonders anschaulich zeigt sich das in unserer Partnerschaft mit dem Fraunhofer Institut in Leipzig (IZI). Das Institut hat seinen Schwerpunkt in der Entwicklung von Zelltherapien zur Behandlung von bspw. Tumoren. Die Entwicklung dieser hochkomplexen Zelltherapien hat sich bisher vor allem auf die Verbesserung der Wirkungsweise der Zellen fokussiert. Dabei wurde die Zellfunktionalität die für eine erfolgreiche Anwendung notwendig ist aufgrund der aktuell komplexen Methoden diese zu erfassen vernachlässigt. Durch den Einsatz der Verformungszytometrie werden diese Tests massiv erleichtert und wir erhoffen uns eine große Rolle bei der Qualitätskontrolle der zelltherapeutischen Produkte zu spielen.
Welche technischen oder regulatorischen Hürden begegnen Ihnen aktuell und wie gehen Sie damit um?
Aktuell ist die größte Hürde die Technologie so Anwenderorientiert wie möglich und dabei trotzdem flexibel zu machen. In der Zukunft sehen wir uns mit der Zulassung der Technologie als Medizinprodukt nach MDR konfrontiert. Dabei sehen wir die größte Schwierigkeit in der Verwendung und Zulassung von konsekutiven selbstlernenden künstlichen Algorithmen. Ich denke, da liegt viel Arbeit und Überzeugungsarbeit vor uns.
Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz durch Kombination von Mikrofluidik, Hochgeschwindigkeitsmikroskopie und KI von bestehenden Verfahren?
Nach meinem Kenntnisstand ist eine solche Kombination schon etwas Neues, da es zumindest in Deutschland kein zugelassenes Produkt gibt, welches diese 3 Komponenten vereint. Grundsätzlich unterscheidet sich unser Produkt, von den klinischen Standards in der Blutdiagnostik dadurch, dass es mit geringsten Mengen an Blut misst (ca. 3 µl), die mikroskopisch-optische Zellanalyse mit der Blutzählung kombiniert und natürlich dadurch, dass wir mit den physikalischen Zelleigenschaften neue Biomarker erfassen und zur Diagnose verwenden.
Wie planen Sie, die Zukunft der Zell-Physiologie in der Klinik mit Ihrer Technologie zu beeinflussen?
Die Erfassung der Zell-Physiologie ist ein Standard in der klinischen Blutdiagnostik, der zeitaufwändig, durch bspw. anfärben von Blutausstrichen, ist, Fachpersonal benötigt und dadurch teuer ist. Durch die Kombination der mikroskopisch-optischen Zellanalyse, der Erfassung der physikalischen Zelleigenschaften (physiologische Parameter die aktuell nicht erfasst und genutzt werden) und der voll automatisierten, bild-basierten Auswertung der Daten durch künstliche Algorithmen, erweitern wir den Informationsgehalt und vergrößern die Genauigkeit bei der Diagnosefindung. Da dies alles innerhalb von ca. 15 min. geschieht und kein Personal für die Datenerfassung und Probenpräparation benötigt ist das Verfahren kostengünstig und vor allem zeitsparend.
Welche neuen Produkte oder Entwicklungen stehen bei Rivercyte für die nächsten 12 bis 24 Monate an?
In den nächsten 12 bis 24 Monaten fokussieren wir uns auf die Entwicklung eines Prototyps der für die klinische Zulassung verwendet werden soll.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Forschungspartnern wie dem Max-Planck-Institut oder dem Universitätsklinikum Erlangen?
Die Zusammenarbeit mit den universitären und institutionellen Partnern auf der ganzen Welt funktioniert sehr einfach und unkompliziert. Nur die Erstellung von Kooperationsverträgen und der administrative Aufwand im Allgemeinen ist manchmal hakelig und dauert lange.
Wie möchten Sie das Team weiterentwickeln – etwa mit Blick auf neue Disziplinen oder internationale Kooperationen?
In naher Zukunft wollen wir das Team grundsätzlich vergrößern um eine bessere Strukturierung hinzubekommen und die anstehenden Aufgaben effektiv zu bearbeiten. Wir streben danach einen R&D Bereich zu schaffen und diesen vom operativen Geschäft unabhängig zu machen um neue Märkte zu erschließen und strategische Partnerschaften zu etablieren.
Welchen drei Ratschläge möchten Sie anderen Gründer:innen geben, basierend auf Ihrer Erfahrung von der Forschung zur Gründung?
Ich weiß nicht ob ich schon in der Position bin Ratschläge zu geben aber wichtig ist, den Schritt zur Gründung zu wagen, dabei Neugierig auf alles Neue zu bleiben und sich durch rechtliche, administratorische und unerwartete Probleme nicht entmutigen zu lassen.
Bild: Martin Kräter @ Rivercyte
Wir bedanken uns bei Martin Kräter für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.