Taxdoo vereinfacht steuerliche Prozesse für E-Commerce-Unternehmen, indem Buchhaltung und Umsatzsteuer auf einer digitalen Plattform automatisiert und verständlich gemacht werden
Wie kam es zur Entscheidung, AccountDigital zu übernehmen und was war der ausschlaggebende Punkt?
Wir wollten mit Taxdoo seit Tag 1 eine Plattform schaffen, auf der Unternehmen im E-Commerce – die häufig nicht sehr groß sind – all die komplexen Steuer- und Buchhaltungsprozesse auslagern können, damit sie sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren können.
Das ist uns mit dem Thema Umsatzsteuer auch gelungen, weil ich persönlich dafür brenne und in meinem Leben vor Taxdoo nie etwas anderes gemacht habe. Ich wollte aber auch immer, dass Steuern ihren komplizierten Selbstzweck verlieren.
Bei dem Thema Buchhaltung wurde uns dann irgendwann klar, dass wir diese Passion ebenso benötigen – also jemanden mit „Skin in the Game“, der Buchhaltung lebt und dennoch will, dass es durch innovative Produkte aus dem Blickfeld der Nutzer verschwindet. Die Steuerwelt ist klein. Als 2024 die Entscheidung fiel, diese Passion mittels M&A ins Haus zu holen, wussten wir, wen wir ansprechen mussten.
Was bedeutet diese Übernahme strategisch für Taxdoo und wie verändert sie euren Kurs?
Die Übernahme erspart uns viele Jahre an Entwicklungszeit und bereichert das Team mit sehr viel Erfahrung. Stefan Gostomzik und Nadine Jobst, die beiden Gründer von AccountDigital, haben im Bereich der E-Commerce-Buchhaltung wirklich alles gesehen, was man gesehen haben kann. Das ermöglicht es uns, viel schneller auf Augenhöhe auf Steuerkanzleien zuzugehen und sie zu überzeugen, dass eine Plattform wie Taxdoo viele ihrer bisherigen Kernprozesse sicherer und effizienter abbilden kann.
Die Strategie bleibt, aber wir haben das KI-Momentum genutzt, in dem viele in der Steuerwelt noch nach Orientierung suchen, um uns klar zu positionieren.
Welche Zielgruppen profitieren konkret von der Integration der KI-Lösungen von AccountDigital?
Die Zielgruppen sind Unternehmen im E-Commerce und deren Steuerberater/Steuerkanzleien. Diese waren bei den Steuer- und Buchhaltungsthemen häufig in einem ineffizienten Abstimmungsdreieck von Kanzlei-Mandant-Toolanbieter gefangen. Das brechen wir jetzt auf, indem wir den Prozess der Buchhaltung in Gänze abbilden können und dafür natürlich auch die Verantwortung tragen.
Wie verändert Künstliche Intelligenz aktuell die Steuerberatung – und wo steht die Branche in fünf Jahren?
Die Steuerberatung steht vor einem fundamentalen Wandel durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Bereits heute treten Mandanten mit KI-generierten Steuergutachten an ihre Berater heran, die inhaltlich auf dem Niveau eines Big4-Associates liegen. Angesichts der Tatsache, dass diese Modelle meist nur mit öffentlich zugänglichem Steuerwissen trainiert wurden, ist es lediglich eine Frage von Monaten, bis Sprachmodelle wie ChatGPT auch komplexe steuerliche Sachverhalte zu 100 Prozent korrekt beurteilen können.
Dies wird die Rolle von Steuerberatern grundlegend verändern. Derzeit basiert ein Großteil ihrer Tätigkeit auf reaktiver Wissensvermittlung und repetitiven Aufgaben wie der Buchhaltung. Diese Bereiche werden vollständig wegfallen, da generative KI hier deutlich effizienter ist und in spätestens fünf Jahren qualitativ bessere Ergebnisse liefern wird, als es ein Mensch im Durchschnitt jemals könnte.
Die Zukunft der Steuerberatung liegt in der proaktiven, strategischen Beratung, die menschliche Kreativität, Empathie und ethisches Urteilsvermögen erfordert – Fähigkeiten, die KI nicht ersetzen kann.
Was unterscheidet Taxdoo nach der Übernahme technologisch und inhaltlich vom Wettbewerb?
Durch die Übernahme von einem 30-köpfigen Team aus Buchhaltern und Buchhaltungsexperten sowie 1000 Kunden haben wir eine Daten- und Prozessbasis, auf der wir unsere Sprachmodelle sehr effizient trainieren können. Wir glauben, dass wir trotz starkem Wachstum im Bereich der Buchhaltung das Team nicht signifikant vergrößern müssen, da diese stetig effizienter werden. Wir verbinden die Effizienz von KI mit der Umsicht von Fachkräften auf einer Plattform. Das ist einzigartig.
Wie gelingt es euch, Steuerprozesse nicht nur zu automatisieren, sondern auch verständlich zu machen?
Das machen wir auf zwei Wegen. Zunächst haben wir ein Team aus Produktdesignern, die mittlerweile auch ein fundiertes Steuerwissen haben. Die aber auch, dass die Nutzer nicht zwingend für Steuerrecht brennen, sondern ihre Arbeit damit möglichst intuitiv erledigen wollen. Denen würde ich auch niemals in ihre Arbeit hereinreden.
Der zweite Weg ist die Kommunikation an sich in Marketing, Sales, Support. Alle Teammitglieder wissen, dass Steuern, Buchhaltung etc. für die wenigsten Menschen einen Selbstzweck haben, sondern möglichst schnell und effizient erledigt werden sollten. Daher versuchen wir bei allem immer direkt auf den Kern zu kommen und haben uns schon vor Jahren von Claims wie „VAT is Love“ verabschiedet.
Welche Herausforderungen bringt die Integration zweier Unternehmen mit sich?
Der größte Unterschied besteht natürlich zunächst in der Unternehmenskultur. Beide Unternehmen sind sehr geprägt von den Gründern. Das fängt bei der Meetingkultur an und hört nicht bei der Erfassung von Arbeitszeiten auf. Hier gilt es, den Spirit der Gründer zu erhalten und dennoch zu einem gemeinsamen Fundament zu kommen. Das ist eine Herausforderung. Am besten beginnt man damit, zusammen zu feiern. Das haben wir kürzlich auf dem ersten gemeinsamen Taxdoo-Account-Digital-Sommerfest getan.
War es von Anfang an Teil eurer Vision, Taxdoo durch gezielte Zukäufe weiterzuentwickeln?
Nein. Zu Beginn war es die Vision, alles aus eigener Kraft und organisch zu lösen. Irgendwann kamen wir an den Punkt, an dem wir merkten, dass die Account-Digital-Gründer uns im Bereich Buchhaltung technologisch voraus waren. Das lag insbesondere daran, dass Stefan und Nadine eine Passion für das Thema haben. Genau diese Passion haben wir gesucht und sie auf diesem Weg gefunden.
Wie sieht euer gemeinsames Produktportfolio künftig aus und welche Entwicklungen sind geplant?
Unser Asset sind natürlich die Daten. Wir wickeln aktuell ca. 12 Mrd. Euro GMV pro Jahr im E-Commerce ab. Das wollen wir nutzbar machen, damit Unternehmen und auch Steuer- und Rechtsexperten in Zukunft bessere Entscheidungen treffen können.
Ein Beispiel ist, dass wir mittels KI steuerliche Gestaltungen und deren Auswirkungen auf Unternehmensebene simulieren wollen.
Was braucht es eurer Meinung nach, damit deutsche Unternehmen mutiger in Richtung Digitalisierung und KI gehen?
Ganz ehrlich: Es ist alles vorhanden. Die KI-Infrastruktur ist da. Deutschland gehört schon jetzt weltweit zu den Top-5-Nutzern in absoluten Zahlen von OpenAI. In meiner Start-up-Bubble kenne ich keine Gründerin und keinen Gründer, die nicht einem AI-first-Ansatz folgen.
Ich sehe die Herausforderung in der Transformation an sich mit den bekannten Transformationsmustern. In vielen klassischen Branchen wird KI entweder als Bedrohung wahrgenommen oder als unausgereifte Technologie, wenn es gerade in meiner Steuerwelt zu „Halluzinationen“ kommt.
Dabei hilft nur eines: Den Mut zu haben, mit greifbaren Use Cases voranzugehen und zu zeigen, dass KI uns nicht alle wegrationalisiert, sondern uns von drögen Arbeiten befreien kann – wie z. B. der Buchhaltung.
Wie erlebt ihr den Wandel der steuerberatenden Branche aus Sicht eines technologiegetriebenen Unternehmens?
Im Durchschnitt würde ich von einer optimistischen Skepsis sprechen. Viele in der Steuerbranche wissen, dass generative KI ihre Arbeit grundlegend verändern wird. Wenn man dann aber selbst zum Disruptor und zeitgleich Überbringer dieser Botschaft wird, dann wird man nicht überall mit offenen Armen empfangen.
Dennoch braucht es für den Anfang keine hundertprozentige Überzeugung im Markt, sondern nur wenige Steuerkanzleien, die hier voranschreiten wollen. Diese haben wir gefunden und setzen darauf, dass die anderen nachziehen werden, wenn sie sehen, dass es funktioniert.
Welche drei Ratschläge würdest du Gründerinnen und Gründern mitgeben, die in regulierten Märkten wie dem Steuerwesen durchstarten wollen?
Erstens: Du brauchst im Gründerteam auf jeden Fall jemanden, der diese Regulatorik, die du anpacken willst, grundlegend verstanden hat – idealerweise einen anerkannten Branchenexperten. Häufig sehe ich Start-ups in diesem Bereich, die sich dieses Wissen dann punktuell von externen Beratern holen. Das kann meiner Meinung nach nicht funktionieren, weil du sonst bei jedem Gegenargument aus diesem starren Markt aus dem Takt kommst.
Zweitens: Baue schnell ein MVP und geh damit raus. Gerade im Steuerwesen greifst du in der Regel tief in Unternehmensprozesse ein, sodass du schnell Rückmeldungen der Nutzer benötigst, um das Produkt weiterzuentwickeln.
Drittens: Sorge dafür, dass dein Produktteam bei allen Entscheidungen in Bezug auf das Produkt im Lead ist – und nicht die internen oder externen Steuerexperten. Diese denken oft viel zu komplex und kompliziert. Zapfe daher nur ihr Regulierungswissen an.
Bild: v.l. Christian Königsheim, CEO und Co-Founder und Roger Gothmann, Geschäftsführer und Co-Founder @ Taxdoo
Wir bedanken uns bei Roger Gothmann für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.