Vietnam: Das Land der Motorräder. In der Hauptstadt Hanoi allein sollen circa 5,7 Millionen Motorräder registriert sein, in ganz Vietnam über 40 Millionen – und das bei knapp 90 Millionen Einwohnern. Doch das soll sich ändern. Motorräder sollen aufgrund der verursachten Lärm- und Umweltbelastung aus den großen Städten verbannt werden.[1]
Zeitgleich entwickelt sich Vietnam zu einem zentralen Dreh- und Angelpunkt der internationalen Automobilindustrie. Bis 2045 will die vietnamesische Automobilindustrie zwischen 5 und 6 Millionen Fahrzeuge verkaufen. Das Besondere dabei: 80-85% dieser Autos sollen in Vietnam selbst hergestellt werden.[2] Diese Prognosen kommen nicht von ungefähr. Marken wie Mercedes-Benz, Toyota, Kia, Mazda und Peugeot produzieren schon heute ihre Autos auch in Vietnam. Neben diesen internationalen Marken gibt es lokale Autobauer wie VinFast – die erste vietnamesische Automobilmarke, die vor Ort montiert wird. Darüber hinaus sind BMW (über Thaco), Ford, Suzuki, Honda und Hyundai in Vietnam vertreten.
Aber warum ausgerechnet hier? Kommt das Auto der Zukunft vielleicht bald schon aus Vietnam?
Vietnam liegt zentral inmitten wichtiger globaler Versorgungsketten und Handelsrouten in Südostasien und gilt daher als strategisches Drehkreuz für den Zugang zu den regionalen Märkten. Das Land ist die derzeit am schnellsten wachsende digitale Wirtschaft Südostasiens und weist eine der höchsten BIP-Wachstumsraten in der Region auf. Vietnam entwickelt sich zu einem attraktiven Ziel für Outsourcing, Fertigung und IKT-Dienstleistungen. Es hat sein Geschäftsumfeld und seine Produktionskapazitäten verbessert, um ausländischen Investoren und Exporteuren bessere Rahmenbedingungen zu bieten. Diese profitieren von wettbewerbsfähigen Arbeitskosten sowie erheblichen Infrastrukturinvestitionen.
Zudem hat die vietnamesische Regierung Steueranreize für ausländische Unternehmen, insbesondere in den Bereichen Technologie, Innovation und Fertigung, eingeführt. Dank bestehender Handelsabkommen mit der EU, den USA, Südkorea und Japan sowie seiner modernen Infrastruktur und einer jungen, technologieaffinen Belegschaft etabliert sich Vietnam zunehmend als attraktiver Standort für die Automobilindustrie und andere Branchen.
Von dem Interesse der internationalen Automobilindustrie an Vietnam als Standort für die Automobilherstellung kann vor allem der vietnamesische Technologiesektor profitieren. Erst kürzlich hat NVIDIA mit der vietnamesischen Regierung zusammengearbeitet, um ein KI-Forschungs- und Entwicklungszentrum (F&E) und ein KI-Datenzentrum in Vietnam einzurichten. Hierdurch soll insbesondere die Entwicklung von KI-gestützten softwaredefinierten Fahrzeugen beschleunigt werden.
Der Bedarf ist da, da sind sich alle einig: Künstliche Intelligenz wird die Zukunft der Automobilindustrie verändern, nicht nur als Spitzentechnologie, sondern als ein strategischer Wegbereiter, der die Marktlandschaft neu definiert.
79 % der Führungskräfte in der Automobilindustrie [3] sagen einen bedeutenden KI-gestützten Wandel ihrer Branche in den nächsten drei Jahren voraus. Die Mehrheit der Kunden sieht deutliche Verbesserungspotenziale von Funktionen und Features durch den Einsatz von KI.[4] Der Markt für Künstliche Intelligenz in der Automotive-Industrie deutet bereits jetzt auf ein bemerkenswertes Wachstum hin: Es ist ein Anstieg von ca. 4 Milliarden im letzten Jahr auf 15 Milliarden US-Dollar bis 2030 prognostiziert.[5] Für Unternehmen in der Branche ist die Nutzung von Künstlicher Intelligenz daher unerlässlich, um in dem sich rasant entwickelnden Sektor wettbewerbsfähig zu bleiben.
In Vietnam beteiligen sich große Technologieunternehmen direkt an der Entwicklung von KI in der landesweiten Automobilindustrie. FPT, ein IT-Dienstleister mit weltweit über 54.000 Mitarbeitenden, konnte im Vergleich zum Vorjahr ein Wachstum von 40% im Automobil-Geschäftsbereich verzeichnen. Der Fokus liegt auf der Entwicklung von Service-orientierten Fahrzeugdiagnosen, bei der KI-gestützte vorausschauende Wartungssysteme eingesetzt werden, um potenzielle Fahrzeugprobleme zu erkennen und eine rechtzeitige und proaktive Wartung zu ermöglichen. Dieser Ansatz hat zu einer 70-prozentigen Verringerung der Diagnosezeit für die Pannenerkennung und zu einer 25-prozentigen Verringerung der Reparaturzeit durch Echtzeit-Datenanalyse geführt. Darüber hinaus konnten die Emissionen um 30 % und der Energieverbrauch um 25 % gesenkt werden. Solche KI-gestützten Systeme können schon bald weltweit industrieller Standard werden.
Unterstützt durch eine starke staatliche Förderung und privatwirtschaftliche Initiativen von Konzernen entwickelt sich Vietnam zu einer tragenden Größe in der Entwicklung von KI-unterstützten Fahrzeugen und könnte vom Land der Motorräder zum Land der selbstfahrenden Autos der Zukunft werden.
[1] Smog und Lärm: Vietnam will Zahl der Motorräder bis 2030 drastisch reduzieren | heise autos
[2] Việt Nam sets ambitious target of one million car sales in 2030
[3] https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/us/Documents/consulting/us-state-of-gen-ai-report.pdf
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