Schlägt man eine beliebige Wirtschaftszeitung auf, liest von Blockchain, autonomem Fahren und KI, meint man bereits in der Zukunft angekommen zu sein.
Leider wird man noch nicht vom eigenen Auto zur Arbeit gefahren und noch immer verliert man zu viel Zeit durch den täglich anfallenden Papierkram. Letzteres ist besonders schmerzhaft, da KI hier längst Abhilfe schaffen kann. Denn geht es um die Verarbeitung von Dokumenten durch Algorithmen ist die Zukunft längst Gegenwart. Oft spürt man davon jedoch noch nichts und das trifft meist diejenigen hart, bei denen besonders viel Papierarbeit anfällt – die Selbstständigen. Diese vergeuden jährlich beinahe 25 Tage mit Reisekostenabrechnung, Rechnungsstellung, Buchhaltung und steuerlichen Fragen. Hochgerechnet entspricht dies einem durchschnittlichen Verdienstausfall von 11.000 € im Jahr.
Gerade junge Gründer unterschätzen diesen Faktor. Voller Elan stürzen sie sich in das Abenteuer der Verwirklichung ihrer Geschäftsideen und werden bald schon von den gnadenlosen Anforderungen der Bürokratie und unzähligen Behördengängen gebremst oder gar übermannt. Es ist ungemein frustrierend, sich um Formalien kümmern zu müssen, wenn doch die spielentscheidenden Aktionen im Kerngeschäft passieren. Leider kommt hier auch von politischer Seite noch zu wenig Unterstützung. Wer einen Blick nach Frankreich wagt, kann am Beispiel der Microentreprise sehen, wie entschlankte Bürokratie für Gründer funktionieren kann. Diese Geschäftsform benötigt keinerlei Buchführung und soll gerade neuen Unternehmen den Einstieg erleichtern. Ein deutsches Pendant steht leider noch nicht in Aussicht.
Da den Gründern diese Arbeit also nicht erspart bleibt, suchen viele Unternehmen durch KI und Automatisierung Auswege zu finden
So wollen sie Existenzgründern die Last von den Schultern nehmen und den Weg in die Selbstständigkeit erleichtern. Künstliche Intelligenz bleibt dabei, zumindest vorerst, nachgeahmte Intelligenz. Die Kreativität des Menschen können Maschinen nicht im vollen Maße nachbilden. Nichtsdestoweniger setzen Algorithmen bereits Lernprozesse um, heißt mit je mehr Daten man füttert, umso diffiziler und genauer entwickeln sich Prozesse. Das einfachste Beispiel ist vielleicht Schach. Je mehr Züge, Taktiken und komplette Spielabfolgen der Rechner kennt, umso besser spielt er und kann zuletzt selbst Profis besiegen. Selbstständige spielen aber leider selten Schach, und wenn dann meist in der Freizeit. Automatisierten Lösungen können hier an zwei anderen Stellen ansetzen, bei der Buchhaltung und beim Banking.
Viele Gründer scheitern bereits auf den ersten Metern, weil sie es ihnen nicht gelingt, ihre Finanzen und ihre Buchhaltung auf ein solides Fundament zu stellen. Unternehmerische Entscheidungen sollten nie auf Grundlage von „unternehmerischer Intuition“, sondern stets auf Grundlage von Echtzeitunternehmensdaten getroffen werden. KI liefert diese Daten und vermag auch zuverlässige Prognosen zu liefern. Früher gab es zwei Möglichkeiten: entweder, man besaß selbst die nötige Expertise, um den Unternehmensdampfer auf erfolgreichem Kurs zu halten oder man musste sich dieses Know-how in der Form eines festangestellten Buchhalters oder auch eines teuren Steuerberaters einkaufen. Cloudbasierte Software ändert nun die Spielregeln in diesem Bereich komplett. Heute genügen schon rudimentäre Kenntnisse und Fähigkeiten, um den Papierkrieg mit Hilfe der intelligenten Software ohne fremde Hilfe zu meistern. Ähnlich den Schachzügen kann die KI verschiedene Dokumente und Ihre Inhalte erkennen, kategorisieren und auswerten.
Einen Vorteil hat Bürokratie – Prozesse sind oft normiert.
Alle Eventualitäten, die bei der Buchhaltung auftreten können, sind somit bereits Teil des Algorithmus. Ein Algorithmus der jederzeit und wesentlich schneller als der Mensch auf einen aktuellen Wissensstand gebracht werden kann. Längst ist man dementsprechend soweit, dass automatische Belegerkennung und automatische Dateneingabe durch Maschinen mit einer weit geringeren Fehlerquote als durch Menschen durchgeführt werden kann. Wer es hier schafft loszulassen und die Bürokratie dem Roboter zu überlassen hat die Hände frei dafür, sein Unternehmen aktiv zu gestalten. Machine Learning-Algorithmen lernen Muster zu erkennen, kategorisieren eingehende Rechnungen (z.B. von Lieferanten und Geschäftspartnern) und verbuchen diese dann auch automatisch. Das System lernt mit jeder verarbeiteten Rechnung dazu und wird somit immer besser. In Standardfällen wie z.B. Tankbelegen, Amazon-Rechnungen und Bahntickets geht die automatische Belegerkennung heute schon gegen 100%.
Auch in puncto Banking kann KI Selbstständige im starkem Maße unterstützen, nicht zuletzt bei der Erstellung eines Finanzplans oder einer Liquiditätsprognosse
Die eingehenden Daten bleiben hier ebenfalls der Schlüssel. Wenn Kunden ihre Rechnungen z. B. regelmäßig erst kurz vor dem Fälligkeitsdatum bezahlen, merkt sich dies das System und lässt dieses Wissen in die Prognose mit einfließen. Gleiches gilt für wiederkehrende Kunden, die Rechnung immer erst nach gewisser Zeit bezahlen, auch hier können Modelle geschaffen werden, die Informationen mittels rekurrenten neuronalen Netzen ausgeben. Rekurrent meint rückgekoppelt. Also ein Netz in dem eine Schicht an Neuronen nicht nur an die nachfolgende, sondern auch an die vorhergehende Neuronen-Schicht angeschlossen ist. Nicht anders als im menschlichen Gehirn. Ein solches Netz lernt Verhaltensmuster von Nutzer, Kunden, Lieferanten zu erkennen und ermöglicht Selbstständigen letztlich Finanzentscheidungen in Echtzeit.
Prozesse, die ehemals Zeit und Geld in Anspruch genommen haben, manchmal sogar von Intuition abhingen, werden Stück für Stück automatisiert. Künstliche Intelligenz erleichtert somit die Selbstständigkeit. Zugleich kann die durch den deutschen Bürokratiewahnsinn verlorengegangene Zeit durch intelligente Lösungen wiederaufgeholt werden. Den Mut zur Selbstständigkeit muss zwar noch immer jeder selbst finden, der beschwerliche Weg ist jedoch ein leichterer geworden, erklärt man dem Papierkrieg das Ende und die KI zum Sieger.
Autor: Fabian Silberer
Fabian Silberer ist Gründer und Geschäftsführer von sevDesk, einer cloudbasierten Buchhaltungssoftware für Selbstständige und Kleinunternehmer. Im Jahr 2013 gründete er zusammen mit seinem damaligen Studienfreund Marco Reinbold das Software-Startup, welches heute mehr als 65.000 Kunden vorweisen kann.
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