Donnerstag, Juli 3, 2025
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Wie viel Wandel passt in einen Wäscheschrank?

erlich textil steht für nachhaltige Unterwäsche mit Anspruch an Fairness, Transparenz und zeitloses Design

Was ist die Gründungsgeschichte von erlich textil und wie hat sich daraus eine der führenden Marken für nachhaltige Unterwäsche entwickelt?

Als wir 2016 erlich textil gründeten, haben uns zwei Dinge besonders neugierig gemacht: Wie weit kommt man eigentlich in Deutschland mit ‚Online Only‘ – D2C war damals noch kein gängiger Begriff. Und: Warum gibt es eigentlich keine Unterwäschemarke, die nachhaltig ist und trotzdem cool?
Im Gründungskreis achteten wir bereits auf nachhaltigen Konsum – bei Ernährung, Kosmetik und Kleidung, nur in den Unterwäscheschubladen tummelten sich noch Fast-Fashion-Marken. Das passte nicht zusammen. Unser Ziel: Wohlfühlen auf ganzer Linie mit dem Produkt, den verwendeten Materialien, dem Gewissen und das Ganze mit Ästhtetik und Love Brand Ambition.
Als uns Anfang 2022 die Calida Holding aus der Schweiz übernommen hat, waren genau die beiden Schwerpunkte auch die Key Assets, wegen derer sie aufmerksam geworden waren: gelebte, authentische Nachhaltigkeit ohne verstaubten Look und Social Media Kompetenz, die nach wie vor der Hauptbestandteil unserer Marketingaktivitäten ist.
Bis heute macht das einen großen Teil des Erfolges von erlich textil aus.

Welche persönlichen Erfahrungen und Werte haben dich, Sarah Grohé, dazu bewegt, erlich textil ins Leben zu rufen?

Mein erster Job hatte fast alles, was ich mir nach dem Modedesignstudium als Jobeinstieg gewünscht habe: Start-Up Umfeld, direkt Verantwortung, direkt richtig selbst gestalten, mittendrin in der Branche, mit Fokus auf Management. Was er auch hatte: direkten Kontakt mit Fast Fashion, direkte chemische Duftwolken aus den Neuware Polybags und viele Eindrücke davon, wie es ist, in einer der schmutzigsten Branchen der Welt zu arbeiten.
Meine Sinnkrise kam mit Mitte 20: Ich war umwelt- und ethikbewusst erzogen worden und merkte, wie wenig das mit meinem Job vereinbar war. Ein persönlicher Schicksalsschlag verstärkte diesen Bruch – ich wollte in der Branche bleiben, aber etwas besser machen. Das mündete in einer ersten Gründung und die Erfahrungen daraus letztendlich in der Gründung von erlich textil 2016.

Wie lebt erlich textil heute seine Vision von einer fairen und transparenten Textilproduktion im Alltag?

Wie seit 2016: auf Augenhöhe mit den produzierenden Betrieben, persönlichem Kontakt und offenen Gesprächen über Nachhaltigkeitsansätze und wie diese gemeinsam gestärkt werden können. Grundsätzlich suchen wir unsere Produktionspartnerbetriebe nach strengeren Kriterien aus. Das ist ein Mix aus räumlicher Nähe, Zertifikaten, persönlichem Kennenlernen und Referenzkunde:Innen. Außerdem ist es uns sehr wichtig, den ‚Nachhaltigkeitsanspruch‘ nicht auf den textilen Bereich der Produktlieferkette zu beschränken: Wir sehen uns als Unternehmen in der Verantwortung, unsere Reichweite und Kommunikationsmöglichkeiten vor allem auch für gesellschaftlichen Wandel einzusetzen.

Wer gehört zur Zielgruppe von erlich textil und wie schafft ihr es, die Bedürfnisse dieser Menschen authentisch zu erfüllen?

Unsere Käuferschaft ist hauptsächlich weiblich. Das Sortiment an Frauenunterwäsche und Dessous macht rund 75% unseres Jahresumsatzes aus. Die Kerngruppe ist zwischen Ende 20 und Ende 40 Jahre alt, fluent, meist im urbanen Raum angesiedelt und hat zumindest ein Verständnis von Nachhaltigkeit im aktuellen Weltgeschehen.
Unser Nachhaltigkeitsanspruch ist aber sicher nicht immer das ausschlaggebende Kaufargument. Aktuell bekommen auch Kampagnen mit gesellschaftlichen Themen und klarer Positionierung gegen gewisse politische Richtungen besonders viel Aufmerksamkeit. Dazu übernehmen wir bewusst Verantwortung, um zum Beispiel Radikalisierung unter jüngeren Menschen entgegenzutreten.

Was sind aus deiner Sicht die größten Herausforderungen in der nachhaltigen Textilbranche – und wie geht ihr bei erlich textil damit um?

Ein großes Anfangsthema waren die Mindestmengen, die nötig sind, um zertifizierte Baumwolle oder Garne beziehen zu können. Wir setzten daher auf pflanzliche, aber nicht immer biologisch angebaute Fasern – transparent kommuniziert eher ein Zeichen für unsere Glaubwürdigkeit als eine Einschränkung. Ein anderes Thema: Lieferkettentransparenz, für uns das A und O. Wenn Produktionsbetriebe Zulieferer oder Dokumente aufgrund von Vertraulichkeitsansprüchen nicht zur Verfügung stellen konnten oder wollten, war für uns schnell ein Punkt erreicht, an dem wir nicht weiter zusammenarbeiteten. Hier ist inzwischen unsere Richtlinie: Wer für uns produzieren möchte, muss sich auf retraced registrieren, einer Blockchain-basierten Plattform, die Vertraulichkeit sichert und uns erlaubt, Zertifikate extern prüfen zu lassen. Das ist wichtig, da wir als kleines Team keine eigenen Audits durchführen können.

Der Markt für nachhaltige Mode ist gewachsen. Was macht erlich textil dennoch einzigartig?

Unser umfassendes Verständnis und die entsprechende Umsetzung des Begriffes ‚Nachhaltigkeit‘, auch über die textile Lieferkette hinaus. Allem voran die wahr- und ernst genommene Verantwortung, die wir als Wirtschaftsteilnehmende gegenüber der Gesellschaft haben.

Wie gelingt es euch, beim Design zwischen zeitloser Ästhetik und Funktionalität die richtige Balance zu finden?

Wir sind sehr klar in dem, was wir ästhetisch finden und was nicht. Das ist immer der Ausgangspunkt. Wenn wir es dann nicht schaffen, die Funktionalität und die ökologischen Nachhaltigkeitsansprüche in einen Entwurf einzubauen, wird der Artikel eher nicht umgesetzt, als an einer der drei Stellen signifikante Abstriche zu machen.

Wie hat sich die Rückübernahme von erlich textil im Rahmen des Management-Buy-Outs 2023 auf deine Rolle und das Unternehmen ausgewirkt?

Enorm. Ich bin nach wie vor Geschäftsführerin, nun wieder in einem einstelligen Team, so wie 2017/18 das letzte Mal. Die Umsätze sind auch eher auf der Höhe wie vor 2020, aber die Erfahrung im Team auf einem vollkommen anderen Level.
Für mich als Geschäftsführerin bedeutet das vor allem, dass ich kein eigenes operatives Tagesgeschäft mehr verantworten muss, sondern mich auf Business Development, Kommunikation und Markenbekanntheit konzentrieren kann. Das ist herausfordernd, nicht wegen des Delegierens, sondern weil ich mich auf Bühnen oder im Mittelpunkt weniger wohlfühle. Sehr schätze ich hingegen die Rolle als Sparringspartnerin für alle Abteilungen und den Raum für menschlichen Austausch – besonders wichtig bei 100 % Remote Work, was sich als großer Gewinn zeigt.

Fürs Unternehmen hat der Rückkauf ermöglicht, dass meine sehr erfahrenen Mitarbeitenden – seit dem MBO nun auch Mitbesitzer:innen – ihre Stärken voll konzentriert auf das Unternehmen und die Marke einbringen können. Trotz ähnlicher Teamgröße wie vor fünf Jahren arbeiten wir heute deutlich effizienter und fokussierter.
Es fühlt sich an, als hätten wir sieben Jahre ausprobiert, zwei Jahre hinterfragt – und sehen jetzt unsere Prioritäten so klar wie nie zuvor.

Welche strategischen Schritte plant ihr für die nächsten Jahre. Gibt es neue Produktbereiche oder Kooperationen?

Es wird nach dem neuen Fokus auf nachhaltige Lingerie auch eine Verbreiterung in einem weiteren Sortimentsbereich geben, dazu kann ich aber noch nicht mehr sagen.
Außerdem machen wir gerade schöne Erfahrungen damit, andere Brands, die ähnliche Ziele verfolgen wie wir, mit ins Sortiment aufzunehmen. Dadurch können wir unser Angebot gegenüber den Konsument:Innen verbreitern und für Brands teilweise als Sprungbrett in den Markt fungieren. Das funktioniert erfreulich gut für alle Seiten bisher.
Der größte strategische Schritt wird, dass wir den Bereich B2B nochmal ganz neu aufsetzen werden, um erlich endgültig nicht mehr nur online, sondern auch flächendeckend offline verfügbar und erlebbar zu machen. Das gilt für DACH, aber auch darüber hinaus.

Welche Rolle spielen Werte wie Diversität, Familienfreundlichkeit und Mentoring in deinem unternehmerischen Alltag?

Diversität ist für uns als Marke ein ganz wichtiger Bestandteil der Außenkommunikation. Interessanterweise spiegelt sich diese Diversität im Team intern aber nicht sehr wider. Das Team ist sehr klein, das kann also noch werden. Eine besonders große Rolle spielt im Team Familienfreundlichkeit. Inzwischen sind wir zwar irgendwie immer noch Start-Up, aber im Leben alle schon viel gesettelter. Es ist ungemein entspannend, mit dieser Teamkonstellation zusammenzuarbeiten.

Alle leben in einem familiären Umfeld, mit oder ohne Kinder, an unterschiedlichen Orten, mit überhaupt nicht unterschiedlicher Priorität: Familie zuerst, immer. Wir arbeiten hundertprozentig remote, leben nicht mehr alle in der gleichen Stadt und haben uns dennoch ein riesengroßes Vertrauen im Team erarbeitet.
Mentoring würde ich gern noch mehr Raum geben. Daher versuche ich, auf Veranstaltungen zu sprechen, bei denen ich vornehmlich junge Menschen, Fokus Frauen, erreiche. Mit meiner Geschichte möchte ich sehr gerne inspirieren und ermutigen, sich eine Unternehmerinnenreise zuzutrauen. Ich bin Mutter einer Tochter, das hängt den Anspruch an der Stelle natürlich hoch!

Was können junge Gründerinnen und Gründer aus deiner Erfahrung über nachhaltiges Wachstum lernen?

Am Anfang sind zwei Dinge ganz besonders wichtig: (1) Flexibel bleiben: Wenn die Standardlösung nicht funktioniert, wirf nicht gleich das Handtuch, sondern lieber den Standard über Bord – mit frischen und neuen Blickwinkeln auf eine Herausforderung, findet sich immer eine Lösung. Manchmal erfordert das unbequem(er)e und langwierige Wege, aber die in Kauf zu nehmen, hat sich für mich ausgezahlt. (2) Hilfe holen: Niemand kann als Gründer:In von Anfang an alles am besten. Die Menschen, die ich am aufrichtigsten um Hilfe gebeten habe, waren die, die mir rückblickend auch am allermeisten geholfen haben. Inzwischen sehe ich es als eine enorme Stärke an klar zu verstehen, was ich oder wir im Team selber können, und wobei wir Hilfe benötigen. Gezielt nach Expert:innen auf dem ein oder anderen Gebiet zu suchen spart Ressourcen, Kraft und Nerven. Vor allem am Anfang…

Welchen persönlichen Antrieb brauchst du, um ein Unternehmen wie erlich textil über so viele Jahre mit Klarheit und Konsequenz zu führen?

Die Klarheit und Konsequenz, die ich heute habe, sind das Ergebnis von anhaltender Neugierde und Lernbreitschaft, dem Selbstvertrauen, auch ein (berufliches) Scheitern aushalten zu können und dem starken intrinsischen Wunsch, meinen persönlichen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten – und das in der Branche, für die ich mich mit meiner Studienwahl nun mal entschieden hatte. Selbstwirksamkeit ist ein tolles Gefühl, etwas, das mir sehr viel Zufriedenheit gibt und Selbstbestimmtheit ist mein Schlüssel dazu.

Bild: Sarah Grohé @ erlich textil

Wir bedanken uns bei Sarah Grohé für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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