Mittwoch, Oktober 1, 2025
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Wissen ist Macht – auch was die eigene Hormongesundheit betrifft

Hormone steuern unser gesamtes Leben. Um sich und den eigenen Körper besser zu verstehen, hilft es, die großen hormonellen Umstellungen im Leben einer Frau zu kennen. Welche sind das?

Die gesamte fruchtbare Zeit ab den ersten Eisprüngen, also der Pubertät, gilt als Prämenopause. Statistisch gesehen tritt für die meisten Frauen mit etwa 45 die Perimenopause ein: Die Wechseljahre beginnen. Die letzte Monatsblutung, die Menopause, tritt statistisch betrachtet im Alter von 51 Jahren ein. Zwölf Monate nach der Menopause, also nach der letzten Blutung, beginnt die Postmenopause. All diese Phasen gehen mit eigenen hormonellen Veränderungen einher. Aber auch die Zeit zwischen Mitte 30 und 40 Jahren ist für viele Frauen bereits eine Zeit der Veränderung. Ich nenne diese Phase „In-Between”.

Welche Symptome können In-Betweeners erleben?

Viele Frauen erzählen, dass sie in der zweiten Hälfte des Zyklus das Gefühl haben, neben sich zu stehen. Sie schlafen schlechter, haben Wassereinlagerungen, die Brust spannt. Mit Einsetzen der Menstruation fühlen sie sich deutlich besser.

Was geschieht in dieser Zeit?

Die Eizellenreserven neigen sich langsam dem Ende zu. Der Körper reagiert darauf sehr schlau und schaltet auf Sparflamme – er spart immer mal wieder einen Eisprung ein. Wenn wir keinen Eisprung haben, in sogenannten anovulatorischen Zyklen, bildet unser Körper kein Progesteron, denn das Gelbkörperhormon wird zum allergrößten Teil im Eierstock direkt nach dem Eisprung gebildet. Progesteron ist unser Wohlfühlhormon. Es wirkt angstlösend, ausgleichend, wasserausscheidend und fördert den Schlaf. Wenn es fehlt, macht sich das natürlich bemerkbar.

Und warum wurde diese Lebensphase bisher wissenschaftlich und gesellschaftlich kaum besprochen?

Wir Frauen sind extrem leidensfähig und schieben diese Anzeichen meist auf Stress bei der Arbeit oder mit den Kindern. Denn es gibt immer tausend andere Dinge, die im Alltag wichtiger sind als unser eigenes Wohlbefinden.

Erkrankungen wie Endometriose und Symptome der Perimenopause werden oft jahrelang nicht als solche erkannt. Jetzt boomen diese Themen in den sozialen Medien. Helfen Accounts wie deiner dabei, Frauen besser aufzuklären?

Es ist einerseits toll, dass die Themen Hormone und Wechseljahre endlich richtig boomen, denn das schafft Aufmerksamkeit. Aber das führt auch dazu, dass die sozialen Medien mit Falschinformationen geflutet werden. Jede:r darf sich Wechseljahresberater:in oder Hormoncoach nennen, darum glaube ich, dass es für Frauen heute zwar leichter ist, an Informationen zu kommen, aber genauso schwer, sich in diesem Dickicht an (Falsch)Informationen zu orientieren.

Lass uns einige Mythen und Falschaussagen aus dem Weg räumen. Zum Beispiel hören viele Frauen mit Wechseljahresbeschwerden: „Da müssen Sie einfach durch.“

Medizinisch sind diese Aussagen totaler Unsinn. Im Gegenteil: Jede Frau sollte versuchen, dem Abfall der Geschlechtshormone präventiv oder reaktiv zu begegnen. Denn Hormone haben wichtige Schutzfunktionen für den Körper. Statistisch gesehen werden Frauen älter als Männer, allerdings in einem um bis zu 25 % schlechteren Gesundheitszustand. Um gesund alt zu werden, sollten verschiedene Puzzleteile zusammengesetzt werden. Dazu zählen eine gesunde, ausgewogene und am besten antientzündliche Ernährung, eine ausreichende Zufuhr von Mikronährstoffen und körperliche Bewegung, vor allem mit dem Fokus auf Krafttraining. Zudem können die fehlenden Hormone ausgeglichen werden. Hormonwechsel sind Brandbeschleuniger für Demenz, Osteoporose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen – und die sind auch bei Frauen die Todesursache Nr. 1!

Viele Frauen glauben, dass die Pille und die Hormonersatztherapie (HRT, englisch: Hormone Replacement Therapy) das Krebsrisiko erhöhen. Was ist da dran?

Ja, das Thema ist gerade sehr aktuell, weil die WHO (World Health Organization) die Kombinationspille in die Kategorie 1 der karzinogenen Stoffe eingestuft hat, zu denen beispielsweise Asbest, Nikotin und Alkohol gehören. Das ist allerdings alles viel komplexer, als es auf eine einfache Einstufung herunterbrechen zu können. Es ist richtig, dass bei einer bioidentischen Hormonersatztherapie mit Estradiol und mikronisiertem Progesteron, die länger als fünf (eher acht oder neun) Jahre dauert, das Brustkrebsrisiko statistisch minimal ansteigt. Dieses Risiko muss man aber ins Verhältnis setzen! Es ist kleiner als das Risiko durch ein Glas Wein pro Tag. Es ist kleiner als das Risiko durch Übergewicht, zu wenig Bewegung oder durch Nikotin. Im Gegenteil: Wir wissen, dass substituierte Hormone, wenn sie individuell richtig dosiert werden, vor Alterserkrankungen wie Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Darmkrebs und – wenn man rechtzeitig anfängt – auch vor Demenz schützen!

Ein weiterer Mythos ist: „Ganz oder gar nicht.” Also: Aushalten oder eine Hormonersatztherapie (HRT) machen. Welche weiteren Möglichkeiten haben Frauen zum hormonellen Ausgleich?

Viele meiner Patientinnen denken, sie fangen mit HRT an und nehmen wie von selbst ab, schlafen wieder gut und alles ist toll. Aber so funktioniert das nicht. Es sind viele Puzzleteile, die zusammengesetzt werden müssen. Phytopharmaka, also pflanzliche Wirkstoffe – Achtung: nicht die Homöopathie! –, sind hochpotent. Es gibt gute Studien zur Traubensilberkerze, die bei Hitzewallungen und depressiven Verstimmungen helfen kann, sowie zum Mönchspfeffer bei PMS. Sie wirken gut, wenn sie richtig dosiert werden. Wichtig ist es, das große Ganze zu betrachten: Die Ernährung und die Darmgesundheit sind fundamental für das Wohlbefinden, wenn sich die Hormone verändern. Beides lässt sich mit Mikronährstoffen sehr gut unterstützen. Im Buch beschreibe ich ausführlich, wann welche Mikronährstoffe und Phytopharmaka eingesetzt werden können.

Hormone haben einen enormen Einfluss auf uns. Die Angst, sich durch Einnahme von Hormonen fremdbestimmt zu fühlen, liegt nahe. Warum sollte man sie trotzdem in Betracht ziehen?

Hormone sind die heimlichen Regisseure unseres Lebens, das stimmt. Aber ich wünsche mir, dass Frauen so gut über ihren Zyklus und ihren Körper aufgeklärt werden, dass sie sich nicht als Opfer fühlen müssen. Das gilt für hormonelle Verhütung, Hormonersatz, zyklusorientierte Ernährung oder zyklusorientiertes Training. Die Basis, um sich nicht fremdbestimmt zu fühlen, ist Wissen.

Aber nicht jede:r Gynäkolog:in ist auf dem neuesten Wissenstand, oder?

Auch hier sind Frauen immer noch sehr auf sich allein gestellt. Ich habe eine Zweitmeinung-Sprechstunde und es ist hanebüchen, was manche Frauen mit ihren Gynäkolog:innen erleben.

Ich ärgere mich oft über niedergelassene Kolleg:innen, aber man muss auch zugestehen, dass sie pro Patient:in und Quartal nur etwa 17 Euro bekommen. Da bleiben 5 bis maximal 10 Minuten pro Termin. Aber Aufklärung und hormonelle Einstellung erfordern Zeit und Geduld. Denn die Aufklärung betrifft auch Ernährung, Mikronährstoffe, Phytopharmaka und den gesamten Lebensstil einer Frau. Kolleg:innen, die mit Empathie und Geduld aufklären, würden im jetzigen System pleitegehen.

Das heißt also, dass jede Frau die Verantwortung für ihre Hormongesundheit selbst übernehmen muss.

Ja, und das ist oft nicht so einfach. Patientinnen berichten mir, dass sie seit Jahren nicht mehr ordentlich schlafen und völlig kraftlos sind. Und dann sagt ihnen das Internet, dass sie sich optimal ernähren und regelmäßig Sport machen sollen, weil Muskelaufbau eine zentrale Komponente für gesundes Altern ist. Sie schleppen sich aber zur Arbeit und schaffen es daheim gerade noch, sich um Kinder oder Schwiegereltern zu kümmern. Sie sagen völlig zu Recht: „Wenn ich jetzt auch noch Sport machen und meine Ernährung umstellen soll, breche ich zusammen!“

Wie durchbricht man diesen Teufelskreis?

Meine ärztliche Verantwortung ist es zunächst einmal, dafür zu sorgen, dass diese Patientinnen wieder schlafen und sich regenerieren können, damit sie genug Energie für Selbstfürsorge in Form von Essen und Sport haben.

Hormonelle Veränderungen können auch die Symptomatik diverser Krankheiten verstärken, etwa bei AD(H)S, Depressionen oder Long Covid. Woher soll ich als Frau also wissen, wo ich meine Symptome einordnen soll?

Solche Fälle habe ich täglich in meiner Sprechstunde. Zunächst ist es wichtig, sich kontinuierlich mit der eigenen Erkrankung und dem eigenen Körper zu beschäftigen. Zweitens brauchen Frauen eine gute Anlaufstelle, die sie durch die erforderlichen Tests navigiert und bei Bedarf an Expert:innen weitervermittelt. Ich arbeite eng mit einigen Psycholog:innen und Psychiater:innen zusammen. In ihren Sprechstunden sind viele Frauen Mitte, Ende 40, die eine Angststörung oder Depression zu haben scheinen.

Und das stimmt oft nicht?

Wir bezeichnen hormonelle Umstellungsphasen als „Fenster der erhöhten Vulnerabilität“. Dazu zählen beispielsweise die Pubertät, die Schwangerschaft, das Wochenbett oder die Perimenopause. Basierend darauf sagt meine Kollegin Dr. Helena Orfanus-Böckle, Expertin für Mikronährstoffe, gern sinngemäß: Wenn Frauen über 40 auf einmal neue Beschwerden bekommen, geht man so lange davon aus, dass es hormonell bedingt ist, bis das Gegenteil bewiesen ist. Und so halte ich es tatsächlich auch.

Durch Long Covid erhält ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) mehr Aufmerksamkeit. Welche Rolle spielen Hormone bei der Erkrankung?

Long Covid, Post-Covid und das chronische Fatigue-Syndrom sind häufig Thema in meiner Spezialsprechstunde mit den Unikliniken. Wir wissen, dass Frauen stärker von Long Covid betroffen sind, als Männer. Nach meiner persönlichen Erfahrung befinden sich viele von ihnen in der Perimenopause. Hier muss man in der Behandlung interdisziplinär vorgehen, aber meine Erfahrung zeigt, dass sich mit einer gut eingestellten HRT viel für die Patientinnen erreichen lässt. Ich arbeite derzeit häufig mit Off-Label-Testosteron, um Energie, Muskeln und Kraft aufzubauen und dem Brain Fog entgegenzuwirken.

Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz hat uns im Interview erzählt, wie sensibel ADS- und ADHS-Patientinnen auf Hormone reagieren können. Erlebst du das ähnlich?

Ja. Die Perimenopause und ADS/ADHS verstärken sich gerne gegenseitig. Ich treffe Frauen mit massiven Wechseljahresbeschwerden, die eine ADHS-Diagnostik durchführen lassen und endlich ihre Diagnose erhalten. Das hat verschiedene Gründe, wie etwa, dass Frauen ihre Beschwerden sehr gut maskieren können. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich eine Frau in einer hormonellen Umbruchphase nicht erfolgreich hormonell einstellen kann, dann muss ich als Ärztin immer auch an ADS/ADHS denken. Reagieren Frauen zum Beispiel paradox auf das Progesteron, schrillen bei mir die Alarmglocken. Dann finde ich eine andere therapeutische Lösung.

Das bedeutet, dass alle ärztlichen Fachrichtungen erstens besser über hormonelle Effekte aufgeklärt sein und zweitens im Idealfall interdisziplinär zusammenarbeiten sollten. Ist das utopisch?

Die medizinische Ausbildung muss meiner Ansicht nach grundlegend reformiert werden, und ja – da sollte auch Platz für Hormone sein. Das Thema muss bereits in der frühen Ausbildung verankert werden, denn die Wechseljahre betreffen den gesamten Organismus. Zahnärzt:innen müssen lernen, dass ein “brennender” Mund und Entzündung des Zahnfleisches Symptomatiken der Wechseljahre sind. Erhöhte Leber- oder Blutfettwerte, plötzlicher Bluthochdruck – Internist:innen müssen das richtig einordnen. Knochenschmerzen, Gelenkentzündungen, Muskelentzündungen – Orthopäd:innen, Chirurg:innen und Rheumatolog:innen müssen sich bewusst sein, dass Hormone hier eine Rolle spielen. Ich wünsche mir darum, dass praktizierende Kolleg:innen ein Interesse zeigen, sich in diesem Bereich fortzubilden, um bessere Mediziner:innen zu werden.

Was erhoffst du dir von deinem Buch “Body in Balance”?

Ich schreibe in der Einleitung meines Buches: „Wissen ist Macht“. Ich musste mir dieses Wissen um Hormone und Wechseljahre aktiv suchen und habe mich unter anderem bei den Kolleginnen Drs. Schaudig und Schwenkhagen fortbilden lassen. Ich hoffe, dass dieses Buch als umfassendes Nachschlagewerk Mediziner:innen hilft. Aber es soll auch Patientinnen helfen. Denn man muss sich umfassende Hilfe, Aufklärung und Unterstützung leisten können. Mit meinem Social-Media-Auftritt und mit dem Buch hoffe ich, vielen Menschen zum kleinen Preis Zugang zu fundiertem Fachwissen und wertvollen Informationen zu geben. Die ärztliche Behandlung wird das nicht ersetzen, aber das Buch ist voller wichtiger Tipps.

Zum Beispiel?

Wie bereitet man sich optimal auf den Arzttermin vor? Führe über zwei, drei Monate ein Zyklustagebuch. Schreibe auf, wann du welche Beschwerden hast. Oder: Wo findest du Frauenärzt:innen mit Schwerpunkt Wechseljahre? Achte auf ihre Mitgliedschaft in der deutschen Menopausengesellschaft. Oder: Buche keine gynäkologische Vorsorge, sondern explizit einen Beratungstermin für die Wechseljahre. Dann platziert dich die Assistenz hoffentlich an ruhigeren Nachmittagen und nicht in der Notfallsprechstunde morgens, wo Zeitdruck herrscht.

Was wünscht du dir für Frauen?

Dass sie Frieden mit ihren Hormonen schließen und sie für sich nutzen können. Dass sie die Angst vor großen Umbruchphasen wie In-Between oder Wechseljahre verlieren und sie auch positiv betrachten können. Denn so viel sei gesagt: Ich kenne keine einzige Frau in der Perimenopause oder in den Wechseljahren – wenn sie sich in ihrem Körper wohlfühlt –, die sagt, sie möchte noch einmal 20 sein.

Am 10. Oktober 2025 spricht Judith Bildau beim Authors-MeetUp live auf der herCAREER Expo in München. Sie wird die drängendsten Fragen zu hormonellen Umbrüchen, Prävention und Alltagsstrategien für mehr Selbstbestimmtheit und Wohlbefinden beantworten.

 Das Gespräch führte herCAREER Redakteurin Kristina Appel.

Bild Dr. med. Judith Bildau Gynäkologin, Expertin für Frauengesundheit und Gendermedizin, Longevity und Hormonberatung © Sabina Radtke

Quelle messe.rocks GmbH

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