Donnerstag, November 6, 2025
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Übernimmt KI bald unseren gesamten Einkauf?

Im Interview mit Pascal Beij geht es um die Zukunft des Handels und darum, wie Agentic Commerce mithilfe von KI-Agenten den gesamten Einkaufsprozess automatisiert und effizienter gestaltet.

Wie würden Sie den Begriff Agentic Commerce für ein breites Publikum erklären?

Agentic Commerce ist im Grunde ein neues Konzept im Handel, bei dem KI-Agenten wirklich den kompletten Einkaufsprozess für uns übernehmen. Das heißt, anstatt dass ich oder Sie jeden einzelnen Schritt noch selbst erledigen müssen – also recherchieren, vergleichen, eine Entscheidung treffen und dann bezahlen – macht das in Zukunft eine künstliche Intelligenz für uns, und zwar automatisch im Hintergrund. Für Verbraucher:innen ist das natürlich eine enorme Erleichterung, weil es Zeit spart und bequemer ist. Und Unternehmen können davon profitieren, indem sie zum Beispiel ihre Lieferketten besser steuern oder Preisverhandlungen automatisieren und dadurch insgesamt effizienter arbeiten.

In welchen Bereichen erleben wir heute bereits erste reale Anwendungen von KI-gesteuertem Einkaufen?

Das Potenzial vom agentenbasierten Handel ist riesig. Analysten schätzen, dass bis zu vier Prozent der digitalen Transaktionen bis 2029 schon von solchen KI-Agenten ausgeführt werden könnten. Das klingt vielelicht wenig, aber bei einem Markt von über 36 Billionen US-Dollar pro Jahr ist das enorm. Besonders gut eignet sich diese Automatisierung dort, wo Abläufe immer wieder gleich sind, etwa bei wiederkehrenden Zahlungen oder Standardtransaktionen, vor allem auch im B2B-Bereich. Bei komplizierten Einzelkäufen bleibt der Mensch natürlich weiterhin gefragt. Ein ganz konkretes Beispiel ist das US-Unternehmen Perplexity, das 2024 einen KI-Agenten vorgestellt hat, der Bestellungen schon komplett alleine auslösen kann. Klar, da läuft noch nicht alles rund, und einfache Aufgaben funktionieren manchmal erst nach mehreren Versuchen, aber die Richtung stimmt. Und dass große Zahlungsdienstleister wie Visa oder Mastercard hier verstärkt investieren, zeigt auch, wie ernst das Thema mittlerweile genommen wird.

Viele sprechen von einem Hype – was ist Ihrer Einschätzung nach tatsächlich schon marktreif?

Man muss schon sagen, dass wir beim agentenbasierten Handel noch ganz am Anfang stehen, auch wenn die Entwicklung richtig schnell vorangeht. Es gibt noch viele Baustellen, an denen gearbeitet wird, aber was man merkt: Wir bewegen uns Stück für Stück weg vom reinen Zukunftsversprechen hin zu ersten echten Anwendungen, gerade bei Prozessen im Handel oder bei Zahlungen.

Welche technologischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit KI-Agenten eigenständig Kaufentscheidungen treffen können?

Da braucht es erstens Schnittstellen – also leistungsfähige APIs –, damit die Agenten mit verschiedenen Systemen kommunizieren und Informationen austauschen können. Die Künstliche Intelligenz braucht zweitens Zugriff auf hochwertige, aktuelle Daten, denn nur so kann sie Kaufentscheidungen treffen. Die Produktinformationen müssen daher so aufbereitet sein, dass eine Maschine sie verstehen und nutzen kann. Drittens brauchen wir sichere Echtzeit-Transaktionen, damit Zahlungen schnell und automatisch ausgelöst werden können. Und viertens brauchen wir einen sicheren regulatorischen Rahmen.

Welche Rolle spielen dabei große Tech-Unternehmen wie Amazon, OpenAI oder Perplexity?

Die großen Tech-Unternehmen wie Amazon, OpenAI, Perplexity oder Google sind hier Vorreiter. Gefühlt gibt es wöchentlich neue Ankündigungen und Partnerschaften – da kooperiert Paypal mit OpenAI, Mastercard mit Paypal und Cloudflare mit den Kartenorganisationen wie Visa, Mastercard und American Express, damit KI-Agenten Transaktionen im Namen von Verbrauchern abwickeln können. Noch ist offen, welche Anbieter und Systeme sich durchsetzen werden, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die großen Tech-Unternehmen hier Standards setzen werden, an denen sich andere orientieren.

Wie lässt sich sicherstellen, dass KI-Agenten im Sinne der Nutzer handeln – also fair, transparent und datenschutzkonform?

Zentrale Voraussetzung ist die Einhaltung geltender Datenschutzgesetze wie der DSGVO, ergänzt durch transparente Algorithmen und klare Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen. Technisch wird dies durch abgesicherte Datenverarbeitung – etwa über Tokenisierung – unterstützt. Wichtig ist zudem, dass Nutzer Kontrollmöglichkeiten haben, um den Handlungsspielraum der Agenten festzulegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass KI-Agenten tatsächlich im Interesse der Nutzer agieren.

Wer trägt die Verantwortung, wenn eine KI eine Fehlentscheidung trifft oder einen falschen Kauf tätigt?

Die Frage der Haftung ist eine der zentralen Herausforderungen im Agentic Commerce. Bislang ist rechtlich noch nicht eindeutig geregelt, wer im Fehlerfall haftet – also etwa, ob die Verantwortung beim Nutzer, beim Anbieter des Agenten oder beim Händler liegt. Die gesamte Branche beschäftigt sich aktuell mit genau dieser Problematik und sucht gemeinsam nach praxistauglichen Regelungen. Klar ist: Hier wird es verbindliche gesetzliche und vertragliche Rahmenbedingungen brauchen, um Rechtssicherheit zu schaffen.

Welche regulatorischen oder ethischen Fragen ergeben sich, wenn Maschinen für Menschen Verträge abschließen?

Zum einen muss klar nachvollziehbar sein, dass der Agent tatsächlich im Auftrag und Interesse des Nutzers handelt. Die Authentizität und Wirksamkeit von Einwilligungen oder Vertragsabschlüssen durch KI sind noch nicht normiert. Außerdem stellt sich die Frage, wer haftet, wenn etwas schiefgeht – sei es versehentlich oder durch Missbrauch. Auch die Möglichkeiten zur Rückabwicklung und die Rolle des menschlichen Supports müssen geklärt werden. Ethisch relevant ist zudem, wie viel Kontrolle Nutzer abgeben und wie transparent und nachvollziehbar die Entscheidungsprozesse der KI-Agenten sind.

Wie gut ist Europa auf diese Entwicklung vorbereitet – und besteht die Gefahr, erneut den Anschluss an die USA oder Asien zu verlieren?

Europa zeigt grundsätzlich eine hohe Sensibilität, was Datenschutz und Sicherheit betrifft. Das führt allerdings auch dazu, dass Innovationen hier oft etwas langsamer voranschreiten als in den USA oder Asien. Dort beginnen bereits erste große Markteinführungen von KI-gestützten Commerce-Lösungen, während in Europa die regulatorischen Grundlagen, insbesondere bei Datenschutz und Compliance, noch nicht vollständig geschaffen sind. Trotzdem ist die technologische Entwicklung auch hier dynamisch – etwa im Bereich Tokenisierung und Authentifizierung.

Welche Chancen eröffnet Agentic Commerce für Händler und Zahlungsdienstleister?

Für Händler:innen bedeutet diese Entwicklung die Möglichkeit, ihre Geschäftsmodelle effizienter zu gestalten und das Einkaufserlebnis für Kund:innen nahtloser zu machen. Durch den Einsatz von KI-Agenten können Prozesse wie Bestandsmanagement und Preisverhandlungen automatisiert werden, was zu einer Optimierung der Lieferketten und einer verbesserten Ressourcennutzung führt.
Zahlungsdienstleister können von der zunehmenden Automatisierung im Handel profitieren, indem sie sichere Echtzeit-Transaktionssysteme anbieten, die den komplexen Anforderungen eines KI-gesteuerten Handels entsprechen. Außerdem können sie durch innovative Zahlungslösungen und die Anpassung an gesetzliche Vorgaben ihre Position im Markt stärken. Insgesamt eröffnet Agentic Commerce die Chance auf eine höhere Effizienz und neue Geschäftsmodelle, die durch verbesserte Technologieeinsätze unterstützt werden.

Welche Risiken sehen Sie für Verbraucher, wenn KI-Agenten künftig eigenständig Zahlungen auslösen?

Aktuell sehe ich für Verbraucher kein grundsätzlich erhöhtes Risiko, da auf absehbare Zeit immer noch ein Mensch in den Freigabeprozess eingebunden sein wird, der Transaktionen final legitimiert. Gerade weil viele rechtliche Fragen – zum Beispiel rund um Haftung und Rückabwicklung – noch offen sind, wird dieser „Human-in-the-loop“-Ansatz vorerst bestehen bleiben.

Wie verändert sich durch diese Entwicklung die Rolle klassischer Onlinehändler und Zahlungsanbieter?

Für Onlinehändler:innen wird es immer wichtiger, auf eine hohe Datenqualität und eine maschinenlesbare Präsentation ihrer Produkte zu achten – also digitale Informationen zu liefern, mit denen eine KI gut arbeiten kann. Im Vergleich zu klassischen Marketing-Ansätzen wie SEO wird entscheidender, dass Maschinen die Angebote leicht finden und verarbeiten können. Händler müssen ihre Systeme also so aufsetzen, dass die Anbindung an KI-Agenten möglichst reibungslos funktioniert. Zahlungsanbieter müssen Lösungen bieten, die automatisiert und sicher sind, um die neuen Anforderungen im KI-gesteuerten Handel zu erfüllen.

Wie bereitet sich Ihr Unternehmen konkret auf diese Zukunft vor – und welche Verantwortung sehen Sie für die Payment-Branche?

Wir haben eine abteilungsübergreifende Expertengruppe, die sich intensiv mit den technischen, rechtlichen und prozessualen Herausforderungen auseinandersetzt. Uns ist wichtig, dass zentrale Themen wie Sicherheit, Authentifizierung und Tokenisierung von Anfang an mitgedacht werden. Deshalb arbeiten wir eng mit unseren Compliance-, Risiko- und IT-Teams sowie natürlich auch mit der Rechtsabteilung zusammen. Außerdem sind wir im aktiven Austausch mit wichtigen Partnern wie Visa, Mastercard und Banken, um gemeinsam an sicheren Lösungen und Standards für automatisierte Transaktionen zu arbeiten.

Was wünschen Sie sich von der öffentlichen Debatte rund um Agentic Commerce?

Ich wünsche mir, dass die Diskussion ausgewogen geführt wird – also beide Seiten im Blick hat: sowohl die Chancen für mehr Effizienz und bessere Nutzererlebnisse als auch mögliche Risiken. Und ich wünsche mir den Mut, Neues zu wagen – von der Politik, von den Unternehmen und von den Verbraucher:innen.

Bild Pascal Beij @Unzer

Wir bedanken uns bei Pascal Beij für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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