Dienstag, November 5, 2024
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Seegras als Dämmstoff: Nachhaltiges Bauen der Zukunft?

Build Blue, ein Unternehmen, das sich auf die Nutzung von Seegras als nachhaltigen Dämmstoff spezialisiert hat, ist stolz darauf, für die Auszeichnung Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland 2024/25 nominiert zu sein

Können Sie uns Build Blue kurz vorstellen und erzählen, wie Sie auf die Idee gekommen sind, Seegras als Dämmstoff zu nutzen?

Mit Build Blue machen wir Seegras zu einem wertvollen Rohstoff für unsere Wirtschaftskreisläufe. Seegras wurde seit Jahrhunderten an der Küste als Dämmstoff, Kissenfüllung oder für Matratzen genutzt, ist aber leider in den letzten Jahrzehnten weitestgehend in Vergessenheit geraten. 

Aktuell ist Seegras für Strandgemeinden ein lästiger Abfall, der täglich von Badestränden entfernt werden muss, um die Strände sauber für Badegäste zu halten. Wir können diesen „Abfall“ mittels eines eigens entwickelten Verfahrens aufbereiten und dann beispielsweise als Baustoff in unsere modernen Wirtschaftskreisläufe einbringen.

Was bedeutet es für Build Blue, für die Auszeichnung Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland 2024/25 nominiert zu sein?

Es ist eine große Ehre und es freut uns sehr, dass unsere Mission diese Unterstützung verdient. Teil dieser Initiative zu sein, bedeutet für uns, in einem Netzwerk von Umsetzern und Weiterdenkern neuen Input zu erhalten und auf diese wichtige „Schwarmintelligenz“ setzen zu können. Zudem ist der Titel sicher ein starker Bote auf dem Weg, möglichst großen Impact mit unserem Handeln zu erzielen. Wir haben mit einem breiten Feld von Stakeholdern zu tun. Dieser Titel hat sicher die Strahlkraft, zu zeigen, dass es hierbei um mehr als nur wirtschaftliche Interessen geht.

Mit Ihrer Vision, nachhaltige Bauweisen zu fördern, möchten Sie den CO2-Fußabdruck der Baubranche reduzieren. Wie genau wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Nachhaltiges Bauen bedeutet, Treibstoffemissionen zu verringern, Baustoffe zu verwenden, die wiederverwendbar und kompostierbar sind, sowie Rücksicht auf andere Lebensformen, Pflanzen und Tiere zu nehmen.

Wir stellen Produkte her, die einen CO2-negativen Fußabdruck haben, also mehr CO2 aus der Atmosphäre speichern, als sie in der Produktion verursachen. Außerdem sind sie zu 100 % kompostierbar und genauso wiederverwendbar. Zudem greifen wir für die Rohstoffgewinnung nicht in die funktionierenden Ökosysteme der Seegraswiesen ein, sondern greifen auf Ressourcen zurück, die ohnehin bereits als „Abfall“ auftreten. Ich denke, dass wir damit vieles richtig machen, wenn es darum geht, ein Beispiel für echte Nachhaltigkeit zu sein.

Wer gehört zu Ihrer Zielgruppe, und wie stellen Sie sicher, dass Ihre Produkte deren Anforderungen gerecht werden?

Jeder, der im privaten ein Haus baut oder renoviert bzw. saniert und Verantwortung für seine Umwelt übernimmt, kann von unseren Produkten profitieren! Wir arbeiten eng mit Architekten und Handwerksbetrieben zusammen, um den aktuellsten Standards im Bau und der Verarbeitung von Baumaterialien zu entsprechen. Unsere Produkte können ein breites Spektrum an Anwendungsbereichen abdecken. Seegras hat hervorragende Eigenschaften in der Wärmedämmung und im Schallschutz.

Zudem sind Strandgemeinden wichtige Kunden. Ihnen können wir mit einer besonders kostengünstigen Abnahme ihres Abfalls unter die Arme greifen und ihnen eine Möglichkeit bieten, aktiv am Klimaschutz teilzunehmen.

Der Gebäudesektor ist bekannt für konservative Strukturen. Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich konfrontiert, wenn Sie eine Innovation wie Seegrasdämmung etablieren?

Die häufigsten Fragen, von privaten Interessenten, aber auch von Profis aus dem Bau, sind: „Stinkt das Seegras nicht?“, oder „Wie viel schlechter ist das Dämmverhalten im Vergleich zu einem herkömmlichen Dämmstoff?“. 

Den natürlichen Ursprung unserer Produkte speichern viele als einen Nachteil ab. Wenn sie das erste Mal aber das Produkt in ihren Händen halten, verstummen diese Zweifel schnell. Es ist noch etwas Aufklärungsarbeit vonnöten, um zu zeigen, dass Seegras ein Baustoff der Zukunft ist, der glücklicherweise gleichzeitig höchst nachhaltig ist.

Auch auf der regulatorischen Seite werden ökologische Baustoffe teilweise benachteiligt betrachtet. An „erster Front“ unter Architekten und auch Handwerkern sieht man bereits ein Umdenken, bis sich jedoch bestehende bürokratische Abläufe verändern, dauert es meist länger.

Was macht Build Blue einzigartig im Vergleich zu anderen Anbietern im Bereich nachhaltiger Baustoffe?

Ich denke, die größte Besonderheit ist die Herkunft unseres Rohstoffs: Für diesen muss keine Fläche, die sonst für den Anbau anderer Rohstoffe genutzt werden könnte, umgenutzt werden, wir greifen in keine funktionierenden Ökosysteme ein und sind, sieht man es verwaltungsrechtlich, ein Betrieb, der Abfälle recycelt. Zudem sind die Wege in der Produktion extrem kurz: vom Rohstoff am Strand bis zum fertigen Produkt sind es nur wenige Kilometer.

Welche weiteren Standorte entlang der Ostseeküste planen Sie, und wie sehen Sie die Zukunft von Build Blue in den nächsten fünf Jahren?

Jede Strandgemeinde, die ihre Strände reinigt, kann von unserem Verfahren in Zukunft profitieren und wir möchten den größtmöglichen Impact für Kommunen und die Umwelt erzielen. In fünf Jahren möchten wir auch über die Grenzen der deutschen Ostseeküste hinaus wirken. Seegras ist ein „Problem“ an vielen Küsten der Welt. Neben der Ostsee findet man auch an der Mittelmeerküste große Anlandungen, die den Strandbetreibern vor Ort Kopfschmerzen bereiten. Aufgrund des sehr guten Wärmeschutzes kann ein Dämmstoff aus Seegras auch in warmen Ländern im Klimawandel für erträglicheres Raumklima sorgen.

Die Verwendung von Seegras als Dämmstoff hat viele Vorteile. Wie erklären Sie potenziellen Kund*innen den Nutzen gegenüber herkömmlichen synthetischen Dämmstoffen?

Ob einem Nachhaltigkeit wichtig ist oder nicht, Seegras kann viele Stärken gegenüber synthetischen Baustoffen ausspielen:

Seegras kann Feuchtigkeit sehr gut regulieren. Das ist nicht nur deshalb gut, weil das Material nach z.B. Undichtigkeiten im Dach nicht direkt unbrauchbar wird wie einige synthetische Dämmstoffe, sondern auch, weil es das Raumklima reguliert und verbessert. Bauherren, die seit Jahren in einem mit Seegras gebauten Haus wohnen, berichten regelmäßig davon, wie angenehm das Raumklima durch diesen „atmenden“ Baustoff wird.

Seegras ist zudem baubiologisch unbedenklich und hat keine gesundheitsschädlichen Eigenschaften, die Baubiologie ist für viele noch ein sehr wenig bekanntes Thema, welches sich mit den Auswirkungen der Bausubstanz auf die eigene Gesundheit beschäftigt. Sprechen Sie mit Handwerkern, die Mineralwolle verbauen: Sie löst Juckreiz und Hautreizungen aus. 

Die Dämmleistung ist dabei mit Mineralwolle und Glaswolle und manchen Styroporarten vergleichbar.

Neben den allgemeinen Produkteigenschaften sucht die Nachhaltigkeit von Seegras seinesgleichen: Unsere Seegrasdämmung speichert deutlich mehr CO2 als wir in der Produktion emittieren, damit ist sie CO2-negativ und hilft aktiv dem Klimaschutz. Die Dämmung ist im trockenen Zustand nahezu ewig haltbar, wir haben über 100 Jahre alte Seegrasproben mit gleichem Brandschutzverhalten. Zudem ist es kompostierbar: tatsächlich eignet sich Seegras auch sehr gut als Dünger.

Welchen Rat würden Sie anderen Gründer*innen geben, die ebenfalls mit natürlichen Rohstoffen arbeiten möchten?

Seid gut in Geschichte!;) Das Schöne an natürlichen Rohstoffen ist, dass wir in der Regel nicht die Ersten sind, die sich an der Nutzung dieser versucht haben. Oft findet man adaptierbare Verfahren und Wissen, auf welchem man aufbauen kann. Wir haben zum Beispiel viel von Landwirten lernen können und schon einige Male aus den Erfahrungen älterer Herrschaften lernen können. In den letzten Jahrzehnten haben wir uns so weit von der Natur entfernt, wie nie zuvor, aber unsere Großelterngeneration hat oft noch ein ganz anderes Verhältnis zur Nutzung unserer Umwelt gehabt.

Nachhaltigkeit spielt eine zentrale Rolle bei Build Blue. Wie stellen Sie sicher, dass alle Aspekte Ihrer Produktion ökologisch und sozial verträglich sind?

Ich denke, Sparsamkeit ist ein großer Aspekt ökologischer Nachhaltigkeit. Wir versuchen stets, möglichst kosten- und energieeffizient zu arbeiten. Hierdurch sind Faktoren wie die Verringerung unseres Energieverbrauchs oder Recycling bestehender Ressourcen immer Kern unseres Handelns. Beispielsweise greifen wir im Prototyping-Prozess unserer Maschinen und Abläufe oft auf bereits genutzte Materialien zurück. Das Material für unsere ersten Maschinen stand zu mindestens 70 % vom Schrottplatz. Wenn ich es genauer betrachte, ist Recycling eine der Hauptpfeiler unseres Unternehmens: in der Gewinnung unseres Rohstoffs als Abfall bis zum ökologisch Ressourcen-schonenden Aufbau unseres Maschinenparks. 

Der Erfolg einer Marktwirtschaft wird leider meist mit ihrer Wachstumsquote gleichgesetzt. Wenn dieses Wachstum immer mithilfe neu erbeuteter Ressourcen, stattfindet, dann ist irgendwann Ende. Für Recycling und Umnutzung gibt es jedoch noch eine ganze Menge Platz. Sein Augenmerk daraufzulegen, ist entscheidend, wenn wir nicht nur kommenden Generationen, sondern auch anderen Lebensformen, etwas hinterlassen wollen.

Wie profitieren Sie von dem Kultur- und Kreativpilot*innen-Netzwerk, das im Rahmen der Auszeichnung aufgebaut wird, und welche Erwartungen haben Sie an das Mentoring-Programm?

Ich verstehe unsere Tätigkeit mit Build Blue als eine wichtige Aufgabe auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, die wir voller Verantwortung übernommen haben. Seegras zu veredeln ist in unserer komplexen Welt jedoch nur ein ganz kleines Teil eines großen Puzzles. Das Netzwerk der Kultur- und Kreativpilot*innen stellt noch viel mehr solcher Puzzleteile dar, mit Hilfe derer wir gemeinsam ein schöneres Bild der Zukunft bauen können. Austausch zwischen Unternehmern, kreativen und Denkern sorgt immer für Fortschritt, ich freue mich auf Fortschritt, den ich mir jetzt noch nicht einmal vorstellen kann.

Mithilfe des Mentoring-Programms erwarte ich, noch besser in der Kommunikation unserer Mission werden zu können, klarer unsere Botschaft kommunizieren zu können. Gute Ideen alleine sind nichts, aber wenn sie von vielen Menschen getragen werden, dann können sie zu Großartigem werden.

Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu den deutschen Ostseegemeinden, und wie hat dies Ihr unternehmerisches Engagement bei Build Blue beeinflusst?

Ich bin ein „Junge von der Küste“, bin auf einer kleinen Insel aufgewachsen und bin mit Segelbooten zwischen Dänemark, Schweden und Deutschland von Hafen zu Hafen gesegelt. Für mich sind die Orte an der Küste und das Meer zu Hause. Von klein an wollte ich immer Innovationen schaffen und habe als junger Erwachsener von fortschrittlichen Unternehmen geträumt. Auf einem echten Spirit der Innovation bin ich an der Küste aber leider lange nicht gestoßen. Ich freue mich sehr, dass wir mit Build Blue als Teil einer immer lebendigeren Startup-Szene an der Küste diesen Spirit treiben und werde immer eine offene Tür für Menschen in einer ähnlichen Situation schaffen: gemeinsamer Austausch für spannenden Fortschritt, und das nicht in großen Städten aus grauem Beton, sondern zwischen Blau und Grün.

Bildcredits: 885

Wir bedanken uns bei Nora Hodeige und Jacqueline Hallmann für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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