DIVERA unterstützt bei Waldbrand aktiv im Einsatz und strategisch am Bildschirm
Stellen Sie sich und das Startup DIVERA doch kurz unseren Lesern vor!
Ich bin Benjamin Kreiskott, bekennender Wuppertaler, Webentwickler und Feuerwehrmann durch und durch. Bei der Freiwilligen Feuerwehr habe ich die Mitgründer Eric Tribble und Bernhard Horst kennengelernt. Dieses besondere Ehrenamt verbindet nicht nur uns im Team, sondern knapp eine Million ehrenamtliche Feuerwehrleute in Deutschland.
Wenn Menschen in Not sind, lassen wir alles stehen und liegen, um zu helfen. Doch es war bislang dem Zufall überlassen, ob in der eigenen Feuerwehr überhaupt genügend Personal verfügbar ist, um den Einsatz bewältigen zu können, denn nicht immer kann (zum Beispiel) der Arbeitsplatz einfach verlassen werden.
Uns war klar, dass die unbekannte Verfügbarkeit des Personals nur zuverlässig lösbar ist, indem wir die Rettungskräfte aktiv in den Prozess einbinden. Was dafür nötig ist, schleppt jeder mit sich rum: das geliebte Mobiltelefon. Die benötigten Daten sollten kontinuierlich erfasst, serverseitig gebündelt und für jeden sichtbar aggregiert werden. Die Idee war für uns der Startschuss, DIVERA zu entwickeln – die digitale Verfügbarkeitsanzeige.
Seit 2015 ist die App für alle Rettungskräfte verfügbar, in der Grundversion sogar kostenlos. Fünf Jahre nach Marktstart ist das Zusammenspiel der Einsatzkräfte mit der App gelebte Realität. Das System wertet die Verfügbarkeit von über 150.000 Einsatzkräften aus und verbessert die Prozesse an über 8000 Standorten. Viele Retter erhalten die Alarmierung inzwischen vollautomatisch über die App. Mit Erhalt der Push-Benachrichtigung wird die Teilnahme am Einsatz aktiv quittiert. Auch die tägliche Kommunikation über Mitteilungen, Umfragen, Terminkalender und den integrierten Messenger ist fester Bestandteil der App.
Mittlerweile kümmern sich 18 Mitarbeiter (Stand April 2020) um die Anwendung, neun davon sind aktive Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr. So wissen wir aus praktischer Erfahrung, worauf es im Alarmierungsfall ankommt und welche Anforderungen die Software erfüllen muss.
Warum haben Sie sich entschieden ein Unternehmen zu gründen?
Das Projekt hat sich anfangs sehr kontrolliert entwickelt. Wir haben die App primär für die eigene Wache entwickelt. Die Arbeit daran war gut mit dem Hauptberuf und anderen Verpflichtungen in Einklang zu bringen, ein Startup zu gründen war zu der Zeit noch kein Thema.
Die Resonanz hat jedoch unsere Erwartungen übertroffen und einen Denkprozess eingeleitet. Wir haben das Potential umfassend beleuchtet: Allein in Deutschland sind 1,5 Millionen Rettungskräfte betroffen, neben den Mitgliedern der Feuerwehr stehen die Helfer beim Technischen Hilfswerk, Roten Kreuz, DLRG und weiteren Organisationen vor der gleichen Herausforderung. Gleiches gilt für Kliniken und Rufbereitschaften anderer Branchen.
Daraufhin hat uns die Lust gepackt! Wir sind raus aus der Garage, rein ins Büro, um die Prozesse an der Wurzel zu packen und uns als professioneller Anbieter am Markt zu positionieren.
Welche Vision steckt hinter DIVERA?
Klingt zwar kitschig, trifft den Nagel aber ziemlich auf den Kopf: Wir machen die Welt besser. Für alle, die in diesen Tagen systemrelevant sind, oder auf Hilfe angewiesen sind.
Unser Ziel ist, kritische Prozesse in der öffentlichen Gefahrenabwehr und der Wertschöpfungskette von Unternehmen zu optimieren – und zwar auf allen Ebenen.
Stark geforderte Mitarbeiter und Ehrenamtler, die oft mit einer Doppelbelastung von Ehrenamt und Beruf leben, sollen genauso profitieren wie Führungskräfte, Einsatzzentralen oder Aufsichtsbehörden.
Durch effektives, IT-gestütztes Personalmanagement sollen Engpässe ausgeschlossen werden. Der Informationsfluss in Echtzeit soll die Reaktionszeiten auf das nächste Level katapultieren. Durch Transparenz und aktive Beteilung sollen die Mitarbeiter zugleich mehr Kontrolle erhalten. Und die fortlaufende Bestätigung, Teil des Teams zu sein
Von der Idee bis zum Start was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?
Unser Prototyp hat schon 2012 die Arbeit in der eigenen Feuerwehr revolutioniert, und gute Ideen sprechen sich rum. Feuerwehrfrauen und -männer sind untereinander bestens vernetzt. Unsere Lösung wurde daher schnell unter den Rettungskräften bekannt. Es kamen immer weitere Nutzer dazu, die wir anfangs noch von Hand in der Datenbank anlegen mussten.
Um Zeit zu sparen, haben wir den Prozess automatisiert und die Grundfunktionen als Freemium-Dienst angeboten. Parallel haben wir in der Euphorie das erste kostenpflichtige Produkt ins Portfolio aufgenommen, allerdings keinerlei Absatz erzielt. Ein Flopp, wie er im Buche steht! Wir fragten uns: „War es das schon?“.
2015 haben wir ein weiteres Produkt angeboten, nämlich die Alarmierung über die Smartphone-App. Mit dabei waren alle denkbaren Funktionen, um die Personalverfügbarkeit zu planen. Das ging auf, und der Knoten war geplatzt.
Um das Angebot und vor allem die App aufzuwerten, war weitere Unterstützung beim Coden notwendig. So kamen die Informatiker Patrick Remy und Sébastien Thommes ins Gründerteam, beide zunächst als App-Entwickler.
Somit waren wir in der Lage, alle Bestandteile eigenständig und kostenneutral zu entwickeln. Das betrifft ebenfalls die Themen Server-Administration, Marketing und Vertrieb. Durch das interdisziplinäre Gründerteam waren wir von Beginn an in allen Angelegenheiten handlungsfähig und nicht auf fremde Unterstützung angewiesen.
Mit der Lean Startup Methode haben wir uns immer weiter verbessert: Die App wurde in bis heute andauernden Entwicklungszyklen nach den Wünschen der Anwender ausgerichtet, sodass, angefangen mit Funktionen zur grundlegenden Teamkommunikation, bis hin zum Ausbau als Alarmierungs-App, unsere Plattform inzwischen alles unterstützt, was man zur Organisation einer Rufbereitschaft benötigt.
Über viele Jahre haben wir auf natürliches Wachstum gesetzt, Ausgaben nur bei Deckung durch Erlöse getätigt. Seit Anfang 2020 sind mehrere Business Angels an Bord. Mit dem zusätzlichen Kapital und Knowhow ist es möglich, das Tempo zu erhöhen.
Wer ist die Zielgruppe von DIVERA?
Wir sind selbst unsere besten Kunden. Denn durch die persönlichen Wurzeln bilden Organisationen aus dem Blaulichtsektor die Kernzielgruppe, beispielsweise Feuerwehren, Polizei, Technisches Hilfswerk und die vielen Hilfsorganisationen.
Unser Angebot richtet sich außerdem an alle Menschen, die in Rufbereitschaften von Betrieben und Krankenhäusern organisiert sind. Aufgrund von Covid-19 gehören jetzt auch Krisenstäbe dazu, die auf die dynamische Situation flexibel reagieren müssen.
Wie funktioniert DIVERA? Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
Je nach Alarmierungssystem wird die Verfügbarkeit meistens gar nicht, oder erst nach der Alarmierung erfasst. Dabei kann jede Einsatzkraft schon im Vorfeld abschätzen, ob und wie schnell sie bei einem fraglichen Einsatz zur Verfügung steht.
DIVERA 24/7 verfolgt daher den Ansatz, „vor die Lage zu kommen“. Wir schaffen Transparenz, denn jede Einsatzkraft kann über die App verfolgen, ob das Team einsatzbereit ist und durch das eigene Verhalten dazu beitragen, dass der nächste Einsatz positiv verläuft. Somit überträgt das System die Verantwortung von einzelnen Führungskräften auf die gesamte Mannschaft.
Gleichzeitig sind nicht bei jedem Einsatz alle verfügbaren Kräfte erforderlich. Bei den meisten Routineeinsätzen reichen sechs Feuerwehrleute aus. Einsatzkräfte, die eigentlich verhindert sind oder aufgrund privater Umstände ungern an einem Einsatz teilnehmen wollen, erkennen dies ebenfalls in der App und können bei einer solchen Situation einen Einsatz ohne schlechtes Gewissen ignorieren. Die Partner, Familienangehörigen und Arbeitgeber der Feuerwehrleute werden es lieben.
Das Wissen um die Einsatzbereitschaft der einzelnen Standorte bleibt nicht im Silo, sondern kann an zentralen Stellen ebenfalls in Echtzeit ausgewertet werden. Ein bedeutender Vorteil ist, dass Engpässe antizipiert und entsprechende Maßnahmen bereits vor einem Alarmfall getroffen werden können, sodass keine wertvolle Zeit verschenkt wird.
Unser Dienst läuft als Software-as-a-Service (SaaS), die als App oder im Browser genutzt werden kann. Das System ist on demand für jede Organisation verfügbar, skalierbar und verlangt keine komplizierte Einrichtung. Der Account kann innerhalb weniger Minuten aktiviert werden, und das sogar unentgeltlich. Damit auch kleine Einheiten ohne Budget von den Vorteilen der digitalen Verfügbarkeitsplanung profitieren, sind die Grundfunktionen für bis zu 50 Nutzer kostenlos erhältlich.
Wie hat sich ihr Unternehmen mit Corona verändert?
Keine Dienstreisen, keine Messen, keine Präsentationen vor Ort. Alle Besprechungen erfolgen online. Das ermöglicht Projekte effizienter zu gestalten, trotzdem kommt der Spaß nicht zu kurz.
Da der Bedarf nach Programmen zur Personalplanung in allen Bereichen des Gesundheitswesens stark erhöht ist, erfahren wir eine verstärkte Nachfrage. Zugleich erreichen uns viele Wünsche von Bestandskunden, um die Software kurzfristig an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Somit sind alle Mitarbeiter mehr denn je beschäftigt. Neben Covid-19 spielt auch die Trockeneinheit im April eine Rolle. Aufgrund mehrerer Waldbrände sind unsere Mitarbeiter auch durch ihr Ehrenamt bei der Feuerwehr gefragt, abwechselnd am Bildschirm und draußen am Strahlrohr, tätig zu werden.
Wie haben Sie sich darauf eingestellt und welche Änderungen haben Sie vorgenommen?
Wir haben unsere internen Strukturen angepasst und die meisten Mitarbeiter arbeiten nun von zuhause aus. Vorher mussten sie an einer Datenschutzschulung teilnehmen. Es war indes gar nicht so einfach, auf die Schnelle noch zusätzliche Laptops und Headsets aufzutreiben.
Dank Office365 und IP-Telefonie können wir physische Meetings ganz einfach online ersetzen und schnell Absprachen treffen. Auch für externe Anfragen sind wir dadurch wie gewohnt erreichbar.
Wir gehen im besonderen Maß auf die neuen Anforderungen der Kunden ein und entwickeln unsere Anwendung konsequent weiter. Dafür haben wir beispielsweise die Umfragefunktion um die Möglichkeit der automatisierten Wiederholung erweitert, sodass Führungskräfte täglich den Gesundheitszustand ihrer Mitarbeiter abfragen lassen können. Die Endanwender können im Gegenzug Verdachtsfälle oder den Bedarf von Schutzausrüstung per App melden.
Zudem wird die Einsatzbereitschaft vielerorts verbindlich vorgeplant. Wir haben dazu die Einteilung von Dienstplänen und die gezielte Alarmierung nach der laufenden Schicht ermöglicht. Weitere Features folgen, um die Krise gemeinsam bestmöglich zu meistern.
Wo sehen Sie in der Krise die Chance?
Wer bislang nicht erkannt hat, dass die Personalplanung über digitale Hilfsmittel sinnvoll ist und wirklich funktioniert, wird dies jetzt feststellen. Skeptiker ändern ihre Haltung, in einigen Ländern sind die Rettungskräfte sogar verpflichtet, regelmäßig zu ermitteln, wie viele Kräfte zur Verfügung stehen. Ebenso, wer aufgrund von Quarantäne oder Erkrankung an COVID-19 für längere Zeit ausfällt.
Für uns als Unternehmen bietet die Pandemie die Chance, uns in Branchen außerhalb des Blaulichtsektors zu etablieren, zum Beispiel in Rufbereitschaften in der Industrie und bei Krisenstäben. Überall dort, wo man mit möglichst gezieltem Personaleinsatz weiterhin schnell handeln muss.
Allgemein hoffe ich, dass das Ehrenamt verstärkt aus der Krise hervorgeht. Es ist schön zu sehen, dass die Einsatzkräfte sowie Ärzte und das Pflegepersonal momentan die Anerkennung bekommen, die sie verdienen.
DIVERA, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Das Ziel ist, die gesamte Rettungskette zu optimieren. Damit Einsätze so schnell und zielgerichtet wie möglich abgearbeitet werden, um Leben zu retten und Schäden abzuwenden.
Die Qualität und Aussagekraft der aggregierten Daten, und damit die Entscheidungsgrundlage von Führungskräften, hängt maßgeblich von der Verbreitung und dem Vertrauen der Endanwender ab.
Um das Potential voll zu entfalten, gilt es, das Wachstum fortzusetzen. Ich schiele insgeheim schon auf eine 7-stellige Nutzeranzahl. Eine Million Nutzer in fünf Jahren, das klingt nach einem anspruchsvollen Meilenstein.
Zugleich möchten wir beweisen, dass auch das Bergische Land und insbesondere die wunderschöne Schwebebahn-Stadt Wuppertal das Potential für Startups und spannende Gründergeschichten hergibt.
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?
Bei Rückschlägen immer wieder mit den Nutzern der ersten Stunde unterhalten. Die Rückmeldungen setzen neue Energie frei und tragen euch über die nächste Hürde.
Gute Ideen nicht verstecken. Geht raus und erzählt allen von eurer Vision. Baut ein Netzwerk auf, nehmt Hilfe in Anspruch. Denn ganz allein wird man für immer unter dem Potential seiner Ideen bleiben.
Nicht zu viel nachdenken, sondern machen! Auch an die Idee glauben, wenn einen das Umfeld für bekloppt erklärt, weil man das dritte Wochenende infolge vorm Rechner verbringt, statt Feiern zu gehen.
Weitere Informationen finden Sie hier
Wir bedanken uns bei Benjamin Kreiskott für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder