Ellen Lutum erzählt von ihrem bemerkenswerten Weg, wie sie von einer engagierten Krankenschwester auf einer Palliativstation zur inspirierenden Buchautorin und Coach wurde
Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Karriere als Krankenschwester auf einer Palliativstation zu beenden, um Buchautorin und Coach zu werden?
Ellen Lutum: Der Wechsel von der Krankenschwester zum Coach und zur Autorin, war nicht geplant, er ist einfach passiert, als ich mich entschieden habe, aus dem Gesundheitssystem auszusteigen. Die Anforderungen an den Beruf, das menschliche Miteinander, haben sich im Gesundheitswesen sehr stark verändert und ich konnte das mit meinen Werten nicht mehr vereinbaren. Das war damals kein Schritt, der Jubel bei mir ausgelöst hat. Ich hatte anfangs das Gefühl, total versagt zu haben.
Doch dann erkannte ich, wie toll es ist, sich zu entwickeln. Welche Möglichkeiten sich daraus ergeben können. Es war sicher nicht immer leicht, das ist es heute auch nicht, aber meine Entwicklung in den letzten zehn Jahren zeigen mir immer wieder, dass es genau der richtige Weg war und ist. Menschen zu helfen, sie zu unterstützen – genau das wollte ich als Krankenschwester und das mache ich nun als Coach und Autorin. Die Basis dieses Weges ermöglicht mir auch ein sehr ganzheitliches Arbeiten.
Können Sie einen Moment beschreiben, in dem Ihnen klar wurde, dass der Tod Ihnen als Ratgeber dient? / Welche Rolle spielte der Tod bei dieser Entscheidung?
Der Tod war mir ein guter Ratgeber.
Ellen Lutum:Am 05.12. 2018 wurde bei mir nach längeren und unbemerkten Herzrhythmusstörungen bei vollem Bewusstsein eine Herzkatheder-Untersuchung inkl. Ablationen durchgeführt. Als der Kardiologe während des Eingriffs neben mir stand und das Ausmaß bemerkte, sagte er; „Wissen sie eigentlich, was sie für ein Glück haben, dass sie noch leben?“ Ganz ehrlich? Mit 38 war das Leben für mich selbstverständlich. Ich habe bis dato wenig an meine eigene Sterblichkeit gedacht. Ich dachte, das passiert immer nur anderen.
Doch in diesem Moment überkam mich eine große Angst. Das Gefühl, „Ich bin noch nicht so weit“ machte sich breit. Das war ein großer Wendepunkt in meinem Leben. Er hat mir verdeutlicht, wie kostbar dieses Leben ist. Ich habe mich erst einmal sehr zurückgezogen, konnte nur meine liebsten Menschen um mich haben um mir selber erst einmal klar zu werden, was ich im Leben überhaupt möchte…
Wie hat Ihre Erfahrung als Krankenschwester auf einer Palliativstation Ihre Sicht auf das Leben und Ihre Arbeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie beeinflusst?
Ellen Lutum: Ich habe als Krankenschwester so viele Menschen auf ihren letzten Weg begleitet. Es war für alle Palliativpatienten dieselbe Richtung- aber dennoch immer wieder individuell. Es gab so junge Patienten, die ihren Weg voller Ruhe und Vertrauen gegangen sind. Es gab Menschen, die bis zum letzten Atemzug festgehalten haben und dagegen angekämpft haben. Worin lag und liegt der Unterschied? Menschen, die zu Lebzeiten „Ordnung“ in ihrem Leben hatten, sich treu geblieben sind, deren Ego ihnen nicht im Weg stand, die konnten wesentlich besser annehmen.
Oftmals erlebte ich Menschen, die noch nicht alles gesagt hatten, die noch nicht alles geklärt hatten, wo noch so viel im Raum stand. Das ist bei meiner Arbeit ein wesentlicher Bestandteil. Herauszufinden, wer jemand wirklich ist. Was die Menschen wollen. Wie wir unser tägliches Miteinander viel liebevoller und einfacher gestalten können. Besser und friedlicher kommunizieren. Es gibt nicht viel Schlimmeres, als am Ende des Lebens festzustellen; „Ich habe soviel noch nicht getan“. Und so vielen Menschen ist nicht bewusst, dass wir alle mal an diesem Punkt stehen. Deshalb unterstütze ich meine Kunden zu schauen; „Wie kann ich es denn für mich und mein Leben möglich machen?“
Was war die größte Herausforderung bei der Gründung Ihres eigenen Verlags und wie haben Sie diese überwunden?
Ellen Lutum: Wie bei meinen Kund:innen und Autor:innen, die ich begleite, durfte ich mir auch die Frage stellen; wie möchte ich es haben? Was will ich? In welche Richtung soll der Verlag gehen? Ein Verlag ist, wie die meisten Firmen, schnell gegründet. Doch die wirklichen Herausforderungen fangen dann erst an. Die vielen Manuskripte, die eingereicht werden, die vielen Ideen von Autoren- wie gehe ich als Verlag damit um? Wem kann ich wie gerecht werden?
Es ist so wichtig, sich immer wieder zu reflektieren, denn sonst ist es schnell passiert, dass man in einem Hamsterrad gefangen ist. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass ich/wir diese Herausforderungen überwunden haben. Denn sie gehören zum täglichen Geschäft einfach dazu. Doch ich glaube, dass wir einen guten Weg gefunden haben, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Vielleicht ist es auch ein Erfolgsrezept zu sagen, Herausforderungen gehören dazu, es ist nicht immer nur Wattebäuschen werfen. Doch mit jeder geschafften Herausforderung wachsen wir, das Unternehmen, aber auch jeder einzelne.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach das Alter beim Verfolgen neuer Ziele und dem Gründen eines eigenen Unternehmens?
Ellen Lutum: Die Antwort ist einfach: Keine. Wer sagt denn, wie alt man sein darf, um sich zu verändern? Wer sagt denn, wer wann und wo erfolgreich ist? Ich habe Menschen mit Mitte 70 kennengelernt, die sich noch einmal völlig umorientiert haben. Die tolle Bücher geschrieben haben, eine eigene Firma gegründet haben und völlig aufgegangen sind, mit dem was sie tun. Sie haben damit so vielen anderen als Role Model gedient und tun es immer noch- was wäre es für ein Verlust, wenn sie sich nicht getraut hätten, aufgrund einer Zahl?
Was würden Sie jemandem raten, der in einer späteren Lebensphase eine signifikante berufliche Veränderung in Erwägung zieht?
Ellen Lutum: Mit einer Gegenfrage: was hätte es denn für Konsequenzen, keine Veränderung zu wagen? Meistens drohen persönliche Unzufriedenheit und tägliche Frustration. Ist das Leben dafür nicht zu wertvoll?
Grundsätzlich ist es so, dass man, wenn man über eine Veränderung nachdenkt, dafür wahrscheinlich einen Grund hat. Diesen Grund würde ich hinterfragen. Um was geht es? Füllt einen das, was man bislang getan hat, nicht mehr aus? Merkt man Zeichen von Unzufriedenheit? Ist man auf der Suche nach mehr Geld und Luxus? Möchte man auf ganz andere Art und Weise, Menschen helfen oder für sich etwas anders tun? Darf eine Buchhalterin mit Mitte 50 nicht merken, dass sie ihr Beruf, dem sie täglich nachgeht ,nicht glücklich macht und lieber umschulen zur Erzieherin?
Ein LKW-Fahrer, der nicht mehr so oft von daheim wegwill und vielleicht mehr Zeit im Wald oder der Natur verbringen möchte sollte das nicht in Erwägung ziehen aufgrund einer Zahl? Das ist doch Quatsch! Jeder Tag, den wir dem nachgehen, was uns erfüllt, was uns glücklich macht, ist ein guter Tag. Wir dürfen glücklich sein und auch einer Beschäftigung nachgehen, die uns erfüllt. Außerdem verändern wir uns, das ist ein natürlicher Prozess. Dass ein Beruf, den wir mit 16 gut fanden, mit 50 nicht mehr zu uns passt, ist nichts Schlimmes sondern auch nur die Folge eines Prozesses.
Wie hat die Entscheidung, Ihren eigenen Verlag zu gründen, Ihre Beziehung zu Ihrer schriftstellerischen Arbeit verändert?
Ellen Lutum: Ich glaube, gar nicht. Da ich im Vorfeld als Selfpublisherin geschrieben und veröffentlich habe, war ich immer frei in meinen Schreibprozessen. Ich wurde beim Schreiben begleitet, so wie ich das heute mit den Autoren:innen mache und hatte auch die vollkommen Entscheidungsgewalt zum Cover und zum Lektorat. Ich habe den Verlag gegründet, damit der stationäre Buchhandel mit eingebunden ist und man die Bücher nicht nur über einen großen Onlineanbieter bekommt.
Was sind die wichtigsten Lektionen, die Sie aus der Selbstveröffentlichung Ihrer Bücher gelernt haben?
Ellen Lutum: Mutig sein! Du musst nicht jedem gefallen und wirst es auch nicht. Komm damit klar und sehe negative Kritik gelassen entgegen. Es wird immer jemanden geben, der was zu meckern hat. Es ist leicht, ein Buch zu schreiben (also wenn man den eigenen Mindfuck überwunden hat). Doch kein Mensch „schreibt“ einen Bestseller- Bestseller werden durch Marketing gemacht. Und das ist, gerade am Anfang, harte Arbeit. Es ist okay, wenn es Zeiten gibt, wo es nicht läuft. Ich glaube, dass das Universum uns immer wieder prüft, wie ernst wir es so meinen.
Wie integrieren Sie Ihre Erfahrungen aus der Palliativpflege und Psychotherapie in Ihre Bücher und Coachings?
Ellen Lutum: Ich habe es nicht nur selbst, sondern auch in unzähligen Fällen erlebt: Unsere Gesundheit ist das kostbarste Gut, das wir haben. Doch viel zu viele Menschen müssen erst richtig krank werden, um das zu begreifen. Mein Ansatz ist, präventiv zu arbeiten. Etwas zu verändern, bevor wir krank werden. Denn weder das Alter, noch sonst etwas sind ein sicherer Garant dafür, zu leben. So viele Menschen leben in ihrem Muster, weil sie denken, sie müssten es. So viele Menschen denken, für sie geht etwas nicht. Und das ist meine Aufgabe, ihnen zu entlocken, wie es für sie möglich sein kann. Denn überraschenderweise gibt es sehr oft einen Weg.
Gibt es ein besonderes Erlebnis oder eine Begegnung, die Sie zu einem Ihrer Bücher inspiriert hat?
Ellen Lutum: Ja, das gibt es tatsächlich. Es waren mehrere Kundinnen, die mich nach unserem Coaching angeschrieben haben. Sie erzählten mir, dass sie nun ein ganz anderer Mensch wären bzw. viel mehr Leichtigkeit und Lebensfreude spürten. Sie sahen oftmals, wie schwer sich ihre Freundinnen, Geschwister oder auch Kinder taten. Aber für ein Coaching waren sie nicht bereit. Vielleicht aus Angst, weil sie nicht wussten, was sie erwartet oder auch aus Angst vor der Veränderung. Ich habe überlegt, wie kann ich diese Frauen erreichen? Und so kam die Idee des Buches. Ein Nebeneffekt, mit dem ich gar nicht gerechnet habe. Viele Männer lesen meine Bücher um etwas besser zu verstehen, wie ihre Frauen denken und was da los ist. Die Nachrichten nach der Veröffentlichung von Frauen, denen mein Buch geholfen hat, die haben mich so motiviert, weiterzumachen und weiter zu schreiben.
Wie sehen Sie die Zukunft des Verlagswesens, insbesondere in Bezug auf Selbstveröffentlichung und traditionelle Verlagsmethoden?
Ellen Lutum: Sehr gespalten. Einerseits finde ich es sehr gut und wichtig, dass die Möglichkeit der Veröffentlichung ohne einen Verlag recht leicht geworden ist. Allerdings muss ich auch feststellen, dass es die Qualität des Medium Buch nicht unbedingt verbessert. Viele Autoren unterschätzen ein gutes Lektorat, einen qualifizierten Satz und auch ein gutes Cover. Eine Selbstveröffentlichung ist mit Kosten verbunden, die scheuen viele Autoren und das ist für das Buch sehr schade. Doch es hat ja einen Grund, warum so viele Menschen das Selfpublishing vorziehen. Als Beginner mit einem Verlag zusammen zu arbeiten ist extrem schwierig geworden.
Es zählen nur noch Zahlen: Follower, Reichweite usw. Selbst wenn ein gutes Manuskript vorliegt, wird es entweder gar nicht erst veröffentlicht oder sehr stark verändert. Von den geringen Tantiemen, dem Mitspracherecht beim Cover und Satz fang ich erst gar nicht an. Das ist sich Buch innerhalb kürzester Zeit verkaufen muss, sonst landet es im Abstellraum, ist auch total schade. Bei meinem ersten Buch sind die Verkaufszahlen auch noch fast 4 Jahren sehr hoch und gut. Das liegt aber am Marketing. Und auch das ist bei vielen Verlagen leider Mangelware. Ich persönlich bin sehr gespannt, wie sich die Zukunft gestalten wird.
Welche Tipps haben Sie für angehende Autoren, die mit dem Gedanken spielen, ihr eigenes Buch zu veröffentlichen?
Ellen Lutum: Macht es selbst. Aber bitte professionell. Sucht euch eine gute Schreibbegleitung und einen Lektor. Seid bereit, in euer Buch zu investieren und seht es als Marketing-Möglichkeit. Das ist auch etwas, was wir Autoren:innen anbieten- die Begleitung zum Selfpublishing. Wenn man das richtig macht, gibt es, außer dem stationären Buchhandel, keinen Grund es nicht zu tun. Doch bevor ihr startet, stellt euch die Frage, was soll euer Buch? Gibt es einen Markt für die Story? Wie hilft es den Menschen? Und auch wenn es „nur“ ein Nischenmarkt ist, schreibt es trotzdem. Der eigene Schreibprozess ist für einen persönlich so wichtig.
Inwiefern hat die Gründung Ihres eigenen Verlags Ihnen mehr kreative Freiheit und Kontrolle über Ihre Arbeit gegeben?
Ellen Lutum: Die kreative Freiheit hatte ich auch als Selfpublisherin- man ist und bleibt sein eigener Chef. Doch die Gründung des Verlages hat es mir ermöglicht, dass meine Bücher in jeder Buchhandlung erhältlich bzw. zu bestellen sind. Das war für mich der größte Punkt, einen Verlag zu gründen. Ich fand es schon immer doof, dass es für die Buchhandler und dann auch für die Kunden so schwierig war, meine Bücher zu erhalten. Besonders, wenn Menschen sie nicht bei einem der großen Online-Dienstleister bestellen wollten.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Resilienz und Anpassungsfähigkeit beim Wechsel von einer Karriere zur anderen?
Ellen Lutum: Resilienz ist für mich die Grundlage, ebenso wie Anpassungsfähigkeit, um überhaupt einen Neubeginn zu wagen. Es liegt an der eigenen Betrachtungsweise, ob ich für so einen Schritt bereit bin. Es ist egal, in welchem Beruf wir unterwegs sind; ohne Resilienz und Anpassungsfähigkeit können wir keine Karriere machen. Wir müssen unsere Ressourcen im Blick haben, müssen unsere Muster loslassen. Das sind für mich die ersten Schritte einer Veränderung. Wir kommen nicht weiter wenn wir denken: „Das war ja schon immer so.“ Meiner Meinung nach wird auch immer noch unterschätzt, wie wichtig das Aufladen der eigenen Akkus ist. Wir können, und das ist ja die Kunst der Resilienz, nicht die Umstände verändern- aber wir können unseren Blick und Umgang damit verändern.
Können Sie einen Rat teilen, der Ihnen geholfen hat, durch schwierige Zeiten zu navigieren und sich beruflich neu zu erfinden?
Ellen Lutum: Es hört sich so nach Kalenderblatt Motivation an, aber für mich stimmt es… Manchmal ist eine Niederlage auf den zweiten Blick eine Riesenchance. Ich habe gekündigt und fühlte mich wie eine Versagerin. Nicht systemtauglich. Nicht teamfähig. Doch ich hätte nie diesen Weg auf mich genommen und wäre ihn gegangen, wenn ich Krankenschwester geblieben wäre. Es gibt auch heute noch Situationen, die sich im Nachhinein als ungünstig herausstellen.
Doch anstatt daran zu hadern oder zu meckern, frage ich mich lieber: Wofür war das jetzt gut? Wie hat dich das jetzt weitergebracht? Und ich glaube, dass ich durch diese Erfahrungen viel größer und stärker hervorgegangen bin. Dennoch tun schwierige Zeiten auch weh. Und das dürfen sie auch. Anstatt den Schmerz schön zu reden oder wegzudrücken, lasst ihn raus. Geht in den Wald und heult und brüllt. Reagiert euch am Boxsack ab. Und danach sucht nach Lösungen.
Können Sie einen Rat teilen, der Ihnen geholfen hat, durch schwierige Zeiten zu navigieren und sich beruflich neu zu erfinden?
Ellen Lutum: Es hört sich so nach Kalenderblatt Motivation an, aber für mich stimmt es… Manchmal ist eine Niederlage auf den zweiten Blick eine riesen Chance. Ich habe gekündigt und fühlte mich wie eine Versagerin. Nicht systemtauglich. Nicht teamfähig. Doch ich hätte nie diesen Weg auf mich genommen und wäre ihn gegangen, wenn ich Krankenschwester geblieben wäre. Es gibt auch heute noch Situationen, die sich im Nachhinnein als ungünstig herausstellen. Doch anstatt daran zu hadern oder zu meckern, frage ich mich lieber: Wofür war das jetzt gut?
Wie hat dich das jetzt weiter gebracht? Und ich glaube, dass ich durch diese Erfahrungen viel größer und stärker hervorgegangen bin. Dennoch tun schwierige Zeiten auch weh. Und das dürfen sie auch. Anstatt den Schmerz schön zu reden oder wegzudrücken, lasst ihn raus. Geht in den Wald und heult und brüllt. Reagiert euch am Boxsack ab. Und danach sucht nach Lösungen.
Wir bedanken uns bei Ellen Lutum für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder