Im Gespräch mit Manuela Vollmer, Mentorin für unternehmerische Identität und Entscheidungspsychologie, wird deutlich, wie stark Jahreswechsel, innere Muster und ein klar definiertes Selbstbild das Handeln von Unternehmerinnen prägen – und warum echte Entwicklung weit über Vorsätze hinausgeht.
Wie beeinflusst der Jahreswechsel die Fähigkeit von Unternehmerinnen, klare Entscheidungen zu treffen?
Manuela Vollmer: Der Jahreswechsel wirkt wie ein psychologischer Verstärker. Viele wollen neu starten, rutschen aber sofort in ihre alten Muster. In dieser Phase zeigt sich, ob Entscheidungen aus der eigenen Identität entstehen oder aus innerem oder äußerem Erwartungsdruck. Dadurch wird sichtbar, warum manche klar handeln und durchziehen können und andere ins Zögern fallen und schwer in die Umsetzung kommen.
Welche Rolle spielt die eigene Identität dabei, unternehmerisches Verhalten langfristig zu prägen?
Manuela Vollmer: Die eigene Identität entscheidet, wie jemand Situationen bewertet, welche Optionen überhaupt wahrgenommen werden und welche Entscheidungen sich stimmig anfühlen. Sie legt fest, ob jemand eher reagiert oder gestaltet, ob Veränderungen als Chance oder als Risiko gesehen werden und wie konsequent jemand mit sich selbst umgeht. Unternehmerisches Verhalten entsteht nicht aus Methoden oder Vorsätzen, sondern aus diesem inneren Selbstbild. Wenn die Identität klar ist, werden Entscheidungen leichter und Beständigkeit möglich. Wenn sie unscharf ist, entstehen Muster wie Zögern, Perfektionismus oder das berühmte Hin-und-Her im Kopf.
Warum werden die psychologischen Effekte des Jahreswechsels auf Veränderungsprozesse häufig unterschätzt?
Manuela Vollmer: Weil der Fokus oft auf Zielen und Vorsätzen liegt und nicht auf den inneren Prozessen, die Veränderungen möglich machen. Der Jahreswechsel löst Erwartungen, Druck und Vergleiche aus, aber diese Ebene bleibt meist unbewusst. Viele glauben, dass ein neues Datum automatisch neue Verhaltensweisen erzeugen kann. Dabei verstärkt der Jahreswechsel nur das, was bereits da ist: Muster, Unsicherheiten und Routinen. Genau deshalb wird der psychologische Anteil unterschätzt – er zeigt sich, bevor irgendetwas geplant oder umgesetzt wird.
Was unterscheidet echte persönliche und unternehmerische Entwicklung von klassischen Vorsätzen?
Manuela Vollmer: Vorsätze entstehen aus einem Wunsch, etwas zu verändern, aber sie greifen die inneren Muster nicht an, die das Verhalten steuern. Entwicklung beginnt dort, wo jemand versteht, warum er bisher so gehandelt hat und daraus andere Entscheidungen möglich werden. Entwicklung, egal ob persönlich oder unternehmerisch, basiert auf Identität, nicht auf Willenskraft. Deshalb hält ein Vorsatz selten, eine innere Verschiebung dagegen verändert langfristig das Verhalten.
Wie hat die Krise zu Beginn Ihrer Selbstständigkeit Ihre Sicht auf Entscheidungen und Anpassungsfähigkeit verändert?
Manuela Vollmer: Ich dachte damals, die größte Entscheidung läge hinter mir: die Gründung. Ich hatte monatelang geplant, dokumentiert und alles darauf ausgerichtet, Stabilität zu schaffen. Als der Lockdown kam und mein Businessplan von einem Tag auf den anderen wertlos wurde, hatte ich zwei Möglichkeiten: warten oder handeln. Ich habe mich entschieden, die Situation zu nehmen, wie sie war, und ohne lange Planung ins Tun zu gehen. Erst viel später habe ich verstanden, dass genau dieses Verhalten meiner natürlichen Verhaltens-DNA entspricht. Ich war vorher zu sehr auf Sicherheit fixiert, weil es von außen so erwartet wurde. Heute entscheide ich anders: Ich schaue zuerst darauf, was in mir stimmig ist, was sich verändern darf und welche Unterstützung ich brauche. Diese Haltung prägt bis heute meine unternehmerischen Entscheidungen.
Welche inneren Mechanismen wirken, wenn Unternehmerinnen unter Druck plötzlich völlig neue Wege einschlagen müssen?
Manuela Vollmer: Unter Druck reagiert niemand rational. Da greifen automatische Programme der Urzeit: Kampf, Flucht oder Erstarren. Deshalb entstehen in solchen Momenten oft Entscheidungen, die mehr mit Entlastung als mit echter Entwicklung zu tun haben. Wenn jemand jedoch versteht, wie sie in Stresssituationen tickt, wird sichtbar, ob eine Bewegung aus Angst entsteht oder aus Identität. Genau dort liegt der Unterschied zwischen hektischem Umsteuern und einem Schritt, der langfristig Substanz hat.
Welche langfristigen Vorteile können aus radikalen Umbrüchen wie Ihrem Lockdown-Neustart entstehen?
Manuela Vollmer: Solche Brüche holen einen aus jedem theoretischen Denken heraus. Man erkennt sehr schnell, was funktioniert und was nur gut geplant war. Dadurch entsteht eine unternehmerische Klarheit, die man nicht aus Büchern bekommt. Mein Neustart hat mir gezeigt, wie ich wirklich entscheide, wie anpassungsfähig ich bin und wie viel stärker diese innere Logik ist als jede Strategie. Aus dieser Zeit sind Entscheidungen entstanden, die mein heutiges Business erst möglich gemacht haben – auch die Freiheit, einen Teil des Jahres in Sirmione am Gardasee zu arbeiten.
Inwiefern beeinflusst der Arbeitsort – zum Beispiel Ihre Zeit am Gardasee – die Qualität unternehmerischer Entscheidungen?
Manuela Vollmer: Ein anderer Ort verändert den inneren Zustand. Sobald ich aus meinen gewohnten Abläufen rauskomme, denke ich klarer und freier. Das gilt überall – ob es ein kleiner Ort in Deutschland ist oder ein Platz, an dem andere Urlaub machen. Kulturen, Menschen und Energie sind anders, und das öffnet automatisch den Blick. Am Gardasee bin ich näher bei mir, ich fühle mehr Leichtigkeit im Alltag und erinnere mich daran, dass mein heutiges Arbeitsumfeld eine bewusste Entscheidung war. Aus diesem Zustand heraus treffe ich Entscheidungen schneller und eindeutiger.
Was können selbstständige Frauen konkret tun, um ihre Identität so zu stärken, dass sie bessere Entscheidungen treffen?
Manuela Vollmer: Viele selbstständige Frauen glauben, dass sie ihre Themen allein lösen müssen – aus Verantwortungsbewusstsein, aus Stärke oder weil sie es gewohnt sind, sich durchzubeißen. Im Inneren führt diese Haltung jedoch oft dazu, dass sie nur im eigenen Denken kreisen. Identität braucht eine Außenperspektive, um sichtbar zu werden: Wo handle ich aus Überzeugung und wo aus Gewohnheit? Wo wähle ich mich – und wo funktioniere ich? Wenn diese Muster gespiegelt werden, entsteht etwas, das im Alleingang kaum möglich ist: eine klare innere Orientierung. Ab dann wirken kleine, konsequente Entscheidungen stärker als jede große Veränderungsabsicht. Identität stabilisiert sich nicht durch Vorsätze, sondern durch tägliche Selbstbeobachtung, ehrliche Reflexion und den Mut, sich an den eigenen Maßstab zu binden. So entstehen Entscheidungen, die wirklich zu einem passen und nicht nur zu den Erwartungen anderer.
Welche typischen Denkfehler begegnen Ihnen in Bezug auf Vorsätze, Veränderung und unternehmerischen Erfolg?
Manuela Vollmer: Viele glauben, dass sie nur mehr oder anders tun müssen, vergessen dabei aber, dass nicht die Aktivität im Außen der eigentliche Treiber ist, sondern die Identität, aus der jemand handelt. Unternehmerischer Erfolg wird oft daran gemessen, wie voll ein Kalender oder Bankkonto ist – dabei wird Wirkung viel zu häufig mit Beschäftigung verwechselt. Unterm Strich: Die Person, die ich glaube zu sein, bestimmt, wie gut ich meine Ziele erreiche. Wenn Identität und Verhalten übereinstimmen, entsteht Leichtigkeit. Wenn sie auseinanderlaufen, wird alles mühsam, weil Erwartungen erfüllt werden sollen, die nicht zur eigenen Verhaltens-DNA passen.
Fotograf Leo Beisswenger
Wir bedanken uns bei Manuela Vollmer für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder























