Der „Camino Frances“, der vermutlich bekannteste Jakobsweg, führt durch Nordspanien nach Santiago de Compostela.
Alljährlich pilgern ihn Tausende von Menschen mit den unterschiedlichsten Zielen: Sie möchten sich körperlich herausfordern, spirituelle Einsichten gewinnen oder sie treibt der Drang nach Veränderung im Privaten und/oder im Beruflichen. In zahlreichen Gesprächen bestätigten mir Mitpilgernde* ihren Wunsch, beruflich neu starten zu wollen. Raus aus Corporate, rein ins Unternehmertum – das Gefühl der Freiheit während des Pilgerns ins Berufliche übersetzen. Nicht selten folgt auf eine Pilgerreise die Gründung eines ersten Startups. Neben der Erkenntnis, sich verändern zu wollen, lernen viele auf einer Pilgerreise aber noch vieles mehr, was ihnen bei der Gründung ihres Startups helfen wird. Mal anders gedacht, 7 Lektionen, die helfen können:
1. Planung ist das A und O
Planung ist das A und O fürs Pilgern: die Route wählen, den Rucksack RICHTIG nur mit dem Nötigsten packen, Zieldestinationen vorher überlegen, auch, wenn es später womöglich anders kommt. Zwar ist der Weg das Ziel, aber Vorbereitungen minimieren unerwartete Schwierigkeiten. Gleiches gilt für Startup-Gründung. Alles startet mit der soliden Planung: Businessplan, Marktanalyse und Finanzplanung. Es benötigt eine fokussierte Vision und eine erste klare Strategie, die den Weg zum Erfolg ebnet und dabei hilft, Hürden zu meistern. Fokus ist „Key“: klar, simple, prägnant.
2. Am Ball bleiben
Trotz genauer Planung treten häufig unvorhergesehene Herausforderungen wie Dauerregen, Verlust von wichtigen Gegenständen, Verletzungen wie Blasen oder ähnliches auf. Erfolgreiche Pilger reagieren flexibel und passen ihre Pläne umgehend an, indem sie beispielsweise Tagesetappen kürzen, Pausentage nutzen oder ihre Laufstrategie anpassen. Auch Startups unterliegen der Notwendigkeit, flexibel zu agieren und am Ball zu bleiben. Marktvolatilitäten, Unsicherheiten, Ambiguitäten können ökonomische oder politische Bedingungen sehr schnell verändern. Ein agiles Mindset ermöglicht es, auf Veränderungen adäquat/schnell zu reagieren, Pivot-Strategien zu entwickeln und wettbewerbsfähig zu sein, zu werden, zu bleiben.
3. Resilienz und Durchhalten, dann wenn der „Kopf streikt“
Der lange, oft anstrengende Weg, in meinem Fall rund 1000 km, erfordert mentale und körperliche Stärke. So oft gibt es Momente, in denen man aufgeben, abbrechen oder einfach nicht mehr laufen möchte. Selbst, wenn der Körper noch mitmacht, streikt manchmal der Kopf. Daher gilt es, Durchhaltevermögen zu zeigen, um Erfolg zu haben und eine tiefgreifende Belohnung zu erleben.
Der Weg eines Startups ist ebenfalls selten einfach. Finanzielle Engpässe, Personalprobleme und Wettbewerbsherausforderungen sind nur einige Aspekte, die Schwierigkeiten bereiten können. Auch hier gilt: Resilienz und Durchhaltevermögen sind entscheidend, um langfristig und nachhaltig erfolgreich zu sein.
4. Die Kraft des Netzwerks und der Community
Das Erleben einer starken Gemeinschaft und die gegenseitige Unterstützung auf den Pilgerwegen und in den Herbergen ist eine herausragende Erfahrung. Aus diesen Kontakten können sich schnell wertvolle Netzwerke sogar Freundschaften bilden. Gleiches gilt für Startups. Netzwerke sind überlebenswichtig. Mentoren, Investoren und erfahrene Startup-Gründer bieten Feedback, Tipps und Ressourcen, die Türen öffnen und das Wachstum des Startups schnell fördern können. Die Offenheit für diese Tipps und Feedbacks kann entscheidend für den Erfolg eines Startups sein.
5. Auf sich Acht geben und Zeit zur Reflexion gewähren
Selbst wenn sich die Natur um einen herum verändert, der Akt des Wanderns ist eher monoton. Doch diese Monotonie ist hier vorteilhaft, denn gerade sie erlaubt es, über Leben, Ziele und Prioritäten zu reflektieren. Über diese Reflexion gewinnt man Klarheit und einen tiefen Einblick in die persönlichen und beruflichen Wünsche und Ziele.
Im Startup-Kontext gibt es eine solche Monotonie des Handelns weniger, weshalb die Zeit zur Reflexion gezielt eingeplant werden muss. Denn auch hier ist es wichtig, innezuhalten, um den erreichten Fortschritt zu reflektieren und aus Erfolgen und auch aus Fehlern zu lernen. Die gezielte Einbettung von Reflexionsphasen bedeutet hier auch eine gewisse Achtsamkeit gegenüber der unternehmerischen Entwicklung.
6. Selbstfürsorge
Pilger müssen auf ihren Körper hören und ihre mentale Stärke entwickeln. Regelmäßige Pausen, gute Ernährung und ausreichender Schlaf sind unerlässlich, auch der Seele muss mal etwas Gutes getan werden. Die Gründung eines Unternehmens kann zu Burnout führen, wenn Selbstfürsorge vernachlässigt wird. Gründer sollten ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und persönlichem Leben finden, um langfristig gesund und produktiv zu bleiben. Auch wenn die Arbeit häufig gefühlt einen 24-Stunden-Dienst erfordert, sind Auszeiten wichtig und ohne Selbstfürsorge läuft man schnell Gefahr, den Erfolg zu riskieren.
7. Freude am Prozess
Obwohl eigentlich das Endziel wichtig ist, erkennen viele Pilger den wahren Wert ihrer Reise in den täglichen Erfahrungen und den schönen Momenten, die sie während ihrer Wanderung erleben. Auch bei der Gründung eines Startups ist es wichtig, den Prozess zu genießen. Es sind auch die kleinen gemeisterten Herausforderungen und Lernkurven, die den Weg zum Erfolg ebnen und alltäglich zeigen, dass sich die Reise lohnt. Gründer sollten daher auch die täglichen Fortschritte und ihre kleinen Siege feiern.
Fazit
1000 Kilometer auf dem Camino bieten also viel Lehrreiches für die Gründung und Führung eines Startups. Ich spreche aus eigener Erfahrung. Ob sorgfältige Vorbereitung, Anpassungsfähigkeit oder Durchhaltevermögen bis hin zu Netzwerken und Selbstfürsorge – die Erfahrungen auf dem Camino können Gründern wichtige Einsichten und Fähigkeiten vermitteln. Denn: Pilgern und Unternehmensgründung sind geprägt von Höhen und Tiefen sowie persönlichen und beruflichen Wachstumsphasen. Die Weisheiten des Camino unterstützen nicht nur den Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens, sondern tragen auch dazu bei, eine erfüllte und ausgeglichene Reise zu erleben. „Buen Camino aka Buen Gründung“ für alle Startup-Gründer.
*dem Lesefluss halber bediene ich mich der männlichen Schreibweise, doch sind alle Geschlechter mitgedacht/einbezogen.
Titelbild:@privat
Autor
Dr. Thorsten Eger leitete HR-Funktionen internationaler Konzerne und KMUs. Er ist Partner einer Unternehmensberatung, selbst Startup-Gründer, Investor und international ausgezeichnet für innovative Organisationsentwicklung und D&I-Arbeit. Er doziert zu den Themen Führung und Selbstreflexion und berät Startup-Gründer und CEOs von Scale-ups.
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.