Die Myosotis GmbH schafft mit Ihrer myo App digitale Nähe zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen, in einer Zeit wo räumliche Trennung überlebensnotwendig ist.
Stellen Sie sich und das Startup Myosotis doch kurz unseren Lesern vor!
Ich heiße Jasper Böckel, bin 32 Jahre alt und Co-Founder der Myosotis GmbH aus Berlin. Felix Kuna und ich haben die erste Software-as-a-Service-Lösung für direkte digitale Kommunikation zwischen Pflegepersonal, Angehörigen und dem Ökosystem von Dienstleistern in Pflegeheimen entwickelt. Mit unserer App myo lassen Pflegekräfte die Familie am Leben eines Pflegebedürftigen teilhaben. Sie ermöglicht den intuitiven Austausch von Fotos, Videos und Sprachnachrichten sowie Videotelefonie. Mit myo teilen Pflegende schöne Momente der Heimbewohner mit ihren Angehörigen. Umgekehrt funktioniert das genauso. So fördert myo den regelmäßigen Kontakt mit Angehörigen, die z.B. weit weg wohnen und nicht regelmäßig Zeit für Besuche haben.
Gleichzeitig ist das Pflegepersonal mit unserer App mit Ärzten, Apothekern und Dienstleistern wie dem Wäscheservice verbunden, – das spart viel Zeit, denn ein Großteil der Kommunikation läuft hier noch per Telefon, Brief oder Fax. Geht beispielsweise die Lieblingsbluse einer Bewohnerin nach einem Waschgang verloren, muss die Pflegekraft nicht beim Wäscheservice anrufen, sondern kommuniziert direkt per App mit einem Ansprechpartner dort. Oder Pflegekräfte senden mit einem Klick die neuesten Hygienevorschriften an alle Angehörigen, ohne jeden einzeln anrufen zu müssen.
Warum haben Sie sich entschieden, ein Unternehmen zu gründen?
Felix und ich haben uns während eines MBA-Studiums kennengelernt. Bevor wir myo gegründet haben, arbeiteten wir im Bereich Private Equity und Unternehmensberatung. In unserem Studium haben wir gespürt, dass wir nicht zu unseren alten Jobs zurückkehren wollen. Da wir bisher keinen Zivildienst oder ein FSJ absolviert hatten, wollten wir diese Erfahrung nachholen und eine neue, soziale Arbeitswelt kennenlernen. Die Pflege interessierte uns am meisten, als ein Bereich, der unsere Gesellschaft in Zukunft vor große Herausforderungen stellen wird. Also haben wir Anfang 2017 bei einer Pflegeeinrichtung von Agaplesion gefragt, ob wir dort ein Pflegepraktikum absolvieren dürften.
Die Reaktion war herrlich: „Klar, kein Problem, ihr könnt am Montag 6.30 Uhr mit der Frühschicht anfangen.“ Die Arbeit der Pflegekräfte hat uns sehr beeindruckt. Sie erleben viele schöne Momente mit den Pflegebedürftigen – die sie aber leider nicht unmittelbar mit deren Angehörigen teilen können. Eine Situation ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: Nach einem Ausflug in ein Museum wurde eine Bewohnerin danach von ihrer Tochter gefragt, was sie bisher erlebt habe. Die Heimbewohnerin war demenziell verändert und antwortete, dass nichts passiert sei. Ich erzählte der Tochter von dem Ausflug, doch diese wollte das einem jungen Pfleger wie mir nicht richtig glauben. Hier entstand die Idee, eine Lösung zu entwickeln, wie die Angehörigen mehr vom Alltag ihrer Lieben im Heim mitbekommen können.
Welche Vision steckt hinter Myosotis?
Wir wollen die aufopferungsvolle und beeindruckende Arbeit von Pflegekräften sichtbar machen und administrative Prozesse vereinfachen. Mit myo sollen Pflegebedürftige mit ihren Angehörigen kommunizieren und Zugang zu Angeboten wie Physiotherapie oder Essensbestellungen haben, auch wenn sie nicht selbst ein Smartphone bedienen können. Unser Ziel ist es, die weltweit meistgenutzte digitale Anwendung in der Pflege zu werden und das gesamte Ökosystem rund um die Pflege zu vernetzen.
Von der Idee bis zum Start: Was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?
Das Thema Digitalisierung ist bei vielen Pflegeeinrichtungen noch nicht in der Finanzplanung vorgesehen. Dort ist unsere App häufig die erste digitale Lösung. Demnach gibt es auch kein WLAN oder Smartphones für die Pflegekräfte. Da wir mit sensiblen Daten arbeiten, war eine weitere Herausforderung, als kleines Startup das Vertrauen großer Träger zu gewinnen.
Wie hat Myosotis von TechBoost, dem Startup-Programm der Telekom, profitiert?
Wir sind relativ neu im TechBoost-Programm, dennoch hat die Telekom uns schon beim Marketing unterstützt und wir haben einen persönlichen Ansprechpartner, der uns bei allen Fragen rund um das Thema Datenschutz weiterhilft.
Inwiefern hat TechBoost Myosotis dabei unterstützt verschiedene Herausforderungen zu meistern?
Durch die Zusammenarbeit mit der Telekom konnten wir einen Vertrauensvorsprung bei vielen Trägern erreichen. Außerdem hat die Telekom im Frühjahr 2020 insgesamt 10.000 Smartphones an Pflegeeinrichtungen verteilt, damit Pflegebedürftige auch ohne Besuche mit ihren Angehörigen in Kontakt sein konnten. Diese Aktion hat unsere App ebenfalls weiterverbreitet.
Wer ist die Zielgruppe von Myosotis?
Unsere Zielgruppe sind Pflegeheime sowie Gesundheitskonzerne und -verbände. Zu unseren Kunden zählen aktuell große Pflegeheimketten, wie das Deutsche Rote Kreuz, die Caritas und der Gesundheitskonzern Agaplesion. Zudem arbeiten wir eng mit Apothekerverbänden und Dienstleistern wie dem Wäscheservice CWS zusammen. Genutzt wird unser System von Mitarbeitern in Pflegeeinrichtungen, Dienstleistern, die mit Pflegeinrichtungen zusammenarbeiten sowie Angehörigen von Pflegebedürftigen.
Wie funktioniert Myosotis? Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
Das Pflegepersonal bedient die myo-App über ein Firmen-Smartphone, Tablet oder im Web-Browser. So können die Angestellten per Foto, Video und Sprachnachricht Momente aus dem Alltag im Pflegeheim festhalten und verschicken und die Angehörigen am Leben der Pflegebedürftigen teilhaben lassen. Kunden können über eine Web-Oberfläche sehen, wie viele Pflegekräfte die App in ihren Einrichtungen nutzen. Dabei ist myo zu 100 Prozent DSGVO-konform; wir ziehen keinerlei Nutzen aus den gewonnenen Daten.
Wie hat sich Ihr Unternehmen mit Corona verändert?
Wir arbeiten seit März komplett im Homeoffice und glauben mehr denn je an unsere Lösung. Wir haben miterlebt, wie myo Pflegebedürftige und deren Angehörige in diesen herausfordernden Zeiten digital zusammenbringt. Um so vielen Menschen zu helfen wie möglich, haben wir uns am Anfang der Pandemie dazu entschlossen, unsere App mehrere Monate kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
Wie haben Sie sich darauf eingestellt und welche Änderungen haben Sie vorgenommen?
Im Zuge der Besuchseinschränkungen in Altersheimen haben wir unsere App um Videotelefonie ergänzt. Zudem können die Bewohner im Heim über myo jetzt auch Nachrichten von ihren Angehörigen empfangen. Im Unternehmen haben wir unsere Prozesse so digitalisiert und automatisiert, dass das Onboarding von Neukunden nur noch 30 Minuten dauert. Früher brauchten wir dafür Besuche vor Ort und mehrere Stunden. Zudem ist es uns gelungen, auch Pflegeheime in anderen Ländern an unsere App anzuschließen. Jetzt sind wir im gesamten DACH-Raum und in England erfolgreich im Einsatz.
Wo sehen Sie in der Krise die Chance?
Wir bemerken, dass Pflegeeinrichtungen in der Krise deutlich in ihre Internetanbindung und Hardware wie Smartphones und Tablets investieren. Damit einher geht auch der Gesetzesentwurf des Bundesgesundheitsministeriums, der digitale Pflegeanwendungen auf Rezept ermöglichen wird. Das bietet große Chancen für myo. Zudem hoffen wir, dass die Krise die Politik dazu motiviert, die Bedingungen in der Pflege zu verbessern und sich in diesem Zuge mehr Menschen für einen Pflegeberuf entscheiden.
Wo geht der Weg für Myosotis hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
In fünf Jahren wollen wir in weiteren sechs europäischen Ländern sowie in Australien und den USA aktiv sein. Unsere Vision ist, dass es ganz normal für Mitarbeiter in der Pflege sein wird, mit dem Smartphone zu arbeiten. Die Zeit, die wir durch Technik sparen, kann dann wieder in menschliche Interkation mit dem Pflegebedürftigen investiert werden.
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?
Mein erster Tipp ist: Macht euch die Hände schmutzig und sammelt Bottom-up-Erfahrungen in der Branche, in der ihr gründen wollt. Als zweiten Tipp möchte ich mitgeben, dass nichts wichtiger ist als die Beziehung und das Vertrauen im Gründerteam. Diese Dynamik braucht Arbeit, genauso wie z.B. der Finanzplan – investiert hier bewusst Zeit und holt Euch bei Bedarf Hilfe von außen. Der dritte Tipp ist zugegebenermaßen von einem gewissen Herrn Steve Jobs geklaut, doch ich finde ihn mehr als zutreffend: Fokus ist die Fähigkeit, nein zu sagen. Hinter jeder Ecke lauern neue Möglichkeiten, aber mit limitierter Zeit und Ressourcen müsst Ihr lernen, zu vielen Verlockungen bewusst nein zu sagen – löst erstmal ein Problem und arbeitet von dort aus weiter.
Wir bedanken uns bei Jasper Böckel für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder