Puraite gewährt im folgenden Gespräch spannende Einblicke in die Entstehung, die Vision und die Zukunft des Unternehmens.
Was genau macht Puraite und wie ist die Idee aus dem universitären Umfeld der Universität Paderborn entstanden?
Puraite automatisiert systematische Literaturreviews (SLR) für Pharmaunternehmen mit KI. Die Idee entstand nach monatelanger Validierung mit Interviews mit Pharmafachleuten. Wir haben schnell gemerkt, wie lange wissenschaftliche Evidenz-Aufbereitung dauert und, dass der KI-Fortschritt es mittlerweile ermöglicht, die einzelnen Schritte einer SLR zu automatisieren.
Wer steht hinter Puraite und welche persönlichen Hintergründe haben das Gründungsteam zur Entwicklung eurer Lösung motiviert?
Das Team besteht aus zwei PhD-Forschern im maschinellen Lernen (Karlson Pfannschmidt und Vitalik Melnikov) und mir als Wirtschaftsinformatiker. Ein privater Schicksalsschlag in der Familie zeigte uns die Bedeutung schneller Evidenz in der Medizin. Und auch unabhängig davon waren die Paarung von technischer Expertise und der Wunsch, Leben zu retten, unser Antreiber seit der ersten Stunde.
Welche konkrete Vision verfolgt Puraite im Bereich evidenzbasierter Medizin und wie wollt ihr diese Realität werden lassen?
Unsere Vision ist, medizinische Evidenz in Echtzeit anzubieten, so dass kein Patient mehr mit unwirksamen Medikamenten behandelt wird. Wir bringen diese Echtzeit-Evidenz per KI in Forschung und Industrie und bauen eine Plattform, die SLRs in Minuten bis Stunden statt Monaten bzw. Jahren (!) erstellt.
Für wen entwickelt ihr eure Lösung – und wie stellt ihr sicher, dass die Bedürfnisse dieser Zielgruppen tatsächlich getroffen werden?
Wir richten uns an Pharmakonzerne, MedTech-Unternehmen und akademische Forschungseinrichtungen. Wir arbeiten eng mit industriellen Pilotpartnern in Nordamerika, Asien und Europa zusammen und haben uns ein weltweites Forschungsnetzwerk aus der Domäne aufbauen können und holen fortlaufend Feedback zum Workflow und zur Benutzeroberfläche ein.
Was unterscheidet Puraite von anderen Akteuren, die ebenfalls KI in der Pharmaforschung einsetzen?
Wir setzen auf eigene transparente, nicht-black-box KI-Modelle. Jeder Schritt ist nachvollziehbar und erklärbar. Wir bieten eine End-to-End Automatisierung des gesamten SLR-Prozesses statt nur einzelner Teilschritte.
Wie gelingt es euch, wissenschaftliche Präzision mit technischer Innovation in Einklang zu bringen?
Wir trainieren unsere Modelle auf klinisch geprüften Datensätzen und werten sie an Goldstandard-Reviews aus. Moderne Explainable-AI-Methoden sichern die Präzision und Nachvollziehbarkeit und werden dann mit manuellen Workflows aus unserem Netzwerk verglichen.
Gab es während eurer bisherigen Entwicklung besondere Herausforderungen – und wie habt ihr diese gemeistert?
Eine unserer größten Herausforderungen war, eine Vorhersagegenauigkeit von über 95 % zu erreichen, denn erst ab diesem Qualitätsstandard ist ein KI-gestütztes Screening in der Medizin überhaupt praktikabel. Das erforderte zahlreiche Entwicklungszyklen: wir haben unsere Trainingsdatensätze ständig erweitert, Modelle gefinetuned und Output-Ergebnisse systematisch gegen Referenzdaten validiert. Erst als wir konsequent die 95-Prozent-Marke überschritten, haben wir das Tool in echte Piloten überführt.
Wie beeinflusst euer universitäres Umfeld eure Unternehmenskultur und Innovationskraft?
Der enge Draht zur Universität Paderborn verschafft uns Zugang zu Spitzenforschung und einem der leistungsfähigsten Supercomputer NRWs für schnelle KI-Experimente. Gleichzeitig leben wir einen agilen Startup-Spirit: Studierende und Forschende sind in unmittelbarer Nähe, was schnellen Wissenstransfer, frühe Prototyp-Tests und einfaches Recruiting neuer Talente ermöglicht.
Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bei euch konkret? Und wo seht ihr deren Potenzial für die Zukunft?
KI ist das Herzstück unserer Plattform: Sie übernimmt automatisiertes Screening, semantische Suche und datenbasierte Extraktion wichtiger Endpunkte. Zukünftig bauen wir darauf auf, um vollständige Meta-Study-Pipelines, Living Reviews in Echtzeit und Network Meta-Analysen zu ermöglichen, die parallel mehrere Forschungsfragestellungen beantworten.
Wie plant ihr, Puraite in den kommenden Jahren weiterzuentwickeln?
Wir zielen darauf ab, der führende Infrastruktur-Layer für Pharma-R&D zu werden. Geplant sind Features für Bias-Bewertung, automatisiertes Protocol-Design und kollaborative Living-Review-Workflows. Parallel dazu vergrößern wir unser Team kontinuierlich und suchen gezielt nach KI-Entwickler:innen und Domain-Expert:innen, um unsere Innovationsgeschwindigkeit hochzuhalten.
Was würdet ihr rückblickend anders machen, wenn ihr heute noch einmal gründen würdet?
Wir würden so früh wie möglich zahlungspflichtige Pilot-Pakete schnüren. In Deutschland verzögern oft lange IP-Verhandlungen die Kommerzialisierung. Das ist ein Punkt, den wir künftig proaktiver angehen würden, statt uns im Gegensatz zu US-Startups erst spät zahlungsfähig zu machen.
Welche drei Ratschläge habt ihr für andere Gründerinnen und Gründer, die mit einer wissenschaftlichen Idee starten wollen?
Fokus statt Perfektion: konzentriert euch auf ein MVP und testet es im Markt.
Frühe Kommerzialisierung: vergesst nicht, direkt zahlende Kunden einzubinden. Erst eine Zahlungsbereitschaft zeigt, ihr löst ein richtiges Problem.
Transparenz als Vorteil: KI muss nachvollziehbar sein, das schafft Vertrauen in regulierten Märkten.
Bild: Teambild @ Puraite
Wir bedanken uns bei Schahin Baki für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.