Freitag, März 29, 2024
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Wer alles kann, ist auch für alles zuständig

Das Dilemma der modernen Frau: sie soll Karriere machen, Kinder managen, den Haushalt „wuppen“, sagt Philosophin Rebekka Reinhard. Und sie kann es auch. Dadurch wird sie zur Zentrale der Zuständigkeiten – und sollte sich dringend daraus lösen.

„Die Situation der modernen Frau ist auch das Ergebnis eines ökonomischen Systems des ‚immer weiter, immer schneller, immer höher’“

Sie hat sich mit Büchern wie „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“, „Die Sinn-Diät“ oder „Würde Platon Prada tragen“ einen Namen als gewitzt-feministische Philosophin und kurzweilige wie tiefsinnige Autorin gemacht. Rebekka Reinhard nimmt sich auch in ihrem neu erschienenen Buch „Die Zentrale der Zuständigkeiten“ kein Blatt vor den Mund, sondern schildert pointiert, frech und denkanregend, wie moderne Frauen sich aus dem Dilemma der Fremderwartungen lösen können – indem sie einfach aufhören, für alles zuständig zu sein.

Rebekka Reinhard wird auf der herCAREER am 7. Oktober 2022 in München beim Authors-MeetUp ihr neues Buch „Zentrale der Zuständigkeit – 20 Überlebensstrategien für Frauen zwischen Wollen, Sollen und Müssen“ präsentieren. Die herCAREER hat Rebekka Reinhard vorab zum Interview über Rollenbilder, Gesellschaftserwartungen und „schlechte Frauen“ gebeten.

herCAREER: In deinem Buch geht es stark um Rollenbilder, aber auch um die eigene Identität als Frau. Wann hast du gewusst, wer du bist? Gab es einen Moment, in dem du erkannt hast: Jetzt bin ich dort, wo ich und wer ich sein will?

Dr. Rebekka Reinhard: Rückblickend gesehen waren es zwei Lebensalter, die mich zur Erkenntnis gebracht haben: Zu meiner Promotionszeit im Alter von 28 Jahren hatte ich halbwegs das Gefühl, ich bin erwachsen. Ich hatte erstmals die Souveränität zu wissen, was ich in meinem Leben nicht möchte – nämlich, als Philosophin an der Uni zu bleiben. Die zweite große Erkenntnis kam um die 40. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich endgültig kapiert, dass das, was ich in meiner Vielheit bin und sein möchte, nicht unbedingt dem entspricht, was ich für die anderen bin: Für die Gesellschaft bin ich zunächst und immer schon: eine sogenannte Frau.

herCAREER: Du beschreibst in „Die Zentrale der Zuständigkeiten“ die gesellschaftlich honorierte Rolle der „Super Woman“. Was hat dich dazu bewogen, genau dieses Buch zu schreiben?

Dr. Rebekka Reinhard: Eine große Motivation war meine Wut, als 2020 während der Corona-Pandemie plötzlich alle von Systemrelevanz sprachen und wie unter einem Brennglas deutlich wurde, wer dieses ‚System‘ trägt. Corona zeigte, Frauen sind die Krankenschwestern und Reinigungskräfte der Nation – sie sind die Kraftwerke, an deren Verteilernetz die Gesellschaft in prä- wie in postpandemischen Zeiten hängt. Die „Zentrale der Zuständigkeiten“ ist meine Metapher für die moderne Frau. Wir Frauen können alles – und wer alles kann, ist auch für alles zuständig, so die unausgesprochene Regel. Super Woman ist die neue neo-biedermeierliche Idealnorm. Wenn du Super Woman sein willst, musst du hart und weich zugleich sein. Hart heißt: professionell-kapitalistisch hart, aber so, dass es niemandem weh tut. Weich heißt: die anderen zart lächelnd und kostenlos mit Energie versorgen.

Mädchen performen schon in der Schule besser als die Jungs. Später werden sie sozialisiert, neben dem Job die Kinder zu managen und den Haushalt zu wuppen. Diese vermeintliche Selbstverständlichkeit wird immer noch viel zu selten hinterfragt. In meinem Buch geht es viel um working moms, also arbeitende, meist auch verheiratete Mütter. Ich habe die „Zentrale der Zuständigkeiten“ geschrieben, um stellvertretend für uns alle unser aller Wut nach außen zu tragen – speziell die Wut auch derer, die zu gestresst, zu müde sind zum Schreien.  Für mich ist das Buch also ein Akt der Frauensolidarität. Ich möchte uns alle – trotz allem und gerade deshalb! – zu mehr Leichtigkeit ermutigen und zum Lachen bringen.

herCAREER: Du beschreibst dich darin selbst als gesellschaftlich gesehen „schlechte Frau“: ohne Kind, unverheiratet, Philosophin.

Dr. Rebekka Reinhard: Das spezielle Mutterbild aus der Nazizeit wirkt in Deutschland immer noch nach. Die Kernidentität der modernen Frau im dritten Jahrtausend ist immer noch die Mutter. Das ist das wichtigste „Potenzial“ jeder Frau, egal, ob sie es realisiert oder nicht. Eine gute und echte Frau ist immer eine Mutter. Wenn sie in dieser Hinsicht nicht performt und so wie ich kinderlos ist, dann ist sie bestenfalls beruflich erfolgreich, vielleicht auch lustig und interessant, aber sie ist keine „gute“, „echte“ Frau. Auch wenn ich als Mutter arbeite und gute Leistungen erbringe, werde ich dann am meisten honoriert, wenn ich eine gute Mutter und bei meinen Kindern bin.

Das gilt auch 2022 noch als „wahrer“ weiblicher Erfolg. Die männliche Kernidentität besteht dagegen nicht darin, Vater zu sein – sondern körperlich stark und mächtig zu sein und das Sagen zu haben. Wir sollten nicht nur auf die Gender-mäßige Stereotype schauen, sondern auch auf die Biologie. Wenn Männer medizinisch irgendwann gebären könnten, wäre das ein gesellschaftlicher Gamechanger.

herCAREER: Du schreibst, das System ist immer noch krank, das Frauenbild immer noch so verlogen wie in den 1950ern mit Lächeln, perfektem Haar und Kochschürze. Warum?

Dr. Rebekka Reinhard: Die Feministin Betty Friedan beschrieb 1963 in ihrem Buch „The Feminine Mystique” die Einsamkeit moderner Hausfrauen. Heute meinen wir, als Superwomen seien wir so progressiv. Wir arbeiten, haben Kinder, moderne Männer. Trotzdem haben so viele von uns das Gefühl, dass irgendetwas ganz massiv nicht stimmt. Mehr als 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts und gut 50 Jahre nach Women’s Lib sollten wir uns schon fragen, warum immer noch gilt, was Alice Schwarzer schon 1975 erkannte: Frauen haben keine Zeit. Frauen haben Angst. Der Tupperware- oder Marketing-Feminismus unserer Tage, der dauergestresste Superwomen produziert, ist genauso verlogen wie das gleißend blonde, dauerlächelnde, Marmelade einkochende Rollenideal in der Hollywoodkomödie der Fünfziger- und Sechzigerjahre.

herCAREER: Das Zwei-Sphären-Glück, das du beschreibst, also das Weiblich-Weiche-Familiäre und das Harte-Karrieristischem klingt eher nach einem hoffnungslosen Dilemma aus dem es kein Entrinnen gibt. Wie sollen wir uns daraus befreien – wo doch alle darin gefangen sind, Frauen wie auch Männer?

Dr. Rebekka Reinhard: Nach der Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde erstmals die weibliche Sphäre definiert: wenn dem Manne die Sphäre der Ratio und des ökonomischen Erfolgs zusteht, muss die Frau mit Kind und Kegel am Herd kleben, Muffins backen und ihm den Rücken frei halten. Sie muss abhängig bleiben, damit er frei sei kann. Superwoman 2022 hat gefälligst in beiden Sphären durchzustarten. Sie soll Kind und Karriere haben, autonom und abhängig sein – wobei ihr Markenkern in der Mutterschaft besteht. Das ist die Quadratur des Kreises.

So entscheidend die Frauenbewegung war und ist – sie hat sich selbst etwas ad absurdum geführt. Die Situation der modernen Frau 2022 ist auch das Ergebnis eines ökonomischen Systems des „immer weiter, immer schneller, immer höher“, von dem wir anscheinend immer noch nicht genug haben. Trotz Klimawandel und Ressourcenverknappung geht es ja immer noch um Profitmaximierung. Wir haben uns nur bis zu einem bestimmten Punkt emanzipiert. Wenn wir die Emanzipation vollenden wollen, sollten wir uns mal überlegen: in welcher Welt wollen wir leben und was können wir tun, um das System zu verändern?

herCAREER: Im Buch schreibst du: „Eine Emanzipation, die am laufenden Band totaloptimierte Schafe produziert, widerspricht sich selbst“. Sind die Frauen oder gar die Frauenbewegung selbst schuld an den überhöhten Erwartungen an sie, alles perfekt hinkriegen zu müssen: Karriere, Kinder, Liebesleben? Anders gesagt: setzen wir Frauen uns zu sehr selbst unter Druck?

Dr. Rebekka Reinhard: Es ist nicht unsere Schuld, aber die unbewussten Identifikationen sind perfide. Wir lernen schon im Kindergarten, Lea-Marie ist hübscher als Marie, weil sie ein rosa Schleifchen trägt – also wollen wir auch ein Schleifchen tragen. Wir Frauen lernen früh, Positiv-Sexismen zu entsprechen, also zu gefallen: lächle, kümmere dich gefälligst um deinen Körper, sei erfolgreich, jammere nicht. Der Körper einer Frau steht immer im Mittelpunkt ist sie zu dünn, zu dick, ist sie schwanger?

Die Standardeinstellung, der default mode, ist immer männlich, wie ich im Kapitel „In der Herrenabteilung“ schreibe. Der Mann ist das Paradigma von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Die männliche Norm für alles und wird nicht hinterfragt. Dem Mann gehört die Redemacht, der Logos, die ökonomische Potenz, und er hat die mächtigere Physis. Ihm gehören die Freiräume, Herrschaftsräume, Wirtschaftsräume dieser Welt. Er hat immer schon Recht, ist immer einen Schritt voraus. Die Frau, die in sein Terrain einzudringen wagt, muss sich erstmal rechtfertigen – und es irgendwie schaffen, mit einem cleveren Methodenmix aus Hart und Weich in seine Abteilung vorzudringen.

herCAREER: Im Buch skizzierst du auch die Rolle der Positiv-Sexismen: wir sollen lieb, organisiert, effizient, flexibel, multitaskingfähig sein. Oft werden wir auch dafür anerkannt und gelobt, dass wir so viel leisten. Wie entkommen wir diesem Mechanismus?

Dr. Rebekka Reinhard: Die Positiv-Sexismen sind mit ein Grund, warum die Identifikation mit dem Rollenideal so gut funktioniert. Wir werden in jeder Phase unseres Lebens honoriert, wenn wir der guten, echten Frau entsprechen. Was können wir tun? Dafür biete ich in meinem Buch 20 Überlebensstrategien für ganz unterschiedliche, aber auch ganz typische Lebensphasen und Situationen an drin. Wichtig ist, dass wir zwischen Wollen, Sollen und Müssen zu unterscheiden lernen.

Was ich will, ist das, was ich in meiner ganzen Vielheit und „Diversität“ als Frau bin. Was ich soll, das sind normative Rollenideale, die die Gesellschaft vorgibt – die müssen nicht schlecht sein, sie geben ja auch Orientierung. Allerdings wird das Sollen schnell zu einem Müssen. Dieser Systemzwang macht uns fertig, nicht nur die Frauen übrigens. Was wollen wir denn? Wir wollen leben und glücklich sein! Und das Leben ist kurz. Wir brauchen mehr Solidarität unter Frauen und weniger Girl Hate, weniger „toxische Weiblichkeit“. Unser „Wir“ sollte nicht nur Frauen einschließen, sondern alle Geschlechter und eben auch die Männer, die Entscheidungsträger …

herCAREER: Du schreibst von den modernen Männern, die Gleichstellung gut finden und eben auch Kinder betreuen wollen. In der Lebensrealität gibt es aber oft einen Backlash.

Dr. Rebekka Reinhard: Der Mann ist nicht der Feind, nicht der Böse. Wenn etwas böse ist, dann die Konvention und die Stereotype. Viele Männer sagen, klar, ich bin für Gleichberechtigung. Leben sie aber in einer festen Beziehung – da muss es gar nicht zu Kind und Heirat gekommen sein – gilt es den Mann frühzeitig dafür sensibilisieren, wieviel archaischem Heroismus oder ererbten patriarchalischen Anspruchsdenken in seiner Modernität steckt. Viele Männer wollen im Haushalt helfen, aber wer beseitigt am Ende den Urinstein? Auch der modernste Mann hat diesen „default mode“ in sich. Das letzte Kapitel richtet sich direkt an die Männer, da gibt es einen Katalog von Fragen, die jede Frau „ihm“ mal gerne stellen würde – und die er sich jetzt mal selbst stellen könnte.

Beispielsweise die Fragen zum Thema „mental load“: Wie oft denkst du daran, dass du nachher/morgen/nächste Woche noch zur Reinigung/ den Urlaub buchen/mit dem Installateur verhandeln/das Geburtstagskind für dein Patenkind besorgen und deine Mutter anrufen musst? Wieviel davon hast du doch wieder vergessen? Wer hat dir die Erledigungen abgenommen? Je konkreter die Frau – oder besser, er selbst – sich solche Fragen stellt, desto besser. Abstraktion und Theorie helfen niemandem. Ein Feminist ist nicht einer, der toll über Gleichberechtigung reden kann. Sondern einer, der den Wischmop rausholt und loslegt.

herCAREER: Du gehst auch auf die systemimmanente männlicher Taubheit ein, die Frauen und ihre Ideen und Meinungen ignoriert. Was können Frauen tun, um etwa im Meeting tatsächlich Gehör zu finden – ohne entnervt zu resignieren oder wütend zu werden?

Dr. Rebekka Reinhard: In Meetings ist das typischerweise der Fall: die Frau äußerst eine grandiose Idee, und was passiert? Nichts. Zwei Minuten später äußert der Kollege dieselbe Idee und erhält die Credits. Hier gilt es den Mund aufzumachen und das Copyright für sich zu beanspruchen. Machen wir uns klar: Wann immer wir schweigen, überlassen wir Männern die Redemacht – und damit auch die Entscheidungs- und Privilegienmacht. Denn jede Art von Macht beginnt in unserer Kultur mit Redemacht. Das kann man freundlich und mit spielerischer Leichtigkeit tun, eben mit der eigenen Art. Es lohnt sich, mutig zu sein. Was haben wir zu verlieren? Mut macht die Erkenntnis, dass wir mutig ja nicht nur für uns selbst sind, sondern für unsere Kinder, Patenkinder, für die künftige Generation, für die Solidarität mit allen Schwächeren.

Über die Person

Dr. Rebekka Reinhard ist freie Philosophin. Sie promovierte 2011 an der Freien Universität Berlin über amerikanische und französische Gegenwartsphilosophie (summa cum laude). Seit 2007 ist sie Speakerin für Unternehmen zu den Themen Führung, Women Power/ Diversity, Ethik und Digitalisierung und seit 2019 auch stellvertretende Chefredakteurin der Philosophie-Zeitschrift „Hohe Luft“. Seit 2020 konzipiert und hostet Reinhard den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg), den inzwischen Reichweiten-stärksten deutschen Sachbuch-Podcast, mit Gästen wie Jutta Allmendinger, Mai-Thi Nguyen Kim und Richard David Precht.

Die Spiegel-Bestseller-Autorin ist einem breiten Publikum bekannt durch Sachbücher wie „Die Sinn-Diät“ (2009), „Würde Platon Prada tragen?“ (2011) und die „Kleine Philosophie der Macht (nur für Frauen)“. Ihr aktuelles Buch ist „Die Zentrale der Zuständigkeiten: 20 Überlebensstrategien für Frauen zwischen Wollen, Sollen und Müssen“ (Spitzentitel bei Ludwig/ Random House).

Am 07. Oktober 2022 kommt Dr. Rebekka Reinhard mit ihrem neuen Buch „Zentrale der Zuständigkeit“ auf die herCAREER-Expo und stellt es im Authors-MeetUp vor.

Das Interview führte Nicole Thurn

Quelle messe.rocks GmbH 

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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