RIIICO digitalisiert reale Fabriken mithilfe künstlicher Intelligenz und macht komplexe Produktionsumgebungen als interaktive 3D-Modelle planbar
Wie ist die Idee zu RIIICO entstanden und wer steht hinter dem Unternehmen?
RIIICO wurde inmitten der Covid-19 Pandemie von drei Alumni der RWTH Aachen gegründet. In dieser Zeit trat deutlich zum Vorschein, was viele bereits vorausgesehen hatten – die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie gerät immer mehr unter Druck. RIIICO wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, dass die traditionelle Art und Weise wie Fabriken geplant und designt werden, nicht mehr funktioniert. Ein von Schnelllebigkeit geprägtes Marktumfeld stellt ganz besonders für die Produzenten großer Maschinen- und Anlagenbauer eine große Herausforderung dar. Deshalb fingen wir in den Räumlichkeiten der Uni an, eine Lösung zur 3D-Visualisierung ganzer Fabrikanlagen, zu entwickeln, die es Unternehmen ermöglicht schnell Veränderungen auf Ihrer Fabrikfläche umzusetzen.
Was war der Auslöser dafür, reale Fabriken in digitale Zwillinge zu transformieren?
Das Potential digitaler Zwillinge ist immens und seit Jahren wird in Technologien zur Visualisierung von Fabriken investiert. Allerdings sind etablierte Methoden zeit- und kostenaufwendig. Mit RIIICOs Ansatz lässt sich der Prozess erheblich vereinfachen und beschleunigen. Unsere KI erkennt nicht nur viele Objekte in der Visualisierung automatisch, sondern generiert direkt ein individuelles 3D-Modell für jedes einzelne Element. Auf diese Weise kann direkt mit den Daten gearbeitet werden. Ingenieurinnen können RIIICO verwenden, um früh Konzepte zu evaluieren und umzusetzen. Durch die Ableitung aus der Realität kann unseren Daten direkt vertraut werden, was viele Herausforderungen löst und Planungszyklen einspart.
Welche Vision verfolgt RIIICO langfristig und wie arbeitet ihr darauf hin?
Die produzierende Industrie benötigt höhere Planungsflexibilität, um mit kürzeren Produktlebenszyklen, unvorhersehbarer Nachfrage und globalen Veränderungen der Absatzmärkte Schritt zu halten. Wir sind überzeugt, dass jeder Hersteller dafür die Möglichkeit haben muss, proaktiv und datenbasiert handeln zu können. Indem wir mittels künstlicher Intelligenz die Realität der Fabrik direkt digital abbilden, schaffen wir ein leistungsstarkes Werkzeug, welches die Wirklichkeit der Fabrik jedem Mitarbeitenden zugänglich macht und ihn befähigt aktiv mitzugestalten. Langfristig tragen wir dazu bei, die Synchronisation zwischen Realität und Digitalwelt zu ermöglichen.
Welche Unternehmen oder Branchen profitieren besonders von eurer Lösung?
Unsere Lösung eignet sich besonders für die Umplanung von Bestandsfabriken – und ganz besonders für solche Unternehmen der diskreten Fertigung. Überall dort, wo große Maschinen und Anlagen gebaut werden, kann RIIICO zum Einsatz kommen, beispielsweise in der Automobilindustrie. Erprobte Anwendungsfälle reichen von der Inbetriebnahme einer neuen Automatisierungslösung bis hin zu Integrationen neuer Produkte in laufende Produktionen. Letzteres kommt einer Operation am offenen Herzen gleich und wird durch RIIICOs Ansatz, der realitätstreue 3D-Objekte mit umfänglicher Kompatibilität vereint, schneller, präziser und reibungsloser.
Wie gelingt es euch, komplexe Produktionsumgebungen in verständliche digitale Modelle zu übersetzen?
Der Kern unserer Technologie ist ein eigens entwickeltes KI-Modell, das Objekte anhand ihrer 3D-Geometrie direkt in der realen Umgebung erkennt. Anders als klassische Bilderkennung arbeitet unser Ansatz mit räumlicher Wahrnehmung. Dadurch können wir nicht nur Objekte klassifizieren, sondern auch deren genaue Maße und Positionen im Raum erfassen. Auf Basis dieser erkannten Objekte erzeugen wir durch eine Reihe nachgelagerter Prozesse hochauflösende, strukturierte 3D-Modelle. Diese sind vollständig kompatibel mit gängigen 3D-Systemen und Planungssoftwares. So entsteht eine präzise digitale Repräsentation der realen Produktionsumgebung – direkt aus der Realität, ohne Umweg über manuelle Modellierung.
Was unterscheidet RIIICO von anderen Anbietern im Bereich Fabrikplanung?
Jahrzehntelang wurden Industrieanlagen als Neubauten auf der sprichwörtlichen grünen Wiese geplant. Heute erfolgt ein Großteil der Planung jedoch im Bestand – also in bereits existierenden Fabriken. Viele Anbieter arbeiten dabei mit manuell erstellten, virtuellen Modellen, die häufig nicht exakt mit der Realität übereinstimmen. Solche Planungen funktionieren oft gut – bis sie in die Umsetzung gehen. Ein alltägliches Beispiel: Jeder hat schon einmal versucht, eine zu große Couch durch ein zu kleines Treppenhaus zu bewegen. Bei der Fabrikplanung ist das nicht anders.
Plötzlich steht eine tragende Säule zwei Meter weiter links, ein Lüftungsrohr verläuft mitten durch die neue Zwischenbühne und 200 m² Fläche, die eigentlich für die Logistik eingeplant waren, existieren schlicht nicht. Solche Überraschungen auf Tausenden Quadratmetern bei laufender Produktion verursachen erhebliche Kosten und Verzögerungen. Wir leiten die Planungsgrundlage direkt aus der realen Fabrikumgebung ab – schneller als jede manuelle Zeichnung und mit deutlich höherer Präzision. So schaffen wir Vertrauen, dass Simulation und Vorplanung der Realität standhalten – von Anfang bis zur Umsetzung.
Mit welchen Herausforderungen seid ihr in der bisherigen Entwicklung konfrontiert worden?
Eine komplexe Technologie wie unsere bringt viele Herausforderungen mit sich. Am Ende gibt es sehr viele Menschen von der Person auf dem Shopfloor bis hoch zur C-Suite, die zur Wettbewerbsfähigkeit ihrer Fabrik beitragen wollen. Viele von ihnen arbeiten seit Jahrzehnten im Unternehmen. Ihnen liegt der Standort am Herzen. Uns war daher wichtig, dass unsere 3D Modelle auch von Menschen genutzt werden können, die bisher keinen Zugang zu Planungstools haben, weil sie beispielsweise keine Software oder leistungsstarke Computer zur Verfügung hatten. Der KI-Kern allein reicht dafür nicht aus. Wir standen vor der Herausforderung, eine Software zu entwickeln, die Gigabyte große 3D-Modelle auf einem Standard-Arbeitslaptop flüssig öffnen kann. In dieser Software sollen sich neue Nutzer ohne großes Onboarding im 3D-Raum zurechtfinden und möglichst viele Use Cases für alle Bereiche abgebildet werden. Eine Aufgabe, die wir nur bewältigen können, weil wir so viel Zeit wie möglich in der Fabrik verbringen.
Wie sieht der typische Ablauf aus, wenn ein Unternehmen RIIICO nutzt?
Der Ablauf ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Viele große Unternehmen arbeiten bereits seit Jahren mit digitalen Zwillingen. Sie haben die Fähigkeiten und das Wissen aufgebaut und benötigen vor allem unsere Software und Daten. Hier greifen direkt alle Zahnräder zusammen. Wir bekommen hochqualitative Messdaten aus der Fabrik, prozessieren diese und unterstützen bei der Simulation und Durchführung des Projektes. Oft wenden sich Unternehmen an uns, die vor ersten Herausforderungen stehen und sich noch ganz am Anfang ihrer digitalen Transformation befinden. Die bisherigen Pläne bestehen meist nur aus einer PowerPoint-Folie mit Kästchen und Linien. In solchen Fällen arbeiten wir gerne mit erfahrenen Partnern zusammen, um gemeinsam mit unseren Kunden Schritt für Schritt eine digitale Fabrik aufzubauen.
Was sind die nächsten technologischen oder strategischen Schritte für RIIICO?
Unser erster Fokus liegt auf der Skalierung: Wir möchten unseren Prozess weiter automatisieren und mehr Kunden schnell und effizient mit den digitalen 3D-Modellen von RIIICO versorgen.Doch Planungsdaten sind immer nur ein Mittel zum Zweck. Auch wenn Unternehmen an unterschiedlichen Standorten jeweils eigene Herausforderungen haben, zeigen sich viele Gemeinsamkeiten – etwa bei Themen wie Sicherheit, Automatisierung sowie flexibler und nachhaltiger Produktion. Gleichzeitig entstehen im Markt spannende Synergien: Die Kombination aus KI-Agenten, generativer KI und realitätsnahen Fabrikmodellen eröffnet neue Wege, um Entscheidungsprozesse in der Produktion zu vereinfachen und zu beschleunigen. RIIICO bleibt dabei seinem Kern treu: Wir entwickeln Künstliche Intelligenz, die reale Umgebungen erkennen, interpretieren und digital abbilden kann. Der nächste Schritt? Eine Zukunft, in der komplexe Planungsprozesse nicht nur automatisierter, sondern auch intuitiv navigierbar werden – für alle Beteiligten.
Wie wichtig ist der Faktor Zusammenarbeit in der Cloud bei eurer Lösung?
Cloudbasierte Fabrikplanung ist für uns nicht mehr wegzudenken. Lange Zeit erfolgte die Planung isoliert in klassischen Silo-Systemen – oft mit teuren Sitzplatzlizenzen, hohen Hardwareanforderungen und begrenztem Zugang für nur wenige Expertinnen. Das hat viele Planungsabteilungen überlastet und den digitalen Wandel verlangsamt. Mit Cloudsoftware ändert sich das grundlegend: Planung wird kollaborativer, skalierbarer und für mehr Mitarbeitende im Unternehmen zugänglich. Gleichzeitig fördern cloudbasierte Lösungen die nötige Interoperabilität – Fabrikdaten müssen heute in unterschiedlichen Softwaresystemen nutzbar sein, unabhängig vom Anbieter. Wir begrüßen es sehr, dass sich auch etablierte Systeme zunehmend für Schnittstellen und Kooperationen öffnen. Denn die Zukunft der Fabrikplanung liegt in der offenen, vernetzten Zusammenarbeit – über Abteilungs- und Systemgrenzen hinweg.
Was würdet ihr Gründern raten, die eine technische Lösung für die Industrie entwickeln wollen?
Zunächst würden wir sagen: Wir brauchen euch – dringend. Besonders in Deutschland. Unsere Industrie ist das Rückgrat vieler Regionen. Ganze Dörfer und Kommunen leben von der produzierenden Wirtschaft. Wenn es uns nicht gelingt, diesen Sektor durch Innovation wirtschaftlich zu stärken, wird das industrielle Sterben weitergehen – und mit ihm unser gesellschaftlicher Wohlstand. Unser wichtigster Rat: Verliert euch nicht in der Technologie, sondern konzentriert euch auf den konkreten wirtschaftlichen Mehrwert eures Produkts. Entwickelt so nah wie möglich an den tatsächlichen Nutzern – denjenigen, die das Problem wirklich spüren. Unterschätzt dabei nicht die Komplexität des Go-to-Market-Prozesses. Eine gute Idee ist erst der Anfang. Entscheidend ist, wie ihr sie in der Industrie etabliert.
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz bei eurer Plattform heute und in Zukunft?
Künstliche Intelligenz ist der Kern unserer Plattform – heute wie in Zukunft. Bereits heute nutzen wir eigens entwickelte KI-Modelle, um reale Fabrikumgebungen präzise zu erkennen, Objekte anhand ihrer 3D-Geometrie zu klassifizieren und automatisch in strukturierte, digitale Modelle zu überführen. Dieser Schritt ersetzt nicht nur manuelles Modellieren, sondern schafft auch eine neue Qualität an Planungsgrundlagen: schneller, genauer und direkt aus der Realität abgeleitet. Zukünftig wird KI noch weitreichender in die Entscheidungsprozesse der Industrie eingreifen. Wir sehen großes Potenzial darin, komplexe Fabrik- und Produktionsplanungen durch KI-Agenten zu unterstützen – von der Szenarien-Simulation bis hin zur automatisierten Vorschlagsgenerierung. Die Kombination aus realitätsnahen digitalen Zwillingen und generativer KI eröffnet neue Wege, wie Unternehmen schneller, sicherer und flexibler planen können. In Zukunft werden wir künstliche Intelligenz erleben, die nicht nur versteht, was ist – sondern auch hilft, zu gestalten, was kommt.
Bild: Patrick Mertens, Jan Büchsenschütz und Felix Fink © Siemens AG
Wir bedanken uns bei Jan Büchsenschütz für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.