SendToGive ist ein gemeinnütziger Verein, der Kunst und Kreativität nutzt, um sozialen Wandel zu fördern und Gemeinschaften weltweit miteinander zu verbinden
Können Sie uns einen Überblick über die Entstehungsgeschichte von SendToGive geben und welche Personen hinter diesem Projekt stehen?
„Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn du weit gehen willst, gehe mit anderen.“ Dieses Sprichwort hat unsere Arbeit bei SendToGive immer geleitet.
Wir sind ein gemeinnütziger Verein mit 7 Gründungsmitglieder, von denen drei das Kernteam bilden: Kai Steinkellner, Vincent Orlandini und ich. Wir sind Freunde, die versuchen, mit ihren Projekten etwas Positives für die Welt zu tun. Unterstützt werden wir dabei von einer ständig wachsenden Gemeinschaft von Freiwilligen, die ihr Fachwissen, ihre unterschiedlichen Perspektiven und ihre kreative Energie in jedes unserer Projekte einbringen.
Das Besondere an der SendtoGive-Gemeinschaft ist, dass wir alle unterschiedlich sind: Wir haben verschiedene Nationalitäten und die Altersspanne reicht von Anfang 20 bis Ende 50. Es gibt DJs, die in den Clubs in Berlin aufgelegt haben, als auch Direktoren, die in den größten Beratungsfirmen weltweit gearbeitet haben. Die Vielfalt unserer Gemeinschaft zeigt mir eines: uns verbindet etwas, das tiefer geht als unsere Hautfarbe oder die Rollen, die wir in der Gesellschaft spielen. Uns verbindet der aktive Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen und das wird für mich immer Teil der Geschichte und der Zukunft von SendToGive sein.
Wie kam es zu der Entscheidung, Kunst und Kreativität als Mittel für sozialen Wandel bei SendToGive einzusetzen?
Ich bin schon mein ganzes Leben lang Künstlerin. Als ich also nach einer Möglichkeit suchte, die Welt zum Positiven zu verändern, war mein erster Instinkt, zu Pinsel und Farbe zu greifen.
Dies war zu Zeiten der Coronavirus-Pandemie und ich lebte erst seit ein paar Monaten in Deutschland. In der Quarantäne und weit weg von allem, was mir vertraut war, fühlte ich mich von der Angst und Hilflosigkeit um mich herum überwältigt. Ich wandte mich der Malerei zu, um meine Emotionen zu verarbeiten. Doch bald stellte sich die Frage: Kann meine Kunst nicht auch anderen helfen?
Ich glaube fest daran, dass echter sozialer Wandel dort beginnt, wo Menschen ihren inneren Antrieb spüren – ihre Leidenschaft. Wenn Veränderung aus diesem tiefen, persönlichen Ort kommt, ist sie nicht nur authentischer, sondern auch nachhaltiger. Für mich war dieser Ort die Kunst. Und aus genau diesem Impuls heraus ist SendToGive entstanden.
Welche Vision verfolgt SendToGive und welche Schritte planen Sie, um diese zu realisieren?
Wir träumen von einer Welt, in der Menschen ihr volles Potenzial entfalten können – nicht nur als Einzelne, sondern als Teil einer Gemeinschaft. Dabei ist Kreativität für uns mehr als nur Ausdrucksform: Sie ist ein Werkzeug, um Menschen in den Wandel einzubinden.
Unsere Arbeit beginnt oft dort, wo harte Realitäten herrschen – Armut, fehlender Zugang zu Licht, Bildung oder Infrastruktur. Doch wir erzählen diese Geschichten anders: Wir übersetzen sie in nachvollziehbare, hoffnungsvolle Narrative, die Verbundenheit schaffen und zu aktivem Handeln motivieren.
Indem wir Menschen in diesen Veränderungsprozess einbeziehen, schaffen wir nicht nur konkrete Hilfe – wir stärken auch ein globales Netzwerk von Mitwirkenden. Ein Beispiel dafür ist unsere Halloween-Party zum Thema philippinische Monster: Das Event war Ausstellung, Fundraiser und Community-Event in einem. Zehn Künstler präsentierten ihre Werke, vier international bekannte DJs traten auf – und 130 Gäste halfen mit ihrer Teilnahme, 179 Familien in indigenen Gemeinden auf den Philippinen mit solarbetriebenem Licht zu versorgen. Es war ein Abend, der Dunkelheit in Hoffnung verwandelte – ganz wortwörtlich.
Wie identifizieren Sie die Begünstigten von SendToGive und auf welche Weise stellen Sie sicher, dass deren Bedürfnisse effektiv adressiert werden?
Wir arbeiten eng mit One Million Lights, einer gemeinnützigen Organisation auf den Philippinen, zusammen, um bedürftige Gemeinden zu identifizieren, die unseren Zielvorgaben entsprechen. Dazu gehören Gemeinschaften, die in energiearmen Gebieten leben und bedürftige Projekte, die durch unsere Finanzierungskapazitäten gedeckt werden können. Unsere Partnerschaft mit One Million Lights ist für unsere Arbeit von entscheidender Bedeutung, da die Organisation uns mit unschätzbaren lokalen Kenntnissen, Netzwerken und Arbeitskräften unterstützt.
Für Organisationen, die in mehreren Regionen tätig sind, empfehlen wir unbedingt, vertrauenswürdige Partner vor Ort zu haben; sie können sicherstellen, dass die Projekte in der lokalen Realität verankert sind.
Sobald wir dann eine Gemeinschaft ausfindig gemacht haben, gehen wir direkt auf ihre Mitglieder zu und teilen ihnen unsere Pläne mit, holen ihren Beitrag und ihre Zustimmung ein. Dieser Ansatz schützt vor dem Retterkomplex – einem psychologischen Syndrom, bei dem der Wunsch, andere zu „retten“, zu einem Mittel wird, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Im Bereich der Wohltätigkeit kann diese Denkweise dazu führen, dass man Lösungen aufdrängt, anstatt mit den Betroffenen zusammenzuarbeiten, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen – und genau das wollen wir verhindern.
Können Sie ein Beispiel für eine Herausforderung nennen, der sich SendToGive in der Anfangsphase stellen musste, und wie Sie diese gemeistert haben?
Eine der größten Herausforderungen für SendToGive – und eine Realität für viele Sozialunternehmer – ist es, die psychische Gesundheit der Mitwirkenden zu schützen. Das Weltwirtschaftsforum hebt dies als ein Haupthindernis für den Fortschritt im sozialen Sektor hervor, da Sozialunternehmer aufgrund ihrer Arbeit an komplexen Problemen oft mit extremen Belastungen zu kämpfen haben. Das erhöht das Risiko von Depressionen und Burnout. Um dies zu verhindern, schaffen wir positive, angenehme Arbeitsprozesse und fördern eine starke, unterstützende Gemeinschaft in unserem Team und bei unseren Partnern. Es liegt in der Natur der sozialen Arbeit, dass die Arbeit nie wirklich „fertig“ ist. Deshalb glauben wir, dass es nicht nur vorteilhaft, sondern sogar unerlässlich für die langfristige Nachhaltigkeit ist, Kreativität und Freude in unseren Alltag einzubringen.
Was unterscheidet SendToGive Ihrer Meinung nach von anderen sozialen Initiativen (im Kunstbereich)?
Ein Unterscheidungsmerkmal ist unser Fokus auf positive Prozesse und menschliche Werte. Die von uns produzierten Kunstformen sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel für zwischenmenschlichen Austausch und Verbindung. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns nicht auf eine einzige Kunstform, sondern heißen viele Arten von Kunst willkommen. Wir haben bereits mit Illustratoren, Tänzern, Improvisationskünstlern und Sounddesignern zusammengearbeitet. Mit dieser Vielfalt von Kunstformen, Perspektiven und Talenten können wir eine größere soziale Wirkung entfalten.
Wie sehen die zukünftigen Pläne von SendToGive aus? Gibt es spezifische Projekte oder Expansionen, die Sie anstreben?
Derzeit liegt unser Fokus darauf, unser Wertversprechen für den deutschen Markt weiter auszubauen. In den vergangenen Jahren stand vor allem die finanzielle Unterstützung marginalisierter Gruppen auf den Philippinen im Mittelpunkt. Jetzt möchten wir stärker sichtbar machen, dass der Impact unserer Arbeit keine Einbahnstraße ist: Auch Menschen in Deutschland und Europa profitieren davon.
SendToGive fördert ein Gefühl von Gemeinschaft und eine Kultur des Gebens – Werte, die in vielen Industrienationen oft in den Hintergrund treten, aber entscheidend für die Mitmenschlichkeit sind. Aktuell planen wir Veranstaltungen in Berlin, die genau diese Themen in den Mittelpunkt stellen.
Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften bei Ihren Projekten, insbesondere in Regionen wie den Philippinen?
Eine ganz zentrale. Bayanihan – der philippinische Begriff für den „Geist der Gemeinschaft“ – beschreibt das Prinzip, sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam durch alle Höhen und Tiefen zu gehen. Dieser Wert prägt nicht nur unsere Projekte, sondern auch unser Team. Und genau dieses Miteinander möchten wir mit SendToGive in die Welt tragen.
Gerade in den abgelegenen Regionen der Philippinen, in denen wir tätig sind, klaffen enorme infrastrukturelle Lücken. Ohne den Zusammenhalt und das Engagement der lokalen Gemeinschaften könnten viele Projekte gar nicht umgesetzt werden. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel war der Aufbau eines Solarenergiesystems in einer Kleinstadt mit nur 225 Einwohnern. Weil das Gebäude, auf dem wir die Anlage installieren wollten, baufällig war, musste es komplett neu errichtet werden – in Eigenregie. Innerhalb von drei Tagen stellten die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam mit Helfern aus den Nachbardörfern das neue Haus fertig. Nachts hielten sie sich gegenseitig Taschenlampen und Handys, um weitermachen zu können. Diese Solidarität war zutiefst bewegend und zeigt, was möglich ist, wenn Menschen füreinander einstehen.
Wie gewährleisten Sie Transparenz und Vertrauen gegenüber Ihren Unterstützern und den Gemeinschaften, denen Sie helfen?
Wir nutzen offizielle Berichte, um Vertrauen und Transparenz zu schaffen, und Storytelling, um Empathie und menschliche Verbundenheit aufzubauen.
Unsere Impact Reports enthalten alle relevanten Daten und Fakten: eine Übersicht der Projekte, definierte Ziele, eine transparente Finanzübersicht sowie Eindrücke und Erkenntnisse direkt aus der Umsetzung – ergänzt durch Fotos, die die Geschichten dahinter lebendig machen.
Unser Storytelling (wie dieses Video, das zeigt, wie einheimische Filipinos in verschiedenen europäischen Sprachen „Danke“ sagen) stellt die Menschen, denen wir geholfen haben, in den Mittelpunkt und unterstreicht die Werte, an die wir glauben, und zeigt die menschlichen Auswirkungen unserer Arbeit.
Welche drei Ratschläge würden Sie anderen Gründern geben, die ein soziales Unternehmen ins Leben rufen möchten?
Konzentrieren Sie sich auf die Menschen, mit denen Sie arbeiten. Bauen Sie bedeutungsvolle Beziehungen auf und schaffen Sie ein Umfeld, in dem die Zusammenarbeit sowohl angenehm als auch erfüllend ist. Während das Ziel der sozialen Arbeit oft darin besteht, anderen zu helfen, sollte der Prozess selbst lohnend sein.
Überlegen Sie, wie Sie mit Stress umgehen wollen. Stress ist eine Realität, mit der alle Gründer konfrontiert sind. Es geht also nicht darum, ihn zu vermeiden, sondern ihn zu bewältigen. Ich tue dies, indem ich male und zeichne, aber für andere Menschen könnte es Musik, in ein Tagebuch schreiben oder mit einem Therapeuten sprechen sein. Was auch immer es ist, finden Sie heraus, was für Sie funktioniert – und bleiben Sie dran.
Beginnen Sie jetzt. Die Dinge werden nie perfekt sein und Sie werden nie alle Antworten haben, bevor Sie anfangen. Aber das ist das Schöne daran – Sie werden im Laufe der Zeit lernen, Menschen treffen, die Sie unterstützen, und Dinge über sich selbst und die Welt um Sie herum entdecken, die die Reise ebenso sinnvoll machen wie die Wirkung, die Sie erzielen.
Können Sie ein besonders bewegendes Erlebnis oder Feedback teilen, das Sie durch Ihre Arbeit bei SendToGive erhalten haben?
Am letzten Abend unseres Projekts, bei dem wir der kleinen Stadt Zugang zu Solarenergie verschafften, organisierten wir eine kleine Beleuchtungszeremonie, um den ersten Moment zu feiern, in dem die Gemeinde in der Lage sein würde, Licht anzuschalten. In völliger Dunkelheit waren wir alle zusammen. Ich stand vor ihnen und spürte, wie sich die Emotionen aufstauten, als ich sagte: „Unser Traum wird wahr!“
Alle zählten gemeinsam herunter. 5-4-3-2-1! Aus der Dunkelheit wurde plötzlich Licht! Alle jubelten und klatschten, als wir die Menschen in das neu gebaute Gemeinschaftshaus führten, in dem zum ersten Mal Licht brannte. Die Menschen aus der Stadt umarmten uns und bedankten sich aus tiefstem Herzen: „Wir werden es euch nie vergelten können!“ Aber das stimmt nicht. Anderen zu helfen, hat unsere Herzen und unser Leben in einer Weise bereichert, wie es niemals hätte der Fall sein können, wenn wir nur an uns selbst denken würden.
Bild: Jo Bautista Künstler- und Gründerin von SendToGive
Wir bedanken uns bei Jo Bautista für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.