Der deutschen Startup-Szene steht womöglich endlich bevor, worauf Gründer:innen hierzulande schon lange sehnsüchtig warten: ein ordentlicher Schub der Bundesregierung. Anfang Juni legte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz einen ersten Entwurf für die Startup-Strategie der Bundesregierung vor. Von einer Wagniskapitalquote für Rentenversicherungen über die Vereinfachung der Mitarbeitenden-Beteiligungen bis hin zu mehr staatlichen Aufträgen für Startups – Deutschland will künftig vieles besser machen.
Die Politik setzt mit dem Papier ein klares Zeichen: Die Entwicklung hin zu einer datengetriebenen, digitalen Wirtschaft kann nur gelingen, wenn wir junge, innovative Unternehmen fördern. Tatsächlich muss der Startup-Standort Deutschland einiges dafür tun, um attraktiver zu werden. Auch, um mit den europäischen Nachbarn mithalten zu können. Ein Land, von dem wir uns viel abschauen können, ist Frankreich.
Frankreich: Auf dem Weg zur Startup-Nation
In Frankreich blüht die Startup-Landschaft. Ein Grund: Der französische Präsident Emmanuel Macron macht das Wachstum von Startups zur Chefsache. Dabei verfolgt er ein ambitioniertes Ziel: Bis zum Jahr 2030 soll es 100 französische Einhörner geben. Einen wichtigen Meilenstein hat er bereits erreicht. Mindestens 25 “licornes françaises” (dt. “französische Einhörner”) wollte Macron innerhalb einer Legislaturperiode ins Leben rufen. Bereits drei Jahre vor Ablauf der Frist war dieses Ziel erreicht und der französische Präsident verkündete den Erfolg feierlich auf Twitter – stilecht im Steve-Jobs-Rollkragenpullover.
Solche Visionen sucht man in Deutschland vergeblich. Zwar setzt die Koalition mit der Startup-Strategie ein wichtiges Signal – allerdings mangelt es nach wie vor an Vorstellungskraft und Ehrgeiz. Frankreich schreitet hier mutiger voran und arbeitet seit Jahren zielstrebig daran, seinen Status als aufstrebende Startup-Nation auszubauen. Dabei wird viel Geld investiert, unter anderem in Leuchtturmprojekte wie La French Tech – einer Plattform, die die sehr unterschiedlichen Welten von staatlichen Institutionen und Startup-Ökosystemen zusammenbringt. Darüber hinaus fördert Frankreich auch regulatorische Programme wie “TECH.GOUV”. Das Programm soll die digitale Transformation des öffentlichen Dienstes beschleunigen – eine Baustelle, die in Deutschland nur allzu bekannt ist.
Wenig Risikokapital und ein Mangel an Digitalkompetenz in Deutschland
Um international auf Augenhöhe zu kommen, müssen sich die Rahmenbedingungen für Gründer:innen in Deutschland dringend verbessern. Dass wir hierzulande aktuell nicht wettbewerbsfähig sind, zeigt auch der Digital Riser Report der ESCP Business School. Gemessen an ihrer digitalen Wettbewerbsfähigkeit belegt die Bundesrepublik unter den G7 den vorletzten Platz im Ranking. Das liegt auch daran, dass Risikokapital nur relativ schwer verfügbar ist. Die neue Startup-Strategie könnte die Situation verbessern, denn sie soll die Verfügbarkeit von Venture Capital massiv erhöhen.
Aufholbedarf besteht allerdings nicht nur auf finanzieller Ebene. Auch kulturelle Aspekte erschweren das Wachstum der deutschen Startup-Szene. So herrscht unter den Deutschen generell eine Scheu vor unternehmerischem Risiko. Dazu kommt ein erhöhter Aufholbedarf beim Thema Digitalkompetenz. Diese Rahmenbedingungen machen es Gründer:innen in Deutschland schwer.
Wo Startup-Deutschland anpacken sollte
Damit sich Deutschland zu einer Startup-Schmiede Europas entwickeln kann, müssen wir viele Aspekte gezielt angehen: Zum einen ist da der Fachkräftemangel, von dem auch die Startup-Szene betroffen ist. Es braucht neue Maßnahmen, um auch digital affine Talente aus Nicht-EU-Ländern zu gewinnen; attraktive ESOP-Regelungen oder ein Tech-Visa wären hier sinnvolle Optionen.
Zum anderen müssen wir in Deutschland bzw. in Europa anfangen viel größer zu denken, wenn es um die Finanzierung von Startups geht. In den vergangenen Jahren erhielten vor allem Startups in der Frühphase finanziellen Rückhalt. Was ist aber mit den weiter fortgeschrittenen Startups, den Scaleups? Es ist Aufgabe der Politik, zu verhindern, dass Scaleups den Weg an die New-Yorker-Börse suchen, weil es in Deutschland keine passende Finanzierung für sie gibt. Auch geht viel Wertschöpfung verloren, wenn sich erfolgreiche Scaleups für eine bessere Finanzierung von Nicht-EU- und Nicht-Deutschland-Investoren aufkaufen lassen.
Ein weiterer wichtiger Punkt, den Deutschland für die Startup-Szene anpacken sollte: die digitalen Rahmenbedingungen des Gründens. Zwar hat sich der bürokratische Hürdenlauf verbessert und damit auch die Dauer des Gründens verkürzt, allerdings ist ein vollständig digitaler Gründungsprozess nach wie vor nicht möglich. In Estland dauert die Unternehmensgründung nur 18 Minuten – ein Weltrekord. In Deutschland sind es dagegen durchschnittlich acht Tage. Nicht zuletzt dieser Vergleich macht deutlich: Hierzulande muss der gesamte Gründungsprozess neu gedacht werden.
Mit einer gemeinsamen europäischen Vision zum Erfolg
Die Startup-Strategie der Bundesregierung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie reicht noch nicht aus, um Deutschland in eine Startup-Schmiede zu verwandeln. Hilfreich wäre es für deutsche Politiker:innen, das Nachbarland Frankreich – das sich zur vorbildlichen Startup-Nation entwickelt – im Blick zu behalten. Dabei zielt der Vergleich keineswegs darauf ab, sich gegenseitig zu überbieten. Um langfristig erfolgreich zu sein, reicht es nicht aus, nur im Heimatmarkt zu führen.
Vielmehr geht es darum, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine ausgezeichnete Startup-Szene zu entwickeln und sich gegenseitig zu unterstützen. Dafür brauchen wir eine europäische Vision. Eine enge Zusammenarbeit der EU-Länder vereinfacht die Expansion in den europäischen Binnenmarkt. Auch wird der europäische Finanzmarkt für Scaleups damit attraktiver, denn Startup-Europe gibt uns einen größeren Gestaltungsspielraum. Wie wäre es zum Beispiel mit einem europäischen Nasdaq? Oder einem gemeinsamen EU-Pensionsfond, der in Unternehmen investieren kann? Es sind diese Modelle und Ideen, die es uns ermöglichen werden, weiter und neu zu denken. Für Deutschland, für Frankreich und vor allem für ganz Europa.
Autor:
Torben Rabe leitet das Deutschlandgeschäft bei Qonto, dem europäischen Marktführer im Finanzmanagement für Gründer, Selbstständige und KMU. Nach Stationen bei Oliver Wyman im Bereich Geschäfts- und Digitalstrategien für Banken, Lendico und Bird gilt Rabes Begeisterung dem Thema Banking in Verbindung mit Technologie.
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