1997 kam Susan Omondi als Studentin von Kenia nach Deutschland. Sie wurde als beste ausländische Studentin geehrt und fand trotzdem zunächst keinen Job. Heute lebt sie als Unternehmerin mit ihrer Familie in Süddeutschland. In ihrem Buch “Ich, Du, Wir & Vielfalt” zeigt sie anhand ihrer eigenen Geschichte und ihrer Beobachtungen 47 Wege auf, wie ein besseres Miteinander gelingen kann. Im Interview spricht sie sich dafür aus, dass die Zugezogenen im Umgang mit den Einheimischen Geduld haben – und dass die Einheimischen im Umgang mit den Zugezogenen offen sind, aber auch keine Angst vor Fehlern haben.
herCAREER: Du sagtest einmal, Deutschland und Du, das war eine Liebe auf den zweiten Blick – was meinst Du damit?
Susan Omondi: Ich meine damit, dass in einem fremden Land vieles auf den ersten Blick nicht einladend ist. Es braucht Geduld bei uns Zugezogenen, um die Schönheit der Menschen, der Landschaft und des Systems zu sehen. Wer eine ausgeprägte „Ordnung“ und Mülltrennung nicht kennt, braucht eine Weile, um ihre Vorteile zu verstehen. Geduld braucht es auch mit Menschen, die uns gegenüber zunächst unsicher sind. Wenn wir die Hemmungen und Ängste der Menschen verstehen, dann haben wir gute Karten, Gemeinsamkeiten zu finden – und dann wird es magisch.
herCAREER: Wenn es um Integration geht, ist “magisch” ein Wort, das in den Debatten eher selten vorkommt.
Susan Omondi: Magie kann passieren, wenn wir neugierig aufeinander sind, unabhängig davon, was unsere Vorfahren gemacht haben, und unabhängig davon, welche Ablehnungen wir als Ausländer:in oder Einheimische:r schon erlebt haben. Wenn wir uns auf Augenhöhe begegnen, entsteht Magie.
herCAREER: Du bist 1997 als Studentin nach Deutschland gekommen. Heute lebst Du als Unternehmerin mit Deinem Mann und Euren drei Kindern in Süddeutschland. Wie war dieser Weg für Dich?
Susan Omondi: Die Susan, die 1997 nach Deutschland kam, kam mit viel Hoffnung und mit vielen Träumen. Ich durfte studieren und konnte mir mein Leben selbst finanzieren. Ich wollte mit meiner Leistung viel erreichen.
herCAREER: Gegen Ende Deines Studiums hast Du den DAAD-Preis für die beste ausländische Studentin erhalten. In der Laudatio wurde von Deiner herausragenden Leistung gesprochen, aber auch erwähnt, dass Du nebenbei gearbeitet und Dein erstes Kind versorgt hast.
Susan Omondi: Ich bin immer noch überwältigt, dass Diversität damals schon geschätzt wurde. Es gab nichts mehr, das mich zurückhalten konnte, ich hatte ein Studium, eine super Leistung und ein tolles Netzwerk. Ich freute mich darauf, zu arbeiten. Aber dann kam die Ernüchterung.
herCAREER: Welche Ernüchterung?
Susan Omondi: Ich habe mehr als 100 Bewerbungen geschrieben, aber keinen Job bekommen. Sicher hatten nicht alle Absagen mit meinem „Hintergrund“ zu tun. Bei einem Vorstellungsgespräch in Konstanz sagte ein Geschäftsführer: “Frau Omondi, es passt alles. Ich würde Sie so gerne einstellen, aber unsere Kunden werden Sie nicht akzeptieren.” Ich war am Boden zerstört. Mein damaliger Freund und heutiger Mann verstand die Aussage als Deutscher selbst nicht.
herCAREER: Wie bist Du aus diesem Tief herausgekommen?
Susan Omondi: Irgendwann wurde mir klar, dass ich raus muss aus der Opferrolle und fragen: Was ist möglich? Anstatt zu beweinen, was nicht möglich war. Meine Strategie war: Ich akzeptiere mich, wie ich bin, mache mich nicht klein und überlege: Wie kann ich andere befähigen, über ihren Schatten zu springen? Ich wollte Empathie aufbringen, auch die Menschen zu verstehen, die mich ablehnten. Die Beweggründe zu verstehen, ist sehr wichtig – aus meiner Sicht ist der Grund für Ablehnung immer Angst. Wovor die Menschen Angst haben, ist jedoch unterschiedlich.
herCAREER: Wovor, glaubst du, haben die Menschen Angst?
Susan Omondi: Vielen haben Angst, dass sie etwas falsch machen, also bevorzugen sie Abstand. Ich werde oft gefragt, darf ich dies oder das noch sagen, oder ist das verletzend? Viele Menschen haben auch Angst, etwas zu verlieren – vielleicht an Status –, wenn sie alle Menschen auf Augenhöhe behandeln. Angst gibt es aber auch auf der Seite der Zugezogenen. Sie haben Angst vor Ablehnung, weil sie gehört haben, dass es Vorurteile gibt, oder weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Die Angst hemmt sie dann, offen auf Menschen zuzugehen.
herCAREER: Was sagst Du den Leuten, die Angst haben, etwas falsch zu machen im Umgang mit Menschen anderer Herkunft?
Susan Omondi: Ich sage: Es gibt erstmal keine Fehler, wenn Du interkulturelle Begegnungen suchst. Denn wir alle lernen nur durch die Interaktion miteinander. Keine:r ist perfekt und Vorurteile hat jede:r. Die Menschen anderer Herkunft haben die Aufgabe, nach drei Ablehnungserfahrungen der vierten Person trotzdem offen gegenüberzutreten, denn nur so ist ein offener Austausch möglich. Gleichzeitig müssen sie sich klarmachen: Ich bin genug und genau richtig, wie ich bin, auch wenn ich in der Minderheit bin.
herCAREER: Kannst Du es verstehen, wenn Menschen anderer Herkunft die Kraft versiegt, positiv zu bleiben? Wenn sie müde und wütend werden?
Susan Omondi: Ja, ich kann das verstehen. Was hilft ist, sich damit auseinanderzusetzen und darüber zu sprechen, nichts in sich hineinzufressen. Dann hat jemand anderes die Chance, mit Dir ins Gespräch zu kommen und vielleicht zu fragen: Zähl bitte auf, was Dir im Leben schon alles Gutes passiert ist – und so Deine Perspektive zu ändern. Wie wäre es, wenn Du verzeihst? Aber ich verstehe es total, wenn jemand zwischendurch verzweifelt ist, ich war das auch, in Kenia und in Deutschland.
herCAREER: Welchen Herausforderungen bist du in Kenia begegnet?
Susan Omondi: In Kenia habe ich eine große Familie. Meine Mutter hatte neun Mädchen und zwei Jungs, schon allein deshalb sind wir mit Ablehnung aufgewachsen. Meine Mutter wurde die „Mutter von Mädchen” genannt. Das war leider kein Kompliment. Eine andere Herausforderung: Die Erwartungen sind sehr groß, dass ich mich um meine Familie kümmere, sobald ich hier war. Dieses Dilemma hat mich 20 Jahre zerrissen und mir Energie geraubt. Nur weil wir eine Familie sind, muss ich nicht immer Geld schicken. Ich finde es toll, wie es in Deutschland gehandhabt wird, dass erstmal jede:r für sich sorgt. Ich musste erstmal lernen, meine eigenen Grenzen zu definieren.
herCAREER: Und in Deutschland?
Susan Omondi: Die Behörden sind in beiden Ländern herausfordernd. In Deutschland gibt es viel Papier, viele Formulare, viel Hin und Her. In Kenia war es zumindest damals so, als ich mein Visum beantragt habe: Ohne dass du jemanden kennst oder das nötige Kleingeld hast, um etwas zu beschleunigen, geht es wirklich sehr langsam. Da vertraue ich sehr auf das System in Deutschland. Es kann sein, dass ein:e Sachbearbeiter:in dich nicht mag, aber ansonsten sind die Hürden zumindest für alle gleich.
herCAREER: Welche Rolle spielt Humor?
Susan Omondi: Menschen mit Humor können auch über sich selbst lachen. Mit Humor nehmen wir Menschen ihre Ängste und erleichtern so Begegnungen. Mein Mann kam einmal in die Küche und sagte: “Jetzt ist es passiert! Jetzt bist du endlich richtig deutsch!” Und ich fragte ihn: “Warum?” Und er zeigte auf meine Füße. Ich trug Socken und Sandalen.
herCAREER: In Deinem Buch “Ich, Du, Wir & Vielfalt – 47 magische Wege, wie Einheimische und Nichteinheimische einander begegnen” gibst Du ganz praktische Tipps für den Alltag im Umgang miteinander.
Susan Omondi: Ja, es war mir wichtig, Geschichten und Beobachtungen aus meinem Leben zu erzählen. Denn daraus können wir lernen. Das heißt auch: Jeden Tag haben wir die Chance, diese Begegnungen zu erlauben.
herCAREER: Warum sind es eigentlich 47 Wege?
Susan Omondi: Ich verrate das Geheimnis: Ich wurde letztes Jahr 47 und das war mein Ziel. Solange ich 47 bin, will ich das Buch veröffentlichen. Das hat mich angespornt.
herCAREER: Gibt es einen Weg, der besonders wichtig und besonders wirksam ist?
Susan Omondi: Für mich persönlich ist das Weg 44, „Die Magie und die Vielfalt in dir entfesseln“: Es ist die Geschichte und damit die eigene Wahrheit, die Du Dir erzählst, die Dich befreit und neue Wege eröffnet. Erzähle, um zu verarbeiten, zu verzeihen und durch Deine Stories zu wachsen. Wir erzählen uns selbst Geschichten wie “Die Deutschen mögen uns nicht” oder “Alle Ausländer sind kriminell”. Wenn wir das immer wiederholen, wird es zu einer Art Wahrheit. Nachhaltig und effektiver ist, unsere Geschichte neu zu erzählen. Wer seine Geschichte kennt und zu seinen Werten steht, steht nicht mehr wackelig da – egal, was die Leute sagen.
Das Interview führte Julia Hägele.
Am 13. Oktober ist Susan Omondi zu Gast beim Authors-MeetUp der herCAREER Expo.
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.
Quelle Bild und Text messe.rocks GmbH