Mittwoch, November 26, 2025
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Wie gehen wir mit Trauer um, wenn sie plötzlich im Arbeitsalltag steht?

TRAUDO bietet ein einfaches, sichtbares Kommunikationsmittel, das Unternehmen hilft, Trauer im Arbeitsalltag einfühlsam und selbstbestimmt zu begleiten

Wie entstand TRAUDO und welche persönliche Geschichte von Petra Seidler führte zur Entwicklung der Schneckenhaus Anstecknadel?

Ich habe selbst in meinem Leben sehr dunkle Momente erlebt. So hatte ich beispielsqweise zwischen der Geburt meiner beiden Söhne zwei Fehlgeburten und eine nicht entdeckte Eileiterschwangerschaft, die mich fast das Leben gekostet hätte. In der Zeit habe ich gelernt, wie schnell man beruflich isoliert werden kann. Und wie schnell ein Unternehmen verstummt.
Ich bin damit nicht allein. Schätzungsweise 4,7 Millionen Beschäftigte sind von akuter Trauer betroffen. Dies bedeutet, dass sich etwa jede*r 10. Erwerbstätige in einem akuten Trauerprozess befindet. Und dann geht das große Schweigen los. Niemand traut sich mehr aufs Klo, weil die trauernde Kollegin am Wasserspender steht.
Der deutschen Wirtschaft gehen dadurch jährlich etwa 15 Milliarden Euro verloren. Aus dieser Erkenntnis ist TRAUDO entstanden. Eine Anstecknadel als nonverbales Kommunikationsmittel, das Unternehmen und Mitarbeitenden den ersten Schritt heraus aus der Hilf- und Sprachlosigkeit ermöglicht.

Was ist die zentrale Vision hinter TRAUDO und wie soll das Tool langfristig zu einer gesunden Trauerkultur in Unternehmen beitragen?

Ich möchte das Bild von Trauer in der Gesellschaft und auch in der Berufswelt dahingehend verändern, dass sie ein selbstverständlicher Bestandteil im zwischenmenschlichen Miteinander wird. Außerdem möchte ich zeigen, dass man selbst in äußerst schwierigen Lebenssituationen nicht gänzlich machtlos ist, sondern immer noch etwas selbstbestimmt gestalten kann. Ich möchte aus TRAUDO die „AIDS-Schleife für Trauer” machen – und noch mehr als das. TRAUDO zeigt nicht nur an, dass jemand trauert, sondern gleichzeitig auch, welchen Umgang er*sie sich wünscht. In Unternehmen ist TRAUDO eine unkomplizierte Hilfestellung für alle Beteiligten, den Begriff Trauerkultur mit Leben, Menschlichkeit und Haltung zu füllen. Mit TRAUDO gelingt die Integration von Trauer in Arbeitsabläufe.

Für welche Zielgruppen wurde TRAUDO entwickelt und wie unterstützen die farblichen Signale trauernde Menschen im Alltag?

TRAUDO wurde speziell für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen entwickelt, kann aber auch im privaten Umfeld genutzt werden. Primäre Zielgruppen sind HR-Abteilungen, Betriebsärzte und Führungskräfte.
Die farblichen Signale unterstützen trauernde Menschen, indem sie als emotionales Barometer dienen:
Grau: Signalisiert Rückzug. Die Botschaft an das Umfeld lautet: „Ich brauche noch meine Ruhe und möchte nicht darüber sprechen“. Die Form des Schneckenhauses erinnert daran, dass man noch im Schneckenhaus verharrt.
Grün: Signalisiert Offenheit. Die Botschaft lautet: „Ihr dürft mich ansprechen – ich bin bereit für Austausch und Mitgefühl“.
Dieses nonverbale Zeichen gibt dem Betroffenen in einer Phase des Kontrollverlusts enorme Selbstbestimmung zurück.

Wie erleichtert TRAUDO den Umgang zwischen Kolleg*innen und warum wirkt das einfache Prinzip der Sichtbarkeit so stark?

TRAUDO erleichtert den Umgang, indem es die Last des Erklärens von den Betroffenen nimmt und dem Umfeld eine sichere Orientierung bietet. Kolleginnen und Vorgesetzte müssen nicht mehr raten, ob sie die Person ansprechen sollen oder lieber nicht. Das Zeichen klärt die Situation, so dass die trauernde Person weder im unpassenden Moment angesprochen wird noch das Thema dauerhaft totgeschwiegen wird.

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen, wenn Sie Unternehmen für das Thema Trauer und Kommunikation sensibilisieren?

Die größte Herausforderung liegt darin, dass Tod und Trauer in unserer leistungsorientierten Gesellschaft konsequent ausgeklammert und als Störfaktor angesehen werden. Die Erwartungshaltung ist, dass die Arbeit schnellstmöglich „business as usual“ weitergehen muss. Hier stoßen wir oft auf fehlendes Wissen: Führungskräfte sind zwar gut in Krisenmanagement und Konfliktlösung geschult, aber nicht im Umgang mit Trauer. Mit TRAUDO geben wir ihnen ein Tool an die Hand, das Führung in Ausnahmesituationen erleichtert.

Was macht TRAUDO einzigartig im Vergleich zu bestehenden Angeboten im Bereich betrieblicher Fürsorge?

TRAUDO ist einzigartig, weil es die Sprachlosigkeit an der Quelle bekämpft – nämlich im direkten, alltäglichen Kontakt zwischen Kolleg*innen. Bestehende Angebote konzentrieren sich oft auf formale Prozesse wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) oder die Definition von Trauer-Guidelines. TRAUDO hingegen ist ein nonverbales, physisches Zeichen, das sofort und ohne Worte wirkt. Mittels einfachster Mechanik gelingt es TRAUDO, eines der größten menschlichen Gefühle zu managen.

Wie reagieren Unternehmen auf die Idee eines emotionalen Barometers und welche Erfahrungen haben Sie in ersten Einsätzen gesammelt?

Die Idee eines emotionalen Barometers trifft auf großen Zuspruch, weil sie ein dringend benötigtes Konzept für eine Trauerkultur bietet. Unternehmen erkennen schnell, dass das Problem nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich ist. Wir sprechen von knapp 15 Milliarden Euro an Produktivitätsverlusten jährlich durch psychische Belastungen, zu denen Trauer maßgeblich beiträgt. Zusätzlich profitieren Unternehmen von der wachsenden Bindung. Mitarbeiter honorieren es, wenn Unternehmen in Krisensituationen für sie da sind. Dieses Verhalten wird nie vergessen.

Welche Rolle spielt die Farbe der TRAUDO Anstecknadel und wie entscheiden Betroffene, welches Signal gerade passt?

Trauer ist kein linearer Prozess. Deshalb entscheiden Betroffene immer selbst und täglich neu, welches Signal gerade passt. Heute braucht jemand vielleicht Rückzug, morgen möchte er reden. Die Nadel gibt ihnen die Freiheit, das Ob und Wann der Kommunikation selbstbestimmt zu wählen, ohne sich erklären zu müssen.

Wie planen Sie, TRAUDO weiterzuentwickeln und welche neuen Ansätze könnten künftig Teil Ihres Angebots werden?

Wir sehen TRAUDO als Fundament für den Aufbau eines umfassenden betrieblichen Trauer-Managementsystems. Dazu gehören zertifizierte Trainings und Workshops, um Führungskräfte und Teams für Trauerarbeit zu qualifizieren. Darüber hinaus bieten wir bereits mobile Begleitformate wie das Trauermobil TRAUTE an, um den Dreiklang aus Raum, Nähe und Aktion zu ermöglichen.

Inwiefern kann ein professioneller Umgang mit Trauer die Arbeitgeberattraktivität und die Bindung im Team stärken?

Ein professioneller Umgang mit Trauer ist nicht nur Teil der betrieblichen Fürsorgepflicht, sondern auch ein Wirtschaftsfaktor. Unternehmen, die in Krisensituationen authentisch und unterstützend agieren, profitieren von deutlich höherer Mitarbeitendenbindung und gesteigerter Arbeitgebendenattraktivität. Die Loyalität der Mitarbeitenden wächst enorm, wenn ein Unternehmen sich in einer echten Lebenskrise unterstützend zeigt. Wer vorausschauend plant und Strukturen schafft, schützt nicht nur die Belegschaft, sondern sichert auch langfristig den Erfolg und hält wertvolles Personal im Unternehmen.

Wie möchten Sie den Zugang zu TRAUDO für Privatpersonen und Unternehmen künftig noch einfacher gestalten?

Für Privatpersonen ist TRAUDO bereits über unsere Website erhältlich.
Für Unternehmen möchten wir den Zugang durch diverse Maßnahmen vereinfachen und skalieren. So bieten wir Leitfäden und Onboarding-Kits für Unternehmen an, um die Einführung in die Belegschaft zu standardisieren. Zusätzlich wollen wir Partnerschaften (mit Krankenkassen usw.) schließen, um TRAUDO als skalierbares Tool leichter in HR-Prozesse zu integrieren.

Welche drei Ratschläge würden Sie anderen Gründerinnen und Gründern geben, die ebenfalls ein sensibles gesellschaftliches Thema unternehmerisch angehen möchten?

Definiere deinen inneren Kompass klar: Dein unternehmerisches Handeln sollte sich nach Sinnhaftigkeit, Überzeugung, Verlässlichkeit und Menschenliebe ausrichten.
Hör auf, zu theoretisieren, und fang an, zu machen. Konzentrieren Sie sich auf die Kraft der praktischen Erfahrung. Suchen Sie nach dem einfachen Schritt mit großer Wirkung.
Finde eine, finde deine eigene Sprache für das Unsagbare: Sei mutig und nenne Dinge beim Namen, egal wie unüblich das vielleicht bisher war. Nur wenn es klar benannt wird, erst recht, wenn es ein Tabu war, kann man eine Veränderung initiieren.

Bild Petra Seidler Fotocredit Mit Traute

Wir bedanken uns bei Petra Seidler für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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