Vilve Vene CEO von TUUM flexible, modulare Core-Banking Plattform im Interview
Stellen Sie sich und das Startup Tuum doch kurz unseren Lesern vor!
Mein Name ist Vilve Vene, ich komme aus Estland und bin CEO und Mitgründerin von Tuum – einem Anbieter einer modernen und flexiblen Core-Banking-Plattform, die bis vor kurzem noch Modularbank hieß.
Ich bin nun schon fast 30 Jahre in der Bankenbranche und in der Finanztechnologie tätig. Anfang der 90er Jahre, gleich nachdem Estland seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, fing ich bei der Hansabank an. Wir bauten die Bank komplett von Null auf und machten sie zur damals digitalsten Bank in Europa. Im Jahr 2002 gründete ich mein eigenes Tech-Unternehmen namens Icefire und setzte damit die digitale Transformation und den Aufbau von Kernbankensystemen für große nordische Banken und Finanzinstitute fort. Dieses Jahr haben wir das Unternehmen an Checkout.com, dem größten Einhorn in Europa, verkauft.
Im Jahr 2019 habe ich schließlich beschlossen, dieses ganze Know-how in ein Produkt zu stecken, worauf ich mich heute voll und ganz konzentriere: Tuum. Zusammen mit meinen Mitgründern haben wir eine flexible, schlanke und modulare Core-Banking-Plattform entwickelt. Diese ermöglicht etablierten Banken, Fintechs und branchenfremden Unternehmen, Finanzdienstleistungen (Konten in mehreren Währungen, Kredite, Karten, etc.) anzubieten, die kundenorientiert sind und den aktuellen Bedürfnissen der Verbraucher entsprechen.
Warum haben Sie sich entschlossen, ein Unternehmen zu gründen?
Die Inspiration, Tuum zu gründen, kam von unseren Kunden. Bei Icefire haben wir individuelle Kundenlösungen entwickelt. Aber wir stellten fest, dass Kunden nicht mehr darauf warten wollten, dass wir die Lösungen auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Stattdessen verlangten sie einen fertigen Produkt-„Generator“, den sie als Standardlösung kaufen konnten – je schneller desto besser.
Gleichzeitig verfolgten wir, in welche Richtung sich die Bankenbranche entwickeln würde. Agilere Wettbewerber, Neobanken und der wachsende Bedarf der Verbraucher an digitalen Bankgeschäften zwangen etablierte Banken dazu, neue Leistungsversprechen zu kreieren. Wir sahen die Möglichkeit, eine flexible, modulare Core-Banking-Technologie anzubieten, die sowohl Retail- als auch Business-Banking-Funktionen abdecken würde – etwas, das zu dem Zeitpunkt nicht verfügbar war. Wir wussten, dass eine solche Technologie es ermöglichen würde, digitale und für die Verbraucher bequemere Bankdienstleistungen einzuführen.
Was war bei der Gründung ihres Startups die größte Herausforderung?
Ich kann nicht sagen, ob uns tatsächlich irgendwelche Herausforderungen im Weg standen. Aber es gab eine Sache, die uns ein wenig Sorge bereitete, bevor wir das Unternehmen gründeten: Wir waren uns nicht sicher, ob uns der Übergang von einem Dienstleistungsgeschäft zu einem Produktgeschäft gelingen würde. Wir kamen nämlich aus einer Branche, in der man eine Lösung auf der Grundlage der Bedürfnisse eines bestimmten Kunden entwickelte.
Als wir im Produktgeschäft diese Kundenaufträge nicht mehr im Voraus hatten, konnten wir nicht sicher sein, ob am Ende wirklich jemand bereit ist für unsere Lösung zu bezahlen. Das war etwas beängstigend. Glücklicherweise hat es sich ausgezahlt, dass wir zuvor im Dienstleistungsgeschäft tätig waren. Dadurch haben wir gelernt, was man beim Einstieg in das Produktgeschäft nicht tun sollte. Wir haben beispielsweise keine Funktionen entwickelt, die sich aus den Bedürfnissen eines einzigen Kunden ergeben und haben nicht den Schwerpunkt auf die Implementierung gelegt. Wir mussten ein Produkt entwickeln, das flexibel genug ist, damit es für sämtliche Unternehmen funktioniert.
Außerdem hatten wir einige Bedenken, ob es uns gelingt, unser bisheriges Unternehmen reibungslos zu übergeben und uns gleichzeitig auf Tuum zu konzentrieren. Jedes Startup braucht am Anfang 200 Prozent Aufmerksamkeit, doch ich habe mir natürlich auch um Icefire – mein erstes Startup und meine erste Liebe – Sorgen gemacht. Glücklicherweise hat am Ende alles gut funktioniert.
Kann man mit einer Idee starten, wenn noch nicht alles perfekt ist?
Selbstverständlich. Und nicht nur das, Sie müssen es sogar! Das Schlimmste, was Sie tun können, ist, Ihre Idee vollständig auszuarbeiten und zu perfektionieren, sie dann auf den Markt zu bringen, um dann festzustellen, dass sie nicht funktioniert. Gründer müssen sich darüber im Klaren sein, dass sich eine Idee immer weiterentwickelt: Womit sie auch anfangen, das Endprodukt wird anders aussehen. Um aus einer Idee ein funktionierendes Produkt zu entwickeln, müssen Gründer offen sein und die ursprüngliche Idee stetig erweitern und an den aktuellen Markt anpassen. Dabei sollten sie nicht nach Perfektion streben, aber einen überzeugenden Business Case haben – und letztlich sollte man als Gründer natürlich stolz auf das sein, was man macht.
Welchen Herausforderungen hatten Sie als Female Founder?
Die Start-up Welt, insbesondere in der Banken- und Finanzdienstleistungsbranche, ist nach wie vor eine Männerdomäne. Ich persönlich habe jedoch nicht das Gefühl, dass ich im Laufe meiner Karriere große Herausforderungen bewältigen musste, weil ich eine Frau bin. Ich hatte das Glück, Teil von Teams zu sein, in denen – unabhängig vom Geschlecht – jeder für ihre/seine Fähigkeiten, Ideen und Beitrag geschätzt wurde. Und diese Philosophie verfolge ich heute selbst in meinem Unternehmen. Das Geschlecht ist bei uns kein Thema, alle werden gleichermaßen gefördert, unterstützt und wertgeschätzt.
Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es aber viel zu tun, um Vielfalt und Integration zu fördern. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Förderung von Diversität am Arbeitsplatz ein wirklich wichtiger Schritt ist, um auf breiterer Ebene Fortschritte zu machen. Es geht jedoch nicht nur um die Einführung von Quoten, da diese das Problem nicht wirksam angehen. Die Unternehmen müssen sicherstellen, dass Frauen sowie Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in ihren Funktionen aktiv gefördert und gestärkt werden – und zwar auf allen Ebenen. Immer wieder bin ich erstaunt, dass ich auch heute noch bei Branchentreffen oft die einzige weibliche Gründerin oder Geschäftsführerin bin.
Wie schwer war es im Bankwesen zu gründen?
Um in der Bankenwelt erfolgreich zu sein und sogar die Richtung der Branche zu beeinflussen, reicht es nicht aus, sich nur mit IT und Technologie auszukennen. Genauso wichtig ist ein breites Wissen über das Bankwesen als solches, wie zum Beispiel über die aktuellen Regulierungen oder die Prozesse. Wie sonst kann man eine Technologie entwickeln, die diesen Vorgaben entspricht? Die Gründung von Tuum verlief reibungslos, weil wir unsere jahrzehntelange Erfahrung mit der Transformation etablierter Banken mit unserem technologischen Know-how kombiniert haben, um ein Produkt zu entwickeln, das der Markt verlangt. Und es hat funktioniert: In den ersten zwei Jahren vor unserer ersten Finanzierungsrunde war unser Cashflow positiv, ohne dass wir auf Geld von externen Investoren zurückgegriffen haben.
Wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Ich würde jetzt gerne sagen, dass ich irgendwo in der Karibik ein Glas Champagner nippe, aber die Vorstellung ist in meinem Kopf wahrscheinlich besser als es in der Realität dann wirklich ist.
Spaß beiseite. Selbstverständlich sehe ich mich noch bei Tuum, aber vielleicht in einer etwas anderen Rolle. Heute sind wir sehr Gründer-geführt. Während das Unternehmen wächst, möchte ich, dass es von professionellen Managern geführt wird. Ich möchte mich zurückziehen, um mich auf die Strategie und die Richtung, die wir einschlagen, zu konzentrieren. Also weniger nach innen und dafür mehr nach außen schauen.
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründerinnen mit auf den Weg geben?
Ich habe etwas gemischte Gefühle, wenn es darum geht, weiblichen Gründern Ratschläge zu geben. Einerseits bin ich der Meinung, dass wir aufhören sollten, das Geschlecht in den Vordergrund zu stellen. Frauen sind genauso gut in der Lage, Unternehmen zu gründen und zu leiten, wie Männer. Es sollte nicht als Problem dargestellt werden, das es zu lösen gilt. Andererseits ist es ein berechtigtes Thema. Solange wir nicht von mehr Frauen lesen, die ein Unternehmen gründen, und solange wir nicht an Veranstaltungen teilnehmen und eine gleichmäßige Verteilung von Männern und Frauen im Raum sehen, müssen wir dieses Anliegen weiterhin hervorheben.
Meine drei Tipps lauten also:
Sie müssen nicht alles wissen, um erfolgreich zu sein!
Scheuen Sie sich nicht, Fragen zu stellen!
Seien Sie sie selbst. Versuchen Sie nicht, sich an diese „Männerwelt“ anzupassen, indem Sie genauso sind oder handeln wie die Männer um Sie herum. Ihre Stärke ist, dass sie eine Frau sind; dass Sie sie selbst sind.
Wir bedanken uns bei Vilve Vene für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder