Sonntag, Mai 4, 2025
StartWorkbaseVom Wutausbruch zur Klarheit: Wie emotionale Selbstführung Start-ups stabilisiert

Vom Wutausbruch zur Klarheit: Wie emotionale Selbstführung Start-ups stabilisiert

Von Wutausbrüchen und zerbrochenen Whiteboards: Wie Gründer ihre Emotionen managen

Es ist Dienstagnachmittag in einem Berliner Start-up. Der Marker zittert, die Stimme wird lauter, gleich fliegt das Smartphone an die Wand. Ein wichtiger Kunde ist abgesprungen, das Team erstarrt. Solche Szenen sind in der Gründerszene keine Seltenheit. 

Die Energie und Leidenschaft, die ein junges Unternehmen zum Erfolg führt, können gleichzeitig seine größte Schwachstelle sein. Druck ist kein guter Gefühlsmanager. Gerade in der Gründerszene, wo hohes Tempo und ständige Anpassungen normal sind, können emotionale Ausbrüche schnell zum Ventil für angestaute Spannung werden.

Das Problem: Mit jedem Wutausbruch riskieren Gründerinnen und Gründer nicht nur ihr Ansehen im Team, sondern auch ihre Attraktivität für Talente und potenzielle Investoren. Die Lösung liegt jedoch nicht im Unterdrücken der Emotionen – im Gegenteil. Die übliche Empfehlung „mehr Selbstkontrolle“ greift zu kurz. Stattdessen braucht es ein tieferes Verständnis der eigenen inneren Prozesse.

Die Neurobiologie bestätigt: Menschen erzeugen ihre Gefühle selbst. Das bedeutet auch: Sie können sie gezielt steuern. Der Schlüssel zur emotionalen Steuerung liegt in der systematischen Analyse der eigenen Reaktionsmuster. Die Selbstklärungskette bietet dafür einen strukturierten Ansatz. Diese Methode wurde 2024 als Finalist beim Psychologie Award für angewandte Psychologie ausgezeichnet. Sie hilft Führungskräften, ihre Gefühlsausbrüche nicht nur zu verstehen, sondern auch nachhaltig zu verändern.

Die Selbstklärungskette: Gedanken auf die Kette kriegen

Wenn Emotionen wie Wut oder Frustration überhandnehmen, ist es selten das aktuelle Ereignis allein, das die Eskalation auslöst. Meist wirkt im Hintergrund ein ganzes Netzwerk innerer Abläufe – ein Kopfkino, das unbewusst abläuft, aber unsere Reaktion massiv beeinflusst. Genau hier setzt die Selbstklärungskette an, eine Selbst-Coaching-Methode, die den inneren Prozess systematisch nachvollziehbar macht und damit gedankliche wie emotionale Klarheit schafft.

Schritt 1: Thema wählen – Fokus finden statt Generalanalyse

Die Selbstklärungskette braucht einen konkreten Anlass. Nicht: „Ich bin oft gestresst.“ Sondern: „Warum war ich heute früh im Standup so gereizt, obwohl ich nichts gesagt habe?“ Oder: „Warum macht mich das Feedback von Investor XY so wütend?“ Die Methode ist keine Generalinventur der Psyche, sondern ein zielgerichtetes Diagnosetool – präzise, pragmatisch, wirksam.

Schritt 2: Botschaften sammeln – innere Stimmen sichtbar machen

Tauche gedanklich in die konkrete Situation ein, wie in einen inneren Film. Welche inneren Stimmen melden sich zuerst? Welche Gedanken und Gefühle tauchen auf – explizit oder implizit? Notiere sie so, wie sie in deinem Kopf auftauchen. Kurz. Direkt. Unzensiert. Beispiel: „Ich reiß mir hier den Arsch auf, und die nörgeln nur!“ (Empörung). Sechs bis acht solcher Gedanken-Gefühls-Kombis reichen meist, um ein vollständiges inneres Erlebnismosaik abzubilden.

Schritt 3: Prozesslogik verstehen – vom Chaos zur Kette

Nun folgt der zentrale Schritt: die Sortierung. Unterscheide zwischen innerem Erleben (z. B. Ohnmacht, Überforderung, Kränkung) und der Reaktion auf dieses Erleben (z. B. Wut, Zynismus, Rückzug). Unser Denken ist oft reaktiv, aber diese Reaktivität folgt einer Logik – sie ist kein Zufall. Beispiel: „Ich fühl mich machtlos“ (inneres Erleben) → „Jetzt knall ich was raus, damit wieder Ordnung herrscht!“ (Reaktion). Die so entstehende Kette macht Muster sichtbar – und damit veränderbar.

Schritt 4: Fehlstellen identifizieren – der blinde Fleck vor der Wut

Oft fällt es schwer, die Kette sauber zu rekonstruieren. Das liegt nicht an mangelndem Willen, sondern an psychologischen „Unbekannten in der Gleichung“ – unbewussten Gliedern, die fehlen. Meist auf der Seite des inneren Erlebens. Beispiel: Die Wut ist greifbar. Aber was war davor? Ohnmacht? Angst? Enttäuschung? Nimm dir Zeit für diese Rückwärtsanalyse: Was musste ich davor gedacht oder gefühlt haben, um mich jetzt so zu fühlen und zu verhalten?

Schritt 5: Die Ablaufkette als Erkenntnisweg – innere Dynamiken begreifen

Ist die Kette vollständig, zeigt sie nicht nur die Dynamik eines Moments, sondern oft ein Grundmuster. Zum Beispiel:

  • Grundannahme: „Ich muss immer stark sein.“
  • Inneres Erleben: Erschöpfung, weil man wieder alles allein geschultert hat.
  • Reaktion: Wut auf andere – oder auf sich selbst.
  • Folge: Rückzug, Vermeidung, Selbstzweifel.

Die Erkenntnis: Es geht nicht um den Kunden, der „abspringt“, sondern um das verletzte Selbstbild, das damit konfrontiert wird.

Schritt 6: Wunschkette entwickeln – neue innere Skripte bauen

Die eigentliche Veränderung beginnt mit der Imagination einer neuen Prozesskette. Was wäre ein erwünschter Ablauf? Wie würde ich gerne reagieren, wenn ich mich so fühle? Was wäre ein gesunder Umgang mit dem inneren Erleben von Kränkung oder Überforderung?

Der Clou: Die Veränderung setzt nicht bei der Reaktion (Wut) an – sondern z.B. beim ersten Glied. Denn wer hier einen anderen „Frame” etabliert („Ich darf auch schwach sein“), braucht die Wut als Regulationsmechanismus nicht mehr.

Emotional führen heißt: sich selbst besser führen

Die Selbstklärungskette ist kein Allheilmittel – aber ein hochwirksames Tool, um der eigenen Emotionsregulation Tiefe zu geben. Wer sie regelmäßig nutzt, erkennt nicht nur persönliche Muster, sondern entwickelt ein Gespür dafür, wie man auf der Metaebene intervenieren kann – bei sich selbst, bevor andere es tun müssen. Gerade für Gründer und Gründerinnen, die täglich zwischen Vision, Verantwortung und Vulnerabilität balancieren, ist das eine essenzielle Kompetenz.

Sofortmaßnahmen für akute Situationen

Drei Techniken haben sich in der Praxis besonders bewährt:

  1. Der Reset-Atem
    Drei tiefe Atemzüge, dabei bewusst länger ausatmen als einatmen. Diese einfache Technik durchbricht das Stress-Muster im Körper.
  2. Die Unterbrechungsroutine
    Ein persönliches Stopp-Signal vereinbaren – mit sich selbst und dem Team. Das kann ein Wort sein, eine Geste oder sogar ein vereinbartes Symbol.
  3. Die Körper-Intervention
    Schnelle Bewegung hilft beim Abbau von Stresshormonen. Oft reichen schon 30 Sekunden intensive Aktivität oder ein kurzer Gang ums Gebäude.
  4. Selbstfürsorge priorisieren

Fotograf Sascha Dreher

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Christoph Zill
Christoph Zillhttps://www.das-k-team.com/
Christoph Zill ist Diplom-Pädagoge, Coach und Mediator mit über 20 Jahren Erfahrung in Konfliktklärung, Führungskräfteentwicklung und wertebasierter Zusammenarbeit. Als zertifizierter Klärungshelfer kombiniert er Mediation, hypnosystemische Beratung und Organisationsentwicklung. Seine Erfahrung als Musiker prägt seinen Coaching-Ansatz im Zusammenspiel von Emotionen, Kognition und Selbstklärung. Die von ihm entwickelte Selbstklärungskette wurde 2024 als Finalist beim Psychologie Award ausgezeichnet.
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