Glückszone psychologische online Hilfe für Spielsüchtige und deren Angehörigen
Stellen Sie sich und das Startup Glückszone doch kurz unseren Lesern vor!
Hallo mein Name ist Petra Bickelhaupt und ich bin die Gründerin der Glückszone. Der Hintergrund ist eigentlich recht dramatisch und es zeigte sich erst sehr spät, dass aus einer Lebenskrise ein Unternehmen entstehen kann. Es fing alles an, als unser Sohn im Jahr 2007 das erste Mal in Berührung mit Glücksspiel kam. Dann ging alles sehr schnell und er entwickelte eine pathologische (krankhafte) Spielsucht. Erst Jahre danach offenbarte er sich uns und das ganze Ausmaß kam ans Tageslicht.
Unser Sohn hatte über Jahre hinweg ein Doppelleben geführt und alle Menschen um sich herum getäuscht. Bis zu dem Punkt, an dem er es einfach nicht mehr alleine mit sich herumtragen konnte und sich hilfesuchend an uns wandte. Wir als Eltern waren total mit der Situation überfordert. Zuvor hatten wir keine Berührungspunkte und Erfahrungen mit Sucht, geschweige denn mit Spielsucht gehabt. Da wir unserem Sohn helfen wollten aus dieser schweren Lage zu entkommen, fingen wir an zu recherchieren und uns zu informieren. Der erste Anlaufpunkt war das Internet. Dort fanden wir Informationen über Spielsucht und die verschiedenen Behandlungsmethoden. Doch über die Schwierigkeit, wie man einen spielsüchtigen Angehörigen motiviert eine Therapie zu beginnen fanden wir nichts. Genau das war das Hauptproblem. Unser Sohn war zwar im Moment seiner Beichte motiviert sich helfen zu lassen, aber auch nur um uns zu besänftigen.
Wir hatten bereits länger den Verdacht, dass er sich hin und wieder an unserem Geld bediente. Wir gingen zusammen mit ihm zu einem Psychologen, wozu wir ihn aber mehr oder weniger überreden mussten. Nach gerade mal einer Sitzung ließen wir es sein und der Alltag kehrte wieder ein. Das war ein Fehler, den sehr viele Angehörige aber auch Spielsüchtige immer wieder begehen. Sie denken, dass wenn ein paar Wochen oder Monate vergangen sind, in denen scheinbar alles wieder einigermaßen normal läuft, die Spielsucht einfach so weg geht. Das ist aber nicht der Fall. Es muss nur eine Lebenskrise oder eine Gelegenheit kommen und alles geht wieder von vorne los.
Um das Ganze ein wenig abzukürzen – unser Sohn zog aus und wir hatten ihn nicht mehr wirklich unter Kontrolle. Das machte alles nur noch schlimmer, denn seine Spielsucht verstärkte sich. Er machte Schulden, die wir immer wieder übernahmen. So hatte er kaum negative Konsequenzen zu spüren, was ihn dazu motivierte immer weiter zu spielen, bis er letztlich selbst an einem Punkt angelangt war sich aus eigenem Antrieb Hilfe zu suchen. Dort kam er das erste Mal mit den Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten des deutschen Gesundheitssystems in Kontakt. Obwohl er dringend Hilfe brauchte und privat versichert war, bekam er keinen Therapieplatz.
Mehrere Monate Wartezeit lagen zwischen einer akuten Lebenskrise und dem Therapiebeginn. Da unser Sohn erkannte, dass er nicht mehrere Monate warten konnte, wandte er sich hilfesuchend an seine Hausärztin, die ihn glücklicherweise an die Caritas vermittelte. Dort nahm er an einer Selbsthilfegruppe teil. Die Kombination aus einer therapeutisch begleiteten Selbsthilfegruppe und dem starken Drang sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, machten letztlich den ausschlaggebenden Erfolg aus.
Unser Sohn schaffte es, sich von der Spielsucht zu befreien. Das ist mittlerweile über fünf Jahre her. Ende 2017 sprach ich mit ihm über die Vergangenheit und insbesondere über die Schwierigkeiten bei dieser schwerwiegenden psychischen Erkrankung. Wir kamen gemeinsam zu dem Schluss, dass nicht genügend aufgeklärt wird und nicht genügend Hilfsangebote vorhanden sind. Es kann nicht sein, dass Menschen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden keine Hilfe bekommen. Das nahm ich dann Anfang 2018 zum Anlass, die online Selbsthilfeplattform “Glückszone” ins Leben zu rufen. Ich begann Ratgeber für Spielsüchtige und Angehörige zu schreiben, damit sie nicht mit den Problemen konfrontiert werden, vor denen wir standen und vor denen viele tausende Menschen auch heute noch stehen.
Anfang 2020 kam mir die Idee unser Angebot zu professionalisieren und fachliche Unterstützung dazu zu holen. Ich begann Psychologinnen und Psychologen zu kontaktieren, die an einer Zusammenarbeit interessiert sein könnten. Der Gedanke war, dass wir gemeinsam ein professionelles online Angebot schaffen, welches aus der praktischen und der fachlichen Sicht doppelt wirksam ist. Glücklicherweise stießen wir auf Diplom Psychologin Janin Tesmer, die unseren Ansatz als zielführend und zeitgemäß ansah. Sie erklärte sich dazu bereit, mit uns einen online Kurs für Spielsüchtige zu erstellen.
Warum haben Sie sich entschieden ein Unternehmen zu gründen?
Durch die eigenen Erfahrungen sind wir mit den Komplikationen des deutschen Gesundheitssystem in Kontakt getreten. Wir haben am eigenen Leib erfahren, dass psychisch kranke Menschen mehr oder weniger im Stich gelassen werden. Das wollten wir ändern. Wir wollten unsere Erfahrungen weitergeben und Menschen helfen, die Spielsucht zu verstehen und Fehler zu vermeiden, die wir gemacht haben.
Welche Vision steckt hinter Glückszone?
Unsere Vision ist es jedem psychisch kranken Menschen sofortige Hilfe zu ermöglichen. Keine Wartezeiten, keine langen Anfahrtswege, kein Rausreißen aus dem persönlichen Umfeld, keine Gründe mehr eine Therapie nicht zu beginnen. Das Alles sind die negativen Aspekte herkömmlicher Behandlungsmethoden, die wir mit unserem Angebot lösen können. Von der anfänglichen Selbsthilfe für Spielsüchtige und Angehörigenberatung hat sich unsere Vision weiterentwickelt. Wir wollen vor allem schambehaftete Erkrankungen aufgreifen und professionelle online Hilfe anbiete. Mittlerweile haben sich fünf weitere Psychologinnen und Psychologen dazu bereit erklärt, mit uns online Kurse zu erstellen. Bei jedem Kurs spielt der Aspekt “vom Betroffenen für den Betroffenen” eine sehr große Rolle.
Von der Idee bis zum Start was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?
Wenn man anfängt, ein Unternehmen zu gründen, wird man mit sehr viel Neuem konfrontiert. Das fängt schon mit der Rechtsform an, aber auch Sachen wie der Impressumspflicht um mittlerweile auch der DSGVO. Zuvor hatte ich mit solchen Themen nie etwas am Hut, weshalb es sehr viele Stunden gekostet hat, überhaupt einen gewissen Durchblick zu erhalten.
Es gibt wirklich tolle Seiten, die einem das Gründen wesentlich erleichtern. Doch bis man das Alles für sich selbst herausgefunden hat, vergeht eine Menge Zeit.
Eine weitere große Herausforderung war es, erst einmal eine gewisse Präsenz aufzubauen. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie viele E-Mails oder Kommentare in Foren ich verfasst habe, bis ich die ersten Besucher auf unserer Homepage hatte. Doch wenn man erstmal einen gewissen Traffic hat, geht alles wesentlich schneller.
Dann ist noch die Frage, ob man alleine gründet oder im Team. Bei einem Thema wie Spielsucht kann nicht jeder mitreden, weshalb ich mich erst einmal dazu entschloss, alleine zu gründen. Mein Sohn hat mir mit seinen Erfahrungen und Erzählungen den richtigen Input gegeben, was ich dann mit seiner Hilfe in Ratgeber und Blogbeiträge umgewandelt habe.
Da ich irgendwann an einem Punkt angelangt war an dem ich bemerkte, dass ich alleine nicht weiterkomme, machte ich mich auf die Suche nach Partnern. Das war ebenfalls eine große Herausforderung. Mir stellte sich die Frage, wie man die richtigen Partner findet. Bei der Glückszone handelt es sich um ein reines online Unternehmen, weshalb ich auch online nach Partnern suchte. Es meldeten sich viele Interessenten bei mir und mit manchen ging ich auch eine Art Partnerschaft ein. Doch leider findet man sehr viele unzuverlässige Partner, die einem Unternehmen keinen Mehrwert bieten und teilweise auch einfach so das Weite suchen, ohne eine Begründung. Das hält auf und war auch oft nicht ganz so leicht zu verkraften. Vielleicht habe ich zu schnell Vertrauen geschenkt und Einblicke in das Unternehmen gewährt. Ich glaube aber grundsätzlich an das Gute im Menschen und mittlerweile habe ich auch ganz tolle und zuverlässige Partner gefunden.
Unsere bisher größte Herausforderung ist es, eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu erreichen. Es zeigt sich, dass es doch sehr schwer ist, einen Fuß in die Tür der Krankenkassen zu bekommen. Wir hatten bereits ein Gespräch mit dem Bundesministerium für Gesundheit, was uns aber leider keine Förderung in Aussicht stellte. Es ist auch eine sehr große Herausforderung mit Niederlagen umzugehen.
Finanziert habe ich anfangs alles mit eigenen Mitteln. Die Ausgaben hielten sich in Grenzen. Dazu kamen dann relativ schnell die ersten Einnahmen durch die Ratgeber, wodurch ich die Fixkosten decken konnten und sogar einen Überschuss erwirtschaftete, den ich dann reinvestieren konnte. Es ist viel mehr der zeitliche Einsatz, der geleistet werden muss, um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen. Wir denken mittlerweile schon auch über Investoren nach, bisher läuft es aber auch ganz gut ohne. Wenn es an eine wissenschaftliche Evaluierung unseres ersten online Kurses geht, werden wir vermutlich nicht drum rumkommen, uns Investoren ins Boot zu holen.
Wer ist die Zielgruppe von Glückszone?
Unsere Hauptzielgruppe sind spielsüchtige Menschen und Angehörige von Spielsüchtigen, die entweder keine nachhaltige Hilfe in bestehenden Therapieangeboten gefunden haben oder die diese Angebote nicht in Anspruch nehmen. Interessanterweise sind das über 80% der Menschen, die uns täglich kontaktieren. Viele scheuen den Schritt aus der Anonymität. Da ist ein reines online Hilfsprogramm natürlich genau das Richtige.
Betrachten wir die weiteren online Kurse, müssen wir diese Zielgruppe natürlich noch ausweiten. Jeder zweite Mensch entwickelt im Erwachsenenleben eine psychische Störung. Da sprechen wir von mehreren Millionen Menschen. Die Zahl der psychischen Erkrankungen steigt Jahr für Jahr und die bestehenden Hilfsangebote können das bei weitem nicht auffangen. Dazu bedarf es neuer und digitaler Behandlungsmethoden.
Wie funktioniert Glückszone? Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
Die Glückszone funktioniert eigentlich ganz einfach. Zunächst braucht es einen Menschen, der eine psychische Erkrankung hat und online nach Hilfe sucht. Dieser Mensch stößt dann auf die Glückszone und kann sofort mit der Behandlung beginnen. Das einzige was er dafür braucht ist ein Internetzugang und Zeit. Das genau ist schon der erste und vermutlich wichtigste Vorteil der Glückszone – die sofortige Verfügbarkeit. Es gibt keine Wartezeit. Der zweit wichtigste Vorteil ist der bereits erwähnte “vom Betroffenen für den Betroffenen” Aspekt.
Ich habe von sehr vielen Spielsüchtigen gehört, dass der Funke zum Therapeuten nicht übergesprungen ist, weshalb die Behandlung erfolglos beendet wurde. Das hat mein Sohn auch erlebt. Durch die Beteiligung von Betroffenen an der Entwicklung der Hilfsangebote entfällt das Gefühl, vom Therapeuten nicht verstanden zu werden. Das Hilfsangebot wird von einem Menschen mit entwickelt, der den Klienten genau versteht, denn er hat die Erkrankung ebenfalls durchlaufen. Das kombiniert mit dem fachlichen Wissen durch ausgebildetes Fachpersonal sorgt für einen immensen Therapieerfolg.
Das genau unterscheidet die Glückszone auch von anderen Anbietern. Es gibt niemanden, der den “vom Betroffenen für den Betroffenen” Aspekt aufgreift.
Wie hat sich ihr Unternehmen mit Corona verändert?
Für uns hat sich durch Corona nicht sonderlich viel geändert. Die Einnahmen sind zwar ein wenig zurückgegangen, aber da wir ein reines online Unternehmen sind hatten wir keine existenziellen Sorgen. Wir erklären uns den Rückgang der Einnahmen dadurch, dass viele Spielsüchtige dem Glücksspiel nicht mehr nachgehen konnten und dadurch eine Zwangspause einlegen mussten. Nach den Lockerungen gingen die Einnahmen auch wieder stetig bergauf, weshalb wir uns in unserer Annahme bestärkt fühlen.
Wie haben Sie sich darauf eingestellt und welche Änderungen haben Sie vorgenommen?
Wir haben unser Werbebudget erhöht, um noch mehr Menschen zu erreichen. Eigentlich wäre die Zwangspause der ideale Zeitpunkt gewesen, um an seinen psychischen Problemen zu arbeiten.
Wo sehen Sie in der Krise die Chance?
Die Corona Krise hat nochmal verdeutlicht, dass unbedingt mehr online Hilfsangebote hermüssen. Nach und nach haben manche Therapeuten auf Sitzungen via Skype oder ähnliches umgestellt. Das hat aber alles sehr lange gedauert und während dieser Zeit waren Rat- und Hilfesuchende mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Die ganzen Suchtkliniken konnten das überhaupt nicht so schnell umsetzen, weshalb dieses Hilfsangebot quasi auf Eis lag.
Uns spielt die Krise sogar in Karten, weil sie noch klarer aufzeigt, dass unser Gesundheitssystem in Sachen psychischer Hilfe nicht gut aufgestellt ist. Es gibt andere europäische Länder, in denen online Therapie bereits seit mehreren Jahren fester Bestandteil des Gesundheitssystems ist. Genau da müssen wir auch hin.
Glückszone, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Das ist und bleibt sehr spannend. Wir sehen uns in den nächsten fünf Jahren als der führende Anbieter für psychologische online Hilfe. Dazu müssen wir aber zuerst einmal einen Fuß in die Tür der Krankenkassen bekommen, woran wir jeden Tag arbeiten. Die Politik muss nachbessern und die Versorgung vereinfachen. Wir erhalten durchweg positive Rückmeldung, aber das reicht nicht. Wir brauchen Unterstützer und Befürworter. Wenn sich jemand durch dieses Interview berufen fühlt uns zu unterstützen, kann er oder sie sich sehr gerne bei uns melden!
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?
Mein erster Tipp: Es ist unglaublich wichtig, sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu lassen. Rückschläge wird es immer wieder geben, aber wenn man an seine Idee glaubt gibt es immer Wege und Lösungen.
Mein zweiter Tipp: Augen auf bei der Partnerwahl. Es gibt viele schwarze Schafe, die nur das schnelle Geld sehen. Das sind aber falsche Partner, die einem Unternehmen nur schaden. Lieber einmal mehr die Absichten hinterfragen und vor allem auch testen als zu schnell Vertrauen zu schenken.
Mein dritter Tipp: Als Gründer muss man über seine Idee sprechen. Es ergeben sich von ganz alleine Gelegenheiten, wenn man nur darüber spricht. Bei ganz alltäglichen Anlässen kann man mit fremden Menschen über seine Ideen sprechen und wer weiß vielleicht entsteht daraus ja sogar eine Partnerschaft oder es ergeben sich neue Blickwinkel und Ansätze.
Titelbild: Photo by Ravi Roshan on Unsplash
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Wir bedanken uns bei Petra Bickelhaupt für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder