Algea Care Telemedizin Unternehmen für medizinisches Cannabis
Stellen Sie sich und das Startup Algea Care doch kurz unseren Lesern vor!
Gemeinsam mit Dr. Julian Wichmann habe ich in diesem Jahr mit Algea Care ein Telemedizin-Unternehmen für medizinisches Cannabis und weiterer naturbasierter Arzneimittel gegründet. Julian hat selbst sechs Jahre als praktizierender Arzt gearbeitet und ist in der Cannabis-Wirtschaft einer der ganz wenigen Unternehmer mit schulmedizinischem Hintergrund. Ich selbst habe deutschlandweit als erste Frau einen Großhändler für medizinisches Cannabis gegründet und bin bereits seit über zwei Jahren in der noch jungen Industrie als Führungskraft tätig. Mit Algea Care sind wir hierzulande überhaupt das erste Telemedizin-Unternehmen für Betäubungsmittel und zugleich auch der führende Spezialist für die Behandlung chronischer Krankheiten auf Cannabis-Basis. Inzwischen verfügen wir über ein zehnköpfiges Ärzteteam an den vier Standorten in Frankfurt, München, Berlin und Köln. Julian und ich ergänzen uns von unserer fachlichen Expertise ideal.
Warum haben Sie sich entschieden ein Unternehmen zu gründen?
Inzwischen gibt es in Deutschland geschätzt über 50 Händler für medizinisches Cannabis. Die Zeit der Engpässe – vor zwei Jahren noch ein drängendes Problem – hat sich dem Ende zugeneigt. Ganz grundsätzlich sollte hierzulande inzwischen ausreichend medizinisches Cannabis vorhanden sein. Allerdings klafft zwischen Theorie und Praxis aus einem anderen Grund eine gewaltige Lücke. Es mangelt an medizinischer Expertise für die Behandlung chronischer erkrankter mit medizinischem Cannabis. Geschätzt haben fast vier Jahre seit der Legalisierung wohl lediglich weniger als zwei Prozent der Ärzte medizinisches Cannabis verschrieben. Viele scheuen sich vor den bürokratischen Prozessen, anderen mangelt es an Expertise über das endogene Cannabinoid-System im menschlichen Körper.
Das muss sich unseres Erachtens nach ändern. Das Traurige an der ganzen Geschichte: Julian und unser Ärzteteam stellen immer wieder fest, dass in sehr vielen Fällen Cannabis als Heilpflanze die bessere Alternative mit guter medizinischer Evidenz für viele chronische Beschwerden wie beispielsweise Schmerzsyndrome ist und in den meisten Fällen deutlich weniger unerwünschte Nebenwirkungen als bei vielen Tabletten entstehen. Julian und ich wollen genau an dieser Stelle ansetzen und chronisch Erkrankten durch Cannabis und anderen Natur basierten Arzneimitteln helfen.
Warum gerade in der Cannabis-Industrie?
Ich habe sowohl einen deutschen als auch einen US-amerikanischen Pass. Meine eigene Familie ist in Kalifornien ansässig. Dort ist alles rund um Cannabis bereits eine riesige Sache, auch jenseits der Medizin. Als sich im März 2017 die Gesetzeslage für hiesige Patienten änderte, wusste ich sofort, dass ich in diesem komplett neuen Gebiet tätig werden möchte. 2018 hatte ich mein zweites Master-Studium beendet und konnte im Anschluss gleich als erste Mitarbeiterin bei einem Großhändler anfangen. Damals standen Patienten noch vor der großen Herausforderung, überhaupt eine Apotheke zu finden, die verlässlich die richtige Sorte medizinisches Cannabis für Sie parat hatte. Deutschland war damals von Importen aus den Niederlanden und Kanada abhängig. Von Anfang an war mir eine Sache ganz wichtig: Ich wollte im medizinischen Bereich dazu beitragen, dass viele chronisch Erkrankte besseren Zugang zu einer ganz neuen Cannabinoid basierten Therapie erhalten können. Diese Vision setze ich nun konsequent fort.
Ist und war es schwer als Frau hier Fuss zu fassen?
Ganz grundsätzlich ist medizinisches Cannabis Teil der konservativen Pharma-Industrie. Laut PwC ist zwar die Mehrheit der Beschäftigten im Healthcare-Bereich weiblich, aber davon ist in der Chefetage nicht mehr viel zu sehen: Weniger als ein Drittel der Führungspositionen werden von Frauen besetzt, im Top-Management sind es gerade noch 17 Prozent. Für Cannabis liegen mir keine Zahlen vor. Aber ich bin mir sicher, dass wir diesem Wert sogar weit hinterherhinken. Man braucht sich nur auf den gängigen Branchen-Events umzublicken. Bis heute bin ich die einzige Frau, die ohne männliche Mitgründer einen Großhändler für Cannabis ins Leben gerufen hat. Pharma ist Männer dominiert, Cannabis noch mehr.
Als Frau wird man daher schnell unterschätzt und nicht Ernst genommen. Ich selbst habe das zu meinem eigenen Vorteil genutzt, um geschäftliche Partnerschaften rasch aufzubauen. Ursache und Wirkung bedingen sich dabei oft gegenseitig: Eine so extrem von Männer dominierte Branche schreckt viele Frauen ab. Daher bin ich mir sicher: Wir brauchen mehr weibliche Vorbilder. Ich denke, die Frauen der Cannabis-Industrie sollten sich zukünftig stärker für ihre gemeinsamen Interessen einsetzen.
Welche Vision steckt hinter Algea Care?
Wir wollen chronisch Erkrankten durch Cannabinoid basierte Therapien und andere natürliche Arzneimittel helfen. Aktuell suchen viele Patienten verzweifelt nach Ärzten mit ausreichender Expertise für solche Therapien. Zugleich stellen wir als Telemedizin-Unternehmen den Patienten in den Fokus. Es gibt keine Wartezeiten, wir beantworten Fragen binnen 24 Stunden online und wir helfen dem Patienten, bis die für ihn erforderliche Cannabis-Sorte von der ausgewählten Apotheke verschickt ist. Keiner unserer Patienten muss verzweifelt von einer Apotheke zur nächsten, um zu prüfen, ob die für ihn richtige Sorte vorrätig ist. Außerdem haben wir uns strikter evidenzbasierter Schulmedizin verschrieben und wollen in Deutschland durch fundierte Ausbildung unserer Ärzte Aufklärungsarbeit leisten. Da alles digitalisiert ist, hilft uns dabei auch unser Fundus an Patientendaten. Zukünftig werden wir unsere Therapien immer weiter optimieren und das pharmazeutische Wissen ausbauen.
Von der Idee bis zum Start was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?
Wir haben bislang alles selbst finanziert. Meine gesamten persönlichen Ersparnisse habe ich in die Gründung meiner unternehmerischen Aktivitäten in der Cannabis-Industrie gesteckt. Der unternehmerische Erfolg belohnt mich bereits jetzt für meine Risikobereitschaft. Wir sind in vier Standorten deutschlandweit aktiv, haben ein zehnköpfiges Ärzteteam aufgebaut und behandeln etwa 500 Patienten monatlich. Das alles gut vier Monate nach unserem Start im September.
Wer ist die Zielgruppe von Algea Care?
Zu uns kommen viele chronisch Erkrankte. Aktuell sieht der Gesetzgeber schließlich vor, dass Ärzte Cannabis nur unter bestimmten Voraussetzungen verschreiben dürfen. Unter anderem muss es sich dabei um eine „schwerwiegende“ Erkrankung handeln, die den Alltag stark einschränkt. Außerdem darf der Arzt keine anderweitige dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsalternative für den Fall als aussichtsreich sehen. Entsprechend sehen wir uns ergänzend zur klassischen Schulmedizin als Experten für alle chronisch Erkrankten, die nach medizinischer Expertise für Cannabinoid basierte Therapien und andere natürliche Arzneimittel suchen. Dazu zählen sowohl Privatpatienten als auch Selbstzahler.
Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
Wir sind deutschlandweit der einzige Telemedizin-Anbieter, der Betäubungsmittel verschreibt. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist unser hoher Grad der Digitalisierung: Vorab laufen Aufnahmeprozesse komplett digital und teil-automatisiert ab. Nur der Erstkontakt findet physisch in einer unserer Praxen vor Ort statt. Alle anderen Termine erfolgen online. Außerdem sind wir rund um die Uhr für den Patienten da. Sprich: Wenn irgendetwas ist, erhält er von uns binnen 24 Stunden Hilfe. Wir arbeiten ausschließlich patientenorientiert.
Was hat sich verändert seit der Gesetzesänderung bezüglich Cannabis?
Auch wenn nur geschätzt zwei Prozent der Ärzte Cannabis verschreiben, steigt die Zahl der Patienten seit der Gesetzesänderung im März 2017 rasch an. Hatten vor der Legalisierung für medizinische Zwecke etwa 1.000 Patienten Deutschlandweit eine Ausnahmeregelung, so gehen wir aktuell von etwa 100.000 Cannabis-Patienten deutschlandweit aus. 320.000 Rezepte für Cannabis erhielten die gesetzlichen Krankenversicherungen 2019. Zu berücksichtigen ist, dabei, dass wir nur die genaue Zahl der gesetzlich Versicherten kennen. Von daher gibt es einen großen Graubereich. Allerdings deuten auch die Importmengen auf deutlich mehr Akzeptanz für medizinisches Cannabis hin. 2020 importiert Deutschland wahrscheinlich 28 Tonnen medizinisches Cannabis. Das große Manko ist weiterhin die medizinische Expertise. Aber das ändern wir nun mit Algea Care.
Algea Care, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
In fünf Jahren sind wir europaweit der führende Telemedizin-Anbieter für natürliche Medizin, wir haben Indikationen für unsere Therapien erweitert und sind auch federführend in der Regulierung von medizinischem Cannabis und weiteren Natur basierten Medikamenten in Deutschland und Europa. Unser Fundus an Daten über Therapieverläufe hat uns eine Optimierung und Personalisierung unserer Behandlungen erlaubt. Unser stetig gewachsenes Ärzteteam dadurch die Expertise rasch ausgebaut.
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?
Vorbereitung ist alles! Analysiert den Markt, erstellt ein Business Modell und einen Business Plan. Vergewissert euch, dass ihr ein Alleinstellungsmerkmal habt
Priorisiert! Erstellt einen Step-by-Step Plan mit den wichtigsten Punkten, die abgearbeitet werden müssen. Passt diese Punkte wohlgemerkt agil den tatsächlichen Entwicklungen und neuen Erkenntnissen an. Im heutigen Unternehmertum ist nichts in Stein gemeißelt.
Fangt an! Wartet nicht auf den perfekten Zeitpunkt oder die perfekte Lösung eines Problems. Baut euer Unternehmen in der Startphase mit der Einstellung “Better done than perfect” auf. Optimieren kann man im Nachgang immer noch.
Wir bedanken uns bei Anna-Sophia Kouparanis für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder