Weibliche Führungskräfte sind in der aktuellen Krise stark von Stress und psychischer Belastung betroffen. Auf welche Gründe ist das zurückzuführen? Noch immer sind lediglich 20 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt. In welchem Zusammenhang steht diese Minderheit mit Stress? Psychologin Dr. Yana Fehse geht genauer darauf ein:
1. Unterschiedliche Netzwerke
Die Netzwerke in einem Unternehmen spielen eine maßgebliche Rolle. Entsprechend dem Prinzip der „Gleichgesinnung“ bilden sich die Netzwerke meist nach den Geschlechterrollen. Männliche Netzwerke in Unternehmen haben den Vorteil, dass diese deutlich stärker sind. Gerne wird die Freizeit gemeinsam verbracht. Zudem besteht ein unmittelbarer Kontakt zu Führungsposition, welche es zum Aufstieg benötigt. Mögliche Führungspersonen können aufgrund gemeinsamer Zeit besser eingeschätzt werden.
Weibliche Netzwerke benötigen den Kontakt zu männlichen Führungspositionen, dennoch möchte das Bedürfnis nach sozialen Kontakten gestillt werden. Unternehmerinnen müssen also mehrere Netzwerke bedienen, das sorgt für zusätzlichen Stress.
2. Können oder Glück?
Das Kausalprinzip basiert auf dem Konzept von Glück und Können. Und wer hätte es gedacht, natürlich wird Männern die Kompetenz zugesprochen. Fehler werden häufig mit mangelndem Wissen oder einem schlechten Tag gerechtfertigt. Frauen hingegen stehen unter enormen Druck. Leistung wird meist mit reinem Glück gerechtfertigt. Hingegen sind Fehler auf eine mangelnde Kompetenz zurückzuführen. Dieses Prinzip erhöht den Druck auf weiblicher Seite deutlich. Frauen haben das Gefühl, mehr leisten zu müssen und erlauben sich keine Fehler. Stress ist vorprogrammiert.
3. Die weibliche Führungskraft als Aushängeschild
Eine weibliche Führungskraft ist noch immer etwas Besonderes. Frauen stellen eine Minderheit da. Ist eine verantwortungsvolle Position von einer Frau besetzt, ist dieses noch immer etwas Besonderes. Die weibliche Führungskraft ist ein sogenanntes Aushängeschild. Alle Augen sind auf die Unternehmerin gerichtet. Das führt zu einem erhöhten Druck.
Zudem versucht eine Unternehmerin stets entsprechend Ihrer „angeblichen“ Charaktereigenschaften zu handeln. Bedacht, feinfühlig, sensibel, teamfähig. Treffen diese Charaktereigenschaften nicht zu, führt das zu einer Irritation. Frauen stehen also unter permanenter Beobachtung.
4. Führungsposition vs. Charaktereigenschaften
Noch immer gibt es zahlreiche Stereotypen gegenüber männlichen und weiblichen Charaktereigenschaften. So werden Frauen häufig mit Sanftmut, Zärtlichkeit, Ehrlichkeit, Kommunikation und Teamfähigkeit in Verbindung gebracht. Männer gelten hingegen meist als dominant, aggressiv und ehrgeizig. Als wären diese Stereotype nicht schlimm genug, werden die weiblichen Charakterzüge nicht mit einer Führungskraft in Verbindung gebracht.
Handeln Frauen jedoch nicht nach diesen Charaktereigenschaften, führt das ebenfalls zu Irritation und häufig nicht zu einer Anerkennung der Kompetenz. Das erklärt auch den vermehrten Stress der weiblichen Führungsposition. Sie kann es nicht richtig machen.
5. Führung nach Ansätzen
Viele Unternehmen agieren nach bestimmten Ansätzen was die Geschlechterrollen betrifft. Man unterscheidet die Ansätze: Gleichberechtigung, Diversity und Differenz.
Der Gleichberechtigungsansatz basiert darauf, dass Frau und Mann gleichbehandelt werden sollen. Was im Gegenzug bedeutet, dass beide Geschlechter gleiche Leistung zu vollbringen haben. Da männliche Kollegen häufig als sehr kompetent wahrgenommen werden, kann das zu einem erhöhten Druck seitens der Frauen führen. Die Erwartungshaltung ist besonders hoch, das erhöht den Stress.
Das Diversity Prinzip konzentriert sich auf die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Führungskräfte. So spielen Lebenssituationen wie arm, reich, alleinerziehende Mutter oder Vater eine Rolle. Diese Behandlung kann zu Vorteilen führen, geht aber auch mit einem erhöhten Druck einher. So liegt auf der alleinerziehenden Mutter möglicherweise ein besonderes Augenmerk, da häufig ein großer Zweifel daran herrscht, den Anforderungen gerecht zu werden. Das Differenz-Prinzip behandelt Mann und Frau unterschiedlich. Wie bereits erwähnt, werden männlichen und weiblichen Führungspositionen unterschiedliche Charaktereigenschaften zugeordnet.
Aufgrund der Vorurteile werden dann unterschiedliche Führungsansätze erlaubt. Dies führt aber auch zu festgefahrenen Verhaltensweisen, was die weibliche Führungskraft unter Druck setzt. Darf eine Frau als dominant und besonders ehrgeizig auftreten?
Nach dem Differenz-Prinzip kann das zu Irritationen führen.
Fazit:
Zahlreiche Stereotype erschweren es weiblichen Führungskräften an Ernsthaftigkeit zu gewinnen. So liegt häufig ein besonderes Augenmerk auf der Unternehmerin. Fehler werden genauer beäugt und Erfolge kleingeredet. Das führt zu einer geringen Wertschätzung und einer hohen Frustration. Das begünstigt wiederum ein erhöhtes Stresslevel im weiblichen Führungsbereich.
Autor: Dr. Yana Fehse
Dr. Yana Fehse ist Psychologin, Mindset-Coach und Expertin für ein souveränes und überzeugendes Auftreten. Sie hat in Hamburg studiert und hat viele Jahre einem Assessment Center des Deutschen Center für Luft- und Raumfahrt (DLR) gearbeitet. Nach der Promotion hat sie als Dozentin an der FOM in Hamburg und danach als Personalleiterin bei einem Energiedienstleister gearbeitet. Seit 2015 ist sie selbstständig als Coach und Trainerin u.a. für eine Unternehmensberatung und viele renommierte Unternehmen tätig, u.a. AIRBUS, OTTO. Heute hat sie sich auf die Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützung von UnternehmerInnen und Führungskräften spezialisiert. Ihre Vision ist es, dass möglichst viele Menschen wissen, wie sie die nächsten Schritte auf ihrer Karriere-Leiter erfolgreich und mit viel mehr Überzeugungskraft, Freude und Zuversicht gehen können.
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