Wer große Visionen hat, darf auch die nötige Hybris mitbringen – so scheint es zumindest bei den Gründer-Vorbildern Musk, Bezos oder Jobs. Philipp Schlüter, M&A-Berater bei Cowen, hat schon viele Gründer:innen gesehen und gecoacht – sein Fazit: Auch, wenn in Deutschland viele Menschen missbilligend auf visionäre Gesten blicken, sollten Gründer:innen nicht vor einem großen Auftritt zurückschrecken.
Charismatische Persönlichkeiten wie Elon Musk oder Jeff Bezos, sind für viele Gründer:innen die großen Vorbilder. Egal, ob “Everything-Store” oder bemannte Mars-Missionen – Leute wie Bezos oder Musk halten nichts davon, tief zu stapeln. Sie haben die ganz großen Ziele vor Augen. Auf der einen Seite sind sie große Visionäre und wissen sich überzeugend zu verkaufen. Auf der anderen Seite sind sie unangepasste Typen, die genauso gut für größenwahnsinnig gehalten werden.
Die Deutschen schauen nur auf das mögliche Scheitern
Aber natürlich greift hier der Survivorship-Bias: Nur weil sie mit Amazon, Tesla oder Space-X Erfolg hatten, heißt das nicht, dass nicht ebenso viele Visionäre früh gescheitert sind. Der sehr deutsche Pessimismus führt dazu, Menschen mit Visionen viel zu schnell zu bewerten. Wer in unseren Breitengraden in völlig neuen Bahnen denkt, wird gerne als naiv oder großspurig abgestempelt. Man schaut eher vielleicht sogar etwas gehässig auf das potentielle Scheitern, als darauf, was in einer neuen Idee schlummern könnte. In den USA sieht das ganz anders aus. Dort treten Gründer:innen wie selbstverständlich in dem Bewusstsein auf, der nächste Musk oder Bezos zu sein. Und amerikanische Investoren erwarten diese Einstellung sogar.
Investoren suchen nicht nach solide wachsenden Geschäftsmodellen
Es ist nun einmal so: Meist steckt hinter den “verrückten Gründer:innen” mehr als nur Größenwahn und Hochmut, sondern die Getriebenheit und das Selbstbewusstsein, die eigene Idee und die eigene Vision, für absolut richtig zu halten. Denn wiederum führt zum unbedingten Willen, die Gedankenkonstrukte auch in die Tat umzusetzen. Wenn Investoren auf solche Eigenschaften treffen, rollen sie vielleicht kurz mit den Augen, erkennen aber auch das Potential: Investoren, insbesondere Venture Kapitalisten, sind nicht einfach auf der Suche nach solide wachsenden Geschäftsmodellen – ihnen geht es darum, ihr Investment mindestens zu verzehnfachen, sonst geht ihre Rechnung nicht auf.
Eine Story schlägt den Prototyp
Auf Nummer sicher geht also kein Investor, und selbiges wird auch von Gründer:innen erwartet. Wer nur auf kleine Verbesserungen oder zusätzliche Features bestehender Technik setzt, wird kaum Beachtung finden. Disruptiv ist anders. Wonach Investoren Ausschau halten, ist die visionäre Story. Amerikaner haben es deutlich besser raus, “das nächste große Ding” zu präsentieren. Schon Highschooler und College-Kids sind geübte Storyteller und verkaufen die Geschichten hinter ihren Ideen.
Währenddessen sind die Deutschen eher ein Volk der Tüftler:innen und Ingenieur:innen. Sie wollen erst einmal einen funktionierenden Prototyp haben, zeigen, dass alle funktioniert und dann anhand des Produktes und nicht der Idee überzeugen. Doch viele Frühphasen-Investments leben davon, dass es eben nur eine Idee gibt. Vielleicht ist diese noch nicht einmal ausgereift. Aber wenn der oder die Visionär:in voll und ganz hinter der Idee steht, dann sind Investoren bereit Geld in die Hand zu nehmen, weil sie an das disruptive Potenzial glauben. Dafür braucht es keinen Prototyp, sondern Menschen, die unkonventionell denken und für ihre Ideen durch Wände gehen.
Große Visionäre brauchen ein fähiges Team
Nun ist es aber so, dass diese Art visionärer Gründer:innen auch unkonventionell auftreten. Elon Musk ist der Nerd, der auch Memes bei Twitter postet. Jeff Bezos präsentiert sich gerne mit großem Cowboyhut und lässt sich auch höchstpersönlich ins All schießen. Beide kann man sicherlich guten Gewissens als Querköpfe und Rebellen bezeichnen. Tatsächlich ist es auch die Aufgabe von Investoren, wenn sie einmal einsteigen, solchen Persönlichkeiten die richtigen Menschen an die Seite zu stellen. Ein fähiger COO und CFO die sich um das operative Klein-Klein kümmern, während sich die Visionär:innen auf die großen Sprünge konzentrieren.
Hybris signalisiert Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen
Gründer:innen sollten ein bisschen wie Künstler:innen betrachtet werden: Unangepasst und getrieben von den eigenen Ideen. VCs und Investoren wissen diese Persönlichkeiten zu schätzen. Das bedeutet für Gründer:innen in Deutschland: Dick auftragen ist okay! Gerade im US-amerikanischen Umfeld wird dies sogar erwartet. Die Suche nach einer Finanzierung ist nicht die Zeit, um bescheiden zu sein. Getriebenheit und auch eine Hybris kann ein Vorteil dabei sein und zeugt letztendlich vom Selbstbewusstsein und Durchhaltevermögen, eine Idee auch zum Erfolg zu führen.
Autor:
Philipp Schlüter ist seit 2010 M&A-Partner bei der Investmentbanking-Beratungsgesellschaft Cowen und begleitet Software und Tech-Firmen bei Finanzierung und Verkauf. Zuvor gründete er als Unternehmer eine Firma im Video-on-Demand- und IPTV-Umfeld und baute sie auf.
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