Sonntag, Dezember 15, 2024
StartWorkbaseWas Gründer:innen aus aller Welt nach Estland führt

Was Gründer:innen aus aller Welt nach Estland führt

Eine langsame Digitalisierung und bürokratische Hindernisse machen Deutschland für ausländische Gründer:innen und Fachkräfte unattraktiv. Kam die Bundesrepublik in einer Auswertung der Bertelsmann Stiftung 2019 noch auf den 12. Platz aller 38 OECD-Länder, landete sie 2023 nur noch auf Platz 15. Ganz anders verhält es sich mit Estland. Das kleine baltische Land ist schon seit geraumer Zeit führend in Sachen Digitalisierung und hat mit Unternehmen wie Bolt, Skype oder Wise pro Kopf sogar die meisten Unicorns hervorgebracht.

Digitale Identität in nur 15 Minuten

Wesentlich zur starken Position Estlands im Bereich Technologie und Innovation beigetragen hat, dass bürokratische Hürden abgebaut wurden und Unternehmen gezielt gefördert werden. So setzt das Land auf Programme, die Start-ups und Scale-ups unterstützen und internationale Talente anziehen. Ein konkretes Beispiel ist die Regierungsinitiative “Startup Estonia”. Sie hat bereits im Jahr 2017 das sogenannte Startup-Visum eingeführt, das es Nicht-EU-Bürger:innen erleichtert, in einem Start-up oder Scale-up zu arbeiten und ihnen die Unternehmensgründung ermöglicht. 

Der Antrieb dieser Initiative verkörpert den estnischen Leitgedanken: Neue digitale Lösungen zu suchen und zu entwickeln, um Prozesse effizienter, effektiver und kostengünstiger zu gestalten. Eine robuste digitale Infrastruktur und eine fortschrittliche elektronische Verwaltung bilden dafür die Basis.  Öffentliche Dokumente sind online zugänglich, eine elektronische Steuererklärung ist etabliert und die E-Residency wurde eingeführt. Letztere erlaubt Nicht-Est:innen, eine digitale Identität zu erlangen und die digitalen Dienste des Landes zu nutzen. Der derzeitige Rekord für einen Antrag der E-Residency liegt bei nur 15 Minuten.

Estnische Behörden setzen auf künstliche Intelligenz

Blickt man auf das estnische Start-up-Ökosystem, zeigt sich, dass sich die staatlichen Bemühungen auszahlen. Der DeepTech-Bereich ist ein gutes Beispiel. Entsprechende Technologielösungen verzeichneten laut Startup Estonia in der ersten Hälfte des Jahres 2023 einen Umsatz von 79,1 Millionen Euro. Dies bedeutet einen Anstieg um 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, was doppelt so stark ist wie der durchschnittliche Wachstumstrend im estnischen Start-up-Sektor. Ein Erfolg, der auch auf Initiativen wie das Nordic Tech Valley zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich um eine Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Schweden, Dänemark und Finnland. Diese Kooperation stärkt Estlands Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Märkten wie den USA und Asien und trägt zum starken Wachstum des DeepTech-Sektors bei. 

Aber auch bei neueren technologischen Errungenschaften wie der künstlichen Intelligenz (KI) ist Estland führend: die Behörden des Landes bieten ihren Bürger:innen mit “Bürokratt” bereits heute personalisierte Dienste an. Das KI-Team von Kratt arbeitet an einem virtuellen Assistenten und einem Konzept, um den öffentlichen und privaten Sektor miteinander zu verbinden. Dieses Konzept soll Kunden- und Informationsdienste bereitstellen, mit dem Ziel die Kommunikation zwischen Staat, Bürger:innen und Unternehmen deutlich zu erleichtern. So viel Fortschrittsgeist wird auch auf globaler Ebene anerkannt: Das Internationale Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (IRCAI) der UNESCO hat die estnische KI als eine der weltweit 100 besten ausgezeichnet.

Estland priorisiert Cybersecurity   

Um sich als hochtechnologisches Land zu schützen, investiert Estland erheblich in Cybersecurity und verfügt über umfangreiches Fachwissen in der Forschung, Entwicklung und Verwaltung von Lösungen und Systemen für digitale Sicherheit. Zusätzlich hat Estland 2022 sein jährliches Budget für Cybersecurity nahezu verdoppelt. Wenig überraschend also, dass Estland im Global Cyber Security Index 2020 den dritten Platz belegt. Zum Vergleich: Deutschland steht in der Liste auf dem 13. Platz.

Es ist daher konsequent, dass das Estland das NATO Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence und führende Unternehmen wie das Blockchain-Unternehmen Guardtime beherbergt, welches mit Organisationen wie der Europäischen Weltraumorganisation und der Weltgesundheitsorganisation kooperiert. Mithilfe der Blockchain-Technologie hat das Unternehmen ein System entwickelt, das durch die KSI-Blockchain die Integrität von Daten, Netzwerken, Systemen und Prozessen verifizieren kann. Bereits 2012 war Estland der weltweit erste Staat, der die KSI-Blockchain-Technologie in seinen Produktionsumgebungen einsetzte, um Manipulation und Missbrauch gespeicherter Daten wirksam zu bekämpfen. Die KSI-Blockchain wird heute in verschiedenen staatlichen Registern eingesetzt, darunter Gesundheit, Unternehmensdaten sowie offizielle staatliche Veröffentlichungen. 

Digitale Strukturen Estlands bringen Vorteile für Start-ups und Bevölkerung

Bei der Digitalisierung kann Deutschland viel von Estland lernen. Während für viele Länder eine auf Start-ups ausgerichtete, digitale Regierung wie ein Ideal erscheint, beweist Estland, dass Technologie sowohl Unternehmen als auch Bürger:innen zugutekommen kann. Neben hochmodernen Online-Behördendiensten bietet Estland Gründer:innen und ihren Start-ups staatliche Unterstützung und einmalige Zugangsmöglichkeiten. Daher gilt das baltische Land heute in ganz Europa als ein Tech-Hotspot mit Vorbildcharakter.

Autorin: 

Leana Kammertöns, Leiterin der estnischen Wirtschaftsförderung Enterprise Estonia in Norddeutschland, Berlin und NRW

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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