Montag, November 11, 2024
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Schneller Zugang zu psychischer Gesundheit: Diagnose und Therapie neu definiert

KlenicoMe bietet einen Full-Service für Menschen mit unerkannten psychischen Problemen und erleichtert den Zugang zu Diagnose und Therapie.

Laura, könntest du uns kurz erzählen, was KlenicoMe genau macht und wie die Idee für dieses Startup entstanden ist?

KlenicoMe ist ein Full-Service-Angebot für Menschen, die psychische Probleme bei sich erkannt haben, aber noch nicht in therapeutischer Behandlung sind. Betroffene warten oft zu lange, bevor sie sich Hilfe suchen. So können sich Beschwerden verschlimmern. Zudem werden Menschen mit psychischen Beschwerden zunächst oft fehlerhaft diagnostiziert – bei bestimmten Krankheiten liegt die Fehlerquote bei 60 Prozent! Die Herausforderung liegt auch darin, dass Symptome oft in mehreren Bereichen vorliegen und viele Menschen an einer Mischung aus verschiedenen Erkrankungen leiden. Mit unserem niedrigschwelligen Ansatz stellen wir frühzeitig die richtige Diagnose und empfehlen die individuell passende digitale Therapie-App oder Psychotherapie.

Unsere Muttergesellschaft Klenico ist 2015 aus einem Spin-off der Uni Zürich entstanden und hat eine Softwarelösung entwickelt, die es Therapeut:innen und Ärzt:innen erleichtert, psychische Krankheiten zu diagnostizieren. Diese klinische Software, die wir im Hintergrund einsetzen, ist schon seit Jahren in Kliniken und Praxen im Einsatz und schlägt auch bei komplexen Fällen die richtigen Diagnosen vor. 

Als Co-Gründerin und CEO, welche persönliche Motivation treibt dich an, im Bereich der digitalen psychischen Gesundheit zu arbeiten?

Ich finde das Thema digitale psychische Gesundheit extrem wichtig und sehr spannend zugleich. Hier tut sich gerade so viel! Wir sehen in Deutschland, in der Schweiz und in vielen Ländern Europas massive Engpässe bei der Versorgung von psychisch belasteten Personen. Und der Bedarf steigt – nach Corona ist die Rate von psychischen Erkrankungen mindestens um 20 Prozent gestiegen (OECD 2021). Digitale Angebote allein werden das Problem leider nicht lösen, aber sie können sicherlich dazu beitragen, diese große Herausforderung zu meistern und Menschen zu befähigen, ihre psychische Gesundheit selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.

Deshalb habe ich KlenicoMe gegründet: Einerseits können wir Menschen, die sonst vielleicht gar keine Hilfe in Anspruch nehmen würden, den Zugang zu einer Lösung für ihre psychischen Beschwerden verschaffen. Betroffene, die wiederum bereits auf einen Therapieplatz warten, können dank KlenicoMe die Wartezeit bis zum Therapiestart erheblich verkürzen, da sie mit unserem Tool eine Diagnose und Beratung über die für sie am besten geeignete digitale Therapie erhalten.

KlenicoMe verspricht einen schnellen und einfachen Zugang zur Diagnose und entsprechenden Therapieoptionen. Wie genau funktioniert euer Prozess und welche Technologien setzt ihr dabei ein?

KlenicoMe ist ein intuitives digitales Tool, das Nutzer:innen durch einen umfangreichen Fragebogen führt, der etwa 20-30 Minuten in Anspruch nimmt. Das Konzept haben wir selbst entwickelt und programmiert und anschließend in Studien getestet. Dieser Mental Health Check deckt alle Bereiche psychischer Erkrankungen ab, von Depressionen über Angstzustände und Persönlichkeitsstörungen bis hin zu Suchterkrankungen. Diese werden nicht nur oberflächlich diagnostiziert – wenn wir beim ersten Screening etwas finden, gehen wir in die Tiefe der einzelnen Bereiche. Das macht unsere Lösung besonders und unterscheidet sie von Konkurrenzangeboten. So kann KlenicoMe manchmal Krankheiten entdecken, die von Fachleuten jahrelang nicht richtig diagnostiziert wurden. Für Betroffene ist es natürlich eine große Erleichterung, wenn sie endlich wissen, woher ihre Beschwerden kommen und wie man sie behandeln kann.

Nach der Diagnose bieten wir ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin an, die Behandlungsvorschläge machen. So erhalten Nutzer:innen nicht nur eine Diagnose, sondern auch konkrete Handlungsoptionen – eine wertvolle Alternative zur oft langwierigen Suche nach geeigneten Therapieplätzen oder Hilfsangeboten.

Inwiefern unterscheidet sich KlenicoMe von anderen Angeboten im Bereich der digitalen psychischen Gesundheit?

Bisher ist KlenicoMe das einzige Unternehmen, dessen System durch die Klassifizierung nach ICD-10 und DSM-5 eine intelligente psychische Diagnose ermöglicht. Die Abkürzung „ICD” steht für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems”. Mithilfe des ICD-Codes können weltweit Krankheiten und Gesundheitsprobleme eindeutig zugeordnet werden. Die Klassifizierung erfolgte von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). ICD-10 ist die aktuell weltweit gültige Version des Zuordnungssystems für medizinische Diagnosen. 

Welche Herausforderungen siehst du in der digitalen Diagnostik und Therapie von psychischen Erkrankungen, und wie begegnet KlenicoMe diesen?

In der digitalen Diagnostik und Therapie von psychischen Erkrankungen stehen wir vor mehreren zentralen Herausforderungen. Eine der größten ist sicherlich der zunehmende Fachkräftemangel. Im digitalen Raum, wo auch teilweise die persönliche Interaktion automatisiert wird, muss die initiale Diagnosestellung besonders präzise und bedachtsam erfolgen. Dies ist vor allem deshalb kritisch, weil digitale Gesundheitslösungen oft eine geringere Flexibilität in der Behandlung aufweisen, verglichen mit traditionellen Therapieansätzen.

Eine einmal gestellte Diagnose kann den weiteren Behandlungspfad maßgeblich bestimmen und somit auch die Wirksamkeit der Therapie beeinflussen.
Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit, Patient:innen so früh wie möglich an die passenden therapeutischen Angebote und Fachkräfte zu vermitteln. Derzeitige Engpässe im Gesundheitssystem, wie lange Wartezeiten auf Therapieplätze, verschärfen die Problematik. Hier müssen wir innovative Wege finden, um Betroffene schneller und effizienter zu unterstützen. Neben einer Lösung zur digitalen Diagnostik und Vermittlung an die richtige digitale Therapie arbeiten wir bei KlenicoMe an der Verbesserung der initialen Symptombeurteilung.

Unser Ziel ist es, eine Art Ersteinschätzung zu ermöglichen, die noch vor der eigentlichen Diagnosestellung eine Orientierungshilfe bietet. Damit soll es möglich sein, bereits frühzeitig Anzeichen psychischer Erkrankungen zu erkennen und die Betroffenen an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Dieser Ansatz basiert auf der Überzeugung, dass eine frühzeitige und genaue Erfassung der Symptome entscheidend für den Erfolg der weiteren Behandlung ist.

Wie stellt KlenicoMe sicher, dass die Nutzer eine korrekte Diagnose erhalten und wie wird die Qualität der Therapieoptionen gewährleistet?

Wir sind uns bewusst, dass im Bereich der psychischen Gesundheit die Genauigkeit der Diagnose und die Effektivität der Therapie entscheidend sind. Aus diesem Grund haben wir mehrere Maßnahmen implementiert, um diese Standards zu erfüllen. Erstens gewährleisten wir, dass jede Diagnose und Therapieempfehlung von einer qualifizierten Therapeutin oder einem Therapeuten begleitet wird. Wir glauben fest daran, dass die menschliche Expertise unverzichtbar ist, um die Nuancen psychischer Erkrankungen vollständig zu erfassen und zu verstehen. Diese persönliche Betreuung stellt sicher, dass die Diagnose nicht nur auf Symptomen basiert, sondern auch den individuellen Kontext und die Lebensumstände der Betroffenen berücksichtigt.

Zweitens ist die Qualität unserer Software durch strenge Zertifizierungsprozesse garantiert. Wir halten uns an die höchsten Standards für digitale Gesundheitsanwendungen, um sicherzustellen, dass unsere Tools nicht nur effektiv, sondern auch sicher für unsere Nutzerinnen und Nutzer sind. Unsere diagnostische Software ist ein CE-zugelassenes Medizinprodukt der Klasse I nach MDD. Wir führen kontinuierlich wissenschaftliche Erhebungen zu unseren Diagnoseverfahren durch. 

Schließlich wird die Qualität der Therapieoptionen, die wir unseren Nutzerinnen und Nutzern anbieten, sorgfältig geprüft und gewährleistet. Wir bieten ausschließlich offiziell zugelassene und erstattungsfähige Therapieoptionen an, die als Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) anerkannt sind. Dies bedeutet, dass jede von uns empfohlene Therapieoption einer strengen Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterzogen wurde, um ihre Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität zu bestätigen. Auf diese Weise können unsere Nutzerinnen und Nutzer sicher sein, dass sie Zugang zu den besten verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten haben.

Wie geht KlenicoMe mit Themen wie Datenschutz und Sicherheit um, insbesondere im Kontext sensibler Gesundheitsdaten?

Datenschutz und Sicherheit haben bei uns allerhöchste Priorität. KlenicoMe erfüllt natürlich alle Bestimmungen der DSGVO und des Schweizer Datenschutzgesetzes. Dazu kommen hohe Sicherheitsvorkehrungen bei der Speicherung der Daten, sodass es für Mitarbeitende von KlenicoMe und unbeteiligte Dritte unmöglich ist, Rückschlüsse auf getestete Personen zu ziehen. Seit Juli 2019 hat Klenico die CE-Zertifizierung als Medizinprodukt. Alle oben genannten Sicherheitsaspekte sind dabei detailliert berücksichtigt.

Welche Rolle spielt die Nutzerrückmeldung in der Entwicklung und Verbesserung von KlenicoMes Diensten?

Wir führen fortlaufend Nutzertests durch, um unser Angebot stets zu verbessern. So haben wir erst kürzlich anhand von User-Feedback die Art der Abfrage der Symptome für unserer Nutzerinnen und Nutzer weiter optimiert. Der „Mobile First“-Ansatz, bei dem die Benutzerfreundlichkeit auf mobilen Endgeräten im Vordergrund steht, stammt beispielsweise ebenfalls ausschließlich aus den Nutzungsdaten, die wir sammeln. 

Laura, als erfolgreiche Gründerin im Tech-Bereich, welche Ratschläge würdest du anderen Frauen geben, die ein Startup gründen möchten?

Gründen passt nicht zu jedem gleich gut, und das ist völlig in Ordnung. Frauen, die darüber nachdenken, sollten zu sich selbst ehrlich sein. Eine sehr hohe Resilienz, großer Eigenantrieb und die Fähigkeit, Niederlagen einigermaßen gut wegstecken zu können, sind wichtige Eigenschaften, die aus meiner Erfahrung wichtig sind. 

Außerdem ist Gründen gerade am Anfang auch eine finanzielle Herausforderung. Ein Unternehmen von Null aufzubauen ist toll, aber wird schnell unangenehm, wenn schon früh das Geld ausgeht. Frauen, deren finanzielles Polster nicht groß genug ist, können auch neben dem Beruf gründen oder bei einer bereits in Entwicklung befindlichen Unternehmensidee als Mitgründerin einsteigen, um dieses Problem zu umgehen.

Wie siehst du die Zukunft von KlenicoMe und gibt es Pläne für neue Funktionen oder Expansionen in andere Märkte?

Langfristig sehe ich KlenicoMe als international anerkannten Vorreiter der digitalen psychischen Gesundheitsversorgung, in der sich unsere Diagnostik und Therapiebegleitung als neuer Standard etabliert hat. Durch die Integration in das Erstattungssystem können alle Versicherten in Deutschland Klenico kostenfrei nutzen – ein Modell, das wir global ausweiten wollen.

Wir werden eine zentrale Rolle in hybriden Versorgungsmodellen spielen, die die Interaktion mit Therapeut:innen und fortschrittliche Technologie kombinieren, um die Versorgung effektiver und zugänglicher zu machen. Wir werden uns auch auf die Weiterentwicklung in Richtung KI konzentrieren, um nicht nur Früherkennung und sinnvolle Steuerung von Betroffenen, sondern auch Rückfallerkennung zu ermöglichen und so Menschen mit psychischen Erkrankungen kontinuierliche Unterstützung zu bieten.

In fünf Jahren wird KlenicoMe das Wohlbefinden von Menschen auf der ganzen Welt fördern, indem es den Zugang zu qualitativ hochwertiger Versorgung ausweitet und Effizienz und Einfühlungsvermögen in der Behandlung psychischer Erkrankungen neu definiert.

Wie hat die COVID-19-Pandemie die Bedeutung von digitalen Gesundheitsdiensten, insbesondere im Bereich der psychischen Gesundheit, verändert?

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) erlebt Deutschland einen deutlichen Anstieg von Krankmeldungen aufgrund von Arbeitsbelastungen und depressiven Erkrankungen. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2023 stiegen die Fehlzeiten wegen seelischer Leiden im Vergleich zum Vorjahr um 85 Prozent – ein noch nie dagewesener Anstieg.

Dieser Trend wurde ursprünglich durch die Corona-Pandemie angestoßen und durch Faktoren wie Digitalisierung, Inflation und zunehmende Arbeitsbelastung weiter beschleunigt. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch Depressionen entstehen, sind erheblich und wurden von der Versicherung Allianz in Deutschland bereits vor einem Jahrzehnt auf bis zu 22 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Gleichzeitig sind die Menschen in Deutschland offen gegenüber digitalen Gesundheitsanwendungen: Eine aktuelle repräsentative Studie der Online-Therapieplattform HelloBetter zeigt, dass sich ein Drittel der Deutschen vorstellen kann, eine Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) bei psychischen Belastungen zu nutzen. Insbesondere die Generation Y zeigt sich sehr aufgeschlossen gegenüber digitalen Therapieoptionen, mit 44% der 29- bis 43-Jährigen, die sich eine Nutzung vorstellen können, um ihre psychischen Belastungen zu reduzieren.

Abschließend, welche Vision hast du für die Rolle der digitalen Technologie in der Zukunft der psychischen Gesundheitsversorgung?

Ich bin davon überzeugt, dass wir uns in Richtung einer hybriden psychotherapeutischen Versorgung bewegen, also einer Kombination aus Technologie und physischen Angeboten. Technologie kann Psychotherapeut:innen nicht ersetzen, aber sie kann helfen, Versorgungslücken zu schließen, Kosten zu verringern, Fehler in Diagnose und Therapie zu minimieren und vieles mehr.

Wir bedanken uns bei Laura Henrich für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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