In den Vergangenen Jahren stand insbesondere die steigende Anzahl von Eigenkapital-Runden oder das gestiegene Volumen des eingesammelten Kapitals im Vordergrund, wenn sich die mediale Berichterstattung mit den hiesigen Startups auseinandergesetzt hat. Während in den USA bereits seit Jahren das sogenannte ‘Venture Debt’ etablierter Bestandteil von derartigen Kapital-Runden ist, zeichnet sich dies nun auch in Deutschland immer häufiger als ergänzende Komponente ab.
Was genau ist Venture Debt?
Venture Kapital (auch “Venture Loan” genannt) ist Fremdkapital, dass speziell für wachstumsstarke und Venture-Capital finanzierte Unternehmen konzipiert ist, die noch keine Gewinne erzielen. Häufig findet die Ausgestaltung in Form eines Darlehens mit fester Laufzeit, Zinszahlungen sowie Gewinn-Partizipation (Equity Kicker) statt und kann u.a. im Hinblick auf vorzeitige Rückzahlungen, Optionsrechte (Warrants), sonstiger Gebühren, Covenants und andere Vertragsbestandteile sehr individuell gestaltet werden.
Warum wird es derzeit beliebter?
In Bezug auf Startups ist der europäische Markt seit Jahren sehr lebhaft. Startups werden von diversen Autoren generell als Wegbereiter der wirtschaftlichen Zukunft eines Landes gesehen, da sie durch das Fördern von technischem Fortschritt und dem Lösen gesellschaftlicher Probleme eine dynamische Wirtschaft vorantreiben.
Hinzu kommt, dass es inzwischen auch mehr erfolgreiche Gründer:innen gibt, die bereits auf erfolgreiche Exits zurückblicken können, innerhalb der Szene aktiv sind und selbst z.B. Fonds auflegen und investieren. Andere sind politisch aktiv und versuchen die Rahmenbedingungen für Startups im internationalen Vergleich zu verbessern. Dadurch entwickelt sich das gesamte Startup-Ökosystem weiter.
All diese Faktoren befeuern mehr generelle Aufmerksamkeit auf diesen Bereich. Und das bleibt nicht ungesehen. Inzwischen agieren auch mehr ausländische Anbieter für Venture Debt auf dem deutschen Markt.
Welche Vor- und Nachteile hat Venture Debt?
Aufgrund seines Fremdkapital-Charakters unterscheidet sich Venture Debt nicht nur von Venture Capital, sondern bietet dadurch auch andere Vor- bzw. Nachteile. Einer der entscheidendsten Vorteile gegenüber Eigenkapital ist die ausbleibende Verwässerung, denn Gründer:innen geben keine weiteren Gesellschaftsanteile ab, sondern entrichten einen Sollzinssatz, welcher geringere Kapitalkosten bewirkt als die Abgabe von Anteilen.
Dennoch ist bei einer Abwägung, inwiefern Venture Debt ein passendes Finanzierungsinstrument darstellen kann, zu berücksichtigen, dass Fremdkapital zurückgezahlt werden muss und entsprechend monatliche/quartärliche/jährliche Tilgungsraten zu leisten sind oder eine Rückzahlung in einer Summe zum Laufzeitende erbracht werden muss.
Die Zielgruppe für Venture Debt sind Unternehmen, welche voraussichtlich noch mehrere Jahre Verluste erwirtschaften werden. Aufgrund des Risikocharakters dieses Finanzierungsinstruments ist die Ausgestaltung der Verträge komplex als auch individuell und bedingt, sofern noch keine Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt wurden, unter Umständen die Notwendigkeit von speziellen Beratern.
Worin liegen Chancen durch den Einsatz von Venture Debt?
Durch den Einsatz zur Verlängerung der Cash Runway können Umsatz oder Margen gesteigert werden und sich die nächste Kapitalrunde weiter in die Zukunft schieben lassen. Dies wirkt positiv auf die eigene Verhandlungsposition im Hinblick auf die Bewertung (Verwässerungsschutz) oder sonstige Vertragsbestandteile.
Infolge des Kapitaleinsatzes für (an-)organische Wachstumsmaßnahmen, wie z.B. Akquisitionskosten eines Wettbewerbers oder Unternehmens zur Erweiterung des eigenen Geschäftsmodells sowie zur Internationalisierung oder Investitionen in Marketing, kann sich das Startup einen Wachstumsschub sichern und mehr Reichweite generieren.
Nicht zu vernachlässigen sind die Vorteile durch die Partnerschaft an sich. Die Venture Debt Provider verfügen über langjähriges Wissen und meist über ein ausgebautes Netzwerk. Durch ein wertschätzendes Miteinander auf Augenhöhe können die Vorteile daraus genutzt sowie Netzwerk-Effekte und Tipps zum Marktumfeld oder Branche eingesetzt werden.
Wird die Anziehungskraft von Venture Debt weiter steigen?
Die Attraktivität dieser Kapitalbeschaffung ist auf dessen Charaktereigenschaften zurückzuführen. Durch die allgemeine verstärkte Aufmerksamkeit der Szene wird die Bekanntheit weiter steigen und mit zunehmendem Volumen der Kapital-Runden wächst der Kosmos, für den Venture Debt in Frage kommt. In den kommenden Jahren wird sich hier viel tun und durch das belebte Geschäft aufgrund von mehr Konkurrenz bei den Anbietern könnten sogar positive Effekte auf die Vertragsgestaltung zu sehen sein.
Wie bereiten sich Start-ups auf Venture Debt am besten vor?
Die meisten Start-ups werden künftig weiteres Kapital benötigen, um geplante Wachstumsziele zu erreichen. Im Optimalfall kann dies eine Kombination aus Eigen- sowie Fremdkapital in Form von Venture Debt sein. Eine geordnete Zahlen- und Datenbasis in Form eines aussagekräftigen Reportings und einer qualitativen Ertrags- und Cashflow-Planung sind neben einer etablierte Geschäftsstrategie mit Produkt-Markt-Akzeptanz, ein diversifiziertes Kundenportfolio, Planungstreue, skalierfähiger Prozesse und Ressourcen sowie institutioneller Investoren im Cap Table mögliche Einstiegskriterien. Mit zunehmender Reife des Startups werden auch die Ansprüche an Detaillierungsgrad und Aussagekraft wichtiger werden.
Die optimale Vorbereitung umfasst frühzeitige Implementierung geordneter Finanzprozesse und -strukturen, um die Qualität der wirtschaftlichen Zahlen zu verbessern und Professionalität in der Planung zu fördern. Ein sinnvoller Einsatz von Tools und das Nutzen der Spielräume verschafft Ressourcen und wirkt sich zudem positiv auf die Qualität aus. Die Aktualität von Unterlagen wie Pitch Deck, Ertrags- und Liquiditätsplanung, betriebswirtschaftliche Auswertung, Summen- und Saldenliste und Cap Table sind Voraussetzung für eine reibungslose Verhandlung.
Durch eine gute Vorbereitung auf die Detailprüfung innerhalb der Due Diligence kann das Startup einerseits eine gewisse Reife und Professionalität widerspiegeln und andererseits das Ergebnis der Verhandlung positiv beeinflussen.
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Autorenbox:
Nathalie Wiegand von Coco Finance begleitet High-Growth Startups und hilft den Teams ihre Strukturen, Prozesse und Systeme phasengerecht zu optimieren. Nathalie greift auf mehrjährige Erfahrung bei einem Venture Debt Provider im Bereich Corporate Finance zurück. Zudem unterstützt Coco Investoren bei Investment Entscheidungen mit Schwerpunkt Finance.
Timo Hoffmann ist Head of Partnerships beim FinTech-Unternehmen Agicap, dessen Liquiditätsmanagement-Software Venture Debt-Transaktionen immer häufiger abbildet. Sie hilft
Start-ups u.a., bei der Entscheidung für individuelle (Finanzierungs-) Angebote mehr Transparenz zu schaffen. Zuvor war er Head of Sales bei der Bepro Company.
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