Frank Jorga, Gründer und CEO von WebID über die aktuelle Lage der deutschen Fintechs
Wie siehst du aktuell die deutsche Startupszene – und speziell die FinTechszene?
Frank Jorga: In der deutschen Startupszene, und insbesondere im FinTech-Kontext, beobachte ich mit Freude einen stetigen Strom von neuen Ideen. Die Innovationsvielfalt trifft auf einen enormen Bedarf, der sich zu einem erheblichen Teil aus der andauernd wachsenden Digitalisierungsdynamik speist. Bei WebID merken wir das auch, etwa an der steigenden Nachfrage nach automatisierten Lösungen neben unserer GwG-konformen Video-Identifikation. Hier setzen dementsprechend auch unsere jüngsten Innovationen an, zum Beispiel eine vollautomatisierte Identifikation auf Basis von Online-Banking, auch diese GwG-konform. Ich beobachte zudem, dass es immer mehr Talente sind, die mit Mut und Engagement ein eigenes Unternehmen gründen, anstatt sich für die vermeintlich sichere Perspektive in einem großen Konzern zu entscheiden, wie es vor Jahren noch häufig der Fall war. Mittlerweile vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht von einer interessanten und vielversprechenden Idee höre.
Du warst selbst in den USA, hast dann aber 2012 in Berlin WebID gegründet. Was schätzt du am Standort Deutschland und welche Unterschiede siehst du zu den USA?
Frank Jorga: Beide Länder verbindet eine starke Technikaffinität. In den USA dominiert insbesondere im technologischen Kontext eine „Fast-is-better-than-perfect“-Mentalität, in Deutschland bevorzugt man hingegen solide und ausgereifte Lösungen. Diese Soliditäts-Präferenz zeigt sich auch bei der Finanzierung: Risikokapital steht immer noch nicht so einfach zur Verfügung wie in den Staaten. In der Konsequenz bedeutet das oft langsameres und vielleicht gesünderes Wachstum. Demzufolge herrscht hier auch noch kein so harter Verdrängungswettbewerb, wie man ihn etwa aus dem Silicon Valley kennt. Und auch wenn es oft anders wahrgenommen wird: Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland schätze ich eher unternehmensfreundlicher ein – auch hinsichtlich der Kosten, die bei einer Neugründung anfallen.
Erzähle uns mehr von Deiner Wachstumsphilosophie und WebIDs Plänen.
Frank Jorga: Wir setzen unbedingt auf Wachstum. Wir sind fest davon überzeugt, dass wir dem Markt einen echten Mehrwert bieten und mit unseren Lösungen rund um Online-Identifikation und -Vertragsabschlüsse inklusive unserer leistungsfähigen Plattform entsprechende Aufmerksamkeit und Verbreitung verdienen. Wachstum sollte jedoch auch nachhaltig und gesund für Mitarbeiterschaft und Unternehmen sein. Das Interesse der Investoren bewegt sich bereits auf einem hohen Niveau, bei der Auswahl von Partnern sind wir jedoch wählerisch, da wir nicht notwendigerweise auf Investmentkapital angewiesen sind. Wir sind profitabel und haben unsere Zahlen im Griff. Neues Kapital würde primär in die technologische und die internationale Expansion fließen. Aktuell sehen wir einen Schwerpunkt im Bereich der Entwicklung von automatisierten Lösungen. Hier herrscht gerade im Mittelstand ein ziemlich großer Bedarf bei Unternehmen, die keine explizite GwG-Identifikation benötigen – und sich im Übrigen auch nicht leisten können oder wollen. Überflüssig zu sagen, dass alle unsere Produkte bereits einen hohen Automationsgrad haben.
Werden FinTechs Deiner Meinung nach von der Coronakrise profitieren?
Frank Jorga: Unterm Strich auf jeden Fall, die Corona-bedingten Maßnahmen lösten tatsächlich einen wahren Digitalisierungsschub im Denken und Handeln aus, der andernfalls noch wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen hätte. FinTechs bieten ja per Definitionem digitale, technologiefokussierte Lösungen und Innovationen für die Finanzindustrie an. Wir haben bei WebID direkt mitbekommen, welche Auswirkungen die Coronakrise hatte – einige Kunden verzeichneten zwar zeitweilige Einbrüche, insgesamt betrachtet nahm das Geschäft aber zu. Für uns war der April zum Beispiel der erfolgreichste Monat seit Gründung des Unternehmens! Digitalisierungsvorhaben, denen auf Kundenseite bisher nicht die höchste Priorität eingeräumt wurde, müssen „von jetzt auf gleich“ umgesetzt werden. Diese Erfahrung werden sicherlich auch andere FinTechs gemacht haben oder noch machen.
Welche Tipps kannst Du Gründern geben, bezogen auf die aktuelle Situation?
Drei Dinge sind aus meiner Sicht wichtig, um als Unternehmer erfolgreich zu sein:
- Eine gute Idee zu haben ist toll. Sie bringt Dich aber langfristig nicht zum Ziel, wenn Du sie nicht unter kaufmännischen, technischen und rechtlichen Gesichtspunkten nüchtern überdenkst und dahingehend prüfst, ob sich aus ihr wirklich ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln lässt. Diese Aufgabe musst Du auf jeden Fall selbst übernehmen, Du kannst sie nicht delegieren.
- Stelle Dir mit Sorgfalt und gesundem Menschenverstand ein passendes Team zusammen – und verbringe dann eine Woche Urlaub mit der gesamten Mannschaft. Danach kennt ihr euch gut genug, um die Herausforderungen des Arbeitsalltags gemeinsam durchstehen zu können.
- Sichere Deine Liquidität. Viele können eine vielversprechende Idee nicht weiterverfolgen, weil ihnen auf halber Strecke das Geld ausgeht. Gehe lieber kleine Schritte, denn auch Wachstumserfolg kostet Geld. Setze Deine Kalkulation immer großzügig genug an und plane auch Reserven für unerwartete Situationen (die es immer geben wird) ein.
Wir bedanken uns bei Frank Jorga für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder