Freitag, April 26, 2024
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Die Anti-Exit-Strategie

Gründer:in ist man einen Tag lang. Was aber macht gute Unternehmer:innen aus, und welche Verantwortung bringt diese Aufgabe mit sich? Wer sich diese Frage stellt, anstatt zielsicher auf die Milliardenbewertung hinzuarbeiten, geht mit einer völlig anderen Haltung an die Sache ran und wird langfristig resilientere und innovativere Unternehmen aufbauen.

Start-ups sind von Natur aus darauf getrimmt, Momentum zu generieren und Investoren wie auch potenzielle Kunden von der eigenen Idee zu überzeugen. Ich führe viele Gespräche mit Gründern und solchen, die es werden wollen. Dabei werde ich häufig gefragt, wie ich pitche. Erst vor Kurzem kam ein junges Gründerteam auf mich zu und hat mich um eine kleine Mentoring-Session gebeten. Doch statt um den idealen Pitch, ging es um eine ganz andere Frage: Wie führst du? Welche Motivation hast du als Unternehmer:in? Was ist wirklich wichtig, was nicht? Was erzählst du neuen Mitarbeiter:innen am ersten Tag? 

Responsible Leadership – mehr als Green Economy

Für mich macht diese Frage den großen Unterschied. Denn was oft in Vergessenheit gerät: Menschen folgen nicht Produkten, sondern erstmal Menschen. Die Mission und die Wertekultur des Unternehmens ist für Arbeitnehmende wichtiger denn je und fördert engagiertes, motiviertes und selbstständiges Arbeiten. In der Start-up-Szene ist beides noch viel enger mit den Gründer:innen als Personen verzahnt als bei bereits gewachsenen, größeren Unternehmen und damit ein wesentlicher Hebel. Zumal der Fachkräftemangel auch vor den Innovativsten des Landes keinen Halt macht und die Personalrekrutierung zu einer der zentralen Herausforderungen bei der Gründung zählt. 

Immer mehr Gründer:innen wollen vor dem Hintergrund sozialer und ökologischer Krisen einen Beitrag leisten und lassen Verantwortung und Nachhaltigkeit in viele Bereiche einfließen – von der Produktentwicklung über die Lieferkette bis zur Verpackung. Mittlerweile ordnen sich mit 46 % bereits fast die Hälfte der Startups der Green Economy zu (Startup Monitor 2022).

Alles soll „sustainable“ und „responsible“ sein – die Vision für das Unternehmen und die Art und Weise, wie es geführt wird, werden dabei häufig vergessen. Dabei machen ökologische Materialien oder ein nachhaltiger Purpose alleine Startups noch nicht zu wirkungsvollen Unternehmen. Responsible Leadership bedeutet für mich auch, die Zukunftsplanung nicht auf zwei bis drei Jahre zu beschränken, sondern mit Blick auf die nächste Generation zu agieren. Je genauer man hinschaut, desto weiter weg ist die gesamte Branche von diesem Zielbild.

Der Club der Einhörner

Laut der aktuellen Erhebung von PwC und dem Start-up-Verband haben 61,2 % der Start-ups vor allem eines im Blick: den Exit. In den Medien ist vom „Einhorn-Club“ und dem „märchenhaften Aufstieg zum Decacorn“ die Rede. Gefühlt wird der Innovationsgrad unseres Landes an der Zahl der Milliardenbewertungen gemessen. Begründet wird die Exit-Manie mit dem entscheidenden Kapitalgewinn, der den Gründer:innen selbst den Sprung zum Business Angel ermöglicht und als Reinvestition in das Start-up-Ökosystem einfließen soll. Die Realität sieht anders aus.

Erstens profitieren vom Exit in erster Linie die Investoren.

Zweitens sind in Wahrheit nur 14,2 % der Gründer:innen selbst als Business Angel aktiv. Die Prozentzahl steigt zwar unter den Seriengründer:innen, doch selbst wenn ein Teil des Exit-Gewinns in neue Start-ups fließt, bleibt der Konflikt bestehen: Wenn der Exit das Ziel ist, was bleibt dann danach? Wie profitiert unser Wirtschaftsstandort von herausragenden Ideen und nachhaltigen Innovationen, die, sobald sie die Reife erreicht haben, echte Veränderungen zu bewirken, an größtenteils ausländische Unternehmen verkauft werden?

Gründen, um zu gestalten

Natürlich gibt es viele gute Gründe für einen Exit zu einem strategisch sinnvollen Zeitpunkt: Sei es der Zugang zu neuen Kunden, Märkten, Technologien oder Kapital. Es gibt Beispiele, bei denen der Zusammenschluss bewusst das Wachstum, die Innovationskraft und das nachhaltige Bestehen beider Unternehmen stärkt – ohne die Führung aus der Hand zu geben. Mir ist bewusst, dass es mitunter auch Rahmenbedingungen gibt, die Gründer:innen dazu zwingen, harte Entscheidungen zu treffen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.

Was jedoch limitiert, ist bereits mit dem Gründungsziel „Exit“ an den Start zu gehen und mit dem Verkauf jegliche Gestaltungsmöglichkeit abzugeben. Zu gründen, um zu verkaufen, und zu gründen, um zu gestalten, sind zwei völlig verschiedene Herangehensweisen. Nicht umsonst macht die Obsession, Dinge besser zu machen – sich selbst besser zu machen – die erfolgreichsten Unternehmen der Welt aus. Das Aus des Berliner Start-ups Planetly ist ein aktuelles Beispiel dafür, was passiert, wenn Unternehmer:innen mit dem Exit alle Zügel aus der Hand geben – und damit jede Möglichkeit, die Ziele an der Sache auszurichten und das Unternehmen langfristig voranzubringen.

Wachstum um jeden Preis

Dass die Skalierung des Angebots ein wichtiger Richtwert für den Erfolg eines Unternehmens ist, steht außer Frage. Das Problem liegt im schnellstmöglichen Wachstum um jeden Preis. Der Handlungsspielraum für langfristige Investitionen – sei es in die eigenen Produkte, wertvolle Kooperationen oder motivierte Talente – geht damit gegen Null. Was fehlt, ist die Weitsicht für jene Entscheidungen und Strategien, die sich erst in ein paar Jahren auszahlen werden.

Wenn ich mir etwas für die Zukunft der Branche wünschen dürfte, dann wären es mehr Gründer:innen, die ihren Gestaltungswillen so lange wie möglich bewahren und den entsprechenden Freiraum verteidigen. Um ihren Einfluss nicht nur temporär, sondern auch auf lange Sicht geltend zu machen. Um ihr Produkt und die Menschen, die daran arbeiten, langfristig zu prägen und das für Deutschland so wichtige Innovations-Know-how zu fördern. Wir brauchen Gründer:innen, die mit Leidenschaft auch Unternehmer:innen sein möchten.

Autor:

Als Gründer und CEO verantwortet Kai Henrik Müller seit 2012 die strategische Entwicklung von Experience One. In diesem Rahmen setzt er sich vor allem für die Themen Responsible Leadership und Tech for Good ein.

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Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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