Hellstern medical: noac sensorgesteuertes Exoskelett für den OP
Stellen Sie sich und das Startup Hellstern medical doch kurz unseren Lesern vor!
Wir sind Sabrina Hellstern und Claudia Sodha und die Gründerinnen von Hellstern medical. Als MedTech Startup mit Sitz in Wannweil in der Nähe von Stuttgart konzentrieren wir uns auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes der Zukunft für Chirurgen und Chirurginnen.
Gemeinsam mit unserem Team haben wir das weltweit erste sensorgesteuerte Exoskelett für Operierende entwickelt: noac. Der Name noac steht für “no ache”, also “kein Schmerz”. Unser System ist etwas komplett Neues. noac folgt Chirurg:innen in jede gewünschte Position und ermöglicht Operationen ohne Schmerzen und körperliche Ermüdung. So macht noac OPs für Patient:innen und Operierende gleichermaßen sicherer.
Warum haben Sie sich entschlossen, ein Unternehmen zu gründen?
Die Idee ist aus persönlichem Kontakt im Rahmen meiner Arbeit im medizinischen Vertrieb zu verschiedenen Chirurg:innen entstanden. Sie waren teils sehr frustriert über ihre aktuelle Situation, denn bei zwei Dritteln aller OPs müssen Chirurg:innen unnatürliche Körperhaltungen einnehmen, die zwangsläufig zu Ermüdung und Schmerzen führen. 40 Prozent nehmen daher regelmäßig Schmerzmittel ein. Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems hatten sie allerdings nicht. Gemeinsam mit unserem Team haben wir dann direkt losgelegt und in enger Zusammenarbeit mit Ärtz:innen,Ingenieuren und Robotikspezialisten in nur 15 Monaten noac entwickelt. Wir alle haben erkannt, dass es hier darum geht, ein riesiges, echtes Problem zu lösen.
Was war bei der Gründung von noac die größte Herausforderung?
Die europäische Medizinprodukte-Verordnung hat uns definitiv vor eine unserer größten Herausforderungen gestellt. Hier gibt es wirklich hohe Hürden, die man selbst in den niedrigen Risikoklassen überwinden muss – das kostet natürlich Zeit und finanzielle Ressourcen. Seit Anfang 2023 haben wir nun die Zertifizierung, jetzt geht es darum, noac in der DACH-Region groß zu machen und dann in die USA zu expandieren.
Kann man mit einer Idee starten, wenn noch nicht alles perfekt ist?
Auf jeden Fall. Wir haben uns von Anfang an darum bemüht, unser Startup so zu leiten, als wären wir ein großes Unternehmen. Das heißt trotz Startup-Budget vor allem: Professionell und groß denken, klare Ziele und Deadlines setzen und eine durchdachte Strategie entwickeln. Im Nachhinein können wir sagen, dass wir daraus viel in Bezug auf das Projektmanagement dazugelernt haben. Es herrscht immer ein gewisses Spannungsfeld zwischen Technik und Wirtschaftlichkeit: Während die Entwicklung ein perfektionistisches Produkt entwickeln möchte, müssen wir auch Markt und Business im Blick behalten und ausreichend schnell und wirtschaftlich denken und handeln. Heute wissen wir noch besser, wie man diese verschiedenen Visionen koordinieren und vereinen kann.
Welche Vision steckt hinter noac?
Die Vision von uns bzw. von Hellstern medical ist es, Menschenleben zu retten. Es ist eine große Herausforderung, eine solche Innovation für die Gesundheitsbranche zu entwickeln, denn wir müssen die Welten von Ärzten, Ingenieuren und Informatikern zusammenführen. Trotzdem bleiben wir so lange bei den Chirurg:innen und Patient:innen am OP-Tisch, bis wir sagen können: Diese Operation ist besser gelaufen, weil wir hart dafür gearbeitet, Perfektion und Leistung gebracht haben.
Wer ist die Zielgruppe von noac?
Wir rechnen aktuell mit einem Zielmarkt von über 70.000 OP-Sälen im deutschsprachigen Raum und in den USA. Während die Industrie beispielsweise bereits hoch technologisiert ist, stehen Chirurg:innen noch immer wie vor 150 Jahren am OP-Tisch. Wir wollen Operationen ins 21. Jahrhundert bringen und die Bedingungen für Operierende, Patient:innen und Kliniken gleichermaßen verbessern.
Wie funktioniert noac? Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet Sie von anderen Anbietern?
noac ist ein Exoskelett, das die Körperhaltung und die Bewegung von Operierenden unterstützt. Weltweit gibt es kein anderes sensorgesteuertes Exoskelett für den OP wie noac und wir decken mit ihm 99 Prozent der OP-Situationen ab – damit ist noac an sich schon ein Alleinstellungsmerkmal. Bislang erfüllen Produkte für die Industrie nicht die Anforderungen im OP-Saal, da sie nicht die gewünschte Entlastung bringen und zu einschränkend während der OP sind. Bei noac ist das völlig anders. Chirurgen können sich durch ein sensorgesteuertes System, das sich optimal auf alle Körpermaße einstellt, in jede gewünschte Position begeben.
Dabei wird nicht nur die Beinmuskulatur, sondern auch der Oberkörper bis zu 100 % entlastet. Die automatische Steuerung folgt der Körperbewegung und ist handsfree. Auch ein großer Vorteil, da die sterilen Instrumente zu keinem Zeitpunkt aus der Hand gelegt werden müssen. Das Haltesystem von noac haben wir patentieren lassen. noac sorgt durch seinen Entlastungseffekt während der ganzen OP für volle Konzentration auf den Patienten. Außerdem kann sich noac dank seiner Mecanum-Räder – ähnlich wie ein Luftkissenboot – in zwei Dimensionen völlig frei bewegen. Es ist die neue Freiheit im OP.
Hellstern medical, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Seit 2021 konnten wir 3,8 Millionen Euro im Fundraising einsammeln. Natürlich wollen wir das Projekt noac weiter vorantreiben und in so viele Kliniken wie möglich integrieren. Zukünftig wird im Wettbewerb um Fachkräfte auch die ergonomische Ausstattung des OP eine Rolle spielen. Eine Klinik mit noac hat dann einen klaren Vorteil. Unser ganz großes Ziel: Wir wollen den Einsatz von noac zum Standard in jedem OP-Saal machen. noac soll aber nicht unser einziges Projekt bleiben. Gemeinsam mit unserem Team haben wir schon weitere Ideen für wichtige MedTech Produkte gesammelt.
Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründerinnen mit auf den Weg geben?
Auch wenn unsere Erfahrung zeigt, dass Gründer es oft einfacher haben als Gründerinnen, sind wir uns sicher, dass Gründerinnen genauso viel bewegen können! Wir beide gehören zu dem einen Prozent aller Gründerinnen in der europäischen Medtech-Branche, die es geschafft haben, über 1 Million Euro im Fundraising zu generieren. Daher unsere drei Tipps: Glaubt an euch und eure Vision, kombiniert wirtschaftliches Denken mit gesellschaftlicher Verantwortung und traut euch!
Wir bedanken uns bei Sabrina Hellstern und Claudia Sodha für das Interview
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.