Mittwoch, November 19, 2025
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Warum herkömmliche Software in der Logistik plötzlich nicht mehr ausreicht

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pyck Toolkit bringt mehr Effizienz und Freiheit in die Logistik pyck teamfoto

pyck entwickelt ein modulares Toolkit für Lagerverwaltungssoftware, das Unternehmen hilft, ihre Logistikprozesse flexibel, effizient und zukunftsfähig zu gestalten

Wie ist die Idee zu pyck entstanden und wer steckt hinter dem Unternehmen?

Die Idee entstand, als ich – heute CEO von pyck – die Innovationsabteilung bei Dematic leitete. Damals erkannte ich, wie stark Innovationen in der Logistik durch unflexible Warehouse-Management-Systeme (WMS) ausgebremst werden. Max, heute CTO, kam ursprünglich aus der Softwareentwicklung. Als Freiberufler half er einem Unternehmen, die Einschränkungen einer Legacy-WMS zu überwinden. Wir beide erkannten die Notwendigkeit einer völlig neuen Methode zur Entwicklung und zum Betrieb von Lagerverwaltungssoftware und beschlossen, diese gemeinsam zu entwickeln. Später kam Matthias als COO hinzu. Er brachte seine Erfahrung in der Entwicklung von B2B-Software und der Skalierung von Early-Stage-Unternehmen ein.

Welche Vision verfolgt pyck im Bereich Warehouse Management und wie soll diese konkret umgesetzt werden?

Unsere Vision: In zehn Jahren soll jedes Produkt in der Lieferkette mit unserer Technologie in Berührung kommen. Das Ziel ist, Kunden die Möglichkeit zu geben, ihre Betriebsabläufe einfach zu skalieren, mit unserem Toolkit neue Logistikprozesse zu schaffen und Innovationen wie KI oder Robotik schnell zu implementieren – und das ohne die heute leider üblichen Komplexitäten und Verzögerungen.

Welche konkreten Herausforderungen gab es bei der Entwicklung des Open-Source-Frameworks und wie wurden diese gelöst?

Wir haben gelernt, dass es besser ist, pyck als Toolkit zu bezeichnen. Eine der größten Herausforderungen bestand darin, das Mindset zu verändern – weg von traditionellen, monolithischen WMS-Strukturen. Zwar verstehen potenzielle Nutzer das Konzept schnell und erkennen die Vorteile, für viele ist es dennoch ein völlig neuer Ansatz. Was wir auch gelernt haben: Am meisten überzeugt pyck, wenn es in einem klar abgegrenzten Proof-of-Concept-Projekt ein reales Problem löst, an dem andere Systeme scheitern.

Für welche Zielgruppen ist pyck besonders geeignet und wie adressieren Sie deren spezifische Anforderungen?

Aktuell fokussieren wir uns auf große Logistikunternehmen, vor allem auf Kontraktlogistik. Diese müssen für die eigenen Kunden oft hochspezifische Prozesse abbilden, die mit finanziellem und zeitlichem Druck einhergehen. Mit pyck geht das schneller, günstiger und bleibt flexibel anpassbar.

Was unterscheidet pyck von klassischen WMS-Lösungen im Markt?

Wir versuchen, pyck nicht als typisches WMS zu positionieren, auch wenn es alle WMS-Funktionen abdeckt. Im Grunde genommen ist es ein Toolkit, mit dem Kunden ihre individuellen Lagerprozesse aufbauen und anpassen können. Auf dem Markt konkurriert es mit WMS-Anbietern, bietet jedoch klare Vorteile:

Kunden können schnell und kostengünstig maßgeschneiderte Lösungen entwickeln.
Die Implementierung ist schneller, kostengünstiger und kann schrittweise erfolgen, wodurch sich das Sunken-Cost-Risiko reduziert.
Der Quellcode wird in Kürze als Open Source verfügbar sein, wodurch die Abhängigkeit von einem bestimmten Anbieter und damit das Geschäftsrisiko minimiert wird.
Die Anwender erhalten die volle Kontrolle über ihre Lagerverwaltungssoftware.
Das System ist auf schnelle Iteration und Innovation ausgelegt, sodass sich Robotik, externe Software und KI-Tools leicht integrieren lassen.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz im pyck-Framework und wie profitieren Nutzer konkret davon?

KI hilft dabei, Prozesse zu generieren, zu optimieren und automatisiert in Software zu übersetzen. Mit unserem „AI DataMate“ entwickeln wir zudem ein neues Feature. Anwender sind so imstande, per Sprachsteuerung mit dem Bestand und mit Prozessen in natürlicher Sprache zu interagieren. Da pyck mit Blick auf die Integration von KI entwickelt wurde, sind das Datenmodell und die API so strukturiert, dass sie sich nahtlos mit verschiedenen optimierenden KI-Tools verbinden lassen – für mehr Effizienz im Alltag unserer Kunden.

Wie stellt pyck sicher, dass auch kleinere Unternehmen von den modularen Lösungen profitieren können?

Das Angebot für kleinere Unternehmen befindet sich noch in der Entwicklung, weshalb wir dazu aktuell nichts Genaueres sagen können. Wir nutzen jedoch bereits jetzt unser eigenes Toolkit, um eine speziell auf die Bedürfnisse kleinerer E-Commerce-Shops zugeschnittene Lösung zu entwickeln. Weitere Details werden zum offiziellen Launch bekannt gegeben.

Welche strategischen Weiterentwicklungen oder Produkte sind bei pyck in Planung?

Neben dem AI DataMate und unserem E-Commerce-Produkt steht die Markteinführung unseres „Data Manager“ bevor. Damit lassen sich Datentypen per JSON Schema oder durch ein grafisches Interface ganz einfach vom Nutzer selbst erstellen und verwalten, ohne dass ein WMS-Anbieter oder externe Entwickler benötigt werden.

Was war bisher der wichtigste Meilenstein in der Unternehmensentwicklung?

Ein zentraler Meilenstein war die Aufnahme von Matthias in das Team. Die Erweiterung des Gründungsteams von zwei auf drei Personen hat einiges verändert: unsere Organisation, die Kommunikation und die Arbeitsweise. Matthias hat viel mitgebracht, darunter vor allem neue Ideen und umfassende Erfahrung in der Skalierung von B2B-Software Das hat sowohl unsere internen Abläufe als auch unsere Erfolgsquote bei der Kapitalbeschaffung erheblich verbessert.

Wie geht pyck mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Logistik konkret um?

Nachhaltigkeit ist Teil unserer DNA: Mit dem Open-Source-Ansatz unserer Plattform fördern wir Transparenz und langfristige Anpassungsfähigkeit – wichtige Grundlagen für nachhaltige Technologie. Unsere modulare, KI-gestützte Architektur ermöglicht außerdem intelligentere und schlankere Prozesse in den Abläufen unserer Kunden. Dadurch werden Energieverbrauch und Ressourcenverschwendung maßgeblich reduziert. Und damit nicht genug: Indem wir den Anwendern die Möglichkeit geben, ihre eigenen Logistikprozesse zu entwerfen, reduzieren wir nicht nur unnötige Komplexität, sondern fördern auch eine Kultur der kontinuierlichen, nutzerorientierten Verbesserung.

Welche Fehler würden Sie als Gründer heute nicht mehr machen?

Das Fundraising würden wir heute definitiv anders angehen. Ein Beispiel: Zu Beginn haben wir mehrere Monate lang Investitionsgespräche mit einem großen Unternehmen geführt – ohne Erfolg. Danach wandten wir uns an Risikokapitalgeber, doch dafür war es noch zu früh. Rückblickend ist es viel effektiver, in der Anfangsphase mit Business Angels zu starten und dann, mit wachsender Unternehmensreife, schrittweise zu größeren Investoren überzugehen.

Welche drei Tipps würden Sie anderen Gründerinnen und Gründern aus eigener Erfahrung mit auf den Weg geben?

Erstens sollten sie lernen, subjektive Meinungen von wirklich hilfreichem Feedback zu unterscheiden. Wer am lautesten ruft, hat nicht immer auch die besten Ideen.

Zweitens: Wenn sie positives Feedback von Branchenkennern erhalten, aber gleichzeitig Gegenwind von denjenigen kommt, die am Altbewährten festhalten – dann ist das oft ein gutes Zeichen. In dem Fall hat eine Lösung oder Idee großes Potenzial.

Und drittens: bloß nicht zu früh aufgeben! Auch bei pyck gab es viele harte Phasen, in denen wir uns nicht sicher waren, ob wir es schaffen werden. Doch wir haben die Zähne zusammengebissen und alle Durststrecken überstanden, aus gutem Grund. Was wirklich zählt, ist Durchhaltevermögen.

Bild Teamfoto @ pyck

Wir bedanken uns bei Daniel Jarr für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Warum geht das nicht einfach per App?

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Nect Wallet: So gelingt der digitale Ausweis per App Benny Bennet Jürgens Gründer Nect @ Matthias Friel

Nect ist ein deutsches Tech-Startup, das mit seiner ID-Wallet digitale Identitätsprüfungen und Behördengänge radikal vereinfacht

Stell dich und dein Startup Nect doch kurz unseren Lesern vor.

Moin! Ich bin Benny Bennet Jürgens, Gründer und CEO von Nect. Mit Nect haben wir Deutschlands größte ID-Wallet mit mittlerweile über 13 Millionen Usern aufgebaut und machen Schluss mit Warteschlangen im Video-Ident und Terminchaos bei Behördengängen. Die Nect Wallet speichert deinen digitalen Ausweis und ermöglicht dir so einen einfachen Zugang zu Online-Diensten von hochregulierten Unternehmen und Behörden. Darüber hinaus können mit der Nect Wallet sowohl Dokumente digital signiert wie auch empfangen werden. Damit können wir über 10 Millionen physische Briefe endlich „per Mail“ versenden. Wir sind vor allem durch den Einsatz bei fast allen deutschen Krankenkassen, sowie bei der Bundesagentur für Arbeit und ELSTER bekannt geworden. Wir haben drei Patente und waren die ersten, die eine Technologie entwickelt haben, die eine vollautomatische ID-Prüfung ermöglicht und dabei dennoch von hochregulierten Unternehmen genutzt werden kann.

Warum hast du dich entschlossen, ein Unternehmen zu gründen?

Bevor ich mit Carlo Ulbrich Nect gegründet habe, war ich App-Entwickler bei einer Versicherung. In der App gab es hohe Abbruchquoten bei der Registrierung, weil Nutzer erst auf einen Aktivierungsbrief warten mussten, bevor sie loslegen konnten. Zwischen Download und Nutzung lagen oft drei Tage. Wir suchten deshalb nach einer Lösung, die sofort funktioniert und so kostengünstig ist wie ein Brief – das war der erste Schritt.

Ich bin ein Lösungsfinder. Ich kann Probleme sehr gut auf den Kern herunterbrechen und Lösungen von Grund auf aufbauen, die nachhaltig funktionieren. Dafür brauche ich den Freiraum, mich nicht in überholten Rahmenbedingungen bewegen zu müssen. Ich habe diese Chance nur gesehen, indem ich ein Unternehmen gründe. Heute bin ich auch sehr dankbar, wieviel ich in kurzer Zeit lernen durfte.

Was war bei der Gründung von Nect die größte Herausforderung?

Die regulatorischen Rahmenbedingungen in Europa und vor allem in Deutschland. Wir haben eine sehr innovationsfeindliche, technologiegeschlossene Regulierung. Das Investitionsrisiko für Innovationen in Deutschland ist riesig. Und vor allem dafür gibt es verhältnismäßig zu wenig Kapital.

Kann man mit einer Idee starten, wenn noch nicht alles perfekt ist?

Wenn wir von einer echten Innovation reden, dann muss man sogar starten, bevor alles perfekt ist. Die Realnutzung bietet so viele neue Kenntnisse, die man so früh wie möglich in die weitere Entwicklung mit einbeziehen muss.

Welche Vision steckt hinter Nect?

Unser Ziel ist, die größte App in Europa aufzubauen, die den Bürgern den Alltag verbessert und echte Digitalisierung in Deutschland und darüber hinaus vorantreibt, in dem es leichter wird, Kontos zu eröffnen, Ausweise zu verlängern, Anträge zu stellen etc. Dafür bewegen wir uns in einem Bereich, der von sehr starren Strukturen und Vorgaben dominiert ist. Wir wollen mit unseren Lösungen inspirieren, was man alles verändern und verbessern kann, wenn man den Mut (und das Durchhaltevermögen) hat, neue Lösungen in noch so etablierten Systemen zu finden.

Wer ist die Zielgruppe von Nect?

Aktuell verkaufen wir unsere Lösung an hochregulierte Unternehmen und behördliche Online-Dienste. Gleichzeitig beobachten wir, dass der Bedarf an digitalem Vertrauen kontinuierlich wächst und neben ebendiesen auch Plattformen und e-Commerce-Anbieter betrifft – wodurch sich unser Zielmarkt erweitert. Zum anderen wollen wir schon bald die ersten Use-Cases launchen, die vom Nutzer gekauft werden können.

Wie funktioniert Nect? Wo liegen die Vorteile? Was unterscheidet dich von anderen Anbietern?

Wir optimieren unsere Lösungen mit vollem Fokus auf den Nutzer. Weil wir überzeugt sind, dass dies langfristig auch richtig und wichtig für unsere Kunden ist. Die meisten mir bekannten Wettbewerber optimieren darauf, was der Kunde denkt, was der Nutzer möchte. So haben wir mit der Nect Wallet den Nutzern die Möglichkeit geschaffen, die einmal verifizierte Identität als digitalen Ausweis wiederzuverwenden, womit wir bereits 13 Millionen Nutzern das Abfilmen und Rumhampeln vor der Kamera ersparen. In dieser Zeit haben unsere Wettbewerber sich darauf konzentriert, das Video-Ident möglichst stark an das Kundenbranding anzupassen.

Wo geht der Weg hin? Wo siehst du dich und Nect in fünf Jahren?

Ich hoffe, dass wir auch in fünf Jahren immer noch so viel Spaß an Erfindung und Fortschritt haben und dass wir es als Unternehmen schaffen, den Markt voranzutreiben. Ich möchte eine Firma schaffen, die niemals einfach nur eine Cash-Cow managed, sondern immer wieder Spaß an der Lösung von großen Problemen findet. Unsere kürzliche Akquisition von Acadias, einem Anbieter einer vollautomatisierten Plattform für KYC- und KYB-Prüfungen, beschleunigt unsere Mission, der Trusted Advisor zwischen Nutzern und Dienstleistern zu werden. Und es ist unser erster anorganischer Schritt auf der Mission, Europas größter Trust Service Provider zu werden.

Welche drei Tipps würdest du angehenden Gründern mit auf den Weg geben?

Durchhaltevermögen, Mut, Offenheit.

Bild Benny Bennet Jürgens @ Matthias Friel

Wir bedanken uns bei Benny Bennet Jürgens für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Was passiert, wenn Familie, Leidenschaft und Stil aufeinandertreffen?

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SASSY CLYSSY Mode Frauen Trends Roxana Lichtenstein SASSYCLASSY

Wie ist die Idee zu SASSYCLASSY entstanden und welche Geschichte steckt hinter der Gründung?

Wir kommen aus einer Modefamilie in dritter Generation – sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits war Mode stets ein zentrales Thema. Unsere Eltern haben sich sogar in der Branche kennengelernt. Für uns war Mode daher von klein auf ein selbstverständlicher Bestandteil des Alltags.

Die konkrete Gründungsidee entstand 2014. Ich (Roxana) hatte gerade drei Praktika in der Filmindustrie absolviert und festgestellt, dass mich diese Branche nicht erfüllte. Vor meinem Studienbeginn blieben noch zehn Monate – eine Zeit voller Fragezeichen. In einem Gespräch mit unserem Vater, der in der B2B-Welt sehr erfahren war, diskutierten wir die Unterschiede zwischen B2B und B2C. Besonders die direkte Verbindung zum Endkunden faszinierte mich.

Er motivierte mich, gemeinsam mit meinen Brüdern etwas Eigenes im E-Commerce aufzubauen. Noch in derselben Nacht rief ich Boaz und Denys via Skype an – und so wurde die Idee zu SASSYCLASSY geboren.

Was motiviert euch als Gründerteam jeden Tag, SASSYCLASSY weiterzuentwickeln?

Wenn du dein Hobby zum Beruf machst, arbeitest du kaum einen Tag – dieses Zitat begleitet uns seit elf Jahren. Als Geschwister gemeinsam an einer Vision zu arbeiten, ist etwas Besonderes. Wir inspirieren und motivieren uns gegenseitig, und in diesen Gesprächen entstehen oft großartige Ideen für die Weiterentwicklung von SASSYCLASSY.

Ein weiterer Antrieb ist unser Team – die erweiterte SASSYCLASSY-Familie. Die Leidenschaft, mit der jede*r Einzelne bei uns arbeitet, ist spürbar. Und letztlich sind es unsere Kundinnen: Wenn wir auf der Straße jemanden in einem unserer Kleidungsstücke sehen, ist das für uns das schönste Kompliment. Kleidung verleiht Selbstbewusstsein und eine Möglichkeit zur Selbstentfaltung – das treibt uns an.

Welche Vision verfolgt SASSYCLASSY in der Modewelt und wie setzt ihr diese konkret um?

Unsere Mission ist es, Mode zu kreieren, die Frauen dabei unterstützt, sich selbst und ihre Werte mit Mut und Stil zu zeigen. SASSYCLASSY steht für eine neue Generation von Frauen, die sich durch Mode selbstbewusst, elegant und verantwortungsbewusst ausdrücken möchten.

Mit über 1.200 Produkten im Sortiment bieten wir eine breite Auswahl. Je nachdem, wie unsere Kundinnen die Teile kombinieren, können sie ihren individuellen SASSY- oder CLASSY-Stil verkörpern – das Zusammenspiel von Namen und Markenidentität.

Wer gehört zur Zielgruppe von SASSYCLASSY und wie stellt ihr sicher, dass eure Mode genau deren Geschmack trifft?

Unsere Hauptzielgruppe sind Frauen zwischen 25 und 44 Jahren. Wir verstehen uns intern eher als Tech-Company mit Fashion-Fokus – datengetrieben und kundenorientiert. Wir ermöglichen unseren Kundinnen, aktiv Feedback und Produktwünsche einzubringen, die wir dank agiler Prozesse sehr schnell umsetzen können.

Ihr produziert in Italien und Frankreich. Welche Rolle spielt Qualität und Herkunft in eurer Markenphilosophie?

Qualität ist für uns zentral – dabei achten wir insbesondere auf zwei Aspekte: Passform und Material. Passform ist im Onlinehandel eine große Herausforderung. Wir führen alle Fittings intern mit einem Model durch, das Größe 36 und 170 cm groß ist, testen die Teile aber auch an weiteren Personen, um möglichst realistische Eindrücke zu erhalten.

Zudem besitzen wir im Büro Muster in allen Größen von XS bis XL, um Passformunterschiede frühzeitig zu erkennen. Frauen achten stark auf die Haptik von Stoffen – daher setzen wir auf hochwertige Materialien, die langlebig und pflegeleicht sind. Wir verzichten bewusst auf Echtfell und echtes Leder.

Was macht SASSYCLASSY einzigartig im Vergleich zu anderen Modelabels?

SASSYCLASSY ist die Verbindung aus datengetriebener Entscheidungsfindung, kreativem Gespür und familiärem Unternehmertum. Wir kombinieren technologische Prozesse mit Modeleidenschaft und können dadurch besonders schnell auf Trends, Wünsche und Herausforderungen reagieren – und das mit einem persönlichen Touch.

Wie nutzt ihr datengetriebenes Marketing und Influencer-Kooperationen, um erfolgreich am Markt zu bestehen?

Wir haben ein eigenes BI-System entwickelt, das jedes Produkt anhand von KPIs wie Marge, Retourenquote, Conversion Rate, Add-to-Cart oder Impressionen analysiert. Daraus ergibt sich ein Ampelsystem – grün (top), gelb (solide), rot (kritisch) – das unser gesamtes Team nutzt.

Produkte mit hoher Retourenquote werden z. B. nicht für Influencer-Kampagnen ausgewählt, selbst wenn sie sich gut verkaufen. Ziel ist nicht nur Reichweite, sondern vor allem nachhaltige Profitabilität. Auf Basis dieser Daten treffen Einkauf, Grafik und Marketing gemeinsame Entscheidungen.

Gab es Momente, in denen ihr an eure Grenzen gestoßen seid? Wie habt ihr solche Herausforderungen gemeistert?

Tatsächlich erleben wir fast täglich Situationen, in denen wir unsere Komfortzone verlassen müssen. Start-up-Alltag bedeutet ständige Veränderung und kaum Routinen. Was uns hilft: ein starkes Team, gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, auch bei Rückschlägen nicht den Mut zu verlieren.

Unsere Produktionsketten sind sehr agil – von der Entwicklung bis zur Auslieferung vergehen oft nur wenige Wochen. Gleichzeitig treffen wir datenbasierte Entscheidungen und evaluieren kontinuierlich, welche Teile in Qualität, Nachfrage und Nachhaltigkeit überzeugen.

Welche Entwicklungen plant SASSYCLASSY für die nächsten Jahre? Gibt es neue Produktlinien oder Märkte im Blick?

Internationalisierung steht weit oben auf unserer Agenda. Aktuell liegt unser Fokus auf Deutschland, rund 5 % des Umsatzes kommt aus Österreich. Langfristig möchten wir uns sukzessive in weiteren europäischen Märkten etablieren.

Gleichzeitig arbeiten wir an der Ausweitung unserer Produktkategorien. Unsere neu eingeführte Sportswear-Linie mit rund 30 Teilen wurde hervorragend angenommen – ein Bereich, den wir gezielt weiterentwickeln möchten.

Was würdet ihr anderen Gründerinnen und Gründern aus eurer Erfahrung mit auf den Weg geben?

Aufgeben ist keine Option – es wird immer Herausforderungen geben. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Aus Fehlern zu lernen, sich weiterzuentwickeln und flexibel zu bleiben, ist essenziell. Gründer*in zu sein ist kein glamouröser Lifestyle – es gibt lange Tage, Urlaub, oftmals mit Updates oder Fragen, und Unsicherheiten.

Aber wenn man für etwas brennt, trägt einen genau diese Leidenschaft auch durch schwierige Phasen. Durchhaltevermögen ist die Basis für unternehmerischen Erfolg.

Wie wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit für euch und wie setzt ihr es im Alltag um?

Uns ist bewusst, dass die Modebranche in puncto Nachhaltigkeit noch viel Luft nach oben hat. Wir leisten unseren Beitrag u. a. durch plastikfreien Versand, recycelte Kartonverpackungen und den Einsatz von DHL GoGreen. Darüber hinaus arbeiten wir kontinuierlich an der Weiterentwicklung unseres Nachhaltigkeitskonzepts – Schritt für Schritt, aber mit klarem Ziel.

Bild Roxana Lichtenstein @ SASSYCLASSY

Wir bedanken uns bei Roxana Lichtenstein für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Wie wurde aus einer Küchenidee ein Sommerdrink?

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Señor Dino likör basilikum zitrone Lars Eric Paulsen und Gunnar Krupp @ Niklas Marc Heinecke

Señor Dino bringt frischen Wind in die Spirituosenwelt – mit einem einzigartigen Basilikum-Limoncello, der den Aperitif neu interpretiert

Wie kam es zur Idee für Señor Dino und was hat euch beide motiviert, in den Spirituosenmarkt einzusteigen?

Wenn man mal die 30 überschritten hat, scheint es ein Naturgesetz zu sein, dass man sich ein neues Hobby sucht. Die einen kaufen sich eine teure Kaffeemaschine, die anderen laufen einen Marathon und ich habe Basilikum und Zitrone in Schnaps geworfen, um meinen eigenen Likör herzustellen. Das Ergebnis war zwar nicht genial, aber ich habe so viel Potenzial geschmeckt, dass ich Gunnar gefragt habe, ob wir uns nicht einen Destillateur suchen und einen eigenen Drink rausbringen wollen.

Wie war der Weg von der ersten Rezeptidee bis zur ersten verkauften Flasche?

Weil mein eigener Basilikum-Zitrone-Likör noch Luft nach oben hatte, habe ich eine Hamburger Spirituosenfirma gefragt, ob sie unsere Idee professionell umsetzen kann. Bald kamen die ersten Proben – leider schmeckten die nicht besser als mein eigener Küchenversuch. Auch die nächsten Varianten trafen einfach nicht den Geschmack, den wir im Kopf – beziehungsweise auf der Zunge – hatten.

Wie sich herausstellte, ist es gar nicht so einfach, den frischen Basilikumgeschmack dauerhaft in die Flasche zu bekommen. Wir wollten aber einen richtigen Basilikum-Schock wie bei einem Gin Basil Smash. Zum Glück wurde uns dann Fabian Rohrwasser empfohlen – ein mehrfach ausgezeichneter Destillateur aus der Nähe von Hamburg. Seine ersten Proben waren zwar auch noch nicht perfekt, aber dann kam ein Fläschchen, bei dem wir sofort wussten: Das ist Señor Dino!

Fabian hat uns auch bei der weiteren Planung und Kalkulation unterstützt. Schließlich brauchten wir noch eine passende Flasche, ein eigenständiges Design – und natürlich einen funktionierenden Onlineshop. Alles in allem hat es anderthalb Jahre gedauert, bis wir im Oktober 2024 endlich mit dem Verkauf starten konnten.

Was macht Señor Dino als Basilikum-Limoncello so besonders im Vergleich zu klassischen Limoncelli?

Fun Fact: Gunnar und ich sind beide keine Limoncello-Fans. Wer bei Señor Dino einen klassischen Limoncello erwartet, wird sich wundern. Denn das Basilikum stiehlt der Zitrone ganz klar die Show. Die Zitrone sorgt aber für die nötige Spritzigkeit im Abgang.

Welche Zielgruppe sprecht ihr mit eurem Produkt an und wie kommt Señor Dino bisher an?

Wir sind noch dabei, unsere Zielgruppe kennenzulernen. Durch unsere Reichweite besteht ein Großteil der Kundinnen und Kunden aus Personen, die uns durch unsere Arbeit bei Rocket Beans TV oder dem NDR kennen. Wir hatten aber auch schon die Möglichkeit, auf einer Spirituosen-Messe völlig fremde Menschen probieren zu lassen. Zum einen haben wir ausgehfreudige, genussorientierte Millennials, die den Aperitivo-Lifestyle bereits im Blut haben, angezogen. Aber auch eine Gruppe Best Ager war so begeistert, dass sie fast eine Stunde lang an unserem Stand geblieben ist – und uns ein paar Monate später sogar bei einem unserer Events wieder besucht hat. Das hat uns sehr gefreut – und zeigt, dass Señor Dino kein Nischengetränk ist.

Die erste Charge war schnell ausverkauft. Wie habt ihr das erlebt und was sagt das über den Markt aus?

Ich würde sagen, dass wir den Markt durch unsere Reichweite ausgedribbelt haben. Die Verkaufszahlen sagen also weniger über den Markt aus, als über die großartige Unterstützung unserer Community. Durch sie hatte Señor Dino diesen tollen Startschuss.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es einen Markt für qualitativ hochwertige Liköre gibt. In Bars und Restaurants habe ich bei fast jedem alkoholischen Getränk die Wahl zwischen Massenware und Premium – bei Wein, Sekt, Vodka, Gin, sogar bei Bier. Nur beim Aperitif greifen wir oft ganz selbstverständlich zur günstigen Standardflasche aus Massenproduktion.

Außerdem trinken wir alle immer die gleichen ein, zwei Aperitifs, die uns am Ende des Sommers zum Hals raushängen. Ich würde behaupten: Da ist noch Platz für einen tollen Basilikum-Drink als Ergänzung.

Was waren die größten Herausforderungen beim Einstieg als Branchenfremde?

In der Medienwelt sind wir super vernetzt – in der Spirituosenbranche dagegen kannten wir niemanden. Es konnte uns also auch niemand helfen. Wir haben bei null gestartet und mussten uns alles erstmal anrecherchieren. Wir sind mit einer fast unverschämten Naivität an die Sache rangegangen. Better done than perfect. Bloß nichts zerdenken! Auch betriebswirtschaftlich waren wir keine Profis – und da wir beide noch Vollzeit in anderen Jobs arbeiten, gab’s einige Stolpersteine und alles hat ein bisschen länger gedauert.

Der größte Brocken ist aber definitiv das fehlende Kapital. Wer in dieser Branche gegen die Big Player bestehen und ein Produkt wirklich groß machen will, dem hilft vor allem eins: viel Cash. Wir haben ein paar Euros aus unseren Sparschweinen gesammelt und losgelegt! Aber wer weiß – es lässt sich bestimmt bald jemand mit viel Cash von unserem Dino überzeugen.

Wie wichtig war euch die Entscheidung, in einer deutschen Destille zu produzieren?

Wir legen großen Wert auf faire Produktionsbedingungen und top Qualität. Aber: Für uns war der Standort an sich kein entscheidendes Kriterium. Solange unsere Werte auch anderswo gewahrt worden wären, hätten wir genauso gut in einer ausländischen Destille produzieren können. Dass wir nun in Norddeutschland einen großartigen Partner gefunden haben, ist ein Glücksfall – aber kein Dogma.

Welche Rolle spielt der Standort Hamburg-Eimsbüttel für euer Gründungsvorhaben?

Irgendwie hat es was Schönes, dass wir beide im gleichen Viertel wohnen – und Señor Dino damit quasi ein Kind von Eimsbüttel ist. Später werden die Gazetten sicher schreiben: „Wer hätte gedacht, dass die Jungs aus Eimsbüttel einen solchen Welterfolg landen konnten.“ Oder eben: „Schade, dass unsere Eimsbüttler Jungs so glorios scheiterten.“ Man wird sehen.

Was plant ihr für die nächsten Monate mit Señor Dino – kommt bald eine neue Sorte oder Erweiterung?

Wir tüfteln gerade an einer neuen Sorte und an einer alkoholfreien Variante – darauf freue ich mich riesig. Ein paar weitere Ideen schwirren auch schon im Kopf herum, aber im Moment geht’s für uns als Startup vor allem darum, erstmal durchzuhalten.

Außerdem sind wir demnächst auf der eat&style auf dem Hamburger Großmarkt und dem Bottle Market in Bremen vertreten. Und am 2. August schenken wir Señor Dino bei unserem Partner Sonnendeck St. Pauli aus. Solche Events sind für uns Gold wert – im direkten Kontakt mit den Leuten lernen wir jedes Mal unglaublich viel. Das inspiriert uns und erinnert uns daran, warum wir das alles machen.

Wie geht ihr mit dem Wettbewerb in der boomenden Spirituosenszene um?

Es gibt kaum Branchen, in denen es wenig Wettbewerb gibt und viele würde man als boomend bezeichnen. Wir boomen einfach mit und setzen auf einen freundschaftlichen Austausch mit anderen Herstellern, von denen wir sicher viel lernen können. Durchsetzen werden sich die mit top Qualität, top Marketing und viel Cash. Also in die Runde gefragt: Gibt’s hier jemanden mit viel Cash? Meldet euch!

Was würdet ihr anderen Quereinsteigern raten, die ebenfalls den Sprung in eine neue Branche wagen wollen?

Nur machen, wenn man wirklich Bock drauf hat – und bereit ist, einen Großteil seiner Freizeit und Denkkapazität ins neue Projekt zu stecken. Ich habe früh gemerkt, dass mir aktuell nichts mehr Spaß macht, als die Arbeit an Señor Dino. Daher bin ich bereit, viele Nächte wach im Bett zu liegen und über die nächsten Schritte unserer Schnapsidee nachzudenken.

Bild v.l.n.r. Lars Eric Paulsen und Gunnar Krupp @ Niklas Marc Heinecke

Wir bedanken uns bei Lars Eric Paulsen für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Warum lohnt sich der erste Schritt, wenn noch keiner ihn geht?

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Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures @ Fotograf Klaus Vyhnalek

Im Gespräch mit Lucanus Polagnoli, Gründer und Managing Partner von Calm/Storm Ventures, werfen wir einen Blick darauf, wie sich Europas digitale Gesundheitslandschaft durch gezielte Frühphasen-Investments verändert – lange bevor es dafür etablierte Märkte gibt.

Sie investieren mit Calm/Storm in Startups, lange bevor es etablierte Märkte dafür gibt. Was reizt Sie an dieser Art von Frühphasen-Investments?

Lucanus Polagnoli : Der Reiz liegt darin, schon heute dabei zu sein, wenn die Lösungen von morgen gebaut werden. Gleichzeitig ist genau dort die Hebelwirkung am größten. Wir investieren in Teams, die Produkte und Lösungen bauen für Märkte, die ganz neu sind oder die es noch gar nicht gibt. Dabei versuchen die Gründer:innen ganz einfach die Probleme von heute zu lösen – regulatorische, strukturelle oder gesellschaftliche. Unsere These: Je relevanter das Problem ist und je besser die (digitale) Problemlösung, desto wahrscheinlicher wird dafür ein neuer Markt entstehen und gleichzeitig gestalten wir damit die Zukunft mit.

Welche Rolle spielt Intuition im Vergleich zu Daten, wenn Sie in digitale Gesundheitslösungen investieren?

Lucanus Polagnoli : Wir treffen keine Entscheidungen “blind”, aber in der Frühphase gibt es naturgemäß wenig belastbare Daten. Was wir analysieren, ist der sogenannte “Founder-Market-Fit”: Wie tief versteht das Team das Problem? Wie glaubwürdig ist ihre Vision? Wie gut passt ihre Historie zur Vision? Das sind oft qualitative Daten, aber am Ende sind es diese Fragen, auf die wir eine besonders gute Antwort haben möchten, um zu investieren.

Der Bereich Digital Health ist in Europa komplex – regulatorisch, strukturell und kulturell. Warum lohnt es sich trotzdem, genau hier Frühphasen-Risiken einzugehen?

Lucanus Polagnoli : Weil die größten Probleme auch die größten Chancen bergen. Unsere Gesundheitssysteme leiden unter Fragmentierung, Fachkräftemangel und veralteter Infrastruktur. Wer es hier schafft, schafft es überall. Viele unserer Portfolio-Unternehmen starten in Europa und skalieren dann global, denn “Diabetes” hört nicht an der Grenze auf. Gesundheitsthemen sind universell. Spannend ist: In den USA ist es nicht besser. Aus struktureller Sicht ist der Markt dort auch ein “Chaos”.

In welchen entstehenden Märkten oder Technologien sehen Sie derzeit die größten Chancen für nachhaltige Gesundheitsinnovationen?

Lucanus Polagnoli : Wir sehen großes Potenzial dort, wo strukturelle Versorgungsengpässe auf technologische Hebel treffen. Das sind beispielsweise die Allgemeinmedizin im ländlichen Raum (Lillian Care), gestiegene Aufmerksamkeit für die ganzheitliche Vorsorge (AEON) oder die Automatisierung von Administration in Kliniken oder Praxen (Nelly). Außerdem beobachten wir einen massiven Aufschwung bei KI in der klinischen Entscheidungsunterstützung und Infrastruktur.

Lucanus Polagnoli : Wir investieren sehr früh und sehr gezielt – und zwar nur in Software, nur in Health, nur in Europa. Unser Portfolio ist dadurch gleichzeitig extrem fokussiert (eben nur eine Industrie und ein eingeschränkter geografischer Raum) und aber dann auch extrem breit innerhalb dieser Nische gestreut. Wer unsere Investments verfolgt, sieht quasi einen Querschnitt der europäischen Gesundheitsmärkte und deren Innovation bzw. Digitalisierung.

Sie sprechen davon, dass neue Gesundheitsmärkte entstehen, bevor Systeme oder Krankenkassen reagieren. Wie erkennen Sie solche Lücken im System?

Lucanus Polagnoli : Wir beobachten nicht die Systeme, sondern vor allem die Menschen: Patient:innen, Pflegekräfte, Ärzt:innen. Ihre Frustration, ihr Verhalten, ihre Ausweichstrategien. Daraus entstehen Opportunitäten. Wenn Männer beispielsweise lieber anonym online Hilfe suchen als zum Arzt zu gehen, weil es sich um ein “Tabuthema” handelt. Gerade dann investieren wir in Produkte und Lösungen für dieses Thema (Everyman).

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz in der nächsten Welle digitaler Gesundheitslösungen – und worauf achten Sie bei Investments in diesem Bereich?

Eine zentrale. Aber nicht dort, wo alle hinschauen. KI ist in der Versorgung wichtig – z. B. als klinische Entscheidungshilfe – aber im Moment liegt der größte Hebel in der Infrastruktur: Verwaltung, Abrechnung, Kommunikation, Ressourcenplanung. Hier ist KI oft der Produktivitätsbooster, der das System entlastet.

Können Sie uns Einblicke in Ihr Portfolio geben: Welche Thesen haben sich bestätigt – und wo lagen Sie daneben?

Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures: Falsch lag die Branche mit der Hoffnung, dass DIGAs massenhaft verschrieben werden. Was sich aber bestätigt hat: Menschen sind bereit, selbst für gute Gesundheitslösungen zu zahlen. Das gilt insbesondere im Wellbeing- und Longevity-Bereich. Viele Lösungen funktionieren direkt im B2C besser als über die Krankenkassen.

Wie hoch ist die Series-A-Quote bei Ihren Investments – und was sagen diese Zahlen über die Marktreife digitaler Health-Startups aus?

Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures: In den letzten 24 Monaten haben neun unserer Startups eine Series A abgeschlossen, zwei weitere eine Extension. Für einen Frühphasenfonds wie uns ist das eine starke Quote – gerade im Digital-Health-Bereich, wo die Kapitalmärkte besonders selektiv agieren. Es zeigt, dass Investoren dann bereit sind, auch große Summen zu investieren, wenn die Unternehmen funktionierende Produkte für „große“ Probleme bauen können.

Gibt es spezifische Regionen oder Länder in Europa, in denen Sie besonders viel Innovationspotenzial sehen?

Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures: Innovation kommt nicht nur aus Berlin oder London. Wir sehen starke Teams aus dem Baltikum, aus Spanien, der Schweiz, den Nordics. Diese Regionen werden oft unterschätzt, die Gründer:innen arbeiten aber extrem lösungsorientiert. Entscheidend ist nicht der Standort, sondern die Tiefe des Problemverständnisses. Und da schneiden osteuropäische Teams genauso gut ab wie westeuropäische. Wir würden genauso in ein Team aus Portugal investieren wie in ein Team aus dem Wallis.

Was müssen Gründer*innen im Digital-Health-Sektor mitbringen, damit Sie sich für ein Investment interessieren?

Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures: Wir suchen Gründer:innen, die ihr eigenes Problem lösen wollen und nicht glauben wollen, dass es dafür einfach keine schnelle/digitale Unterstützung gibt. Dafür brauchen sie gar keine spezifischen (Industrie-)Vorkenntnisse. Gleichzeitig suchen wir aber auch jene, die vielleicht jahrelange Branchenerfahrung mitbringen und dabei erkannt haben, wo digitale Lösungen den größten Nutzen bringen könnten.

Frühphasen-Investment ist ein Blick in die Zukunft. Wohin entwickelt sich Europas Gesundheitsmarkt in den nächsten fünf Jahren?

Lucanus Polagnoli/ Calm/Storm Ventures: Auch wenn unsere Systeme eher träge sind, die Bedürfnisse der Menschen ändern sich rasant. Wir sehen eine starke Zunahme von “Selbstzahlermärkten”, also großes Potential für “Out-of-Pocket”-Lösungen. Gleichzeitig übernehmen die Menschen deutlich mehr Eigenverantwortung in der Vorsorge und sie haben eine Aufmerksamkeit für Gesundheitsthemen im Allgemeinen. Da hat COVID sicher eine Rolle gespielt, aber auch Social Media, wo leider auch ganz viel Fehlinformation verbreitet wird. Und wir sehen neue, heute noch “unsichtbare” zukünftige Marktführer in Marktnischen. Wir glauben, dass dies der Schlüssel für den Erfolg in der digitalen Gesundheitsbranche sein wird: Eine spezielle Lösung so gut zu entwickeln, dass man quasi zum Monopolisten in seiner Nische wird.

Bild Lucanus Polagnoli  @ Fotograf Klaus Vyhnalek

Wir bedanken uns bei Lucanus Polagnoli für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Wie weit kommt Innovation, wenn sie nicht allein gedacht wird?

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katja richter MediaTech Hub Potsdam @ NBT AG

Katja Richter treibt Innovation dort voran, wo Technologie auf Kreativität trifft – im Interview verrät sie, wie sie den Wandel aktiv mitgestaltet und warum echte Vernetzung der Schlüssel ist.

Wie haben Ihre bisherigen Erfahrungen als Gründerin und Beraterin Ihre Sicht auf die Innovationslandschaft geprägt?

Katja Richter: Ich habe beide Seiten kennengelernt: die strategische Arbeit im Gründungsservice und das tägliche Auf und Ab als Gründerin eines eigenen Startups. Diese Kombination hat mir gezeigt, wie wichtig belastbare Netzwerke, und individuelle Unterstützung sind – gerade in der Anfangsphase. Innovation entsteht dort, wo kreative Ideen auf mutige Menschen treffen, die etwas bewegen wollen – aber es braucht ein Ökosystem, das ihnen den Raum und die Ressourcen gibt, sich zu entfalten. Genau da möchte ich mit dem MediaTech Hub ansetzen.

Was bedeutet es für Sie persönlich, die Rolle der Geschäftsführerin des MediaTech Hub Potsdam zu übernehmen?

Katja Richter: Für mich ist es eine Rückkehr zu meinen Wurzeln – in eine Region und ein Umfeld, das ich gut kenne und dem ich mich eng verbunden fühle. Die Rolle als Geschäftsführerin ist für mich eine konsequente Fortsetzung meines Weges. Ich sehe darin die Chance, meine Erfahrungen in Gründung, Innovation und Vernetzung in etwas Größeres einfließen zu lassen: einen Hub, der Medientechnologien mit echten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Impulsen verbindet.

Welche Vision verfolgen Sie für den MediaTech Hub Potsdam in den kommenden Jahren?

Katja Richter: Meine Vision ist es, den MTH Potsdam als international sichtbaren Hotspot für Medientechnologie zu etablieren – als Ort, an dem Startups, Unternehmen und Forschung an zukunftsweisenden Lösungen arbeiten. Wir wollen noch stärker als bisher Innovationen fördern, die über die Medienbranche hinauswirken – denn Medientechnologien werden branchenübergreifend eingesetzt. Gleichzeitig soll der Hub ein sicherer Ort bleiben, an dem Gründer:innen früh experimentieren und wachsen können.

Wie möchten Sie den Begriff „MediaTech“ für den Hub und dessen Partner konkretisieren und kommunizieren?

Katja Richter: MediaTech ist für uns weit mehr als „Technologie für Medien“ – es steht für die intelligente Verknüpfung von kreativen Inhalten, technologischer Exzellenz und gesellschaftlicher Relevanz. Ob KI in der Content-Produktion, immersive Anwendungen im Gesundheitsbereich oder virtuelle Produktionsumgebungen für Industrieprozesse – MediaTech ist überall dort, wo mit Technologie Geschichten erzählt, Erlebnisse ermöglicht oder Prozesse verbessert werden. Diese Vielfalt möchten wir in unseren Programmen und Events sichtbar machen.

Welche Rolle spielt der MediaTech Hub Potsdam im Zusammenspiel zwischen Start-ups, etablierten Unternehmen und Forschungseinrichtungen?

Katja Richter: Wir verstehen uns als Brückenbauer. Startups brauchen Zugang zu Industriepartnern, Pilotkunden und aktueller Forschung. Etablierte Unternehmen profitieren von der Agilität und Innovationskraft junger Gründer:innen. Und Forschungseinrichtungen können durch praxisnahe Anwendungsfälle schneller Wirkung entfalten. Der Hub ist genau der Ort, an dem all diese Welten aufeinandertreffen – strukturiert, aber ohne Barrieren.

Wie planen Sie, den Standort Potsdam-Babelsberg international als Zentrum für Medientechnologien zu positionieren?

Katja Richter: Wir setzen auf Sichtbarkeit durch Exzellenz. Mit Initiativen wie der MediaTech Hub Conference, unseren Accelerator-Programmen und gezielter Internationalisierung über Netzwerke wie der Digital Hub Initiative zeigen wir: In Potsdam entstehen Lösungen mit internationalem Potenzial. Unser Ziel ist es, Talente aus ganz Europa anzuziehen – und gleichzeitig regionalen Gründern die Tools zu geben, um global zu denken.

Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für den MediaTech Hub Potsdam und wie möchten Sie diesen begegnen?

Katja Richter: Eine zentrale Herausforderung ist der steigende Bedarf an maßgeschneiderter Unterstützung bei gleichzeitig wachsenden Erwartungen. Wir reagieren darauf mit einem modularen Ausbau unseres Angebots – mehr Platz, mehr Teams, mehr Know-how. Gleichzeitig wollen wir unser Netzwerk weiter diversifizieren, z. B. durch gezielte Programme für Female Founders oder unterrepräsentierte Gruppen. Vielfalt ist für uns kein Buzzword, sondern Innovationsfaktor.

Wie möchten Sie die verschiedenen Angebote des Hubs – wie Accelerator, Space, Innovator und Conference – stärker miteinander verknüpfen?

Katja Richter: Unser Ziel ist ein nahtloses Angebot für Unternehmen: Vom ersten Coworking-Platz über intensive Accelerator-Phasen, Anbahnung von Innovationsprojekten bis hin zur Präsentation auf unserer internationalen Conference. Wir arbeiten daran, die Programme stärker entlang der Unternehmer:innenreise auszurichten – mit individuellen Touchpoints, Synergien und Feedbackschleifen. Der Hub soll sich für Startups anfühlen wie ein Zuhause mit Wachstumsturbo.

Was war für Sie persönlich der ausschlaggebende Moment, sich auf die Position der Geschäftsführerin zu bewerben?

Katja Richter: Ich habe den MediaTech Hub über Jahre aus der Position der Gründerin kennengelernt. Als die Position ausgeschrieben wurde, war für mich klar: Das ist eine Chance, aktiv mitzugestalten, wo ich bisher oft nur beraten habe. Ich wollte Verantwortung übernehmen für ein Thema, das mir am Herzen liegt – Innovationen an der Schnittstelle von Technologie, Kreativität und Gesellschaft.

Welche drei Ratschläge würden Sie aufstrebenden Gründerinnen und Gründern mit auf den Weg geben?

Katja Richter: Netzwerke sind keine Kür, sondern Überlebensfaktor. Sucht euch früh Austausch – mit anderen Gründer:innen, Mentor:innen und potenziellen Partnern.

Katja Richter: Scheitern ist keine Schande. Wichtig ist, dass ihr aus Fehlern lernt und euch weiterentwickelt.

Katja Richter: Kennt eure Werte. Gerade in der frühen Phase entscheidet oft nicht das perfekte Pitchdeck, sondern eure Überzeugung, wofür ihr steht.

Wie möchten Sie die Zusammenarbeit und den Austausch innerhalb des Teams und mit externen Partnern fördern?

Katja Richter: Wir setzen auf Transparenz, Augenhöhe und gelebte Kollaboration. Intern bedeutet das: regelmäßiger Austausch, kurze Entscheidungswege und die Förderung individueller Stärken. Extern heißt das: klare Ansprechpersonen, verlässliche Partnerschaften und gemeinsame Ziele. Ich glaube daran, dass echte Innovation nicht in Silos entsteht, sondern im Dialog.

Welche langfristigen Ziele setzen Sie sich für den MediaTech Hub Potsdam und wie möchten Sie diese erreichen?

Katja Richter: Langfristig möchte ich den MTH als erste Adresse für MediaTech-Innovationen in Europa etablieren. Wir werden dafür neue Partnerschaften aufbauen, international sichtbare Formate entwickeln und unsere Infrastruktur konsequent erweitern. Gleichzeitig bleibt unser Fokus auf den Menschen – den Unternehmer:innen, die hier ihre Ideen Realität werden lassen. Denn am Ende steht nicht die Technologie im Mittelpunkt, sondern das, was wir damit für Gesellschaft und Wirtschaft bewegen können.

Bild Bildcredits: @ NBT AG

Wir bedanken uns bei Katja Richter für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Solange wir nicht gleichgestellt sind, werden wir auch keine gewaltfreie Gesellschaft

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Agota Lavoyer über Rape Culture – Interview mit herCAREER Agota Lavoyer Sozialarbeiterin und Autorin und hat sich auf geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt spezialisiert © Raphaela Graf

„Rape Culture […] und damit einhergehend das riesige Ausmaß sexualisierter Gewalt ist kein Frauenproblem, sondern eine gesellschaftliche Krise, eine Epidemie, die dringend angegangen werden muss.“

herCAREER: Sind wir als Gesellschaft durch die Normalisierung von Sexismus abgestumpft oder sind wir inhärent misogyn geprägt?

Agota Lavoyer: Ich glaube, das lässt sich kaum voneinander trennen. Sicher hat uns die sexistische Kultur, in der wir leben, tief geprägt. Gleichzeitig reproduzieren wir – egal, welches Geschlecht wir haben – Sexismus ständig: in der Populärkultur, im Freundeskreis und in der Familie. Schlussendlich basieren unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen auf sexistischen Grundannahmen. Strukturen, die die Abhängigkeit von Frauen fördern und damit Männergewalt begünstigen.

herCAREER: Du beschreibst im Buch, dass sexualisierte Gewalt ein Kontinuum ist. Warum muss man das zunächst verstehen und verinnerlichen, bevor man etwas gegen Rape Culture unternehmen kann?

Agota Lavoyer: Führen wir uns die Gewaltpyramide vor Augen: Sie fußt auf einem breiten Nährboden aus allen Diskriminierungsformen, wie eben auch Sexismus und Queerfeindlichkeit. Solange auf dieser Basis Frauen und queere Menschen objektiviert oder sexistische Witze gerissen werden, bietet sie das Fundament für sexualisierte Gewalt: Das geht von Catcalling, dem Versenden ungewollter Dick Pics über Rachepornos bis hin zu sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Das Kontinuum ist auch der Grund, dass vermeintlich weniger schwerwiegende Belästigungen wie Catcalling schnell eskalieren können. Für jede Betroffene schwingt in Belästigungssituationen die Gefahr weiterer Demütigung und körperlicher Gewalt mit.

herCAREER: Die Präventions- und Aufklärungsarbeit muss also an der Basis ansetzen?

Agota Lavoyer: Genau, und das hat auch etwas Gutes, weil es bedeutet, dass wir alle jeden Tag etwas gegen Sexismus tun können. Gleichzeitig ist und bleibt Rape Culture ein strukturelles Problem, dem auch strukturell begegnet werden muss. Darum ist es auch die Aufgabe des Staates, mich davor zu schützen.

herCAREER: Wie meinst du das?

Agota Lavoyer: Oft höre ich: „Ich verletze keine Grenzen, ich würde nie vergewaltigen, ich kann nichts dafür, dass andere Männer das tun.” Und ich sage dann, dass jede*r von uns indirekt eine Vergewaltigung verhindern kann, indem wir uns aktiv anti-sexistisch verhalten, zum Beispiel sexistische Bemerkungen oder misogynes Verhalten direkt ansprechen und anprangern. Schweigen validiert diskriminierendes Verhalten.

herCAREER: In deinem Buch schreibst du, dass wir Frauen Angst anerziehen. Wie äußert sich diese Angst?

Agota Lavoyer: Zum Beispiel geben (junge) Frauen einem Mann lieber eine falsche Telefonnummer. Es fühlt sich sicherer an, zu lügen, als ihm ehrlich zu sagen: „Ich bin nicht interessiert.“

herCAREER: Frauen müssen mit Aggressionen rechnen, wenn sie Avancen abweisen. Mit diesem Bewusstsein und der Angst von Frauen wird Geld gemacht. Was bringen Selbstverteidigungsseminare, Pfefferspray und Rape-Alarme?

Agota Lavoyer: Diese sogenannte Prävention sexualisierter Gewalt wird seit Jahrzehnten praktiziert und wir sollten längst gemerkt haben, dass sie nicht funktioniert. Es ist logisch, dass sich das Ausmaß an Übergriffen dadurch nicht verringert, weil diese Präventionsmaßnahmen weder diejenigen adressieren, die die Gewalt ausüben, noch diejenigen, die Bystander sind und nicht intervenieren. Somit sind diese Maßnahmen nicht nur nutzlos, sondern auch noch eine schön verpackte, subtile Form der Täter-Opfer-Umkehr. Die Botschaft solcher – vielleicht sogar gut gemeinten – Ratschläge bleibt: „Frauen, schützt euch (und wenn ihr es nicht tut, seid ihr selbst schuld)!” Und nicht: „Männer, seid nicht übergriffig!”

herCAREER: Wenn Prävention an der Basis beginnt, dann auch mit den nächsten Generationen. Wie können Eltern Kindern vermitteln, dass Frauen, Männer und nicht-binäre Menschen gleichberechtigt sind?

Agota Lavoyer: Indem sie es vorleben. Ich sage gerade Männern und Vätern immer wieder, dass sie wichtige Vorbilder sind. Dabei genügt es nicht, bloß „nicht sexistisch“ zu sein. Was es braucht, sind Menschen, die aktiv anti-sexistisch handeln. Das heißt, sich bewusst und sichtbar gegen Sexismus und Misogynie einzusetzen – im Alltag, im Beruf, in der Familie und im Freundeskreis.

herCAREER: Und wie schütze ich Kinder vor einer Gesellschaft, in der die Machtverhältnisse noch nicht gleich sind und sexualisierte Gewalt eben „Jede_ Frau“ angeht?

Agota Lavoyer: Ich bin selbst Mutter von vier Kindern. Ich weiß, wie hilflos man sich als Eltern fühlen kann. Ich bemühe mich, Eltern zu verdeutlichen, dass sexualisierte Gewalt sehr verbreitet ist. Jedes siebte Kind wird sexuell ausgebeutet, so gut wie jede Frau und weiblich sozialisierte Person hat als Erwachsene in irgendeiner Form sexualisierte Gewalt erfahren. Das heißt: Wenn sie eine Tochter haben, wird sie vermutlich irgendwann sexualisierte Gewalt erfahren. Deshalb ist es elementar, Kinder über sexualisierte Gewalt aufzuklären und gleichzeitig auch mit ihnen über problematische Männlichkeitsvorstellungen zu sprechen. Das Problem mit den klassischen Ratschlägen ist: Wenn wir unseren Töchtern raten, sich nicht „freizügig“ zu kleiden, dann fühlen sie sich nach einer Belästigung nicht nur unwohl, sondern zudem schuldig. Unsere Söhne könnten wiederum verinnerlichen, dass ein freizügiges Kleid sie dazu berechtigt, zu belästigen.

herCAREER: Wie können Eltern es besser machen?

Agota Lavoyer: Ich rate Eltern, bei jedem Ratschlag zu hinterfragen, ob er ermutigend und stärkend für das Kind ist. Wenn eine Tochter hört: „Hey, niemand hat das Recht, dich zu belästigen oder dir hinterherzupfeifen, egal, wie du dich verhältst und was du anhast”, stärkt das hoffentlich ihr Selbstbewusstsein. Ein anderes Beispiel: Natürlich kann man Töchter vor K.-o.-Tropfen warnen und sie anregen, aufmerksam zu bleiben. Aber wäre es nicht besser, Jugendlichen grundsätzlich beizubringen: Sei aufmerksam! Wenn du bemerkst, dass ein Freund K.-o.-Tropfen googelt, sprich ihn darauf an. Wenn du merkst, dass er sexuelle Gewalt verharmlost oder Frauen sexualisiert – sprich ihn darauf an oder rede mit einem Erwachsenen darüber. Das wäre Prävention.

herCAREER: Wir müssen also alle mehr Eigenverantwortung für eine gewaltfreie Gesellschaft übernehmen?

Agota Lavoyer: Einerseits ja: Wir sind immer in den Bereichen für andere verantwortlich, wo wir selbst zu den Privilegierten gehören. Ich bin zum Beispiel eine sehr privilegierte Frau: Ich bin weiß, cis, ich komme aus der gehobenen Mittelschicht. Ich bin nicht in Armut aufgewachsen, habe keine Behinderung und ich bin normschön und normgewichtig. Für mich bedeutet das, dass ich dafür verantwortlich bin, mich gegen Rassismus, Dickenfeindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und Transfeindlichkeit einzusetzen. Warum? Weil es für mich einfacher und ungefährlicher ist als für die diskriminierten Personen.

herCAREER: Und andererseits?

Agota Lavoyer: Andererseits ist sexualisierte Gewalt kein privates oder individuelles Problem. Sexualisierte Gewalt und andere Diskriminierungen sind strukturelle Probleme, die auch auf struktureller Ebene gelöst werden müssen.

herCAREER: Heißt das auch, dass wir als Frauen noch mehr über Frauenfeindlichkeit und als trans Personen noch mehr über Transfeindlichkeit sprechen müssen?

Agota Lavoyer: Ich finde, keine Frau ist verpflichtet, einen Mann aufzuklären, und keine trans Person muss die emotional unheimlich anstrengende Arbeit übernehmen, Menschen über Transfeindlichkeit aufzuklären. Schließlich sind wir als weiblich sozialisierte Personen ja auch nicht aufgeklärt auf die Welt gekommen! Du und ich, wir haben uns das Wissen mühsam aneignen müssen und kämpfen nun jeden Tag gegen patriarchale Strukturen und misogyne Prägungen.

herCAREER: Da hast du recht …

Agota Lavoyer: Die Informationen sind schließlich vorhanden: Es gibt Bücher über Rape Culture aus den Siebzigerjahren, in denen nahezu dasselbe steht wie in den Büchern von heute. Die Informationen sind da, das Wissen ist da. Selbst wenn alle Frauen, non-binären und trans Personen nie mehr ihre Erfahrungen teilen würden, könnte trotzdem kein Mann sagen: „Woher soll ich das denn wissen?” Es war noch nie so einfach wie jetzt, sich ein Bewusstsein zu schaffen. Ich meine, frag doch einfach ChatGPT! Öffne Instagram und lass dir das Wissen leicht verdaulich servieren.

herCAREER: Du schreibst im Buch: „Wissen ist Macht.” Warum müssen wir alle über die Mechanismen von Rape Culture Bescheid wissen?

Agota Lavoyer: Damit wir sexualisierte Gewalt überhaupt erkennen können! Als Betroffene, als Individuen und als Gesellschaft müssen wir wissen, was sie ist, wie sie sich äußert und dass sie eben ein Kontinuum ist. Nehmen wir an, ein Mann spielt vor einem Kind mit seinem Penis. Er sagt, das sei ein lustiges Spiel – ein unaufgeklärtes Kind glaubt dem Mann vielleicht. In Wirklichkeit erfährt dieses Kind gerade sexuelle Gewalt; weil es das aber womöglich nicht weiß, wird es sich vielleicht auch niemandem anvertrauen.

herCAREER: Dasselbe gilt für Erwachsene.

Agota Lavoyer: Genau. Wenn ich nicht weiß, dass es sexuelle Belästigung ist, wenn mir ein Mann ungefragt ein Dick Pic schickt, werde ich ihn nicht zur Verantwortung ziehen. Wenn ich nichts über Misogynie, Rassismus, Klassismus und andere Formen der Diskriminierung weiß, kann ich ungleichen Machtverhältnissen auch nichts entgegensetzen. Darum betone ich im Buch, wie wichtig die Rolle der Sprache ist.

herCAREER: Was vermag Sprache in diesem Kontext?

Agota Lavoyer: Ein Beispiel: Lange gab es kein Wort für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Der Begriff musste erschaffen werden, bevor das überhaupt als Problem wahrgenommen werden konnte. Man kann nicht gegen etwas vorgehen, das man nicht benennen kann. Dasselbe gilt für „Catcalling“, „Stalking” und “Upskirting”.

herCAREER: Sprache sorgt allerdings auch dafür, dass Rape Culture normalisiert wird. Gerade in den Medien reproduziert sie ständig patriarchale Gedanken. Wie kann so etwas aussehen?

Agota Lavoyer: Gerade haben große Schweizer Zeitungen geschrieben: „Zwei Männer wegen Sex mit 13-Jähriger vor Gericht.“ Es gibt keinen Sex mit 13-jährigen Mädchen! Das ist Vergewaltigung, das ist sexuelle Ausbeutung eines Kindes. Solche Titel führen dazu, dass Leser:innen unbewusst tendenziell die Tat verharmlosen, das Mädchen mitverantwortlich machen und die zwei Männer entschuldigen.

herCAREER: Viele Menschen nehmen sich im Netz die Zeit, solche Fehldarstellungen mit “I fixed it”-Beiträgen zu korrigieren. Aber wie, glaubst du, ließen sich solche Überschriften verhindern?

Agota Lavoyer: Das Problem ist: Wenn es einen Missbrauchsfall im Sport gibt, schreiben Sportjournalist:innen darüber. Sexuelle Belästigung bei einem Großkonzern wird von Wirtschaftsjournalist:innen besprochen. Lifestyle- oder Kulturjournalist:innen schreiben über sexualisierte Gewalt auf Konzerten. Ich höre immer wieder, dass Journalist:innen so viel wissen müssen und sich nicht in alles einarbeiten können. Das mag sein. Aber ich finde, es ist unerlässlich, dass Redaktionen eine Person beschäftigen, die sich gut mit diesem Thema auskennt und als Korrektiv wirken kann. Schlussendlich geht es darum, dass Journalist:innen mehr Wissen über geschlechtsspezifische Gewalt haben, damit sie sensibel darüber schreiben können, statt die Rape Culture zu reproduzieren. Medien haben hier eine große Verantwortung, die sie leider oft nicht wahrnehmen.

herCAREER: Wie können wir Rape Culture als Individuen und als Gesellschaft entlernen?

Agota Lavoyer: Es beginnt mit dem Wissen um die Gewalt-Pyramide, um zu verstehen, dass Männergewalt gegen Frauen nicht zufällig ist, sondern ein Merkmal des Patriarchats. Wir müssen dafür sorgen, dass Rape Culture und Misogynie nicht mehr auf einem so starken Fundament stehen. Wir müssen unseren Kolleg:innen vermitteln, dass sexistische Witze unangebracht sind und sie diese zu unterlassen haben. Und wir müssen der Zeitung schreiben, wenn ihre Artikel Sexismus und Misogynie verharmlosen. Wir können uns politisch engagieren – jede und jeder nach den eigenen Möglichkeiten. Wir müssen auch ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie vielschichtig sich fehlende Gleichstellung auswirkt: in Lohnungerechtigkeit genauso wie in Queerfeindlichkeit und Femiziden. Eines steht fest: Wir werden keine gewaltfreie Gesellschaft, solange wir nicht gleichgestellt sind.

herCAREER: Welche Wünsche hast du an die Politik?

Agota Lavoyer: Dass sie genau das versteht: Ohne Gleichstellung keine Gewaltfreiheit. Und die Umsetzung der Gleichstellung der Geschlechter ist eine staatliche Pflicht! Für diese Umsetzung braucht es allem voran Ressourcen – daran mangelt es überall. Beratungs- und Interventionsstellen haben zu wenig, Schutzeinrichtungen, die Täterarbeit, die Präventionsarbeit – alle haben zu wenig. Fehlende Ressourcen stehen immer für mangelnden politischen Willen. Rape Culture und damit einhergehend das riesige Ausmaß sexualisierter Gewalt ist kein Frauenproblem, sondern eine gesellschaftliche Krise, eine Epidemie, die dringend angegangen werden muss.

Auf der diesjährigen herCAREER Expo im Münchener MOC wird Agota Lavoyer am 9. Oktober beim Authors-MeetUp mit Kristina Appel über ihr Buch „Jede_ Frau. Über eine Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt verharmlost und normalisiert” sprechen.

Bild: Agota Lavoyer Sozialarbeiterin und Autorin und hat sich auf geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt spezialisiert © Raphaela Graf

Quelle mess.rocks GmbH

Wie testen wir morgen, was uns heute hilft?

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Vasc-on-Demand: Künstliche Blutgefäße im Gewebemodell v.l.n.r. Patrick Kuntschke, Dr. Leanne de Silva, Dr. Matthias Ryma, Katinka Theis und Alexander Radüchel @ Michael Bartolf-Kopp, Universitätsklinikum Würzburg

Vasc-on-Demand entwickelt künstliche Blutgefäße für realistische Gewebemodelle in der medizinischen Forschung

Wie ist die Idee zu Vasc-on-Demand entstanden und wer steckt hinter dem Unternehmen?

Die Idee zu Vasc-on-Demand entstand nicht am Schreibtisch, sondern an der Schnittstelle zwischen Forschung, Frustration – und einer Vision. Wir standen immer wieder vor dem gleichen Problem: Künstliche Gewebemodelle funktionieren nicht wie echtes menschliches Gewebe. Kein funktionierendes Blutsystem. Kein Durchfluss. Und kein Leben.

Irgendwann stellte Matthias, unser Erfinder, sich die entscheidende Frage: „Was wäre, wenn man Blutgefäße einfach produzieren könnte – und Anwender diese gebrauchsfertig, ready-to-use, direkt aus dem Regal ziehen können?“ Genau daraus entstand unser ambitioniertes Ziel: künstliche Blutgefäße zu entwickeln, die realistisch genug sind, um Medikamente besser zu testen, und gleichzeitig so einfach und robust, dass sie überall eingesetzt werden können. Vasc-on-Demand war geboren.

Doch eine Idee allein reicht nicht. Heute stehen wir – Matthias, Leanne, Katinka, Alexander und Patrick – als interdisziplinäres Team hinter Vasc-on-Demand. Wir vereinen Expertise aus der Chemie, Biologie, Ingenieurwissenschaft und dem Business-Bereich. Unsere langjährige Erfahrung aus Forschung und Industrie verbindet sich mit einer gemeinsamen Vision: die Entwicklung von Medikamenten schneller, zuverlässiger, – und menschlicher zu machen.

Unterstützt werden wir von erfahrenen Expert:innen und Coaches in den Bereichen Business Development, Unternehmensgründung, Pharma & Regulatory sowie Marketing. Gemeinsam schaffen wir nicht nur ein innovatives Produkt, sondern legen den Grundstein für eine bessere Zukunft in Forschung und Gesundheitsversorgung.

Welche Vision verfolgt Vasc-on-Demand mit der Entwicklung künstlicher Blutgefäße?

Unsere Vision bei Vasc-on-Demand ist es, die medizinische Forschung positiv zu verändern. Mit der Entwicklung künstlicher Blutgefäße wollen wir nicht nur bestehende Prozesse beschleunigen, sondern ganz neue Forschungsgebiete ermöglichen – etwa realistische Gewebemodelle, die den menschlichen Körper besser abbilden als je zuvor.

Unser Ziel ist es, die Medikamentenentwicklung schneller, kostengünstiger und gleichzeitig ethischer zu gestalten, indem wir Tierversuche deutlich reduzieren und die Zeit bis zur Verfügbarkeit neuer Therapien verkürzen. Letztlich geht es um mehr Lebensqualität und darum, Menschenleben zu retten. Denn mit unserer Technologie bringen wir den Faktor Mensch in die Forschung – und das schon in der präklinischen Phase, lange bevor Tests an Mensch oder Tier notwendig werden.

Worin sehen Sie den größten medizinischen und gesellschaftlichen Nutzen Ihrer Technologie?

Der größte medizinische und gesellschaftliche Nutzen unserer Technologie liegt darin, realitätsnähere Forschung zu ermöglichen – mit direktem Einfluss auf Gesundheit, Therapien und Menschenleben. Unsere künstlichen Blutgefäße erlauben die Entwicklung physiologisch relevanter Testsysteme, die den menschlichen Körper besser abbilden als herkömmliche Modelle. Das erhöht nicht nur die allgemeine Vorhersagekraft für Wirksamkeit und Sicherheit neuer Wirkstoffe – unsere Technologie kann auch gezielt für individuelle Anwendungen genutzt werden, etwa bei Krebspatienten. So lassen sich potenzielle Therapien patientennah testen und Wirkstoffe gezielter und wirksamer einsetzen – ein konkreter Beitrag zur personalisierten Medizin.

Gesellschaftlich bedeutet das: weniger Tierversuche, geringere Kosten, schnellerer Zugang zu neuen Therapien – und letztlich mehr Ethik und Effizienz im Gesundheitssystem. Unsere Technologie schafft damit die Grundlage für eine moderne, verantwortungsvolle und personalisierte Medizin der Zukunft.

Was unterscheidet Vasc-on-Demand von anderen Ansätzen im Bereich der Gewebemodelle?

Die meisten herkömmlichen Gewebemodelle basieren auf einfachen Zellkulturen oder Inserts ohne Blutgefäße – dadurch fehlt ihnen die physiologische Relevanz, insbesondere im Hinblick auf Nährstoffversorgung, Transportprozesse und realistische Gewebefunktionen.

Im Gegensatz dazu ermöglicht Vasc-on-Demand echte, funktionale Blutgefäße statt künstlicher Plastikkanäle, wie sie in vielen Organ-on-a-Chip-Systemen verwendet werden. Unsere Technologie erlaubt es erstmals, vaskularisierte Gewebemodelle im Zentimetermaßstab herzustellen – nicht nur im Millimeterbereich. Damit sind wir die Ersten, die ein praxistaugliches Tool für echte Blutgefäße in großvolumigen Gewebemodellen anbieten. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für realistische In-vitro-Modelle in Forschung und Entwicklung.

Wie genau helfen Ihre Produkte dabei, Tierversuche zu reduzieren und klinische Studien zu verbessern?

Etwa 90 % aller Wirkstoffkandidaten scheitern in klinischen Studien – meist, weil sie beim Menschen nicht wie erwartet wirken. Der Grund dafür liegt oft in der unzureichenden Vorhersagekraft präklinischer Modelle: Was in der Zellkultur oder im Tierversuch vielversprechend aussieht, lässt sich häufig nicht auf den menschlichen Organismus übertragen.

Unsere Produkte setzen genau hier an – mit einer Funktion, die in herkömmlichen Modellen bislang fehlt, aber für das Überleben jeder menschlichen Zelle essenziell ist: funktionierende Blutgefäße.

Blutgefäße sind weit mehr als einfache Röhren. Sie versorgen Gewebe mit Sauerstoff und Nährstoffen, transportieren Abfallstoffe ab und regulieren, welche Substanzen wohin gelangen dürfen. Diese Barrierefunktion entscheidet beispielsweise, ob ein Wirkstoff überhaupt sein Ziel erreicht – ein zentraler Faktor für die Wirksamkeit jeder Therapie. Ohne ein vaskuläres System ist kein Leben im Körper möglich – und entsprechend auch keine realitätsnahe Simulation menschlicher Gewebe im Labor.

Mit unserer Technologie bringen wir diese lebenswichtige Funktion erstmals in Form künstlicher Blutgefäße in Gewebemodelle ein – als gebrauchsfertige Produkte im vertrauten Well-Plate-Format, ohne zusätzlichen Gerätebedarf. So schaffen wir realistischere Testsysteme, die Tierversuche überflüssig machen können und gleichzeitig die Aussagekraft in der präklinischen Forschung deutlich erhöhen. Ein entscheidender Schritt, um die Medikamentenentwicklung effizienter, ethischer und verlässlicher zu gestalten.

Mit welchen Herausforderungen hatten Sie bei der Entwicklung Ihrer Verfahren zu kämpfen?

Eine große Herausforderung war die Reproduzierbarkeit unserer Gefäßmodelle – insbesondere, weil additive Fertigungsmethoden extrem zeitaufwendig sind und sich nicht für die Skalierung oder Serienproduktion eignen. Um eine praxisrelevante Lösung zu schaffen, mussten wir daher reproduzierbare Herstellungsverfahren entwickeln, die sich für eine spätere Massenfertigung eignen – ohne dabei an Präzision und Funktionalität einzubüßen.

Gleichzeitig war der Aufbau eines interdisziplinären Teams mit Expertise aus Forschung und Industrie essenziell – aber auch koordinativ herausfordernd. Unterschiedliche fachliche Hintergründe und Denkweisen erfordern klare Strukturen, offene Kommunikation und ein gemeinsames Verständnis für unsere Ziele. Gerade diese Vielfalt macht die tägliche Arbeit aber auch besonders spannend – sie fordert uns, bringt neue Perspektiven ein und macht uns als Team stärker. Es ist genau diese Dynamik, die uns motiviert und mit Freude an der Sache arbeiten lässt.

Wie in vielen jungen Start-ups zeigte sich außerdem, dass einzelne Personen oder Bereiche schnell zu Bottlenecks werden können. In unserem Fall betraf das insbesondere den Bereich der Produktion: Die parallele Entwicklung neuer Produkte, die Weiterentwicklung bestehender Lösungen und gleichzeitig die Fertigung funktionsfähiger Prototypen erforderten präzise Planung, klare Prioritäten und flexible Strukturen. Hier haben wir gezielt Prozesse aufgesetzt, um Aufgaben effizient zu verteilen und kritische Engpässe zu vermeiden.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lösungen für die Pharmaindustrie praxisnah und skalierbar sind?

Um sicherzustellen, dass unsere Lösungen nicht an den tatsächlichen Bedürfnissen vorbeientwickelt werden, führen wir seit Projektbeginn gezielte Gespräche mit Akteuren aus der Industrie und erheben systematisch Anforderungen über Interviews und Marktrecherchen.

Dabei unterstützen uns erfahrene Coaches aus der Pharma- und Biotech-Branche, die uns mit ihrer Expertise in Business Development, Regulatory Affairs und Technologietransfer begleiten. Um diese Erkenntnisse systematisch zu nutzen, haben wir detaillierte Buyer- und User-Personas erstellt – also Profile, die sowohl die Anwender:innen im Labor als auch die kaufentscheidenden Personen im Unternehmen abbilden. Dadurch können wir ein Produkt entwickeln, das sowohl funktional überzeugt als auch in Entscheidungsprozessen Bestand hat.

Ein konkretes Ergebnis dieses Prozesses ist unser Fokus auf ein vaskularisiertes Lebermodell. Denn fast 90% der Umsätze im aktuellen Organ-on-a-Chip-Markt entfallen auf Liver-on-a-Chip-Systeme – kein Zufall, da die Leber für den Abbau von rund 80 % aller Wirkstoffe im Körper verantwortlich ist. Genau hier sehen wir ein enormes Potenzial, mit unserer Technologie eine praxisrelevante und skalierbare Lösung zu liefern, die bestehende Systeme ergänzt oder sogar ersetzt.

Zudem setzen wir bewusst auf etablierte Formate wie die Well-Plate-Kompatibilität, um eine einfache Integration in bestehende Laborabläufe zu gewährleisten – ohne zusätzliche Geräte oder langwierige Schulungen. So stellen wir sicher, dass unsere Lösungen nicht nur wissenschaftlich innovativ, sondern auch industriell umsetzbar sind.

Welche Zielgruppen sprechen Sie konkret an und wie reagieren diese auf Ihr Angebot?

Wir bedienen zwei zentrale Zielgruppen: die akademische Forschung sowie die Pharmaindustrie – beides stark wachsende Märkte mit hoher Innovationsdynamik.

Im Bereich Academics & Research sind unsere Produkte bereits bei zahlreichen Partnern weltweit im Einsatz. Mithilfe unserer Plattformtechnologie entstehen vaskularisierte Modelle von Fettgewebe, Tumoren, Leber und sogar der Blut-Hirn-Schranke. Unsere Partner liefern uns kontinuierlich wertvolles Feedback, mit dem wir unsere Produkte konsequent weiterentwickeln und eng an die tatsächlichen Bedürfnisse der Anwender anpassen konnten – nicht zuletzt durch die Verwendung etablierter Well-Plate-Formate. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv: Besonders geschätzt werden die einfache Handhabung, die Kompatibilität mit bestehenden Systemen und die hohe Funktionalität unserer Produkte. Das bestärkt uns sehr und zeigt, dass wir mit unserer Lösung einen echten Mehrwert schaffen.

In der Pharmaindustrie befinden wir uns aktuell in ersten, vielversprechenden Gesprächen. Klar ist: Der Bedarf an physiologisch relevanten Testsystemen in der späten präklinischen Phase ist enorm – insbesondere dort, wo heute noch primär Tierversuche zum Einsatz kommen. Unsere Technologie kann hier eine entscheidende Lücke schließen und eine ethischere, zuverlässigere und effizientere Alternative bieten.

Gibt es bereits erste Rückmeldungen oder Kooperationen mit Forschungseinrichtungen oder Unternehmen?

Ja – wir arbeiten bereits mit zahlreichen Forschungseinrichtungen und Partnern weltweit zusammen. Unsere Produkte kommen unter anderem in Japan, Australien, den USA, Spanien sowie an verschiedenen Universitäten, Universitätskliniken und Instituten in Deutschland zum Einsatz.

Die Rückmeldungen, die wir aus diesen Kooperationen erhalten, fließen direkt in die Weiterentwicklung unserer Produkte ein. So haben wir beispielsweise Verbesserungen im Design vorgenommen, um die Vermischung in benachbarten Kammern zu verhindern, und die Anzahl der Perfusionskammern in unseren Platten auf Basis konkreter Anwenderbedürfnisse angepasst.

Besonders freuen wir uns über eine bevorstehende Zusammenarbeit mit einer der renommiertesten Universitäten der USA, die unser neues Produkt EasyVasc als Pilotpartner einsetzen wird. Mit dem offiziellen Produktlaunch werden wir auch diese spannende Partnerschaft öffentlich bekannt geben. Wer unsere Entwicklung verfolgt, darf sich also auf weitere spannende Neuigkeiten und Kooperationen freuen.

Welche Entwicklungen und Produktneuheiten plant Vasc-on-Demand in den kommenden Jahren?

Unsere Entwicklungsstrategie folgt einem klaren Prinzip:

Wir bauen schrittweise auf unserer skalierbaren Plattformtechnologie auf – mit dem Ziel, immer funktionalere, biologischere und praxisnähere Gewebemodelle zu schaffen.

Aktuell bieten wir mit BasicVasc ein zum Patent angemeldetes Verbrauchsprodukt für die biomedizinische Forschung an. Es ermöglicht die einfache Herstellung künstlicher Blutgefäße sowie die Kultivierung verschiedenster Gewebetypen – zum Beispiel Fett- oder Tumorgewebe – im etablierten Well-Plate-Format. Dieses Produkt bildet die Basis unserer Plattformtechnologie und hat bereits zahlreiche Forschungspartner überzeugt.

Darauf aufbauend entwickeln wir derzeit CompleteVasc, ein Produkt, das erstmals freistehende Blutgefäße mit allen relevanten Zelltypen enthält. Es ist mit verschiedenen Gewebetypen kompatibel und kann sogar gefrostet versendet werden – ein entscheidender Schritt in Richtung industriell nutzbarer biologischer Produkte.

Mit Blick auf den Pharmamarkt arbeiten wir intensiv an LiverVasc, einem vaskularisierten Lebermodell, das speziell für späte präklinische Phasen sowie für begleitende Fehleranalysen in klinischen Studien entwickelt wird. Die Leber spielt eine zentrale Rolle im Wirkstoffabbau – entsprechend hoch ist der Bedarf an realistischen Lebermodellen in der pharmazeutischen Entwicklung. Unser Ziel ist es, hier ein physiologisch relevantes, standardisiertes und einfach nutzbares Modell anzubieten.

Langfristig ist unsere Plattformtechnologie nicht auf ein bestimmtes Organ beschränkt. Mit X-Vasc skizzieren wir bereits heute die nächste Generation unserer Produkte: Dazu zählen weitere vaskularisierte Gewebe wie etwa Lunge, die Kompatibilität mit Pumpensystemen – und natürlich der „Elefant im Raum“: transplantierbare Gewebemodelle. Bis dahin ist es zweifellos noch ein weiter Weg. Doch unsere aktuellen Produkte räumen bereits zentrale Hürden aus dem Weg – insbesondere durch den konsequenten Verzicht auf Kunststoffe und Membranen, die bisher die physiologische Relevanz begrenzen und eine Transplantation unmöglich machen. Genau hier setzen wir an, um den Weg zu funktionalem, lebendigem Gewebe Stück für Stück zu ebnen.

Was treibt Sie persönlich an, dieses Projekt voranzubringen?

Es wird nie langweilig. Die tägliche Arbeit im Team, der Austausch mit Coaches, Partnern und dem Start-up-Umfeld bringt ständig neue Herausforderungen – und damit auch stetige Weiterentwicklung. Wir lernen unglaublich viel, wachsen als Team an unseren Aufgaben, und fast jeder Tag bringt etwas Neues, das uns weiterbringt.

Doch was uns wirklich antreibt, ist die Relevanz dessen, was wir tun. Wir arbeiten an einer Technologie, die das Potenzial hat, die medizinische Forschung grundlegend zu verbessern – schneller zu wirksamen Therapien zu führen, dabei Tierleid zu reduzieren und letztlich die Lebensqualität vieler Menschen zu erhöhen oder sogar Leben zu retten. Das gibt unserer Arbeit Sinn. Es macht es leicht, morgens aufzustehen – weil wir wissen, dass wir mit jedem Schritt einen Beitrag leisten können, der weit über uns selbst hinausgeht.

Welche drei Ratschläge würden Sie anderen Gründerinnen und Gründern aus Ihrer bisherigen Erfahrung mitgeben?

Erstens: Scheut euch nicht, um Hilfe zu bitten. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen, Förderprogramme und Netzwerke, die wertvolle Unterstützung bieten – von der Ideenvalidierung bis zur Finanzierung. Nutzt dies, um eure Ideen früh von Expertinnen und Experten auf den Prüfstand stellen zu lassen. Wer früh fragt, kommt schneller und gezielter voran.

Zweitens: Achtet auf die Zusammensetzung eures Teams. Besonders hilfreich war für uns die Kombination aus Erfahrung in Forschung UND Industrie. Ein rein akademisches oder rein wirtschaftlich geprägtes Team bringt oft blinde Flecken mit – gemeinsam aber lassen sich Perspektiven verbinden, Synergien nutzen und Herausforderungen besser meistern.

Und drittens: Nutzt agile Methoden wie Scrum. Die strukturierte, iterative Arbeitsweise hat uns enorm geholfen, als Team klarer, flexibler und fokussierter zu arbeiten – gerade in einem dynamischen Startup-Umfeld ein echter Gamechanger.

Bild v.l.n.r. Patrick Kuntschke, Dr. Leanne de Silva, Dr. Matthias Ryma, Katinka Theis und Alexander Radüchel @ Michael Bartolf-Kopp, Universitätsklinikum Würzburg

Wir bedanken uns bei den Gründer für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.


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Wie gelingt entspannter Praxisalltag trotz Fachkräftemangel?

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DOC‑N‑ROLL bringt Struktur in jede Praxis und Ordination DOC‑N‑ROLL Gründerin Kathrin Zhuber@Miriam Mehlman Fotografie

DOC‑N‑ROLL unterstützt Ärzt:innen und Therapeut:innen mit individuellen Lösungen für ein effizientes, stressfreies und modernes Praxismanagement

Wie ist die Idee zu DOC‑N‑ROLL entstanden und welche persönlichen Erfahrungen haben dabei eine Rolle gespielt?

Die Idee zu DOC-N-ROLL kommt direkt aus meinem Alltag. Ich habe jahrelang in einem Ärztezentrum gearbeitet und gesehen, wie überlastet Ärzt:innen und ihre Teams oft sind. Die Aufgaben werden immer mehr, die Zeit immer knapper. Mir war klar: Hier braucht es Unterstützung, die wirklich entlastet und gleichzeitig für mehr Qualität und Freude im Job sorgt. Genau das ist mein Antrieb.

Was hat Sie motiviert, sich mit DOC‑N‑ROLL auf das Praxismanagement für Ärzt:innen und Therapeut:innen zu spezialisieren?

Die Medizin hat mich schon immer fasziniert – und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd der Praxisalltag sein kann. Ich liebe es, zu organisieren, Abläufe zu optimieren und Probleme zu lösen. Mit meinem beruflichen Background und meinem Gesundheitsmanagement-Studium war für mich klar. Ich möchte niedergelassene Ärzt:innen und ihren Teams den Rücken stärken, die Qualität in Ordinationen verbessern und so zum Wohlbefinden von Ärzt:innen, Assistent:innen und Patient:innen beitragen.

Welche Vision verfolgt DOC‑N‑ROLL im österreichischen Gesundheitsbereich?

Meine Vision ist ein Gesundheitssystem, in dem niedergelassene Ärzt:innen und ihre Teams nicht im Alltagsstress untergehen, sondern Zeit und Energie für das Wesentliche haben: die bestmögliche Versorgung der Patient:innen. Mit DOC-N-ROLL will ich dazu beitragen, dass Praxen effizienter, moderner und stressfreier arbeiten können.

Mit welchen konkreten Herausforderungen im Praxisalltag ihrer Kund:innen haben Sie am häufigsten zu tun?

Der größte Bedarf liegt klar bei der Personalsuche – viele Ärzt:innen haben schlicht keine Zeit, schnell passende und qualifizierte Mitarbeiter:innen zu finden. Daneben unterstütze ich häufig bei ÖQ-Med-Unterlagen und biete mit meinem Praxis CheckUp einen frischen Blick von außen, um Abläufe vor Ort zu optimieren. Immer mehr gefragt ist auch mein Support im Online-Business – von Praxissoftware über Newsletter bis hin zum Aufbau von Online-Kliniken oder Funnels.

Wie gehen Sie bei der Entwicklung individueller Lösungen für Ärzt:innen vor?

Mir ist wichtig, jede Praxis wirklich zu verstehen – nicht nur die Abläufe, sondern auch die Menschen dahinter. In einem persönlichen Erstgespräch höre ich genau zu, kläre alle Anforderungen ab und entwickle Lösungen, die zu Fachrichtung, Teamgröße und individuellen Bedürfnissen passen. Meine Stärke ist meine Empathie: Ich möchte meine Kund:innen nicht nur beraten, sondern sie spürbar entlasten und unterstützen.

Was unterscheidet DOC‑N‑ROLL von klassischen Verwaltungsdienstleistern im Gesundheitsbereich?

DOC -N-ROLL ist einzigartig in Österreich – es gibt kein vergleichbares Service, das speziell kleine und mittlere Ordinationen ganzheitlich unterstützt. Ich kombiniere maßgeschneiderte Lösungen mit echter Praxiserfahrung: Als ehemalige Ordinationsassistentin und Praxismanagerin weiß ich genau, wie der Alltag in Praxen aussieht und wo es hakt. Diese Mischung aus Know-how und Verständnis macht den Unterschied.

Wie stellen Sie sicher, dass Qualitätsmanagement, Datenschutz und Personalfragen effizient und gleichzeitig empathisch betreut werden?

Mir ist wichtig, Ärzt:innen nicht mit starren Vorgaben zu überrollen. Jede Praxis hat ihre eigenen Prioritäten und Herausforderungen, deshalb finde ich gemeinsam mit meinen Kund:innen den besten Weg – immer mit dem Fokus auf gesetzliche Vorgaben, Qualität und Sicherheit. So entstehen Lösungen, die effizient und praxisnah sind, ohne belehrend zu wirken.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Ihren Kund:innen und welche Entwicklungen planen Sie auf Basis dieser Erfahrungen?

Das Feedback meiner Kund:innen ist durchweg positiv – sie schätzen vor allem meine professionelle, strukturierte und gleichzeitig herzliche Arbeitsweise. Besonders häufig wird betont, dass ich schnell die passenden Lösungen finde, sei es bei der Personalsuche, im Qualitätsmanagement oder bei organisatorischen Herausforderungen. Diese Rückmeldungen motivieren mich enorm. Ich lerne ständig dazu, optimiere meine eigenen Prozesse und erweitere laufend mein Netzwerk, um ein noch umfassenderes und passgenaues Angebot für alle Herausforderungen im Praxisalltag bieten zu können.

Gibt es besondere Pläne oder neue Angebote, die Sie in den kommenden Monaten umsetzen möchten?

Ich möchte meine Services so weiterentwickeln, dass sie Ärzt:innen und ihren Teams noch mehr Entlastung bringen – von der Organisation bis hin zu Personalthemen. Mein Ziel ist es, den Praxisalltag spürbar zu erleichtern und die Qualität sowie das Wohlbefinden in den Ordinationen nachhaltig zu stärken.

Wie gelingt es Ihnen, als Einzelunternehmen flexibel und gleichzeitig professionell zu agieren?

Als Einzelunternehmen setze ich auf realistische Zielsetzungen, eine gute Einschätzung meiner eigenen Kapazitäten und eine klare Kommunikation. Ich gebe immer 100 %, gehe die berühmte Extra-Meile und kann dadurch flexibel reagieren, ohne dass die Professionalität darunter leidet.

Was würden Sie Gründer:innen empfehlen, die in einem stark regulierten Umfeld wie dem Gesundheitswesen starten möchten?

Ich rate Gründer:innen, sich wirklich auf die Besonderheiten des Gesundheitswesens einzulassen und nicht zu versuchen, Erfahrungen aus der Privatwirtschaft eins zu eins zu übertragen. Es ist ein eigenes System mit eigenen Regeln und Anforderungen. Wer hier erfolgreich sein will, braucht echtes Interesse, den Wunsch zu helfen und muss Ärzt:innen, Ordinationsmitarbeiter:innen und Patient:innen in den Mittelpunkt stellen – nicht nur den Umsatz.

Welche drei persönlichen Ratschläge möchten Sie anderen Gründerinnen mitgeben?

Mein erster Ratschlag: Dranbleiben – auch wenn es mal nicht läuft, weitermachen und an die eigene Idee glauben. Zweitens: Such den Austausch mit anderen, hol dir Tipps und baue ein Netzwerk auf – gemeinsam geht vieles leichter. Und drittens: Finde deinen Sinn, deine echte Motivation – nur wenn du tust, was dir wirklich wichtig und sinnvoll erscheint, bleibst du langfristig erfüllt.

Bild: Kathrin Zhuber © Fotocredits: Miriam Mehlman Fotografie

Wir bedanken uns bei Kathrin Zhuber für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Bist du wirklich sicher, dass dein Unternehmen vor Cyberangriffen geschützt ist?

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baobab insurance cyberversicherung kunden anton und vincenz

Baobab Insurance bietet mittelständischen Unternehmen umfassenden Schutz vor digitalen Risiken durch moderne Cyberversicherungen und integrierte Sicherheitslösungen.

Was ist die Gründungsgeschichte von Baobab Insurance und welche Erfahrungen bringen die Gründer mit?

Anton und ich haben uns 2021 kennengelernt. In unseren Gesprächen wurde uns bewusst, dass traditionelle Versicherer bisher keine Cyberprodukte anbieten, die den Anforderungen des Marktes gerecht werden. Ihnen fehlte das nötige Fachwissen im Bereich der Cybersicherheit und ihre Datenanalyse über frühere Vorfälle war bestenfalls lückenhaft. Noch im selben Jahr haben wir daher Baobab Insurance in Berlin gegründet, um Cyberversicherung für mittelständische Unternehmen digitaler und technologiegetriebener aufzustellen.

Vor Baobab Insurance war ich Mitgründer von Gabi, einer digitalen US-Versicherungsplattform, die 2021 erfolgreich für rund 320 Millionen US-Dollar verkauft wurde. Anton war zuvor CTO bei Coya und baute dort komplexe Versicherungstechnologien und datenbasierte Systeme auf.

Wie würdet ihr die Vision von Baobab Insurance in einem Satz zusammenfassen?

Mit Baobab wollen wir Unternehmen und Organisationen gut vor digitalen Risiken schützen und zu einer widerstandsfähigeren Wirtschaft und Gesellschaft beitragen.

Welche konkreten Maßnahmen ergreift ihr, um kleine und mittlere Unternehmen aktiv vor Cyber-Angriffen zu schützen?

Wir bieten einen umfassenden Katalog an Präventivmaßnahmen, die bereits im Preis für die Deckung enthalten sind. Dazu gehört beispielsweise ein wöchentlicher KI-basierter Angriffsoberflächen-Scan. Neben unserem Monitoring gehören auch Vorlagen für IT-Krisenpläne mit konkreten Handlungsschritten, Checklisten für Sicherheitspatches und Backups zu den Leistungen, die in unserer Grundsicherung enthalten sind. Das Gleiche gilt für die Kostenübernahmen von IT-Forensik, Krisenmanagement, Betriebsunterbrechungen und Schadensersatzforderungen.

Was unterscheidet die Lösung von Baobab von herkömmlichen Cyberversicherungen?

Unsere Stärke ist unser ganzheitliches Produktportfolio: Neben einer Cyberversicherung bieten wir auch ein E-Crime-Produkt und eine IT-Haftpflichtpolice für IT-, Software-, Technologie- und Telekommunikationsunternehmen aus Deutschland und Österreich. Wir kombinieren unsere jeweiligen Versicherungsprodukte konsequent mit Präventivmaßnahmen, die unsere Versicherten wirklich schützen. Zudem setzen wir stark auf Datenauswertung per Machine Learning, um unsere Schadensvorhersagen kontinuierlich zu verbessern. Dabei unterscheiden wir zwischen den verschiedenen Branchen, sodass unsere Datenauswertung auf individuelle Kunden zugeschnitten ist.

Mit welchen Herausforderungen hattet ihr beim Markteintritt zu kämpfen und wie seid ihr damit umgegangen?

Als wir Baobab Insurance gegründet haben, fingen viele Unternehmen aus der DACH-Region erst an, sich mit dem Thema Cyberversicherung auseinanderzusetzen. Auch jetzt sehen wir hauptsächlich Unternehmen, die ihre erste Cyberversicherung kaufen. Diese Kunden haben sich häufig mehrere Jahre in Folge gegen eine Cyberversicherung entschieden, da ihnen das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Produkte nicht klar war.
Auch auf Maklerseite herrschte damals noch viel Unsicherheit, aber auch Frust und Enttäuschung. Sie bemängelten die Qualität der Cyberprodukte und fühlten sich von den traditionellen Versicherern beim Vertrieb ihrer Produkte nicht ausreichend unterstützt.
An diesen Stellen haben wir angesetzt – und tun es noch heute.

Unsere Cyberversicherungslösungen sind für Menschen entwickelt: Für Unternehmer, CTOs und Makler. Daher haben wir von Anfang an darauf geachtet, dass sich unser Expertenteam aus verschiedenen Bereichen wie Cybersicherheit, Produkt, Underwriting und Vertrieb zusammensetzt. Statt nur Versicherungen für technische Risiken anzubieten, bieten wir zudem regelmäßig Webinare an, um über das Thema Cybersicherheit und Versicherung aufzuklären.

Wie sieht euer typischer Kunde aus und welche Bedürfnisse habt ihr bei der Entwicklung eures Produkts besonders berücksichtigt?

Unsere Kunden sind mittelständische Unternehmen. Erwiesenermaßen verfügen sie über weniger Ressourcen für die Cybersicherheit als große Unternehmen, was sie für Hacker leichter angreifbar macht. Weil sie keine großen IT-Abteilungen haben, ist es für sie schwieriger, die richtigen Prioritäten zu setzen oder die richtigen Talente zu finden. Genau hier setzen wir mit unserem ganzheitlichen Angebot an, das Unternehmen neben den verschiedenen Versicherungen auch mit umfassenden Präventivmaßnahmen unterstützt.

Inwiefern hilft euch der enge Kontakt zu Versicherungsmaklern beim weiteren Wachstum?

Im B2B-Versicherungsvertrieb spielen Makler seit jeher eine entscheidende Rolle. Er ist der Experte für die Produkte, die er im Namen des Versicherers anbietet. Ohne eine enge und vertrauensvolle Maklerbeziehung ist weiteres Wachstum somit schwer umsetzbar.

Welche Rolle spielt die kontinuierliche Risikoüberwachung in eurem Konzept?

Unser regelmäßiger KI-basierter Risikoscan ist ein zentrales Element unserer Versicherungsleistung, denn das Tool ermöglicht die gefährlichsten technischen Sicherheitslücken und Schwachstellen automatisiert und zuverlässig zu identifizieren. So macht er etwa unseren Antragsprozess besser, schneller und effizienter. Das Besondere an unserem Scan: Anders als bei der traditionellen Risikobewertung, nutzt er tagesaktuelle Daten und kombiniert die Risikoinformationen mit einer Außenansicht. Ebenfalls analysiert der Scan den Bestand von Firewalls, Backups und E-Mail-Filterlösungen. Auf dieser Basis lassen sich etwa die möglichen Kosten für die IT-Forensik bewerten oder Betriebsunterbrechungen, Cyberbetrug und Datendiebstahl vorhersagen. Das Ergebnis ist somit ein ganzheitliches Risikoprofil.

Gibt es Pläne, das Angebot von Baobab Insurance in Zukunft um weitere Sicherheitsleistungen zu erweitern?

Wir werden gemeinhin als Cyberversicherungsanbieter wahrgenommen. Unser Ziel war es jedoch immer digitale und technische Risiken ganzheitlich abzudecken. Deswegen haben wir in den letzten Monaten ein IT-Haftpflicht-, sowie ein E-Crime (Vertrauenschaden)-Produkt auf den Markt gebracht. Wir werden diese Angebote weiter stärken: Dazu arbeiten wir bereits daran, den Quotierungsprozess für IT-Haftpflicht zu verbessern. Zudem werden wir bald einen eng abgestimmten Antragsprozess für Cyber und eCrime launchen, sodass Makler diese zusammengehörenden Produkte auch in einem konsolidierten Prozess quotieren, beraten und verkaufen können. Außerdem ist es unser Ziel, unsere integrierte Cybersicherheit für kleine und mittelständische Kunden künftig noch weiter zu stärken. Hierzu verbessern wir Analyse und Visualisierung, um sicherzugehen, dass unsere Befunde verstanden werden.

Schließlich arbeiten wir auch an Angeboten, die noch tiefer mit der Cybersicherheit des Kunden integriert werden. Deswegen bauen wir ein Incident Response-Angebot auf, um unseren Kunden im Angriffsfall noch aktiver als jetzt zur Seite zu stehen. Auch das Produktangebot für Unternehmenskunden wollen wir weiter verbreitern und verbessern.

Wie stellt ihr sicher, dass auch im Ernstfall der Support für eure Kunden jederzeit funktioniert?

Wir bieten einen telefonischen Notfalldienst, an den sich unsere Kunden im Falle eines Cyberangriffs 24/7 wenden können. Hier arbeiten wir mit Crawford zusammen, einem Dienstleister im Bereich der Schadensabwicklung mit mehr als 25 Jahren Erfahrung.

Was sind eure nächsten großen Schritte – wohin entwickelt sich Baobab Insurance in den kommenden zwölf Monaten?

Wir wollen vor allem die aktive und kostenfrei integrierte Risikoprävention für unsere mittelständischen Kunden stärken, die wir als erster Cyberanbieter in Deutschland vor drei Jahren auf den Markt gebracht haben. Wie bereits erwähnt, wollen wir das Produktangebot für Unternehmenskunden weiter verbreitern und verbessern, um unsere Position in den bestehenden Märkten Deutschland und Österreich zu festigen und über die kommenden 12 Monate weitere EU-Märkte zu erschließen. Um diese Ziele zu erreichen, wollen wir unser Team deutlich erweitern. Insbesondere in den Bereichen Incident Response und Cybersicherheit, Softwareentwicklung und Produkt, Maklermanagement und -unterstützung, Business Development, Underwriting sowie Schadenbearbeitung sind wir daher auf der Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen.

Welche drei Dinge würdet ihr Gründerinnen und Gründern mitgeben, die ein technologiegetriebenes Startup aufbauen möchten?

Technologie allein gewinnt keine Märkte. Es braucht ein Team, das sich ergänzt: neben technischer Exzellenz, Produktverständnis, operativer Umsetzungsstärke, kommt es auch auf Vertrauen und gemeinsame Werte an. Gründerteams scheitern häufiger an zwischenmenschlichen Reibungen als an fehlender Technologie.

Bild: Gründerteambild © Baobab Insurance

Wir bedanken uns bei Vincenz Klemm und Anton Foth für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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