Mittwoch, November 5, 2025
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Fünf Gründer, eine Bühne und jede Menge Emotionen

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Investorin Janna Ensthaler nimmt die nachhaltigen Multiwaschwürfel im Teebeutel von „Chrambl“ genau unter die Lupe. Bild@ RTL / Bernd-Michael Maurer

20. Oktober 2025 Das große Finale von Die Höhle der Löwen mit Christian Miele als Gastlöwe

Am 20. Oktober 2025 um 20 Uhr 15 bei VOX und bereits ab dem 13. Oktober auf RTL Plus endet die aktuelle Staffel von Die Höhle der Löwen mit einem Finale voller Emotionen, Überraschungen und beeindruckender Gründergeschichten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen sich auf spannende Auftritte, mutige Ideen und berührende Momente freuen. Als besonderer Gast nimmt Christian Miele, Investor und Urenkel des Miele Gründers, auf dem Löwenstuhl Platz. Mit seiner Erfahrung in der Startup Szene bringt er eine neue Perspektive und viel Fachwissen in die Runde der Löwinnen und Löwen.

Die Höhle der Löwen Finale zeigt Mut, Leidenschaft und nachhaltige Innovation

Das Staffelfinale steht ganz im Zeichen von Mut, Kreativität und nachhaltiger Innovation. Fünf Gründerteams stellen sich der Herausforderung, ihre Ideen vor den Investorinnen und Investoren zu präsentieren und für ihre Visionen zu kämpfen. Ihre Geschichten zeigen, dass Unternehmertum weit mehr ist als Zahlen und Strategien – es geht um Herzblut, Überzeugung und Durchhaltevermögen.

Den Auftakt macht Precision aus München. Die Gründer Dr. Fabio Labriola, Philipp von Plato und Malte Zeeck wollen die Milchbranche revolutionieren. Ihre Mission ist eine Milch, die aussieht, schmeckt und schäumt wie echte Kuhmilch, aber ohne Tierleid, mit weniger Zucker und einem besseren ökologischen Fußabdruck. Das Trio bringt viel Erfahrung aus früheren Unternehmensgründungen mit und sorgt mit seiner Präsentation für eine lebhafte Diskussion unter den Löwinnen und Löwen. Während Frank Thelen auf Skalierung setzt, pocht Janna Ensthaler auf ihr Wissen im Bereich Fermentation. Am Ende müssen die Gründer entscheiden, welches Angebot sie annehmen.

Emotion, Erfindergeist und Nachhaltigkeit prägen das Finale am 20. Oktober 2025

Auch DOGGYBIRTHDAY aus Jesteburg begeistert mit einer charmanten Idee. Nadine Peters und Pamela Tinnemeyer wollen mit ihren Backmischungen, Hundesnacks und Party Accessoires den Geburtstag von Vierbeinern zu einem besonderen Erlebnis machen. Was in den USA längst Trend ist, soll nun auch in Deutschland Herzen erobern. Ihre Produkte stehen für Freude, Liebe zum Detail und einen Markt mit großem Potenzial.

Mit SKYNOPOLY aus Dortmund betritt ein Startup die Bühne, das in eine völlig andere Richtung geht. Gründer Dr. Conrad Dreier will Grundstückseigentümer dabei unterstützen, ihre Überflugrechte für Logistikdrohnen zu vermarkten. Sein juristischer Ansatz eröffnet einen neuen Markt über unseren Köpfen. Mit einer Videobotschaft von Fußballlegende Oliver Kahn sorgt er für Aufsehen und Begeisterung im Studio. Seine Idee zeigt, wie rechtliche Expertise und technologische Entwicklung gemeinsam neue Wege schaffen können.

Ein emotionaler Moment des Abends ist der Auftritt von Alexander Kraml aus Leonding in Österreich. Der ehemalige Seifenkaiser präsentiert mit Chrambl eine Innovation, die Nachhaltigkeit und Alltagstauglichkeit vereint. Der Multiwaschwürfel im wiederverwendbaren Baumwollbeutel ersetzt gleich mehrere Reinigungsprodukte und steht für weniger Verpackung, weniger Chemie und mehr Bewusstsein im Haushalt. Nach Rückschlägen und Neuanfängen symbolisiert Chrambl für seinen Gründer auch einen persönlichen Wendepunkt. Seine Botschaft lautet, dass wahre Innovation oft aus schwierigen Momenten entsteht.

Auch das Startup alangu aus Köln verfolgt ein gesellschaftlich wichtiges Ziel. Gründer Alexander Stricker und Christina Schäfer setzen sich mit einer KI gestützten Lösung für Barrierefreiheit ein. Ihr Gebärdensprach Avatar ermöglicht es Kommunen, digitale Inhalte automatisch in Gebärdensprache zu übersetzen. Damit schaffen sie Zugang zu Informationen für Millionen gehörloser Menschen und zeigen, wie Technologie Inklusion fördern kann.

Ein Abend voller Leidenschaft und nachhaltiger Innovation

Das Die Höhle der Löwen Finale am 20. Oktober 2025 verspricht nicht nur spannende Pitches, sondern auch echte Inspiration. Ob Milch ohne Kuh, nachhaltige Haushaltslösungen oder digitale Barrierefreiheit – die Gründerinnen und Gründer dieser Staffel stehen für Mut, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein. Mit Christian Miele als Gastlöwen erhält das Finale zusätzliche Tiefe und Expertise.

Es ist ein Abend, der zeigt, dass Innovation aus Leidenschaft entsteht und Nachhaltigkeit längst kein Trend mehr ist, sondern eine Haltung, die Zukunft gestaltet.

Bild: Investorin Janna Ensthaler nimmt die nachhaltigen Multiwaschwürfel im Teebeutel von „Chrambl“ genau unter die Lupe.
Bild@ RTL / Bernd-Michael Maurer

Raumfahrt: Sebastian Klaus und ATMOS Space Cargo

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Wenn es um die Zukunft der Raumfahrt geht, fällt der Blick oft nach Westen – zu SpaceX, Blue Origin oder NASA. Doch während die USA und Asien längst eine private Raumfahrtindustrie aufgebaut haben, entsteht in Europa gerade etwas Eigenes: eine neue Generation von Unternehmern, die Raumfahrt nicht als Prestigeprojekt, sondern als Infrastruktur versteht. Einer von ihnen ist Sebastian Klaus, Mitgründer und CEO von ATMOS Space Cargo.

Sein Werdegang liest sich wie ein Schnittpunkt aus Ingenieurskunst, militärischer Führung und unternehmerischem Wagemut: vom Studium der Luft- und Raumfahrttechnik über Einsätze bei den Spezialkräften bis hin zur Gründung eines Unternehmens, das Europas Rückkehrkapazität aus dem All sichern will. Was 2004 mit dem historischen Flug von SpaceShipOne begann – dem Moment, als ein privates Team erstmals die Kármán-Linie überquerte – wurde für ihn zur Initialzündung. „Ich begriff, dass Raumfahrt nicht mehr nur Staaten vorbehalten ist“, sagt er. Heute steht er an der Spitze eines Startups, das diese Erkenntnis in industrielle Realität übersetzt.

ATMOS will nichts weniger, als die Logistik des Weltraums neu denken – mit modularen Rückkehrkapseln, die Fracht und Forschungsergebnisse sicher aus dem Orbit zur Erde bringen. Statt Einwegmissionen setzt das Unternehmen auf Wiederverwendbarkeit und Wirtschaftlichkeit. Was nach technischer Nische klingt, hat geopolitische Tragweite: Ohne eigene Rückkehrtechnologie bleibt Europa abhängig.

Im Gespräch spricht Sebastian Klaus über seine Motivation, über Führung jenseits militärischer Hierarchien, über die Lehren aus Fehlschlägen – und darüber, warum Raumfahrt in seinen Augen kein Abenteuer für wenige, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe für viele ist. Beim Slush’D Heilbronn will er genau diese Botschaft vermitteln: dass Deep-Tech aus Europa nicht aus Visionen entsteht, sondern aus der Verbindung von Ingenieurskultur, Resilienz und Verantwortungsbewusstsein.

Als Kind oder Jugendlicher – was war Dein erster bewusster Moment, in dem Du Dir vorstellen konntest, in der Raumfahrt mitzuwirken? Wie hat sich daraus letztlich Dein beruflicher Weg geformt?

2004 hat mich SpaceShipOne geprägt – der Moment, als ein privates Team erstmals die Kármán-Linie überschritt. Bis dahin dachte ich, nur Staaten und Agenturen wie die NASA könnten Raumfahrt betreiben. Dieser Flug hat mir gezeigt, dass Eigeninitiative und Ingenieursgeist Grenzen verschieben können. Europa steht heute vor einer ähnlichen Erkenntnis: technologische Souveränität lässt sich nicht auslagern. Das hat meinen beruflichen Weg bestimmt – von der Luft- und Raumfahrttechnik über militärische Führung bis zur Gründung von ATMOS Space Cargo.

Du hast einen Master in Luft- und Raumfahrttechnik mit Schwerpunkt Wiedereintritt und wiederverwendbare Triebwerke, ergänzt durch ein MBA-Studium – wie hat dieser akademische Mix Deine Vision für ATMOS geprägt? Gibt es Situationen, in denen technische Expertise auf betriebswirtschaftliche Entscheidungen traf?

Mein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik – mit Stationen beim Institut für Raumfahrtssysteme (IRS) Stuttgart und Airbus – hat mich gelehrt, wie man Systeme für extreme Bedingungen auslegt. Das MBA-Studium kam später als Ergänzung, um diese Technik in ein tragfähiges Geschäftsmodell zu übersetzen. In der Praxis bedeutet das: Entscheidungen müssen gleichzeitig technisch richtig und wirtschaftlich skalierbar sein. Bei ATMOS prüfen wir jedes Design nicht nur auf Performance, sondern auf Wiederholbarkeit und Kostenstruktur. Ich hatte diese Studienwahl damals bewusst getroffen, um mich auf das vorzubereiten, was ich heute tue.

Bevor Du Atmos mitbegründet hast, warst Du Offizier bei den Spezialkräften im militärischen Umfeld. Welche Führungsprinzipien aus dieser Zeit nutzt Du heute noch – und was hast Du bewusst abgelegt?

Eine wesentliche Fähigkeit, um eine solche Vision in ein Unternehmen zu übersetzen, ist die Fähigkeit, Menschen zu führen – und das auch unter schwierigen Bedingungen. Genau das habe ich bei der Bundeswehr und vor allem als Offizier bei den Spezialkräften gelernt. In über 300 Einsatztagen in Afghanistan habe ich gelernt, dass menschliche Belastbarkeit weit über das hinausgeht, was man sich im Alltag vorstellt. Dort lernt man, dass Disziplin unter Stress das Fundament von Resilienz ist. Was ich übernommen habe, sind Klarheit in der Zielsetzung und Verantwortung im Handeln. Man führt, indem man Werte und Haltung vorlebt. Was ich abgelegt habe, ist das Beharren auf einer starren Hierarchie. In einem Raumfahrt-Startup führt man nicht über Rang, sondern über Respekt und Vertrauen.

ATMOS beschreibt sich als Logistik-Provider für den Rücktransport von Fracht aus dem All. In vielen Artikeln wird betont, dass Raumfahrt bislang oft auf Einmalanwendungen ausgelegt war. Wie habt Ihr konkret Eure Technologie modularisiert oder skalierbar gemacht, um wiederholbare Einsätze zu ermöglichen? Wo siehst Du heute noch die größten technologischen Hürden?

Raumfahrt war lange missionsgetrieben, nicht systemgetrieben. Wir denken umgekehrt: wie ein Logistik-Unternehmen. Das klingt dann im ersten Moment nicht so inspirierend, aber es macht einen fundamentalen Unterschied: Es ermöglicht eine nachhaltige und umfassende Integration des Weltraums in Forschung, Fertigung und Industrie auf der Erde. Wir treten nicht an, um Abenteuer für wenige Superreiche zu schaffen oder Flaggen auf fremden Planeten zu pflanzen. Wir wollen die unbegrenzten Möglichkeiten des Weltraums erschließen – ob in der medizinischen Forschung oder bei Hochleistungsmaterialien, die auf der Erde für Durchbrüche sorgen.

Unsere PHOENIX-Kapseln basieren auf einem modularen System, das sich von 100-Kilogramm-Nutzlasten bis zu tonnenschweren Raketenstufen skalieren lässt. Das Herzstück ist ein Inflatable Atmospheric Decelerator (IAD) – er fungiert zugleich als Hitzeschild und Fallschirm. Diese Plattformlogik erlaubt uns, dieselbe Technologie für Forschung, Industrie oder Sicherheit einzusetzen. Anders als bei traditionellen Hitzeschilden, die erst spät und in dichteren Schichten der Erdatmosphäre abbremsen, verzögert PHOENIX bereits früh in der oberen Atmosphäre.

Dadurch ist die Kapsel geringeren Temperaturen (rund 1.100 °C) ausgesetzt. Das ermöglicht den Einsatz leichterer und flexiblerer Materialien – und damit Wiederverwendbarkeit statt Einwegmissionen. Diese Wiederverwendbarkeit ist der Schlüssel zu einer zirkulären und ökonomisch tragfähigen Raumfahrt. So sinken die Kosten und steigen die Missionsfrequenzen, in denen Experimente in den Weltraum gelangen können. Die Innovationszyklen beschleunigen sich um ein Vielfaches – etwa in der Krebsforschung oder der Halbleiterproduktion. Der Weltraum wirkt wie ein physikalischer Accelerator: eine Umgebung, in der 3D-Bioprinting, Molekülwachstum und Materialprozesse auf eine Weise ablaufen, die auf der Erde unmöglich ist.

Euer Projekt „PHOENIX“ war schon Gegenstand erster Tests. Welche Lehren aus diesem ersten Rückführungsversuch waren existenziell, und wie beeinflussen sie Eure nächste Generation der Kapsel? Welche Annahmen musstet Ihr über Bord werfen, selbst wenn sie in der Theorie gut klangen?

PHOENIX 1 war in vielerlei Hinsicht ein Meilenstein. Wir haben unseren Kapselprototyp in weniger als zwölf Monaten entwickelt, für die extremen Bedingungen im All getestet und gelauncht – ein Prozess, der normalerweise mehrere Jahre dauert. Als Startup hast du keine andere Wahl als schnell zu sein. Dafür musst du die Risiken eingehen, unter realen Bedingungen Fehler machen und aus ihnen lernen – nicht aus Simulationen. Testen, scheitern, neu bauen, wieder testen – das erfordert Resilienz. Fail fast, prototype faster.

Unser Credo. Was wir zusätzlich konkret erreicht haben: PHOENIX 1 hat den Start auf der Falcon-9-Rakete erfolgreich überstanden. Im Orbit trennte sie sich von der Oberstufe, aktivierte ihre Systeme und die Nutzlasten unserer Kunden und sendete über 100.000 Telemetriedatenpunkte zur Erde – zu Bodenstationen, die wir nur vier Wochen vor dem Start neu eingerichtet hatten, nachdem unser Launch-Provider die Trajektorie änderte. Statt im Indischen Ozean landeten wir schließlich im Südatlantik – 2.000 Kilometer vor der brasilianischen Küste. Trotz dieser Umstände hat unser Team, verteilt auf drei Kontinente, die Mission erfolgreich durchgeführt. Das wichtigste Learning neben der Technik: Wir können Raumfahrtmissionen planen und umsetzen – und sind resilient genug, um auf schnell verändernde Bedingungen adäquat zu reagieren.

Du nennst den biomedizinischen Bereich als frühen Markteintritt. Was war ausschlaggebend für diese Fokussierung, und wie reagierst Du, wenn andere Branchen – etwa Halbleiter oder Verteidigung – mit alternativen Anforderungen auf Euch zukommen?

Biomedizinische Forschung verlangt die höchste Präzision bei Rückführzeiten und Umweltparametern, die in der Kapsel herrschen. Diese Anforderungen passen perfekt zu unserem System. Wenn Zellen oder Proteine in der Schwerelosigkeit wachsen, muss der Rückflug exakt planbar sein, sonst verliert das Experiment seinen Wert. Der Einstieg über Life Sciences schafft Vertrauen und technologische Reife, die auch für Halbleiter, Materialforschung oder sicherheitskritische Anwendungen relevant sind.

Bei der Finanzierung habt Ihr in der Seed-Runde rund 4 Millionen Euro eingesammelt, unter anderem von öffentlichen Stellen und VC-Investoren. Wie habt Ihr mit divergierenden Erwartungen – etwa langfristige Forschung versus kurzfristige Skalierung – navigiert? Gab es Konflikte zwischen Euren operativen Ambitionen und den Erwartungen der Geldgeber?

Wir haben in den ersten Runden Kapital von öffentlichen und privaten Investoren kombiniert – darunter High-Tech Gründerfonds und Amadeus APEX. Auch wenn Investoren unterschiedliche Ziele verfolgen, eint sie das Verständnis, dass Europa Rückkehrkapazität braucht. Heute mehr als gestern, um morgen autonom zu sein. Ich habe früh gelernt: Glaubwürdigkeit entsteht in Krisen, nicht in schönen Pitch Decks. Als wir 2022 fast kein Geld mehr hatten, hielten uns Demonstratoren und Daten am Leben – nicht Folien. Wir setzen auf Transparenz: ATMOS baut Infrastruktur, keine kurzfristigen Exits.

Der europäische Raumfahrtmarkt steht in Konkurrenz zu amerikanischen und asiatischen Akteuren. Wie siehst Du Eure Positionierung in Bezug auf technologische Souveränität, regulatorische Rahmenbedingungen und strategische Allianzen?

Orbitaler Rücktransport ist nicht nur wirtschaftlich, sondern geopolitisch relevant. Ohne eigene Rückkehrkapazität bleibt Europa abhängig. Unsere Vision ist eine europäische Infrastruktur, die zivile und sicherheitsrelevante Anwendungen gleichermaßen stärkt. Als europäisches Unternehmen orientiert sich ATMOS an den Grundwerten der Europäischen Union und des Lissaboner Vertrags und übernimmt Verantwortung, die bei dem Aufbau einer kritischen Infrastruktur entsteht, auch im Bereich Sicherheit. Dual-Use bedeutet für uns nicht Militarisierung, sondern Synergie: dieselbe Technologie ermöglicht wissenschaftlichen Fortschritt und strategische Autonomie.

In der Raumfahrt sprechen heute viele Tech-Startups von „Mission-driven Leadership“. Wie bringst Du bei Atmos die langfristige Vision vom Rücktransport von Weltraumfracht mit der notwendigen kurzfristigen Markt- und Kundenorientierung in Einklang?

Wir führen mit Mission, nicht mit Motivationstricks. Die Reihenfolge, die sich daraus ergibt, ist: Mission, Team, Individuum. Wer bei ATMOS anfängt, kommt mit dem richtigen Commitment, das zu Mission und Team passt. Das gibt Orientierung und senkt Reibung. Langfristige Vision und kurzfristige Marktziele stehen nicht im Widerspruch, wenn man die Mission als Kompass versteht. Sie zeigt, was unverhandelbar ist – alles andere ist anpassbar.

Fehler, Rückschläge, Resilienz – welchen Rückschlag in Deinem unternehmerischen Weg betrachtest Du heute als lehrreichsten, und wie hat er Deinen Führungsstil verändert?

Der wohl lehrreichste Wendepunkt war kein technischer Rückschlag, sondern lag in unserer eigenen strategischen Zielfindung: 2022 versuchten wir vergeblich, unsere Seed-Finanzierungsrunde abzuschließen. Erst im Sommer 2023 gelang uns das erste Closing über rund 4 Millionen Euro – mit Investoren wie HTGF, Amadeus APEX u. a. – gefolgt von einer Seed Extension über weitere 1,3 Millionen Euro. Ausschlaggebend waren unsere erfahrenen Investoren, die uns ermutigten, den Markt für Life Science genauer zu analysieren. Dabei identifizierten wir einen wachsenden Engpass in Forschung und Entwicklung im Bereich der Biowissenschaften im Weltraum – verursacht durch fehlende Logistikkapazitäten für den Transport zur ISS und zurück zur Erde. Dieser Flaschenhals verlangsamt die Forschung erheblich.

Daraus resultierte ein entscheidender strategischer Pivot: Wir verschoben unseren Business Case weg von der generellen „Rocket Reuse“ hin zur Rückführung von Experimenten für Life Science und In-Space Manufacturing. Parallel passten wir unseren technologischen Ansatz an: Anstatt eines universellen Rückführungssystems zur Wiederverwendung von Raketenstufen setzten wir verstärkt auf modulare Rückkehrkapseln (PHOENIX) mit flexiblen Wiedereintrittsprofilen und einem neuartigen, aufblasbaren Hitzeschildsystem. Dieser Wendepunkt hat unseren Führungsstil und unser Mindset geprägt – mit dem Fokus, schneller zu lernen und sich anzupassen, statt an einer Idee um ihrer selbst willen festzuhalten.

Blick nach vorne: Wenn Atmos in zehn Jahren global operiert, welchen Beitrag soll Euer Unternehmen zur Raumfahrt-Ökonomie und zur Gesellschaft leisten – und wie definierst Du Erfolg auf diesem Zeithorizont?

In zehn Jahren soll ATMOS das Rückgrat europäischer Orbital-Logistik bilden – eine universelle Infrastruktur, die Forschung, Industrie und Verteidigung gleichermaßen nutzen. Wenn Europa Infrastruktur im Orbit baut, stärkt es seine Autonomie auf der Erde. Erfolg bedeutet dann nicht Marktanteil, sondern Souveränität.

Du bist als Speaker beim Slush’D Heilbronn eingeladen. Welche Botschaft willst Du den Gründern und Investoren dort mitgeben, die sie gerade in Heilbronn selten hören – also etwas, das speziell zum regionalen Innovationsökosystem passt?

Ich hoffe dort nicht Raumfahrtromantik für ein paar wenige Stakeholder zu vermitteln, sondern eine zentrale Einsicht mit Menschen aus möglichst vielen Bereichen teilen: Deep-Tech in Space ist kein Pitch-Thema, sondern eine gesellschaftlich relevante Aufgabe, die private wie öffentliche Akteure in die Verantwortung nehmen muss, da sie uns alle betrifft. Gerade in Baden-Württemberg liegt enormes Potenzial, weil hier Ingenieurskultur und Mittelstand aufeinandertreffen. Wenn wir beides verbinden – Technik und Risikokapital – kann die Region zur Wiege europäischer Hard-Tech-Startups werden.

In einem Umfeld, in dem Deep-Tech- und Raumfahrt-Themen schnell sehr abstrakt werden können: Wie planst Du, die Aufmerksamkeit des Publikums in Heilbronn zu halten und Deine Inhalte so zu vermitteln, dass sie auch für Nicht-Space-Experten greifbar bleiben?

Ich erkläre Raumfahrt nicht (nur) über Raketen, sondern über Logistik. Jeder versteht Transport, Lieferzeiten und Supplychains. Wir verschieben diese Konzepte nur 500 Kilometer nach oben. Ich nutze diese Bilder, damit klar wird: ATMOS macht keine Science-Fiction, sondern Infrastruktur, auch wenn sie ziemlich cool ist.

Slush’D versteht sich als Katalysator für Vernetzung zwischen Deep-Tech-Startups, Investoren und Industrie. Wie nutzt Du diese Plattform strategisch für Atmos – und mit welchen Akteuren aus der Region oder überregional willst Du dort ganz bewusst in Kontakt treten?

Wir wollen dort Partner treffen, die mit uns Produktions- und Testkapazitäten aufbauen oder in Komponenten investieren. Investoren interessieren uns, wenn sie Verständnis für Industrie, Forschung, Sicherheit und Infrastruktur mitbringen. Wir suchen keine Wette, sondern Mitbauer.

Nach Deinem Vortrag: Was wäre für Dich ein gelungener Outcome des Events? Woran wirst Du konkret messen, dass Dein Auftritt beim Slush’D Heilbronn Wirkung erzeugt hat – sei es durch neue Partnerschaften, Investorenkontakte oder öffentliche Wahrnehmung?

Für mich misst sich ein erfolgreicher Auftritt daran, ob danach echte Gespräche entstehen – über gemeinsame Projekte oder Investitionen. Wenn die Zuhörer nach dem Vortrag nicht nur über „Raumfahrt“, sondern im gleichen Zug über „Rücktransportlogistik“ sprechen, dann war der Auftritt wirkungsvoll.

Foto/Quelle: Stefan Höning Photography

Wie viel Individualität passt in eine Schüssel Müsli?

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mymuesli: Müslis für bewusste Ernährung und Geschmack Dr. Jesko Thron mymüsli CEO

mymuesli steht für individualisierbare Bio-Müslis und zeigt, wie bewusste Ernährung, Nachhaltigkeit und Genuss perfekt zusammenpassen.

Wie ist mymuesli entstanden und welche Idee stand ursprünglich hinter dem Konzept des individuell zusammenstellbaren Müslis?

Die Idee haben drei Studienfreunde entwickelt, nachdem sie in eine hitzige Diskussion darüber geraten sind, ob eigentlich Rosinen in ein Müsli gehören oder nicht. Müsli gab es damals ausschließlich offline in Läden zu kaufen und vorkonfektioniert, d.h. ohne die Möglichkeit, Zutaten individuell zusammenzustellen. So entstand 2005 die Idee, über den Ansatz der Mass Customization personalisierbares Müsli online abzubilden. 2007 ist mymuesli.com online gegangen und hat Startup-Geschichte geschrieben.

Welche Vision verfolgt mymuesli heute und wie hat sich diese seit der Gründung weiterentwickelt?

Als Pionier für individualisierbare Lebensmittel und Marktführer für Bio-Müslis steht mymuesli heute für ein facettenreiches, hochwertiges Bio-Sortiment an Müslis, Cerealien und Healthy Snacks. Damit wollen wir Menschen dabei unterstützen, Ihr Selbst authentisch zu leben und zu lieben. Mit Lebensmitteln, die ihrer Einzigartigkeit entsprechen, gut tun und den Planeten respektieren.

Wie gelingt es euch, den hohen Anspruch an Qualität und Nachhaltigkeit mit einem skalierbaren Geschäftsmodell zu verbinden?

Das ist nur möglich, da wir diesen Anspruch schon vom ersten Tag an leben und gemeinsam mit unseren Partnern und Lieferanten gewachsen sind. Dadurch blicken wir heute auf ein weitverzweigtes Netzwerk von Bio-Lieferanten zurück, das durch ein besonderes Vertrauensverhältnis geprägt ist.

Wer sind die Menschen hinter mymuesli – und was treibt euch persönlich an, das Thema Ernährung so individuell zu denken?

Unser Team eint eine große Begeisterung für Lebensmittel und die Motivation, sich nie mit dem Status Quo zufrieden zu geben. Dabei spielt Ernährung für jeden von uns eine zentrale Rolle – Sie ist individuell, emotional und hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. In Zeiten, in denen vieles unsicher geworden ist, suchen Menschen bewusst nach kleinen Momenten des Wohlbefindens im Alltag. Sich mit leckerem Essen etwas Gutes zu tun, ist dafür der einfachste Weg. Und weil jeder Mensch anders ist, setzen wir wie niemand sonst auf Individualität – bei uns kann sich jede:r das eigene Lieblingsmüsli nach Lust und Laune zusammenstellen.

Wie würdet ihr eure Zielgruppe beschreiben und wie schafft ihr es, die unterschiedlichen Geschmäcker eurer Kundinnen und Kunden zu treffen?

Unsere Community besteht aus weit über einer Million aktiven Kundinnen und Kunden in unserem eigenen Online-Shop – überwiegend weiblich, aber tatsächlich jeden Alters und aus allen Lebensphasen. Was sie vereint, ist die Freude an gutem Essen und der Wunsch, bewusster zu genießen. Durch unseren Loyalty Club und den regelmäßigen Austausch über unseren Newsletter stehen wir in engem Kontakt zu unserer Community. Wir bekommen täglich Feedback, Ideen und Inspiration direkt von unseren treuesten Fans. Nach 18 Jahren kennen wir ihre Vorlieben ziemlich genau. Gleichzeitig sind viele unserer Mitarbeiter:innen leidenschaftliche Foodies, die Trends oft lange vor der breiten Masse entdecken.

Was unterscheidet mymuesli von anderen Anbietern im Bereich Frühstück und gesunde Ernährung?

mymuesli war das erste Unternehmen weltweit, das individuelle Bio-Müslis angeboten hat – und diese Idee verfolgen wir bis heute mit echter Leidenschaft. Mit über 80 hochwertigen Zutaten lassen sich theoretisch 566 Billiarden verschiedene Müslis kombinieren – jedes ein Unikat. Dabei setzen wir kompromisslos auf beste Bio-Qualität. Während bei konventionellen Wettbewerbern immer wieder Schadstoffbelastungen nachgewiesen werden, garantieren wir durch sorgfältige Rohstoffauswahl, transparente Lieferketten und strenge Kontrollen, dass nur das Beste in unsere Müslis kommt. Unser Anspruch: nicht nur Frühstück, sondern bewussten Genuss zu bieten – individuell, nachhaltig und einfach lecker.

Welche Herausforderungen bringt die Produktion und Logistik von personalisierten Lebensmitteln mit sich und wie begegnet ihr ihnen?

Personalisierte Lebensmittelproduktion ist extrem komplex. Während herkömmliche Hersteller große Chargen produzieren, stellen wir oft hunderte verschiedene Müslis in Kleinstmengen her – jedes nach individuellem Kundenwunsch. Das ist aufwendig, kostenintensiv und stellt hohe Anforderungen an Planung, Qualitätssicherung und Logistik.
Um das zu meistern, haben wir eine eigene Individualisierungsanlage entwickelt, die es ermöglicht, auch in der Kleinproduktion effizient, hygienisch und nachhaltig zu arbeiten. Zusätzlich optimieren wir kontinuierlich unsere Prozesse mit modernen IT-Systemen, automatisierten Abläufen und einem starken Team, das jeden Mix mit echter Leidenschaft fertigt. Ein weiterer Punkt: Verpackung und Versand. Wir achten darauf, dass auch hier Nachhaltigkeit und Qualität Hand in Hand gehen – von recyclingfähigen Dosen bis zu CO₂-kompensierten Lieferwegen.

Wie hat sich das Konsumverhalten eurer Kundschaft in den letzten Jahren verändert und welche Trends beobachtet ihr besonders aufmerksam?

Unsere Kundinnen und Kunden achten heute noch stärker auf bewusste Ernährung – Bio ist längst kein Nischenthema mehr, sondern Standard. Besonders auffällig: Themen wie Palmölfreiheit, Zuckerreduktion und natürliche Süßung ohne künstliche Süßungsmittel werden immer relevanter. Da wir schon früh auf palmölfreie und natürliche Zutaten gesetzt haben, sind wir in dieser Entwicklung sehr gut aufgestellt. Außerdem sehen wir, dass die Lust auf Individualität weiter wächst – viele möchten nicht einfach ein Produkt „von der Stange“, sondern etwas, das zu ihrem Lebensstil passt.

mymuesli bietet Bio-Produkte und individuelle Auswahl – wie wichtig ist euch Transparenz gegenüber euren Kundinnen und Kunden?

Transparenz ist für uns kein Marketingversprechen, sondern ein zentraler Teil unserer Markenphilosophie. Wir lassen uns regelmäßig nach höchsten Bio- und Produktionsstandards zertifizieren und sind stolz darauf, dass viele unabhängige Dokus und TV-Beiträge bereits gezeigt haben, wie offen wir mit unseren Produktionsprozessen und -bedingungen umgehen. Unsere Kundinnen und Kunden sollen genau wissen, welche Zutaten wir verwenden und wie sie verarbeitet werden. Denn Vertrauen entsteht nicht durch Worte, sondern durch echte Einblicke – und die gewähren wir gerne.

Ihr habt euch auch für Crowdinvesting entschieden. Was hat euch zu diesem Schritt bewegt und welche Ziele verbindet ihr damit?

mymuesli ist von Anfang an gemeinsam mit seinen Kund:innen gewachsen. Individualisierung und Nähe zu den Menschen, die unsere Produkte lieben, sind seit jeher Teil unserer DNA. Aus diesem Grund haben wir uns für ein Crowdfunding entschieden: Es ist ein Finanzierungsmodell, das unsere Kund:innen nicht nur als Konsument:innen, sondern auch als Mitgestalter:innen einbindet. So können wir gemeinsam die nächste Wachstumsphase von mymuesli realisieren – und unsere Community profitiert unmittelbar vom Erfolg der Marke, die sie selbst mit aufgebaut hat.

Wie reagieren eure Unterstützerinnen und Unterstützer auf die Crowdinvesting-Kampagne und welchen Mehrwert bringt sie für das Unternehmen?

Die Begeisterung rund um unsere Crowdinvesting-Kampagne ist wirklich unglaublich! Schon unmittelbar nach dem Go Live haben wir einen Großteil des angebotenen Investment-Volumens eingesammelt. Wir spüren, wie viel Leidenschaft, Vertrauen und Verbundenheit in unserer Community steckt. Es ist einfach schön zu sehen, dass so viele Menschen mymuesli nicht nur lieben, sondern auch mitgestalten wollen! Mit dem eingesammelten Kapital möchten wir gezielt in zwei zentrale Bereiche investieren: IT und Personal. So können wir unsere digitale Exzellenz weiter stärken und gleichzeitig das Produkt- und Markenerlebnis für unsere Kundinnen und Kunden auf das nächste Level heben.

Welche nächsten Schritte plant mymuesli – sei es in der Produktentwicklung, beim Vertrieb oder in der internationalen Expansion?

Wir wollen unsere nächsten Optimierungsschritte schnell und gezielt vorantreiben. Über die Stärkung der Marke und die Erweiterung seiner digitalen Exzellenz stellt das Unternehmen die kundenindividuelle Ansprache in den Mittelpunkt. Dazu gehört unter anderem, zusätzliche Mitarbeiter insbesondere im Marketing an Bord zu holen, um unsere bereits begonnene Modernisierung des Online-Kanals weiter voranzutreiben. Und auch der Online-Vertrieb soll weiterentwickelt werden, damit unsere Privat- und Firmenkunden gleichermaßen ein bequemes Einkaufserlebnis wahrnehmen können.

Und abschließend: Welche drei Ratschläge würdet ihr Gründerinnen und Gründern geben, die ihre Idee genauso erfolgreich umsetzen möchten wie ihr?

Fang an, bevor alles perfekt ist. Viele großartige Ideen scheitern, weil man zu lange plant.
Bleib nah an deiner Community. Egal, ob Kund:innen, Team oder Partner:innen – der direkte Austausch ist Gold wert.
Denke langfristig und handle werteorientiert. Erfolg kommt nicht über Nacht. Halte an deinen Werten fest, da sie dich langfristig differenzieren.

Wir bedanken uns bei Dr.Jesko Thron für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

Verpackung im E-Commerce: Der Umbruch beginnt

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Verpackung im E-Commerce: Der Umbruch beginnt hey-circle

Der Onlinehandel boomt – und mit ihm der Verpackungsmüll. Die Verpackung landet oft millionenfach auf dem Müll, doch ein Münchner Startup zeigt, dass es auch anders geht: Hey Circle setzt auf Mehrweg statt Wegwerf, kombiniert robuste Versandboxen mit smarter Software und hat jetzt einen Investor an Bord, der nicht nur Geld, sondern auch Systemverständnis mitbringt.

Die Mülllawine nach dem Klick

Ein Klick, ein Paket, ein Haufen Müll. Was im E-Commerce zum Alltag gehört, ist in Wahrheit ein logistisches Armutszeugnis. Denn die Einwegverpackung ist so ziemlich das Rückständigste, was dieser digital getriebene Wirtschaftszweig zu bieten hat. Milliarden Kartons jährlich, meist nach einmaligem Gebrauch im Altpapier – wenn’s gut läuft.

Hey Circle aus München sagt: Schluss damit. Gründerin Doris Diebold und ihr Team bringen eine Idee zurück ins Spiel, die eigentlich uralt ist – das Pfandprinzip. Nur eben digital gedacht, auf Skalierung ausgelegt und verpackt in stabile Boxen, die man nicht wegwirft, sondern zurückschickt.

Mehrweg 2.0 – Verpackung als Asset

Die Idee klingt simpel, ist aber technisch clever aufgezogen. Hey Circle bietet wiederverwendbare Versandboxen und -taschen, die mit einem GRAI-Code versehen sind – einem global eindeutigen Identifikator, der jedes einzelne Behältnis nachverfolgbar macht. So wird aus der Verpackung ein Asset, ein Wirtschaftsgut mit Lebenslauf.

Dazu kommt eine Software, die trackt, wie oft eine Box unterwegs war, wie viel CO₂ durch ihre Nutzung eingespart wurde und wie sehr sich der Verpackungsabfall reduziert hat. Die Daten fließen automatisch in ESG-Reportings ein – ein nicht zu unterschätzender Hebel für Unternehmen, die Nachhaltigkeit nicht nur predigen, sondern auch dokumentieren müssen.

Laut einer Ökopol-Studie, auf die sich Hey Circle stützt, liegt die Abfallersparnis bei 94 Prozent, die CO₂-Reduktion bei 76 Prozent, die Verpackungskosten sinken um bis zu 53 Prozent. Das ist keine Spielerei, das ist eine wirtschaftlich messbare Innovation.

Standards, die (endlich mal) Sinn machen

Entscheidend ist, dass Hey Circle nicht versucht, das Rad neu zu erfinden – sondern auf bewährte Standards setzt. GTIN und GRAI, zwei international anerkannte Identifikatoren aus dem Hause GS1, sorgen dafür, dass die wiederverwendbaren Verpackungen reibungslos in bestehende Logistikprozesse integrierbar sind. Was sonst als trockene Norm daherkommt, wird hier zur Grundlage für eine nachhaltige Lieferkette.

„Die Nutzung der GS1 Standards ermöglicht uns, Verpackungen eindeutig zu identifizieren und Nachhaltigkeitsdaten transparent zu erfassen“, sagt Doris Diebold. Übersetzt: Ohne gemeinsame Sprache läuft nichts – und diese Sprache heißt Standardisierung.

Frisches Kapital mit klarem Kurs

Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Mit Butterfly & Elephant, der Beteiligungsgesellschaft von GS1 Germany, steigt ein strategischer Investor bei Hey Circle ein, der nicht nur Kapital liefert, sondern ein tiefes Verständnis für Datenstrukturen und Lieferketten mitbringt. Kein Zufall, sondern Teil eines Plans.

„Hey Circle macht Nachhaltigkeit skalierbar. Das Team verbindet ökologische Verantwortung mit wirtschaftlicher Stärke“, sagt Benjamin Birker, Managing Director bei Butterfly & Elephant. Man hört: Hier glaubt jemand nicht nur ans Produkt, sondern auch ans Modell – und an dessen Potenzial, die Branche umzukrempeln.

90 Kunden, zehntausende Verpackungen – und ein langer Hebel

Hey Circle ist kein Garagenprojekt. Über 90 Unternehmenskunden sind bereits an Bord, zehntausende Boxen sind im Umlauf. Die Rückführung funktioniert unkompliziert – entweder direkt zurück, oder über Paketdienstleister, mit denen Hey Circle kooperiert. Damit beginnt das Startup, das Nadelöhr der Mehrweglogistik zu lösen: die Rückführung.

Der nächste Schritt ist klar: mehr Volumen, mehr Integrationen, mehr Partner. Das Investment von Butterfly & Elephant soll genau das möglich machen – und dabei helfen, Mehrweg vom nachhaltigen Feigenblatt zum logistischen Standard zu machen.

Fazit: Verpackung wird zum Wirtschaftsthema

Was Hey Circle tut, ist weit mehr als ein grünes Projekt mit PR-Wirkung. Es ist ein ernsthafter Versuch, ein strukturelles Problem der Logistikbranche zu lösen – mit einem Geschäftsmodell, das sowohl ökologisch als auch ökonomisch funktioniert.

Die Karten liegen auf dem Tisch: Der Onlinehandel wächst weiter, der Druck auf Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, steigt. Wer da eine Lösung bietet, die CO₂ spart, Kosten senkt und gleichzeitig in bestehende Prozesse passt, sitzt zur richtigen Zeit am richtigen Hebel.

Hey Circle hat verstanden, dass Verpackung nicht nur Hülle ist, sondern Teil des Produkts – und damit Teil des Markenversprechens. Und genau dort wird in Zukunft der Unterschied gemacht: Wer clever packt, liefert besser. Nicht nur für den Kunden, sondern für den Planeten.

Foto/Quelle: Hey Circle

Wie viel Magie passt eigentlich in eine kleine Box?

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Wichtelbox: Magische Adventszeit für Kinder und Familien Elena und Hannes Aigner präsentieren „Wichtelbox“, das Komplettset für den Weihnachtswichtel. Sie erhoffen sich ein Investment von 150.000 Euro für 10 Prozent der Firmenanteile. Bild @RTL / Bernd-Michael Maurer

Die Wichtelbox war am 06. Oktober 2025 um 20:15 Uhr in der Höhle der Löwen zu sehen und zeigte, wie ein liebevoll gestaltetes Komplettset Familien die Adventszeit auf ganz besondere Weise verzaubern kann.

Wie ist die Wichtelbox entstanden und welche Personen stehen dahinter?

Hinter der Wichtelbox stehen Hannes und Elena Aigner. Die beiden sind Eltern und hatten die Idee zu einem Komplettset, nachdem sie selbst einen Wichtel einziehen ließen und merkten, wie aufwendig es ist, sich täglich etwas Neues zu überlegen, das passende Zubehör zu besorgen und kreative Aufgaben für die Kinder zu finden. Aus dieser Erfahrung entstand die Idee, Eltern mit einem liebevoll vorbereiteten Komplettset zu entlasten.

In welcher Branche ist das Unternehmen tätig und was zeichnet das Geschäftsmodell aus?

Die Wichtelbox ist im Online-Handel tätig. Das Geschäftsmodell zeichnet sich dadurch aus, dass es Eltern besonders leicht gemacht wird, einen Weihnachtswichtel einziehen zu lassen. Eltern sind die Hauptzielgruppe. Langfristig möchte das Unternehmen ein jährlich wiederkehrendes Käufermodell etablieren, sodass Familien jedes Jahr eine neue fortlaufende Wichtelgeschichte erleben können.

Welche Idee oder welches Problem stand am Anfang der Gründung? Gab es eine Marktlücke oder eine besondere Inspiration?

Am Anfang stand eine deutliche Marktlücke: Es gab kein vergleichbares Komplettset mit einer durchgehenden 31-tägigen Geschichte, Briefen, Zubehör und Aufgaben – und das in dieser einfachen und zeitsparenden Form. Die Wichtelbox ist derzeit der einzige Anbieter mit einem sehr guten Preis-Leistungs-Verhältnis, der Eltern den Wichtelbesuch so unkompliziert über die gesamte Adventszeit ermöglicht.

Was macht das Konzept der Wichtelbox besonders? Welche innovativen Ansätze kommen zum Einsatz?

Das Besondere am Konzept ist, dass nicht nur Zubehör oder einzelne Briefe verkauft werden, sondern ein Wichtel mit einer echten Persönlichkeit. Kinder bauen über die 31 Tage hinweg eine emotionale Bindung zu „ihrem“ Wichtel auf – das macht die Wichtelbox einzigartig und besonders erlebnisreich.

Welche konkreten Vorteile bietet die Wichtelbox den Nutzerinnen und Nutzern? Was hebt sie im Alltag vom Wettbewerb ab?

Eltern benötigen für die tägliche Vorbereitung meist nur eine Minute – und dennoch entstehen über Wochen hinweg magische Momente und bleibende Erinnerungen für die Kinder. Durch diese einfache Umsetzung ist die Wichtelbox auch ideal für vielbeschäftigte Eltern, die dennoch eine zauberhafte Adventszeit gestalten möchten.

Wie wurde das Produkt entwickelt und getestet? Gab es besonderes Feedback aus ersten Anwendungen oder Testphasen?

Die Entwicklung beruhte auf den eigenen Erfahrungen der Gründer als Eltern sowie auf zahlreichen Gesprächen mit anderen Familien. Viele dieser Ideen flossen in die Gestaltung der Wichtelbox ein. Das Feedback war von Beginn an überwältigend positiv: Zahlreiche Familien berichten, dass ihre Kinder die Wichtelzeit lieben und sich jedes Jahr erneut darauf freuen.

Welche Vision verfolgt die Wichtelbox? Welche Meilensteine sollen in den nächsten Jahren erreicht werden?

Die Vision ist, jährlich eine neue Edition der Wichtelbox herauszubringen, um Familien fortlaufend neue Geschichten, Aufgaben und Abenteuer zu bieten. Langfristig soll ein ganzes Wichtel-Universum entstehen – mit Hörspielen, Büchern, Zubehör und Angeboten für verschiedene Jahreszeiten. Auch eine Desaisonalisierung ist geplant, etwa mit Sommer- oder Geburtstagswichtelboxen.

Warum fiel die Entscheidung, sich bei „Die Höhle der Löwen“ zu präsentieren?

Die Entscheidung entstand eher spontan. Hannes und Elena Aigner wollten ihr Geschäftsmodell prüfen, Feedback von erfahrenen Investorinnen und Investoren erhalten und sehen, wie ihre Idee bei einem großen Publikum ankommt. Ein Investment wäre willkommen gewesen, aber auch ohne ist das Team überzeugt, dass die Wichtelbox ihren Weg gehen wird – was sich durch die starken Verkaufszahlen und die erfolgreiche zweite Edition bestätigt.

Welche Form der Unterstützung wurde durch die Teilnahme an „Die Höhle der Löwen“ angestrebt?

Ein Investment hätte geholfen, das Wachstum zu beschleunigen, die Marktpräsenz zu stärken und wertvolles Expertenwissen ins Unternehmen zu holen. Ziel war es, mit zusätzlichem Know-how die Strukturen zu professionalisieren und die Expansion langfristig voranzutreiben.

Welche nächsten Schritte sind nach „Die Höhle der Löwen“ geplant?

Unabhängig vom TV-Auftritt stand bereits fest: Jedes Jahr soll eine neue Edition der Wichtelbox erscheinen. Die zweite Edition wurde bereits erfolgreich eingeführt. Die hohe Wiederkaufsrate zeigt, dass die Kundinnen und Kunden begeistert sind und die Tradition fortführen möchten.

Welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben sich auf dem bisherigen Weg als besonders wertvoll erwiesen?

Hannes und Elena Aigner haben gelernt, dass Unternehmertum niemals langweilig wird. Herausforderungen gehören zum Alltag, aber genau das macht den Weg spannend. Flexibilität und Lösungsorientierung sind entscheidend – anstatt Probleme zu fürchten, suchen sie aktiv nach Wegen, diese zu meistern.

Welche Ratschläge lassen sich aus diesen Erfahrungen ableiten, die für andere Gründerinnen und Gründer hilfreich sein könnten?

Der wichtigste Rat: Einfach machen! Nicht zu lange zögern oder überlegen – irgendwann muss man anfangen. Wer zu lange wartet, verpasst Chancen. Ebenso wichtig ist Marketing: Selbst das beste Produkt verkauft sich nicht von allein. Man sollte stolz auf sein Produkt sein, es zeigen und darüber sprechen.

Die Wichtelbox war am 06.Oktober 2025 um 20:15 Uhr in der Höhle der Löwen

Bild: Elena und Hannes Aigner präsentieren „Wichtelbox“, das Komplettset für den Weihnachtswichtel. Sie erhoffen sich ein Investment von 150.000 Euro für 10 Prozent der Firmenanteile. Bild @RTL / Bernd-Michael Maurer

Wir bedanken uns bei Elena und Hannes Aigner für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

Projektmanagement: Der unterschätzte Erfolgsfaktor für Start-ups

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Projektmanagement im Start-up: Schlüssel zum Erfolg pexels von pixabay menschen am tisch am arbeiten projekt

Erfolgsmindernde Faktoren

Start-ups geraten weniger wegen mangelnder Kreativität oder fehlendem Marktpotenzial ins Straucheln – vielmehr stehen sie vor der Herausforderung, ihre Ideen in klare Abläufe und Prioritäten sowie effiziente Teamarbeit zu übersetzen. Hier setzt Projektmanagement an. Doch obwohl der Begriff allgegenwärtig ist, wird er häufig missverstanden: Viele glauben, Projektmanagement sei nur „organisieren“ und „Termine im Blick behalten“. Tatsächlich steckt dahinter ein Handwerkszeug, das mit den richtigen Methoden und Tools zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird.

Für das Scheitern von Start-ups sind nicht nur eine fehlende Passung zwischen Produkt und Markt oder der Wettbewerbsdruck verantwortlich, sondern auch organisatorische Schwächen, die im Einflussbereich von Gründer*innen liegen und durch bessere Planung, Abstimmung und Umsetzung vermieden werden können.

Als Hindernisse zum Erfolg werden häufig die Bereiche Kostenschätzung, Risikomanagement, Task-Priorisierung und Kommunikationsmanagement identifiziert:

Als Hindernisse zum Erfolg werden häufig die Bereiche Kostenschätzung, Risikomanagement, Task-Priorisierung und Kommunikationsmanagement identifiziert:

Es gibt Tools aus der Projektwelt, die Gründer*innen dabei helfen, diese zu überwinden. Egal, ob es sich um ein venture-finanziertes Start-up mit aggressiven Skalierungszielen oder ein Bootstrap-Unternehmen handelt, das jeden Euro sorgfältig verwaltet.

Projektmanagement-Tipp: Kostenschätzungen

Für passgenaue Projektpläne und Budgets benötigt man realistische Kostenschätzungen. Start-ups stehen hier vor einer besonderen Herausforderung, weil ihnen historische Daten für Vergleichsrechnungen fehlen.

Eine bewährte Methode, wie junge Unternehmen trotzdem zu realistischen Schätzungen gelangen können, ist die Bottom-up-Schätzung. Dabei werden die einzelnen Bestandteile eines Projekts in ihre kleinsten Kosten-Elemente zerlegt – vom benötigten Material über externe Dienstleistungen bis hin zu Personalkosten. Diese Einzelschätzungen werden anschließend zu einem aussagekräftigen Gesamtbild zusammengesetzt – auch ohne belastbare Vergleichsdaten.

Wichtig dabei: genügend Zeit für die Kalkulation einplanen und auch Nebenkosten wie Miete oder IT-Support berücksichtigen. Auch kleine Datenpunkte oder externe Benchmarks wie Branchenkennzahlen können herangezogen werden.

Das Ziel: Kostenschätzungen werden zunehmend präziser und datenbasierter. Entscheidend ist, von Anfang an einen klar strukturierten, wiederholbaren Schätzprozess zu etablieren und ihn konsequent durch Learnings zu optimieren.

Projektmanagement-Tipp: Risikomanagement

Das Risikomanagement hilft Start-ups, potenzielle Bedrohungen und Chancen frühzeitig zu erkennen, Strategien zu entwickeln und klare Verantwortlichkeiten festzulegen. Zwei bewährte Methoden aus dem Projektmanagement sind die Risikomatrix und das Risikoregister.

Startpunkt ist ein Brainstorming, zu dem man möglichst Mitarbeitende aus verschiedenen Abteilungen mit unterschiedlichem Background einladen sollte.

Risiken können beispielsweise in Bezug auf folgende Stakeholder und Aspekte auftreten:
Kunden: veränderte Bedürfnisse, negatives Feedback
Produkt: Entwicklungsverzögerungen, technische Hürden, Feature-Priorisierung
Markt: Wettbewerb, Konjunkturschwankungen, Regularien
Team: Überlastung, Konflikte, Kompetenzlücken
Finanzen: Finanzierungsschwierigkeiten

Die Risiken sollten schließlich nach Wahrscheinlichkeit und Schweregrad kategorisiert werden (Risikomatrix). Die Visualisierung hilft bei der Entscheidung, wie man mit den potenziellen Risiken umgehen möchte.



Beim „Risikoregister“ empfiehlt es sich, mit den Risiken mit den größten Auswirkungen und der höchsten Priorität zu beginnen und zu überlegen, ob man das Risiko vermeiden, übertragen, mindern oder akzeptieren sollte:

 Beispiel: Risikomatrix
  • Vermeiden: Risiko vollständig beseitigen, z. B. durch einen Strategiewechsel
  • Übertragen: Risiko auf Dritte verlagern, z. B. über Versicherung oder Outsourcing
  • Mildern: Wahrscheinlichkeit oder Auswirkung durch proaktive Maßnahmen verringern
  • Akzeptieren: Risiko anerkennen und beobachten, ohne sofortige Maßnahmen zu ergreifen

Anschließend werden die Risiken und Risikomaßnahmen verschiedenen Teammitgliedern zugewiesen. Risiken, die man mindern oder akzeptieren möchte, sollten regelmäßig überprüft werden. Der Rhythmus ist unternehmensspezifisch, mindestens einmal pro Monat ist jedoch ratsam.

Projektmanagement-Tipp: Aufgaben-Priorisierung

Eine Task-Priorisierung hilft, sich agil an die Vision und Ziele anzupassen, Ressourcen auf die wichtigsten Bereiche zu verteilen, wenn das Arbeitsvolumen zunimmt, und die Entscheidungsfindung bei Meinungsverschiedenheiten zu optimieren.

Nach der Anforderungsdefinition ist das MoSCoW-Framework eine einfache, aber wirkungsvolle Methode zur Priorisierung von Aufgaben. Der Name leitet sich aus den vier Kategorien ab:
Must have (unverzichtbar), Should have (sehr wichtig, aber nicht zwingend), Could have (nice to have, wenn Ressourcen übrig sind) und Won’t have (bewusst ausgeschlossen).

Projektmanagement-Tipp: Kommunikationsmanagement

Gutes Kommunikationsmanagement hilft Start-ups, einen transparenten Informationsaustausch und Feedbackschleifen zu etablieren. So sinkt das Risiko von Missverständnissen und ineffizientem Ressourceneinsatz, während kontinuierliches Lernen durch zentral verfügbare Informationen gefördert wird.

Projektfachleute nutzen dafür verschiedene Tools – eines der wichtigsten ist die Project Charta. Dieses zentrale Dokument markiert den Projektstart, definiert Ziele, Umfang, Ressourcen, Zeitrahmen, Rollen und Verantwortlichkeiten und wird von der Geschäftsführung oder dem Auftraggeber genehmigt.

Als verbindliche Informationsquelle erleichtert sie die Abstimmung zwischen Team, Führungskräften und Investoren, auch bei sich ändernden Rahmenbedingungen.

Template für eine „Project Charta“, wie es im Projektmanagement Verwendung findet.

Investition in Projektmanagement lohnenswert

Jedes Start-up sieht sich mit individuellen Herausforderungen konfrontiert. Ob unklare Anweisungen der Gründer*innen, isolierte Diskussionen oder mangelnde Abstimmung zwischen den Teams, eine falsche Einschätzung des Aufwands für den Aufbau und die Skalierung oder Führungskräfte, die Schwierigkeiten bei der Delegation von Aufgaben haben und in der Anfangsphase Entscheidungen aus dem Bauch heraus treffen.

Start-ups bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Struktur. Erfolgreiche Unternehmen schaffen es, beide „Pole“ miteinander zu verbinden – indem sie Agilität bewahren, gleichzeitig verlässliche Prozesse, klare Kommunikation und belastbare Planungen etablieren.

Professionelles Projektmanagement macht hier den entscheidenden Unterschied: Es bietet das Handwerkszeug, um kreative Energie in nachhaltige Ergebnisse zu übersetzen – und damit die Weichen für langfristigen Erfolg zu stellen.

Es ist verlockend, Projektmanagement „nebenbei“ mitlaufen zu lassen. Doch gerade in kritischen Wachstumsphasen zahlt es sich aus, gezielt in professionelles Projektmanagement zu investieren – sei es durch die Weiterbildung von Mitarbeitenden oder durch Einstellung erfahrener Projektfachleute.

Zertifizierte Fachkräfte bringen nicht nur Methodenwissen mit, sondern auch die Fähigkeit, Strukturen aufzubauen, Prozesse zu etablieren und Teams effektiv zu steuern. So können sich Gründer*innen stärker auf Vision und Strategie konzentrieren, während das Projektmanagement sicherstellt, dass Ideen effizient umgesetzt werden.

Auf lange Sicht steigert dies nicht nur die Erfolgswahrscheinlichkeit einzelner Projekte, sondern die Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Unternehmens.

Bild Foto von Pixabay

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

Wie Künstliche Intelligenz die Suche nach öffentlichen Ausschreibungen neu definiert?

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Vergabepilot.AI – KI für öffentliche Ausschreibungen Bildcredits Ciconia Systems GmbH

Vergabepilot.AI nutzt Künstliche Intelligenz, um öffentliche Ausschreibungen effizienter zu finden und zu bewerten. Das Startup macht komplexe Vergabeprozesse einfacher und transparenter.

Können Sie uns Vergabepilot.AI kurz vorstellen und erzählen, wer die Gründer und Köpfe hinter dem Startup sind?

„Vergabepilot.AI ist eine KI-gestützte Plattform, die täglich tausende neue öffentliche Ausschreibungen aus über 100 Vergabeportalen zentral zugänglich macht. Früher musste man sich durch Dutzende Portale klicken – heute reicht ein Suchprofil, und unsere KI findet automatisch die passenden Ausschreibungen und bewertet sie nach Relevanz.

Gegründet wurde Vergabepilot.AI von Daniel Holderbaum, Prof. Dr. Christian Bartelt und mir. Daniel verantwortet die technische Architektur und Infrastruktur, Christian bringt seine wissenschaftliche Erfahrung aus dem Bereich Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen ein, und ich kümmere mich um Produktstrategie, Marketing und Vertrieb.

Wir entwickeln die Plattform komplett inhouse – von der Datenverarbeitung bis zu den KI-Modellen für die semantische Suche. Unser Ziel ist es, dass Unternehmen – egal ob Startup oder Konzern – nicht mehr nach Ausschreibungen suchen müssen, sondern automatisch gefunden und bewertet werden.“

Welche Vision verfolgt Vergabepilot.AI mit seiner Plattform und wie möchten Sie diese langfristig umsetzen?

„Unsere Vision ist das ‚Ende der endlosen Ausschreibungssuche‘. Ich stelle mir vor, wie Unternehmer morgens zum Kaffee nur noch die wirklich relevanten Ausschreibungen sehen – automatisch gefiltert, bewertet und mit Handlungsempfehlungen versehen.

Heute fokussieren wir uns auf die KI-gestützte Recherche und Bewertung öffentlicher Ausschreibungen. Langfristig wollen wir aber den gesamten Prozess intelligent unterstützen – von der Suche über die Analyse und Angebotsvorbereitung bis hin zur Erfolgsauswertung.

Unser Ziel ist, dass KI im Vergabewesen selbstverständlich wird: Unternehmen sollen ihre Energie auf das Gewinnen von Aufträgen richten können, während Vergabepilot.AI den Rest übernimmt.“

Welche Zielgruppen profitieren am meisten von Ihrer Lösung und wie stellen Sie sicher, dass deren Bedürfnisse optimal erfüllt werden?

„Besonders profitieren Unternehmen, die mit begrenzten Ressourcen arbeiten – das können kleine Handwerksbetriebe sein, aber auch mittelständische IT-Dienstleister oder Beratungsunternehmen. Allen gemeinsam ist: Sie haben nicht die Kapazitäten für eine eigene Vergabestellen-Abteilung.

Wir haben die Plattform bewusst so gestaltet, dass auch Teams ohne Vergabe-Expertise effizient arbeiten können. Funktionen wie automatische Priorisierung, intelligente Dokumentenzusammenfassungen und Teamfeatures sorgen dafür, dass unterschiedlichste Unternehmenstypen optimal unterstützt werden – vom Ein-Mann-Betrieb bis zum mittelständischen Unternehmen mit mehreren Abteilungen.“

Öffentliche Ausschreibungen gelten oft als bürokratisch und komplex. Wie erleichtern Sie diesen Prozess für Ihre Nutzer?

„Das Problem ist real: Ein 200-Seiten-Dokument voller Juristendeutsch kostet Unternehmer normalerweise Tage, nur um die Grundfragen zu klären – kann ich das überhaupt, bis wann, was wird genau gesucht?

Wir reduzieren diese Komplexität durch KI und Automatisierung. Nutzer erhalten eine semantische KI-Suche, die Dokumente versteht statt nur Schlagworte zu zählen. Ausschreibungsunterlagen werden automatisch zusammengefasst, Fristen hervorgehoben und Ausschlusskriterien markiert.

Es ist wie ein persönlicher Assistent, der die Übersetzungsarbeit macht: Aus ‚Der Auftragnehmer hat gemäß § 123 Abs. 4…‘ wird einfach ‚Sie benötigen eine Bürgschaft über 10.000 Euro.'“

Was unterscheidet Ihre semantische KI-Suche von klassischen, stichwortbasierten Ansätzen?

„Klassische Suchmaschinen funktionieren wie ein sehr pedantischer Bibliothekar – sie finden nur exakt das Wort, das du eingibst. Unsere semantische Suche versteht hingegen den Kontext und die Bedeutung.

Ein praktisches Beispiel: Ein Gartenbauunternehmen würde bei einer klassischen Suche die Ausschreibung für ‚Vegetationsmanagement kommunaler Freiflächen‘ nie finden, wenn es nach ‚Grünflächenpflege‘ sucht. Unsere KI erkennt diese inhaltliche Verbindung.

Zusätzlich bewertet sie jede Ausschreibung mit einem Relevanzscore von 0-100%, sodass Nutzer sofort erkennen, welche Ausschreibungen wirklich zu ihrem Unternehmen passen. Das spart Zeit und verhindert, dass wichtige Chancen übersehen werden.“

Welche Herausforderungen sind Ihnen beim Aufbau der Plattform bisher begegnet und wie haben Sie diese gemeistert?

„Die größte Herausforderung war die heterogene Datenlandschaft. Stell dir vor, du willst alle deutschen Regionalzeitungen lesen, aber jede hat ein völlig anderes Format und eine andere ‚Sprache‘. Genau so verhält es sich mit den 100+ Vergabeportalen in Deutschland.

Wir haben viel Entwicklungsarbeit investiert, um diese unterschiedlichen Datenstrukturen in einem einheitlichen, nutzerfreundlichen Format darzustellen. Der Durchbruch kam, als wir aufhörten, sofort perfekt sein zu wollen, und stattdessen iterativ vorgingen.

Gleichzeitig war Vertrauen ein zentrales Thema. Deutsche Unternehmen sind zu Recht vorsichtig mit ihren Daten. Das haben wir durch konsequente Transparenz und strenge DSGVO-Konformität von Anfang an angegangen.“

Wie wichtig ist Ihnen der Aspekt Datenschutz und Transparenz im Hinblick auf die Arbeit mit sensiblen Ausschreibungsdaten?

„Vergabepilot.AI ist bewusst ‚Made in Germany‘ – Hosting und Datenverarbeitung erfolgen ausschließlich in Deutschland. Wir arbeiten strikt DSGVO-konform, erfüllen die Anforderungen der EU-KI-Verordnung und werden als System mit minimalem Risiko eingestuft.

Trotzdem nehmen wir Datenschutz nicht auf die leichte Schulter. Wir achten genau darauf, welche KI welche Informationen erhält – und in der Regel arbeiten unsere Modelle nur mit anonymisierten und zeitlich begrenzt gespeicherten Daten, die nach der Verarbeitung wieder gelöscht werden.

Transparenz bedeutet für uns auch: Wenn ein Kunde fragt ‚Wie funktioniert eure KI?‘, erklären wir das offen und verständlich. Vertrauen entsteht durch nachvollziehbare Prozesse, nicht durch Blackboxen.“

Welche Rolle spielt der Q&A-Assistent bei der praktischen Nutzung Ihrer Plattform?

„Der KI-basierte Q&A-Assistent ist wie ein sehr kompetenter Kollege, der bereits alle Vergabedokumente durchgearbeitet hat. Statt hunderte Seiten zu durchsuchen, können Nutzer konkrete Fragen stellen – zu Fristen, Anforderungen oder Ausschlusskriterien – und erhalten direkt verständliche Antworten.

Wichtig ist: Er ersetzt nicht die menschliche Einschätzung, sondern bereitet die Entscheidungsgrundlage optimal auf.“

Welche Weiterentwicklungen oder neuen Funktionen dürfen die Nutzer in den kommenden Jahren erwarten?

“Kurzfristig konzentrieren wir uns auf branchenspezifische Funktionen und neue KI-Module, die die Analyse und Bewertung gefundener Ausschreibungen deutlich beschleunigen. Ziel ist, dass Nutzer in wenigen Sekunden erkennen, welche Ausschreibungen wirklich relevant sind.

Langfristig wollen wir Vergabepilot.AI über Deutschland hinaus in der gesamten DACH-Region und später europaweit etablieren. Zudem arbeiten wir darauf hin, Unternehmen auch bei der Angebotserstellung mit KI-gestützten Assistenten zu unterstützen – vom Finden bis zum Gewinnen des Auftrags.”

Wenn Sie auf Ihre bisherige Reise zurückblicken. Was war für Sie der entscheidende Moment, der Vergabepilot.AI geprägt hat?

„Es gab mehrere prägende Momente, aber einer sticht besonders heraus: Als wir die ersten Rückmeldungen von Nutzern bekamen, die dank Vergabepilot. AI Ausschreibungen gefunden hatten, die sie sonst komplett übersehen hätten.

In dem Moment wurde uns klar: Wir lösen hier nicht nur ein technisches Problem, sondern schaffen echten Mehrwert für Unternehmen. Aus ‚wir haben eine interessante Idee‘ wurde ‚wir haben eine echte Mission‘. Das hat unsere gesamte Herangehensweise verändert – weg von der reinen Technik-Fokussierung, hin zum konkreten Nutzen für unsere Kunden.“

Welche Erfahrungen aus Ihrer Gründungsphase würden Sie anderen Unternehmerinnen und Unternehmern weitergeben?

„Man sollte sich nicht von der Komplexität eines Marktes abschrecken lassen. Öffentliche Vergaben sind traditionell sehr bürokratisch und fragmentiert – aber genau darin lag unsere Chance. Während andere sagten ‚das ist zu kompliziert‘, haben wir gesagt ‚hier gibt es am meisten zu verbessern‘.

Wichtig ist es, nah am Nutzer zu bleiben und Feedback konsequent umzusetzen. Wir haben in den ersten Monaten unzählige Gespräche mit Unternehmern geführt – diese direkten Einblicke waren Gold wert.

Und: Entwickelt frühzeitig ein klares Geschäftsmodell. Wir wussten von Anfang an, dass wir nicht nur eine tolle Technologie bauen, sondern ein nachhaltiges, profitables Unternehmen aufbauen wollen.“

Welche drei konkreten Ratschläge haben Sie für Gründer, die ebenfalls mit KI-Lösungen in den Markt starten möchten?

Erstens: Bleibt pragmatisch – KI ist kein Selbstzweck. Der Fokus sollte immer auf der Lösung eines echten Problems liegen, nicht auf der coolsten Technologie. Manchmal ist die einfachere Lösung die bessere.

Zweitens: Baut Transparenz und Vertrauen auf – gerade bei KI sind Datenschutz, Erklärbarkeit und Fairness entscheidend. Deutsche Kunden sind zu Recht skeptisch, aber diese Skepsis wird zur Stärke, wenn man sie ernst nimmt und adressiert.

Drittens: Entwickelt iterativ – statt alles perfekt zu planen, lieber schnell starten, echtes Nutzerfeedback einholen und das Produkt kontinuierlich verbessern. Perfekt ist oft der Feind von gut und marktfähig.“

Teambild Bildcredits @ Ciconia Systems GmbH

Wir bedanken uns bei Marko Jeftic für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder


Premium Start-up: Vergabepilot.AI

Vergabepilot.AI logo

Kontakt:

Ciconia Systems GmbH
Friedrichstraße 13
D-70174 Stuttgart

www.vergabepilot.ai

Ansprechpartner: Marko Jeftic

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Solange es sich lohnt, diskriminierende Strukturen aufrechtzuerhalten, wird sich an ihnen wenig ändern

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Waslat Hasrat-Nazimi über Politik, Gesellschaft und Verantwortung. Waslat Hasrat-Nazimi Journalistin, Autorin und Moderatorin Head of Afghan, Service Deutsche Welle © Julia Sellmann Photography

Waslat Hasrat-Nazimi ist Journalistin, Autorin und Mutter. In ihrem Buch “Rausländer  – Unsere Koffer sind gepackt” beschreibt sie, wie viele Menschen mit internationaler Familiengeschichte sich in Deutschland nicht mehr willkommen fühlen. Mit herCAREER-Redakteurin Kristina Appel hat sie über das Einwanderungsland Deutschland, dessen selektives Demokratieverständnis und über Visionen für ein neues deutsches Selbstverständnis gesprochen.

„Von der Politik wünsche ich mir eine Vision, die mir die Vorteile einer Veränderung näherbringt. Eine Vision, die zeigt, wie wir zu einer guten, großen, vielfältigen Gesellschaft zusammenwachsen können, in der alle gleichberechtigt sind.”

herCAREER: Der Ausgangspunkt deines Buchs ist die letzte Bundestagswahl. Was war an dieser anders als an der vorherigen?

Waslat Hasrat-Nazimi: Einerseits war es für mich beeindruckend zu sehen, dass die Erfolge der A*D so real geworden sind und sich längst nicht mehr „da im Osten“ verorten lassen. Andererseits habe ich eine Diskrepanz erlebt: Während migrantische Menschen wie ich diese Wahl mit großer Sorge und Unsicherheit verbunden haben, war das für viele nicht-migrantische Menschen deutlich weniger spürbar.

herCAREER: Worin zeigt sich diese Diskrepanz?

Viele Menschen negieren oder verharmlosen den Rassismus in Deutschland weiterhin. Das erlebe ich ständig. Gleichzeitig bleiben die Sorgen, Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit bei migrantischen und migrantisch gelesenen Menschen häufig ungehört.

herCAREER: Welche Gefühle haben die Menschen beschrieben, mit denen du für dein Buch gesprochen hast?

Waslat Hasrat-Nazimi: In einer großen Gruppe von migrantischen Menschen erlebe ich das Gefühl der Enttäuschung und ein Abwenden von der deutschen Gesellschaft. Sie haben das Gefühl, hier eh nicht willkommen zu sein und das auch nie zu werden. Deswegen fühlt es sich für sie egal an, wie sehr sie sich integrieren und anstrengen, denn es bringt ja doch nichts.

herCAREER: Was folgt auf diese Resignation?

Sie verstärkt die ohnehin schon existierenden Gräben zwischen der weißen Mehrheitsgesellschaft und der Bevölkerung mit internationaler Familiengeschichte. Diese Spaltung verursacht Unmut – und der öffnet Tore für alle Formen von Radikalismus.

herCAREER: Beschreibst du Deutschland darum als demografisches Pulverfass?

Ja. Ich kann diese Gefühle nachvollziehen. Die Leute haben das Gefühl, dass sich Deutschland und seine Bevölkerung verändern. Es ist nur menschlich, verunsichert zu sein. Aber ich mache die Politik dafür verantwortlich, dass sie den demografischen Wandel instrumentalisiert, um von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken. Von der Politik wünsche ich mir eine Vision, die mir die Vorteile einer Veränderung näherbringt. Eine Vision, die zeigt, wie wir zu einer guten, großen, vielfältigen Gesellschaft zusammenwachsen können, in der alle gleichberechtigt sind. Aber das passiert nicht. Im Gegenteil: Die Unsicherheit wird für eine populistische Agenda ausgenutzt. Es gibt keine Vision für Deutschland, außer: „Wir wollen wieder zurück zu dem, was war“. Aber das ist überhaupt nicht realistisch.

herCAREER: Und nicht wahr. Die deutsche Wirtschaft hat sich schon immer auf Arbeitskräfte aus anderen Ländern gestützt.

Waslat Hasrat-Nazimi: Ja. Wir haben eine stagnierende Wirtschaft, den Klimawandel und wissen nicht, wie es mit Russland und der Ukraine weitergehen wird. Aber die Politik konzentriert sich nur auf das Narrativ der kriminellen, gewalttätigen Ausländer, die abgeschoben werden sollen. Unsere wahren Probleme – die vor allem sozialer Natur sind – werden jedoch nicht anerkannt und nicht angegangen.

herCAREER: Auf welche konkreten sozialen Probleme beziehst du dich?

Beispielsweise auf die lückenhafte Infrastruktur, die Wohnungsnot oder die Tatsache, dass viele arbeitende Menschen am Ende des Monats nicht genug Geld haben, um Essen zu kaufen. Oder dass es bei uns Kinderarmut gibt, obwohl wir zu den reichsten Ländern der Welt gehören, ist ein massives Problem.

herCAREER: Warum halten sich diese Narrative so hartnäckig? Fehlt es uns an Selbstreflexion?

Ich glaube, dass dies sehr bewusst geschieht und dass auch eine gewisse Arroganz mitschwingt. Nach dem Motto: „Wir brauchen gar keine Fachkräfte von außen. Wir sind schließlich Deutschland. Wenn wir mehr in Wirtschaft und Wissenschaft investieren und alle mehr arbeiten, wird das schon.“ Was das jedoch auch bedeuten würde, ist, dass Männer wieder länger arbeiten und Frauen ihre Rechte und ihre Freiheit einbüßen müssten, um die unbezahlte Carearbeit für Familienangehörige komplett zu übernehmen. Den Menschen wird suggeriert, wir könnten dieses Land auch ohne Zuwanderung wieder auf Vordermann bringen, was aber nicht realistisch ist. Und wenn überhaupt, dann, wie gesagt, mit großem Verlust für Frauen, queere und Menschen mit internationaler Familiengeschichte. Diese populistischen, rechtskonservativen Narrative sehen wir überall in Europa und Amerika.

herCAREER: Hast du das Gefühl, dass Politiker:innen derzeit nach Amerika blicken und sich sagen: „Lass uns mal sehen, wie weit wir mit unserer Agenda gehen können?”

Absolut.

herCAREER: Werden auch bei uns Menschen künftig Angst haben, von der Einwanderungsbehörde auf der Straße aufgegriffen zu werden?

Waslat Hasrat-Nazimi: Ich glaube nicht, dass es so schnell passieren könnte wie in den Vereinigten Staaten. Aber ich beobachte auch, dass CDU und CSU sich seit einigen Jahren stark von den USA anstecken lassen. So ist die CSU mit drei Politiker:innen in die USA gereist, um einen queerfeindlichen republikanischen Gouverneur zu besuchen. Teile der CDU wiederum empfangen eine Delegation der Heritage Foundation, die das “Project 2025” entworfen hat. Das muss man beobachten.

herCAREER: Statistisch hat rechtsextreme Gewalt in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht und die Diskriminierung von Menschen, die als Migrant:innen gelesen werden, steigt. Wie brechen wir diese Bewegung, in der ein rechtsextremes Mindset plötzlich gesellschaftsfähig ist? Wo setzen wir an? Bei der Bildung?

Mit Bildung allein erreichen wir da wenig, glaube ich. Denn ich erlebe oft sehr gebildete Menschen mit starkem rechtem Gedankengut. Ich glaube, Veränderung entsteht durch die Verbindung von Bildung und Begegnung. Und das ist ein Problem für sich, denn Deutschland ist ein sehr klassistisch geprägtes Land. Das beginnt schon in der Bildung, die ja genau diesem Klassismus unterworfen ist und immer noch ein Zwei-Klassen-System unterstützt. Solange es sich lohnt, exklusive Kreise und diskriminierende Strukturen aufrechtzuerhalten, wird sich daran wenig ändern.

herCAREER: Hast du eine Idee?

Solange es sich lohnt, dieses Gedankengut zu haben, werden wir es sicher nicht schaffen. Warum sollte man das Privileg aufgeben, in einem Netzwerk zu leben, in dem einem Jobs zugeschoben werden und sich Türen von selbst öffnen? Für mich sind nicht die rechten oder rechtsextremen jungen Männer im Osten das große Problem, sondern diese elitären Kreise, die ein ausgrenzendes Gedankengut immer weiter befeuern und am Leben erhalten.

herCAREER: Du beschreibst, dass wir zwar theoretisch in einem demokratischen Land leben, ein demokratisches Zusammenleben aber praktisch nicht möglich ist, weil so vielen Menschen die Zugänge versperrt werden. Wie sähe eine inklusive, wehrhafte Demokratie in deinen Augen aus?

Waslat Hasrat-Nazimi: Eine wehrhafte Demokratie müsste diese Tradition der verschlossenen Zugänge aushebeln können. Unser Bildungssystem hätte schon vor 50 Jahren reformiert werden müssen – wir stehen so schlecht da im internationalen Vergleich! Ich finde es schockierend, was in Deutschland alles einfach so hingenommen wird.

herCAREER: Zum Beispiel?

Dazu gehört ein klassistisches Schulsystem, aber auch die wachsende (digitale) Gewalt gegen Politiker:innen. Oder dass eine Maskenaffäre unter den Teppich gekehrt wird. Dass der deutsche Kolonialismus und der Nationalsozialismus nie ordentlich aufgearbeitet wurden. Wir lehren Geschichte, aber wir ziehen offensichtlich keine Konsequenzen daraus. Dasselbe mit der Pandemie – wann reflektieren wir, was das mit uns als Land gemacht hat?

herCAREER: Deutschland sitzt die Dinge also aus. Du deutest im Buch darauf hin, dass sich auch die Gesetzgebung nur langsam an das Zeitgeschehen anpasst. Es gibt beispielsweise keine Regeln, wenn Journalist:innen wie Dunja Hayali von einer rechtsradikalen Kampagne mit Gewaltandrohungen überhäuft werden.

Waslat Hasrat-Nazimi: Gesetzgebung ist das eine. Das andere ist, dass wir es so weit haben kommen lassen, dass rechte Akteur:innen wissen, dass ihre Methoden erfolgreich sind. Denn selbst wenn es von außen so aussieht, stellen sich Medienhäuser nicht immer hinter ihre Mitarbeitenden. Gerade jetzt, wo sich viele Unternehmen von Diversity-Initiativen abwenden und dem Druck aus den Vereinigten Staaten nachgeben, ist es wichtig, dass Unternehmen Haltung zeigen und klar Stellung für Vielfalt und Demokratie beziehen.

herCAREER: Wir haben jetzt über politische und institutionelle Aspekte gesprochen. Was können Leser:innen tun, um Menschen mit migrantischer Geschichte zu unterstützen und Rechtsextremismus entgegenzutreten?

Es gibt so viel mehr, was man tun kann, als zu demonstrieren. Es ist wichtig, im Alltag aufzustehen, wenn man Ungerechtigkeit und Rassismus miterlebt. Noch immer haben viele Menschen Angst und mischen sich nicht ein. Man kann sich für verschiedene Organisationen engagieren oder Abgeordnete anschreiben und sie bitten, sich für antirassistische und antidiskriminierende Maßnahmen einzusetzen. Und das Allerwichtigste ist natürlich, wählen zu gehen. Wir müssen uns bewusst sein, was alles auf dem Spiel steht. Und das nicht nur für Menschen mit Migrationsgeschichte, sondern für alle.

herCAREER: Eine der Visionen in dem Buch ist ein Demokratiefördergesetz. Was würde das beinhalten?

Es gibt tolle Organisationen, die wichtige Arbeit leisten, aber chronisch unterfinanziert sind. Ein Demokratiefördergesetz würde entsprechende Budgets mit sich bringen. Außerdem: Viele der aktuellen Programme haben Laufzeiten von ein oder zwei Jahren – ein Gesetz könnte zu langfristigeren Projekten und nachhaltigen Synergien führen. Für eine wehrhafte Demokratie müssen wir präventiv gegen jegliche Art von (neuer) Radikalisierung vorgehen. Das bedeutet politische Bildung für alle, systematische Medienaufklärungsarbeit und gezielte Deradikalisierung – und zwar bei islamistischer und rechter Radikalisierung gleichermaßen.

herCAREER: Zusammenfassend: Ist die Aussage „Unsere Koffer sind gepackt“ ein Ausblick oder ein Anzeichen von Resignation?

Für mich ist es eine Warnung. Menschen verlassen Deutschland, andere erwägen, nicht mehr herzukommen. Ob die Koffer metaphorisch gepackt sind oder real im Hausflur stehen – das Gefühl ist echt. Und die Konsequenzen wären fatal: für die Gesellschaft, die Demokratie und die Wirtschaft. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was es für unsere Gesellschaft bedeuten würde, wenn migrantische oder queere Menschen wirklich gehen müssten.

herCAREER: Wir uns auch nicht.

Das Gespräch führte herCAREER Redakteurin Kristina Appel.

Bild: Waslat Hasrat-Nazimi Journalistin, Autorin und Moderatorin Head of Afghan, Service Deutsche Welle © Julia Sellmann Photography

Waslat Hasrat-Nazimi wird am Donnerstag, den 9. Oktober auf der herCAREER Expo 2025 mit Kristina Appel an dieses Interview anschließen und über die Vision einer demokratischen, inklusiven Zukunft für Deutschland sprechen.

Quelle messe.rocks GmbH

Mit KI zu neuen Maßstäben im Marketing: Interaktive Customer Journeys neu gedacht

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involve.me: Plattform interaktive Customer Journeys Vlad Gozman @involve me

involve.me ist eine SaaS-Plattform für interaktive und personalisierte Customer Journeys

Können Sie uns einen Einblick geben, wie involve.me entstanden ist und wer die Köpfe hinter dem Unternehmen sind?

involve.me ist aus stereosense hervorgegangen, einem CMS für VR Applikationen, mit dem unter anderem für Universal Pictures interaktive Projekte umgesetzt wurden. Die Projekte waren spannend, aber wir merkten schnell: VR war noch ein Nischenmarkt, schwer skalierbar und für viele Kunden zu aufwendig. Gleichzeitig erkannten wir, wie groß der Bedarf an interaktiven, digitalen Erlebnissen im Marketing ist, nur eben ohne VR-Brille. Infolgedessen kam es zu einer 180-Grad-Wende: weg von 360 Grad VR-Projekten hin zu einem SaaS-Produkt, das Unternehmen weltweit nutzen können. 2019 wurde dann aus stereosense involve.me, mit dem Ziel, ein skalierbares Produkt zu bauen. Heute führen wir das Unternehmen mit einem schlanken Management-Team – ich als Co-Founder & CEO, mein Mitgründer und CTO Florian Burmann und ein Team, das sich auf Produktentwicklung, Marketing und Internationalisierung fokussiert.

Welche Vision verfolgt involve.me langfristig und wie möchten Sie diesen Schritt für Schritt realisieren?

Unsere Vision ist es, eine neue Generation von Software zu schaffen, die nicht nur Werkzeuge bereitstellt, sondern aktiv mitarbeitet. Wir nennen das „Service as a Software“. Konkret bedeutet das: Unsere Plattform soll eigenständig ganze Customer Journeys aus einem einzigen Prompt generieren, inklusive Web Interfaces mit personalisiertem Design & Brand Identity, sowie ganze Marketing-Workflows. Wir realisieren das Schritt für Schritt, indem wir KI tiefer in unser Produkt integrieren und unseren AI Agent befähigen, immer mehr Aufgaben selbstständig zu übernehmen.

Wie definieren Sie die Zielgruppe Ihrer Plattform und welche konkreten Bedürfnisse sprechen Sie damit an?

Wir wollen eine breite Kundenbasis bedienen, also von KMUs bis zu globalen Marken. Besonders stark wachsen wir in Branchen, in denen Personalisierung und Vertrauen entscheidend sind, bspw. bei Direct to Consumer Brands oder Demand Generation Agenturen. Unsere Zielgruppe sind Marketing-Manager:innen, Agenturen sowie Unternehmen aus Publishing, Consumer Goods, Hospitality und Software.
Das zentrale Bedürfnis unserer Kunden ist es, digitale Erlebnisse zu schaffen, die nicht nur Aufmerksamkeit erzeugen, sondern nachhaltig Vertrauen aufbauen und zu messbaren Ergebnissen führen. Besonders wichtig ist dabei, aus anonymen Website-Besuchern qualifizierte Leads zu machen und diese im weiteren Verlauf effizient zu konvertieren. Gleichzeitig suchen sie nach Lösungen, die einfach integrierbar, skalierbar und flexibel einsetzbar sind – unabhängig davon, um welchen Schritt es in dem Funnel geht. Dabei erwarten sie Tools, die sowohl eine hohe Benutzerfreundlichkeit bieten als auch datengetriebene Optimierungen ermöglichen.

Inwiefern unterscheidet sich involve.me von klassischen Formular- oder Landingpage-Tools?

Wir sind die erste Plattform in unserem Segment, die einen integrierten AI Agent bietet. Statt nur Werkzeuge bereitzustellen, unterstützt involve.me aktiv beim Aufbau kompletter Funnels. Unsere Kunden schätzen die Personalisierungsmöglichkeiten, die nahtlose Integration in bestehende Systeme sowie Features wie dynamische Preisrechner. Anders als klassische Tools möchten wir keine simplen Quiz-Formate bieten, sondern hochprofessionelle, auf Conversion ausgerichtete Customer Journeys.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz in Ihren Produkten und wie verändert sie die Arbeit mit Funnels und Umfragen?

KI steht im Zentrum unseres Produkts. Unser Agent kann heute schon komplette Multi-Step-Funnels aus einfachen Prompts generieren. Er schlägt Inhalte, Designs und Workflows vor, die auf Best Practices basieren. Damit reduzieren wir Komplexität und ermöglichen es Marketing-Teams, schneller, datengetriebener und effizienter zu arbeiten. Langfristig wird der AI Agent Aufgaben eigenständig übernehmen und Funnels nicht nur bauen, sondern auch optimieren.

Gab es Hürden oder besondere Herausforderungen in der Entwicklung von involve.me und wie sind Sie damit umgegangen?

Wie beim Aufbau jedes Startups mussten wir viele Herausfoderungen meistern. In der Frühphase brauchten wir „Builder“: Generalisten, die schnell aus dem Nichts etwas Nutzbares shippen. Mit wachsender Traktion brauchte es dann „Scaler“: Spezialisten für Growth, Data, AI und Security, klare Verantwortlichkeiten und Prozesse. Wir haben das Setup konsequent an die jeweilige Phase angepasst – inklusive der schwierigen Entscheidung, uns von Rollen zu trennen, die nicht mehr passten.

Bei Features sind wir vom „auch noch“ zum „nur noch“ gewechselt. Wir priorisieren strikt nach Wirkung auf Aktivierung, Time-to-Value und Retention, testen klein, setzen klare Kill-Dates und sagen bewusst Nein. Viele Ideen sterben früh, damit wenige den Unterschied machen.

Beim Produkt-Market-Fit sind wir vom „Baukasten für alles“ zu einem klaren Nutzenversprechen geschwenkt: AI-unterstützte, interaktive Funnels und Website-Widgets für SMBs und Agenturen, die Leads qualifizieren und Conversions steigern. Wir haben unseren ICP geschärft, regelmäßig mit Power-Usern und Churnern gesprochen und Pricing/Packaging getestet – alles, was keinen direkten Kundennutzen stiftet, kam von der Roadmap.

Wie wichtig ist Personalisierung für Ihre Kunden und welche Lösungen bietet Ihre Plattform dabei an?

Personalisierung ist einer der größten Erfolgsfaktoren für unsere Kunden. Mit involve.me können Unternehmen Inhalte und Ergebnisse dynamisch. Le Creuset und Nectar zum Beispiel haben unseren interaktive Produktfinder in ihren Seiten integriert.

Welche Integrationen oder Partnerschaften sind für Sie besonders entscheidend, um Ihren Nutzern echten Mehrwert zu bieten?

Wir bieten über 60 native Integrationen, darunter CRM-, Marketing- und Sales-Tools. Diese nahtlose Anbindung sorgt dafür, dass involve.me nicht als isolierte Lösung genutzt wird, sondern Teil der bestehenden Workflows unserer Kunden ist. Genau diese Tiefe macht den Mehrwert aus.

Wo sehen Sie die größten Wachstumschancen für involve.me in den kommenden Jahren?

Wir wollen unsere starke Position in den USA weiter ausbauen. Dort haben wir bereits über 50 % unserer Kunden. Parallel dazu wollen wir unsere Präsenz in DACH und UK stärken und gezielt Branchen wie DTC und Agenturen erobern. In diesen Märkten ist die Nachfrage nach sicheren, personalisierten Lösungen besonders hoch.

Welche Funktionen oder Weiterentwicklungen dürfen wir in naher Zukunft erwarten?

2026 wird unser AI Agent in der Lage sein, komplette Customer Journeys aus einem einzigen Prompt zu generieren – also nicht nur Design und Inhalte, sondern auch Workflows und Messaging Sequenzen für Marketing und Sales zu automatisieren. Das bringt uns einen großen Schritt näher an unsere Vision „Service as a Software“.

Was würden Sie Gründerinnen und Gründern raten, die ebenfalls ein SaaS-Startup aufbauen möchten?

Kurzgefasst: Resilienz schlägt alles. Ihr Job ist, über lange Zeit konsequent weiterzumachen – durch Fehlschläge, Pivots und zähe Wochen. Gleichzeitig gab es nie eine bessere Zeit zum Gründen: Open-Source, günstige Infrastruktur und massenhaft frei zugängliches Know-how beschleunigen jeden Schritt.

Welche drei Lektionen aus Ihrer bisherigen Reise würden Sie anderen Unternehmern unbedingt mitgeben?

Am Anfang zählt die Nische. Es braucht ein klar definiertes Idealprofil von Kunden, einen spürbaren Pain Point und einen funktionierenden Akquisekanal. Mit 50 bis 100 perfekt passenden Kunden lässt sich Wirkung und Retention belegen, bevor man überhaupt an Expansion denkt.

Die ersten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind fast so entscheidend wie die Mitgründer. Es lohnt sich, für Lernkurve und Ownership einzustellen, nicht für Lebensläufe. Kulturfit sollte getestet, ein Probeprojekt durchgeführt und Fehlbesetzungen möglichst früh korrigiert werden.

Finanzierung sollte so lange wie möglich durch Bootstrapping erfolgen – zumindest bis zum Product-Market-Fit. Das zwingt zu Klarheit: Der Markt validiert, nicht Investoren. Umsatz finanziert die nächsten Iterationen. Kapital kommt erst nach PMF ins Spiel, um das Geschäft hochzuskalieren, nicht um Product-Market-Fit künstlich zu erzwingen. Die wichtigsten Leitmetriken sind dabei Kohorten-Retention, Time-to-Value und die Conversion zu zahlenden Kunden.

Bildcredits @ involve.me

Wir bedanken uns bei Vlad Gozman für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Warum präventive Gesundheit das nächste große Geschäftsmodell ist

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Prävention verändert Gesundheit und Markt der Zukunft niko hems autor

Prevention-as-a-Service: Ein Markt, der Gesundheit neu denkt – und Skalierungspotenzial hat

Die Gesundheitsbranche steht vor einer fundamentalen Neuausrichtung. Jahrzehntelang basierte das System auf einem simplen Prinzip: Menschen werden krank – und dann wird behandelt. Therapie, Medikamente, Operationen. Je später die Intervention, desto teurer. Und desto profitabler.
Doch diese Logik gerät ins Wanken.
Statt Krankheit zu behandeln, entsteht ein Markt, der versucht, sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Prävention – nicht als idealistisches Ziel, sondern als skalierbares Geschäftsmodell. Möglich wird das durch neue Technologien, ein verändertes Gesundheitsbewusstsein und wachsenden gesellschaftlichen Druck.
Willkommen in der Ära von Prevention-as-a-Service.

Die Wirtschaftlichkeit der Gesundheit

Es klingt paradox: Prävention war jahrzehntelang der blinde Fleck der Medizin – ausgerechnet, weil sie zu günstig war. Es gab wenig Anreize, Menschen gesund zu halten, wenn das System mit Krankheit sein Geld verdient.
Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet:
Chronische Erkrankungen kosten Europa jährlich über 700 Milliarden Euro.
In Deutschland entfallen rund 80 % der Gesundheitsausgaben auf Krankheiten, die in vielen Fällen vermeidbar wären.
Laut WHO ließen sich über 60 % aller vorzeitigen Todesfälle durch bessere Prävention verhindern.
Was lange als moralisches Argument galt, wird jetzt zur wirtschaftlichen Notwendigkeit. Jeder Euro, der in Prävention fließt, kann ein Vielfaches an Folgekosten sparen – für Versicherungen, Unternehmen, ganze Volkswirtschaften.

Drei Entwicklungen, die den Präventionsmarkt skalierbar machen

Tech meets Health:
Wearables, Bluttests, Mikrobiomanalysen, AI-Health-Coaches – noch nie war es so einfach, Gesundheitsdaten in Echtzeit zu erfassen und zu interpretieren. Prävention wird messbar, personalisierbar und dadurch: verkaufbar.
Kultureller Wandel:
Die Menschen – vor allem die Altersgruppe 25–45 – wollen mehr als „nicht krank“ sein. Sie wollen Energie, Vitalität, Klarheit, Resilienz. Gesundheit wird zum neuen Statussymbol – und zum persönlichen Projekt.
Neue Geschäftsmodelle:
Plattformen wie Function Health, Superpower, InsideTracker oder Lucis zeigen, wie Prävention als Service funktioniert: Blutwerte → Analyse → maßgeschneidertes Programm → laufende Begleitung. Keine App mehr, sondern ein System. Dennoch ist auch hier noch luft nach oben.

USA als Blaupause: Was schon funktioniert

Während in Europa noch diskutiert wird, entstehen in den USA längst Unternehmen, die Gesundheit neu denken – und dabei klassische Branchengrenzen sprengen:
Fountain Life: Vollständige Präventionsdiagnostik mit modernster Bildgebung, Blutanalytik und AI-Auswertung – in einem Mitgliedsmodell wie beim Fitnessstudio. (Hier scheint Europa jedoch auch schon nachzuziehen mit Start-ups wie YEARS oder Ayun)
Monarch Athletic Club: Interdisziplinäre Betreuung durch Ärzte, Coaches, Ernährungsberater – mit einem Fokus auf Lebensstil, Prävention und Performance.
Equinox x Function Health: Die Fitnesskette kombiniert Sport mit Laboranalytik – und schafft so ein „Longevity Light“-Angebot für die breite Masse.
Der Markt für „Consumer Preventive Health“ wächst laut CB Insights jährlich im zweistelligen Bereich. In den USA investieren Venture Capital Fonds bereits Milliarden in Präventionsplattformen. Und auch Versicherungen beginnen, ihre Modelle umzustrukturieren – weil Prävention langfristig günstiger ist als Reparatur.

Warum Europa trotzdem einen Vorteil hat

Trotz regulatorischer Hürden, Datenschutzbedenken und träger Systeme bietet Europa eine große Chance: Das Vertrauen der Bevölkerung in medizinische Evidenz und strukturierte Versorgung.
Start-ups, die Prävention in wissenschaftlich fundierte, skalierbare und nutzerfreundliche Modelle gießen, treffen hier auf eine anspruchsvolle, aber bereite Zielgruppe. Das kann funktionieren – wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
Systemdesign statt Einzeltool:
Kein weiteres Wearable. Sondern ein ganzheitlicher Prozess, der Diagnostik, Verhaltensänderung und Support verknüpft.
Vertrauen durch medizinische Qualität:
Keine Wellnessversprechen, sondern echte ärztliche Begleitung, hochwertige Labordaten, evidenzbasierte Empfehlungen.
Erreichbarkeit statt Elitenprojekt:
Prävention darf kein Luxusgut bleiben. Der eigentliche Business Case liegt nicht nur in exklusiven High-End-Check-ups für 10.000 € – sondern in skalierbaren Angeboten, die auch mit 30 € im Monat Wirkung zeigen. Ob das ein digitaler Gesundheitskurs ist, ein Basistest oder ein sinnvoller Einstieg ins regelmäßige Screening unter 2.000 €: Entscheidend ist, dass Prävention für viele zugänglich wird – nicht nur für wenige.

Prävention als Verantwortung – und als Markt

Wer heute ein Start-up im Gesundheitsbereich gründet, steht vor einer Entscheidung: Will ich Teil des Systems sein, das Menschen behandelt, wenn es zu spät ist? Oder will ich etwas bauen, das sie davor schützt?
Prevention-as-a-Service ist nicht nur wirtschaftlich sinnvoll – es ist ethisch sinnvoll. Und genau das macht es so stark: Es verbindet gesellschaftliche Wirkung mit unternehmerischer Skalierbarkeit.
Wenn wir Prävention messbar, bezahlbar und begehrenswert machen, entsteht ein neues Gesundheitsverständnis:
Weg von “Hoffentlich werde ich nicht krank” – hin zu “Ich arbeite aktiv an meinem Wohlbefinden”.
Das ist kein Trend.
Das ist die Zukunft.

Bild Niko Hems @Niko Hems

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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