Dienstag, Oktober 8, 2024
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Fortschritt ist besser als Perfektion

UrmO Mitgründer Sebastian Gouy im Interview: Die Insolvenz – ein echter Blick hinter die Kulissen

STELLEN SIE SICH UND DIE IDEE VON URMO DOCH KURZ UNSEREN LESERN VOR!

Ich bin Sebastian Gouy und habe zusammen mit meinen zwei Mitgründern Felix Ballendat und Jakob Karbaumer das Start-Up UrmO gegründet. Mit UrmO wollten wir einen E-Floater entwickeln, mit dem keine Rush-Hour mehr für Stress sorgt und komfortables „Reisen“ in der Stadt möglich ist – ohne Verzögerungen durch Stau und ohne lästige Parkplatz-Suche. 

WARUM HABEN SIE SICH ENTSCHIEDEN EIN UNTERNEHMEN ZU GRÜNDEN?

Schon immer wollte ich es etwas verändern und die Zukunft mitgestalten. Deshalb habe ich mich vor mittlerweile sechs Jahren entschieden meinen Job als festangestellter Unternehmensberater zu kündigen und selber zu gründen. 

Als Gründer ist man in seinen Entscheidungen frei und am Ende ist man für den Erfolg und Misserfolg nur selbst verantwortlich. Als Angestellter kann man nicht so viel Einfluss nehmen und nicht so frei entscheiden, da man häufig nur ein kleines Rädchen in einem großen Apparat ist. Das finde ich nicht so reizvoll. Ein Unternehmen zu gründen empfinde ich als große Verantwortung, die ich sehr gerne trage.

WELCHE VISION STECKTE HINTER URMO?

Die Vision war es, den Verkehr in den Städten der Zukunft weg vom Autoverkehr zu bringen und hin zu einer Kombination von verschiedenen Verkehrsmitteln für eine Strecke zu entwickeln. 

Der UrmO sollte das erste, wirklich handliche elektrische Kleinstfahrzeug für die letzte Meile in der Stadt werden – zusammenklappbar in ein aktenkoffergroßes Format dank eines intelligenten Klappmechanismus mit nur einem Handgriff. Somit konnte man den UrmO im Kofferraum des Autos transportieren und leicht mit in die U- und S-Bahn nehmen.

WER WAR DIE ZIELGRUPPE VON URMO?

Die Zielgruppe waren Menschen, die viel in der Stadt unterwegs sind und sich dabei aktuell hauptsächlich mit dem Auto fortbewegen aus den unterschiedlichsten Gründen: Komfort, Schnelligkeit oder Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel (ÖPNV). Der UrmO sollte für diese Zielgruppe eine sinnvolle Ergänzung zum Auto und eine bessere Anbindung an den ÖPNV bieten. 

VON DER IDEE BIS ZUM START UND ZUR INSOLVENZ – WAS WAREN DIE GRÖSSTEN HERAUSFORDERUNGEN UND WIE HABEN SIE SICH FINANZIERT?

Begonnen wurde die Entwicklung des UrmO von meinen beiden Mitgründern Felix und Jakob, die bereits während ihres Studiums an der Hochschule München die erste Idee dazu hatten.

Herausforderungen gab es in den letzten Jahren sehr viele. Einerseits war der UrmO technisch sehr komplex, da die Leichtigkeit nur erreicht werden konnte, wenn wir quasi alles selbst entwickeln.

Zum anderen war das Produkt und der Markt der elektrischen Kleinstfahrzeuge sehr neu. So mussten wir erstmal herausfinden, ob wir es für den UrmO eine Zielgruppe gibt. 

Deshalb haben wir als ersten, wirklich ernsthaften Markttest für den UrmO eine sehr erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter und Indiegogo gemacht. Hier haben wir den UrmO im Vorverkauf angeboten, um herauszufinden, ob es tatsächlich zahlende Kunden dafür gibt.

Finanziert haben wir uns anfangs sehr stark über Fördergelder, später auch durch die Crowdfunding-Kampagne und durch Investoren. 

Als Startup gibt es in Deutschland eine Vielfalt von Fördergeldern, die ich jedem Gründer ans Herz legen kann. Nach dem Abschluss der Kampagnen in 2018 haben wir die ersten zwei Investoren im Jahr 2019 an Bord geholt. Bevor das möglich wurde, haben wir natürlich lange diskutiert über die Chancen und Risiken des Geschäftsmodells. 

Viele Investoren sind entweder diesem neuen Markt sehr abweisend gegenübergestanden oder hatten die Befürchtung, dass der Markt bereits durch Sharing-Scooter-Anbieter übersättigt sei. Wir mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, dass wir in ein anderes Feld dieses Markts fallen.

WORAN IST URMO GESCHEITERT? 

Letztendlich ist UrmO hauptsächlich an zwei Themen gescheitert.

UrmO war ein sehr komplexes Produkt, das einen langen Entwicklungsvorlauf benötigt bis es auf den Markt kommen kann. Das bedeutet, dass viel Kapital investiert werden musste, bis das Fahrzeug Serien- und damit Marktreife erreicht.

Und dann kam auch Corona ins Spiel – das hat alles auf den Kopf gestellt. Aufgrund der Komplexität des Produkts war es in dieser Situation nicht möglich, das Unternehmen schnell an die neue Situation z.B. durch einen Pivot anzupassen.

WELCHEN EINFLUSS HATTE CORONA AUF DIE INSOLVENZ?

Das Jahr 2020 sollte der große, öffentlichkeitswirksame Durchbruch für UrmO werden. Wir haben hinter den Kulissen bereits sehr lange an der Fertigstellung des Serienprodukts, an einer Partnerschaft mit einem deutschen Automobilhersteller und an unserer Finanzierungsrunde gearbeitet. All das war für das Jahr 2020 geplant. Und dann kam Corona.

Zuerst hatten alle unsere Zulieferer, zuerst in China und später in Deutschland, mit Lieferverzögerungen zu kämpfen. Dadurch hat sich unser Zeitplan natürlich wöchentlich nach hinten verschoben. Dann ist die Finanzierungsrunde, bedingt durch den Lockdown und den daraus entstandenen Ausfall von einem der drei Investoren, geplatzt. Und schließlich wurde die Partnerschaft mit dem namenhaften deutschen Automobilhersteller auf Eis gelegt, da dieser sich auf das Kerngeschäft konzentrieren wollte. Somit war letztendlich unsere Geschäftsgrundlage für dieses Jahr komplett weggefallen. Kein Produkt, kein Großkunde und keine Finanzierung. Das war das Ende für UrmO.

WIE UND WANN HABEN SIE DIE ENTSCHEIDUNG ZUR INSOLVENZ-ANMELDUNG GETROFFEN UND WIE SIE UND IHR TEAM DAMIT UMGEGANGEN? 

Wir haben die Insolvenz am 25. Juni angemeldet, zufällig am selben Tag und im selben Amtsgericht wie Wirecard. Die finale Entscheidung haben wir bereits eine Woche zuvor getroffen, nachdem wir festgestellt haben, dass wir die Insolvenzkriterien erfüllen. In dieser Woche haben wir in Abstimmung mit unseren Investoren und dem Steuerberater sämtliche Unterlagen vorbereitet, um einen sauberen Ablauf zu ermöglichen. Unser Team, das wir die ganze Zeit sehr intensiv mit in die Gespräche eingebunden haben, und das so immer über den aktuellen Stand Bescheid wusste, hat sehr gefasst reagiert. Am Ende blieb dennoch ein wenig Wehmut, dass all die Anstrengungen den UrmO auf die Straße zu bringen, letztlich ohne Erfolg bleiben sollten. 

Obwohl es coronabedingt eine Aussetzung der Insolvenzanmeldungspflicht gab, haben wir uns direkt zu diesem Schritt entschlossen, um weiteren Schaden von unseren Gläubigern abzuwenden.

WO SEHEN SIE IN DER KRISE DIE CHANCE?

Diese Krise bietet eine Vielfalt an neuen Möglichkeiten. Dinge, die bisher als undenkbar galten z.B. Homeoffice, sind plötzlich Alltag und bringen damit neue Probleme mit sich, die eine Lösung suchen. Auch der Wegfall und Ersatz von persönlichen Beziehungen und Kontakten stellt uns vor neue Herausforderungen.

Wer es in dieser Zeit schafft sein Geschäftsmodell, um diese neue Lebensart zu entwickeln, wird als großer Gewinner aus der Krise hervorgehen. Damit liegt für Startups ein enormes Potenzial auf dem Weg.

WO GEHT DER WEG FÜR DICH NACH URMO HIN? GIBT ES EINE ZUKUNFT FÜR URMO? 

Für UrmO gibt es, so wie es im Moment aussieht, leider keine Zukunft mehr. Bis jetzt konnten wir noch keinen Investor finden, der Interesse an der Weiterführung der Entwicklung hat. Das ist für uns sehr schade, aber so ist es.

Für mich geht es weiter in der Startup-Welt. Unternehmer sein ist für mich kein Job, sondern eine Lebenseinstellung. Ich freue mich auf neue Herausforderungen mit einer neuen Idee und einem neuen Gründerteam. Die Freude am Gründen und am Startup-Leben habe ich in den letzten sechs Jahren nie verloren.

ZUM SCHLUSS: WELCHE 3 TIPPS WÜRDEN SIE ANGEHENDEN GRÜNDERN MIT AUF DEN WEG GEBEN?

Meine drei Tipps sind – Habt Mut, Fortschritt ist besser als Perfektion und haltet durch!

Es ist leicht, neue Ideen im Kopf zu haben. Ich bin mir sicher, dass jeder mindestens eine gute Idee hat, deren Umsetzung sich lohnen würde. Aber es braucht verdammt viel Mut, diese dann tatsächlich in die Realität umzusetzen.

Zweitens ist es wichtig, dass man Fortschritte macht und nicht von Beginn an auf Perfektion setzt. Es ist schwer, am Anfang Abstriche zu machen. Es ist besser ein halbfertiges Produkt dem Kunden jetzt zu zeigen und Feedback zu bekommen als das perfekte Produkt nie zu zeigen.

Und schließlich ist es wichtig, dass man durchhält. Ein Unternehmen aufzubauen ist kein leichter Weg und bringt viele Tiefpunkte mit sich, durch die man sich kämpfen muss. Erfolgreiche Gründer können Euch davon hunderte Geschichten erzählen. Und aus diesem Grund möchte ich mit einem Zitat von Theodore Roosevelt enden, das Mut und Durchhalten vereint: „Courage is not having the strength to go on; it is going on when you don’t have the strength.

Weitere Informationen finden Sie hier

Wir bedanken uns bei  Sebastian Gouy für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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